Um den Bestand unserer verfassungsrechtlichen Ordnung müssen wir uns heute so viele Sorgen machen wie noch nie, seit sie besteht. [Min. 5] Heßler sieht seine Aufgabe darin, den Erhalt des Rechtsstaats abzusichern. Weil dieser stark vom Funktionieren der Dritten Staatsgewalt abhängt, versuchen autoritäre Regime, sie in ihrer Wirkfähigkeit einzuschränken. Er gibt sich dennoch zuversichtlich und ein bisschen kämpferisch; denn das Vertrauen der Gesellschaft ist immer noch groß. [Min. 7] Wie sicher können wir sein, dass z. B. zum Superwahljahr 2033, wenn hundert Jahre nach der Machtergreifung sowohl der Landtag als auch der Bundestag gewählt werden, unsere Demokratie nicht erneut zerstört wird? Nußberger berichtet von deprimierter Stimmung auf internationalen juristischen Kongressen und mahnt, sich mit den Szenarien, was passieren könnte, auseinanderzusetzen, um sich darauf gründlich vorzubereiten. Angesichts der Kurzlebigkeit aktueller Entwicklungen – allein die grundstürzenden Veränderungen in den USA binnen weniger Monaten nach der Wahl Donald Trumps – sei keine Prognose und keine Sicherheit bis 2033 möglich. [Min. 11] Die Erklärung der Menschenrechte wurde auch von Staaten ohne Gewaltenteilung unterzeichnet. Können Menschenrechte auch in anderen als gewaltenteiligen Systemen stabil implementiert werden? Laut Nußberger nein; denn das philosophische Konzept der Gewaltenteilung ist für sie zwingend aus den Menschenrechten abgeleitet: Es muss eine Kontrollgewalt geben. Denn die Justiz bremst, wenn Gesetze erlassen werden sollen, die nicht mit der Verfassung übereinstimmen, oder wenn Regierungsgegner auf menschenrechtswidrige Weise verfolgt werden. Deshalb sehen wir immer als erstes die Angriffe auf die Justiz, wo autoritäre Parteien an die Macht kommen. [Min. 13] In diesem Sinne muss ein Verfassungsgericht laut Heßler die Demokratie auch vor dem Gesetzgeber schützen: Die Demokratie allein, die dem Mehrheitswillen verpflichtet ist, könnte auch Menschenrechte einschränken und muss deshalb eingehegt werden durch den Rechtsstaat. Eine unabhängige Justiz muss die Einhaltung des Grundrechtskatalogs auch gegenüber der Mehrheit überwachen können. [Min. 15] Nur dieses Zusammenspiel bringt den freiheitlichen Rechtssaat wie wir ihn heute haben. Zu den Instrumenten, mit denen die Justiz dies leisten soll: Die Ewigkeitsklausel, die Art. 1 (Menschenwürde) und Art. 20 (Staatsfundamentalnormen) der Änderung entzieht, ist laut Nußberger zu Recht sehr eng gefasst, weil durch diesen klar definierten Sockel ein Fokus gesetzt ist. Eine Ausweitung der Ewigkeitsklausel scheint ihr nicht geboten. [Min. 17] Der noch nie angewendete Artikel 18 des Grundgesetzes, der es erlaubt, Einzelpersönlichkeiten das passive Wahlrecht zu entziehen, gehört prinzipiell laut Heßler zu den scharfen Schwertern, die sich der Verfassungsgeber ausgedacht hat, weil er eine wehrhafte Demokratie wollte. Hans Nawiaski, einer der Väter der Bayerischen Verfassung, hat gesagt, die Demokratie dürfe sich nicht als Selbstmordveranstaltung darstellen. Wir haben allerdings keine praktischen Erfahrungen damit, wie es umgesetzt werden soll und welche Kriterien erfüllt sein müssten. Heßler sieht daher eine große Unsicherheit, ob Art. 18 wirklich das scharfe Schwert ist, als das er gedacht war: Die gut gedachten Instrumente sind bisher nicht praktisch geworden. [Min. 19] Beim Parteienverbot ist Nußberger ebenfalls skeptisch. Sie befürchtet, dass nach so einem Verbot die Situation noch viel schlimmer ist als vorher, u. a. wegen des Mythos der Verfolgung und der gesellschaftlichen Verwerfungen. [Min. 21] Und sie äußert sich kritisch über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR, dass ein Parteienverbot erst angewandt werden kann, wenn die Parteien eine relevante Größe erreicht haben und eine realistische Gefahr darstellen. Nußberger hält entgegen, dass genau dies ganz am Anfang, wenn sich verfassungsfeindliche Pools bilden und die Gefahr besteht, dass diese größer werden, der Zeitpunkt sei, in dem eine Anwendung Sinn habe. Wenn man mit einem Verbot bereits auch einem Drittel der Wähler unterstelle, verfassungsfeindliche Tendenzen zu unterstützen, sei das Grundverständnis der Demokratie berührt. Um keine Spaltung zu riskieren, müsse die Begründung extrem überzeugend und der Konsens hinter ihr so umfassend sein, dass quasi der Staat als solcher das Verfahren durchführt. Diese Voraussetzung sei derzeit nicht gegeben. [Min. 25] Vor dem Hintergrund der globalen Multikrise, des Zerfalls des Blocks westlich-demokratischer Staaten, der veränderten Parteienlandschaft und der Änderungen in der Medienlandschaft sieht Heßler [Min. 29] die Sollbruchstellen vor allem bei der Funktionsfähigkeit der Verfassungsgerichte, die in anderen Staaten z. B. durch die Besetzung der Gerichte oder die „harmlose“ Festlegung der Reihenfolge, in der Fälle bearbeitet werden, eingeschränkt wurde. Die jüngsten Nachbesserungen im Grundgesetz bewertet er positiv, man müsse jedoch die Entwicklung im Auge behalten, ob weiter nachzusteuern sei. [Min. 30] Nußberger rekapitulierte im Rechtsvergleich mit Polen, dass dort die Verfassungsrichter nach der Wende stark in die Politik eingegriffen und sogar in eigener Sache eine Behelligung wegen ihrer kommunistischen Vergangenheit abgewehrt und sich dadurch unglaubwürdig gemacht hätten. So wurde es von der Bevölkerung akzeptiert, als durch die Herabsetzung der Altersgrenze ein Drittel der Posten freigeräumt und nach dem Geschmack der PIS-Partei nachbesetzt wurden. [Min. 35] Auch in Deutschland werde bereits versucht, durch negative Narrative die Glaubwürdigkeit der Gerichte zu diskreditieren, so Heßler, allerdings noch auf niedrigem Niveau. Das Vorurteil, die Gerichte seien ineffizient, könne man im Übrigen am besten durch eine bessere Ausstattung ausräumen. [Min. 40] Zur jüngsten Wahl neuer Verfassungsrichter:innen in Deutschland resümierte Nußberger, zwar sei unser Wahlsystem nie gut gewesen, aber es habe immer sehr gut funktioniert – und verweist im Rechtsvergleich auf andere Modelle, die noch größere Haken hätten. Wegen des einen missglückten Falles solle deshalb nun besser nicht das gesamte System verändert werden. Auch für Heßler gilt: Das ideale Wahlverfahren gibt es nicht. Bisher seien die Ergebnisse – Konsens- und Arbeitsfähigkeit in einem achtköpfigen Senat – stets gut gewesen. [Min. 44] Er erläuterte auch noch einmal im Detail die neuesten Veränderungen bei der Wahl der „nicht berufsrichterlichen Mitglieder“ des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.