Bodenlose Ungerechtigkeit

Gesellschaftspolitische Implikationen der aktuellen Bodenpreisentwicklung

Im Rahmen der Veranstaltung "Bodenlose Ungerechtigkeit", 07.11.2024

© SebastianO Photography

Am 7. November 2024 widmete sich die Katholische Akademie in Bayern im Rahmen einer Abendveranstaltung dem Thema der steigenden Bodenpreise. Unter dem Titel Bodenlose Ungerechtigkeit. Wie lässt sich die Bodenpreisentwicklung aufhalten? setzten sich die Stadtplanerin Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik, Berlin und der Steuerexperte Prof. Dr. Dirk Löhr von der Hochschule Trier mit den ökonomischen, sozialen und steuerpolitischen Dimensionen dieser Entwicklung auseinander.

In der Begrüßung verwies Studienleiterin Sophia Haggenmüller auf die Tradition der Bodenrechtsdiskussion in Deutschland, insbesondere auf das Vermächtnis des SPD-Politikers und ehemaligen Münchener Oberbürgermeisters Hans-Jochen Vogel. Dessen grundlegende These, Boden sei keine beliebige Ware, sondern Voraussetzung menschlicher Existenz – vergleichbar mit Luft und Wasser, ein unverzichtbares und unvermehrbares Gut des Gemeinwohls –
wurde dem Abend als normative Rahmung vorangestellt: Die Boden-
frage ist eine Gerechtigkeitsfrage.

Ricarda Pätzold führte in ihrem Vortrag aus, dass die dramatischen Preissteigerungen bei Grund und Boden in den letzten beiden Jahrzehnten alle anderen Kostenfaktoren des Bauens übertroffen haben. Der Preisindex für Bauland habe sich in der Bundesrepublik zwischen 2001 und 2021 mehr als verdoppelt; in Ballungsräumen wie München lägen die Werte überdies weit über dem Bundesdurchschnitt. Diese Dynamik sei nicht allein auf die Begrenztheit der Ressource Boden, sondern maßgeblich auf die Nutzung des Bodens als Anlageobjekt zurückzuführen. Die Folgen reichten von der zunehmenden sozialen Segregation bis hin zu massiven Belastungen der Landwirtschaft, da Ackerflächen zunehmend spekulativ gehandelt werden.

Besondere Aufmerksamkeit erhielten die Konsequenzen für die Wohnraumversorgung: Die Relation zwischen Einkommen und Wohnkosten habe sich so verschoben, dass weite Teile der Bevölkerung von den innerstädtischen Wohnungsmärkten ausgeschlossen werden. Politische Instrumente wie Mietpreisbremse oder kommunales Vorkaufsrecht erwiesen sich bislang als nur begrenzt wirksam. Hinzu komme der kontinuierliche Rückgang des Bestands an Sozialwohnungen aufgrund befristeter Bindungen. Pätzold plädierte daher für eine systematische Neubewertung und konsequentere Anwendung des vorhandenen Instrumentariums sowie für zusätzliche Eingriffe, um langfristig bezahlbaren Wohnraum zu sichern.

Professor Löhr fokussierte sich in seinem Beitrag auf die steuerpolitische Dimension. Die gegenwärtige Grundsteuer, die auch Gebäudewerte erfasst, setze falsche Anreize: Investitionen in Wohnraum würden belastet, während ungenutzte Grundstücke von der Wertsteigerung profitierten. Demgegenüber könne eine reine Bodenwertsteuer spekulative Gewinne abschöpfen und die Nutzung brachliegender Flächen fördern und sei damit sozial gerechter. Aus ökologischer Sicht trüge sie zudem zu einer effizienteren Flächennutzung bei und würde der Zersiedelung entgegenwirken. Löhr verwies auf internationale Erfahrungen, die das Potenzial dieses Ansatzes bestätigen, und forderte eine ernsthafte politische Prüfung dieser in und für Deutschland.

Daran anschließend verdeutlichte die angeregte Diskussion der beiden Fachleute die Komplexität des Problems. Kurzfristige Maßnahmen wie Förderprogramme oder Mietpreisregulierungen adressieren lediglich Symptome, während strukturelle Fragen wie Eigentumsordnung, Steuerpolitik und Gemeinwohlbindung des Bodens, politisch bislang unzureichend bearbeitet werden. Diese Einschätzung spiegelte sich auch im Tenor der zahlreichen Wortmeldungen der in der Debatte teils überaus bewanderten Teilnehmenden wider: Ohne tiefgreifende Reformen im Umgang mit Grund und Boden wird sich die Kluft zwischen privilegierten Eigentümergruppen und den von Verdrängung betroffenen Haushalten weiter vertiefen; eine gerechtere Bodenordnung ist damit ein entscheidender Faktor für soziale Kohäsion und nachhaltige Stadtentwicklung.

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