Der notwendige Beitrag der Verbraucher

Das Ernährungsverhalten muss sich ändern

Im Rahmen der Veranstaltung "Nutztierhaltung – acatech", 04.05.2021

Nachhaltigkeit in der Tierhaltung ist mit dem derzeitigen Ernährungssystem nicht erreichbar. Es ist vielmehr absolut nötig, die Landwirtschaft – und innerhalb dieser die Tierhaltung – als Teil des Ernährungssystems zu verstehen und gesellschaftlich zu steuern. Als Beitrag zum Verständnis dieser Herausforderung will ich kurz auf wesentliche Dimensionen eingehen.

Lassen Sie mich im Folgenden einige Fakten zu den vier Dimensionen nennen.

Zu Dimension 1

Die aktuelle Ernährung übersteigt die Tragfähigkeit des Planeten in einigen Bereichen bereits heute. Gleichzeitig wird eine weitere Steigerung der globalen Nachfrage nach menschlicher Nahrung und insbesondere nach Produkten tierischen Ursprungs prognostiziert. Aus ökosystemischem Verständnis geht es einerseits darum, das trophische Niveau der menschlichen Ernährung abzusenken und andererseits die Fotosynthese zu fördern, um mehr Biomasse verfügbar zu bekommen.

 

Zu Dimension 2

Aktuell leben etwa zwei Milliarden übergewichtige und überernährte Menschen auf der Erde und 800 Millionen Menschen leiden unter Hunger. Deren Zahl nimmt in den letzten Jahren leider wieder zu. Für ca. eine Milliarde Menschen – in der Regel die Ärmsten des globalen Südens – sind Nutztiere die Überlebensgrundlage.

 

Zu Dimension 3

Heute werden ca. 77 Prozent der globalen, landwirtschaftlich nutzbaren Fläche für die Erzeugung von Viehfutter genutzt. Die tierischen Produkte liefern jedoch nur 17 Prozent der von Menschen aufgenommenen Nahrungsenergie und 33 Prozent der von Menschen verzehrten Eiweiße. Andererseits wachsen jährlich ca. sechs Milliarden Tonnen Trockensubstanz an pflanzlicher Biomasse, die für Menschen nicht direkt verwertbar ist. Die Flächen, auf denen dieses Futter wächst, sind also nur mit Hilfe von Tieren als Flächen mit einem Beitrag zur menschlichen Ernährung zu nutzen. Diese Tiere sind Teil eines Ökosystems, und folglich sind deren Produkte als Teil eines nachhaltigen Ernährungssystems zu verstehen.

 

Zu Dimension 4

Bereits das Verständnis des Zusammenspiels von Produzenten, Konsumenten und Destruenten in einem Ökosystem ist hoch komplex, dynamisch, zum Teil selbstregulierend und folglich schwer zu verstehen. Wenn wir über Ernährungssysteme sprechen, dann ist das Ökosystem zwar die Basis, wird aber von sozialen und wirtschaftlichen Erwartungen und Mechanismen beeinflusst. Die Komplexität nimmt weiter zu und die gezielte Beeinflussbarkeit nimmt ab. Umso wichtiger ist, dass wir immer besser verstehen, mit solchen Komplexitäten verantwortungsvoll umzugehen, statt mit Detaillösungen das Ganze aus den Augen zu verlieren.

Gern möchte ich hier das Gleichnis von den blinden Männern und dem Elefanten erwähnen. Aufgrund des fehlenden Sehvermögens können sie den Elefanten als Ganzes nicht erkennen, sondern jeder ertastet einen Teil des Körpers und beschreibt dieses Detail recht treffend. Die Summe der Beschreibung der Einzelteile ergibt keine Hinweise auf das Ganze! Das Newtonsche Prinzip, alles in seine Einzelteile zu zerlegen, diese bestmöglich zu beschreiben und darüber ein Verständnis vom Ganzen zu erlangen, stößt selbst schon bei rein mechanischen Apparaten auf Grenzen. Nichtsdestotrotz dominiert dieses Vorgehen das menschliche Handeln bis heute, leider in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft.

Um also das hochkomplexe, dynamische und zum Teil sich selbst regulierende Ernährungssystem in den ökologischen Grenzen unseres Planeten nachhaltig zu gestalten, ist die Wissenschaft genauso gefordert wie Wirtschaft und Politik, aber auch die Verbraucher, also jeder Einzelne und die Gesellschaft als Ganze.

Bezogen auf die Nutztierhaltung gilt es, verschiedene Zielkonflikte besser zu verstehen, aber vor allem, diese möglichst aufzulösen. Die Lösungswege können vielfältig sein, und keiner ist per se besser als ein anderer. Prinzipielle Möglichkeiten zur Konfliktlösung sind Verständnis, Priorisierung von Zielen und Effizienzsteigerung, aber auch Tierbestandsreduzierungen.

An dieser Stelle könnte ich normalerweise meinen Impuls beenden, wäre da nicht noch die besondere Stellung des Tieres in unserem Moral- und Rechtssystem. Die ethische Rechtfertigung des Nutzens und Tötens von Tieren überlagert meines Erachtens die Nachhaltigkeitsdiskussion, weil damit der Umgang mit den Tieren (Gewährleisten von Tierwohl) nicht mehr nur ein Aspekt der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit ist.

Der Deutsche Ethikrat schreibt in seiner Stellungnahme vom Juni 2020: „Von denjenigen, die Nutztierhaltung nicht grundsätzlich ablehnen, kann daher erwartet werden, dass die Bedingungen von Zucht, Haltung und Verwertung einschließlich der Tötung von Nutztieren mit guten Gründen gerechtfertigt werden. Dabei darf nicht pauschal auf die (Ernährungs-) Bedürfnisse der Menschen verwiesen werden: (…) Jenseits dessen bleibt nur die Nutztierhaltung als wertvolles historisches Kulturgut und der Aspekt des mit dem Verzehr verbundenen guten Lebens der Menschen.“

Ich empfinde diese Formulierungen als eine große Herausforderung nicht nur an die Nutztierwissenschaften, aber an diese im Besonderen.

Zusammenfassen möchte ich meinen Impuls zur Nachhaltigkeit der Nutztierhaltung wie folgt: Ethisch vertretbar ist noch längst nicht nachhaltig, aber nachhaltige Tierhaltung ohne ethische Vertretbarkeit kann es nicht geben!

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