Drei Jahrhunderte geistlicher Musik in Kuba

Im Rahmen der Veranstaltung "Kuba im Umbruch? 7. Karl Graf Spreti-Symposium", 08.06.2018

Hinführung

 

Wenn man den Kern, das innerste Wesen der kulturellen Identität eines Landes erfassen und verstehen möchte, kommt man nicht umhin, sich mit seinem kirchenmusikalischen Erbe zu befassen, es auszugraben und zu erforschen und es nicht zuletzt zu bewerten, zum einen im Hinblick auf seine liturgische Funktion, zum anderen als Ausdruck des spirituellen Erlebens eines Volkes. Gerade das kubanische Volk machte einen langen Prozess der kulturellen Identitätsfindung durch, da es nicht von Anfang an die eine kubanische Kultur gab; vielmehr existierten verschiedenste kulturelle Traditionen und Ansätze nebeneinander, deren Bogen sich von den spanischen Kolonialherren und Siedlern bis hin zu den schwarzen Sklaven aus Afrika spannte. Erst im Laufe der Jahrhunderte ist eine genuin kubanische Kultur und Identität entstanden. Dieser Prozess lässt sich anhand der Entwicklung der katholischen Kirchenmusik auf Kuba auf sehr anschauliche Weise nachvollziehen, wie sich im nun folgenden Vortrag zeigen wird.

Meinen Vortrag werde ich in Form einer musikalischen Zeitreise halten, beginnend bei den ältesten noch erhaltenen Zeugnissen kirchenmusikalischen Schaffens auf Kuba. Diese stammen von Esteban Salas, der zwischen 1764 und 1803 Kapellmeister an der Kathedrale von Santiago de Cuba war. Anhand der darauf folgenden Beispiele aus dem 19. Jahrhundert können wir nachvollziehen, wie sich allmählich eine nationale kubanische Identität herausgebildet hat, gepaart mit der Suche nach intellektueller und politischer Freiheit, bis wir im 20. Jahrhundert beim Hauptwerk der katholischen Kirchenmusik in Kuba ankommen, der Misa a la Virgen de la Caridad del Cobre, zu Deutsch: der Messe für die Barmherzige Jungfrau von El Cobre, von José María Vitier, einem geistigen Erben der Ideen und Forderungen der Grupo Orígenes, einer Gruppe kubanischer Intellektueller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Da die Quellenlage in Bezug auf die geistliche Musik in Kuba sehr überschaubar ist, beziehe ich mich in meinem Vortrag im Wesentlichen auf die Erkenntnisse von Dr. Miriam Escudero. Sie ist eine international renommierte kubanische Musikwissenschaftlerin und leitet das „Gabinete de Patrimonio Musical Esteban Salas de la Oficina del Historiador de la Ciudad de La Habana“, also das Esteban-Salas-Institut für musikalisches Kulturerbe der Denkmalbehörde von Havanna.

Zudem ist sie Verfasserin zahlreicher musikwissenschaftlicher Bücher und Artikel, auch und gerade über die geistliche Musik in Kuba. In vielen persönlichen Gesprächen mit ihr konnte ich mir einen Einblick in die kubanische Kirchenmusikwelt verschaffen. Ein wichtiger Schritt, um die kubanische Kirchenmusiktradition einem größeren Publikum bekannt zu machen, war das Referat über die Verbindung zwischen Glaube und kulturellem Erbe, welches Miriam Escudero im Rahmen des Katholikentages im Jahr 2014 in Regensburg gehalten hat und das Claudia Gerauer übersetzte.

 

Das Wesen der Musik

 

Damit der Mensch seinem Glauben Ausdruck verleihen kann, war es ihm stets ein Bedürfnis, seine Vorstellungen und dem tradierten Wissen seiner Vorfahren, das diese selbst erlernt, in eigene Erfahrung umgesetzt und schließlich weitergegeben haben, in eine fassbare Struktur zu bringen. So hat er in der Kunst eine perfekte Möglichkeit gefunden, zwischen dem Subjektiven und dem Konkreten eine Brücke zu schlagen.

Diese Ambiguität spiegelt sich in der Tatsache wider, dass das Wesen von Kunst weitgehend nicht definierbar ist. Aus der Gesamtheit des Kunst- und Kulturerbes des kubanischen Volkes richten wir heute unser Augenmerk auf die musikalischen Werke religiösen Inhalts, deren unbestreitbare Schönheit Zeugnis davon ablegt, dass ihre Schaffung einem Glaubensakt gleichzusetzen ist.

Und obwohl viele dieser Werke für den liturgischen Gebrauch – also für den rituellen Ausdruck von Frömmigkeit – geschaffen wurden, kann man sie sicherlich auch generell als Kulturgüter betrachten, da sie neben ihrer Funktion in der Liturgie zuerst einmal Resultate menschlicher Kreativität sind und Träger von Werten, die auch von einer weltlichen Gemeinschaft verstanden und begriffen werden können.

Enzyklika, Vorschriften und Zensur haben – neben zahlreichen anderen Faktoren – jahrhundertelang Form und Inhalt geistlicher Musik bestimmt und geregelt, wobei es bis heute zwischen Wissenschaftlern und Interpreten stets strittig war, bis zu welchem Grad Musik reglementierbar bzw. nach Normen bewertbar ist.

Wenn man die kubanische Kirchenmusik zur Gänze verstehen möchte, ist es von großer Wichtigkeit, vor allem die Wort-Ton-Beziehung in diesen Werken zu studieren, sodass man auch gerade über den Text und die darin verwendeten Symbole und Stilmittel zu einem tieferen Verständnis des sakralen Gehaltes religiöser Handlungen gelangen und ihre Bedeutung für die geistliche Musik zwischen dem 18. und 21. Jahrhundert erfassen kann.

Die Werke, die wir im kubanischen Katalog der musikalischen Quellen des 18. Jahrhunderts finden – hier repräsentiert von Esteban Salas und Cayetano Pagueras –, geben Aufschluss darüber, dass es sich dabei vor allem um ein Repertoire handelt, das eine spezifische soziale Funktion hatte: Die Gestaltung der Heiligen Messe in der Kathedrale von Santiago der Cuba und in der Kathedrale von Havanna im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Sozial deshalb, weil diese Werke, diese Kunstwerke an Menschen gerichtet waren und von einer menschlichen Gemeinschaft rezipiert wurden. Dieser Gemeinschaft gehörten drei Gruppierungen an, die jede auf ihre Weise von Bedeutung für die Entstehung eines musikalischen Kunstwerks waren: Die erste Gruppe bestand aus dem Bischof und den Würdenträgern des Domkapitels, die dafür zuständig waren, zu beurteilen, ob die musikalischen Schöpfungen den dogmatischen Normen entsprachen und die auch den finanziellen Rahmen für das musikalische Schaffen absteckten, was etwa Besetzungsfragen oder den Umfang des Einsatzes von Instrumenten beeinflusste. Die zweite Gruppe bildeten die Musiker der Kappelle, die ja ebenso wie der Komponist Künstler waren und so gemeinsam mit dem Komponisten den Entstehungsprozess des Kunstwerks vollzogen. Die Konzeption eines Werkes war stets eine Gratwanderung – einerseits sollten die Werke einem hohem ästhetischen Anspruch genügen, andererseits musste man auch den genannten Beschränkungen Rechnung tragen. Die letzte Gruppe schließlich bildeten die Gläubigen, denen anhand der Musik Glaubensinhalte vermittelt werden sollten.

Man könnte also sagen, dass die musikalische Sprache, die die katholische Kirchenmusik im 18. Jahrhundert zur Verfügung hatte, beschränkt war: Die Kirchenmusik hatte vor allem eine Funktion zu erfüllen, d.h. sie unterlag der Notwendigkeit, die Feier der Heiligen Messe dergestalt zu unterstützen, dass sie gewisse Schwerpunkte im Ablauf setzen oder bestimmte Gefühle vermitteln sollte, die mit den dogmatischen Vorgaben bzw. der überlieferten Tradition der Messfeier konform gingen. Dieses Spannungsfeld also zwischen künstlerischem Ausdruckswillen und von außen auferlegten Beschränkungen definiert die musikalische Sprache dieser Komponisten, die ihnen zur Verfügung stand, um zum einen ihren eigenen ästhetischen Ansprüchen, zum anderen denen ihrer Umgebung, in der die Musik dargeboten wurde, gerecht zu werden. Diese Sprache speiste sich aus einem Pool verschiedener Stile, die überwiegend nicht der Zeit entsprachen.

 

Esteban Salas und Cayetano Pagueras

 

Sowohl Esteban Salas als auch Cayetano Pagueras verfügten über ein breitgefächertes Wissen und hatten umfassende Kenntnisse hinsichtlich verschiedenster stilistischer Ausdrucksmittel, sodass sie aus diesem Amalgam ästhetischer Ansätze für jeden Fall eine spezifische Lösung finden konnten. Für sie war das Komponieren kein Prozess, der sich an der herrschenden Mode orientierte. Sie experimentierten nicht mit stilistischen Neuerungen, da es nicht ihre Aufgabe war, möglichst innovative und künstlerisch wegweisende Werke zu kreieren, sondern mit kompositorischen und stilistischen Ausdrucksmitteln zu arbeiten, die der Tradition der Messfeier angemessen waren. Ihre Werke hatten also vor allem eine Funktion in der Liturgie zu erfüllen, und ihre Aufgabe bestand in erster Linie darin, durch das Auswählen der jeweils geeigneten kompositorischen Mittel Werke zu schaffen, die zum einen mit den Anforderungen des Ritus, zum anderen mit den vorhandenen Aufführungsbedingungen im Einklang standen.

Cayetano Pagueras bedient sich etwa in seinen Werken zur Karwoche eines älteren Stils, der an die kompositorische Tradition der Zeit vor der Gegenreformation angelehnt ist. Charakteristika dieses alten Stils in seiner Spätphase sind langsame Tempi, die in großen Notenwerten notiert werden, die Definition der Struktur durch eine syllabische Textbehandlung, Einsatz von Homophonie und einfacher kontrapunktischer Polyphonie sowie die Begleitung durch tiefe Instrumente wie Orgel oder Fagott.

Esteban Salas hingegen setzt beispielsweise in seinen Marienkompositionen die Mehrchörigkeit ein, wobei er die Gesangsstimmen von einem Continuo begleiten lässt. Er bedient sich der Kontrapunktik und eines äußerst breiten Spektrums an harmonischen Mitteln, die aber jenseits rein ästhetischer Erwägungen stets im Dienst eines Ausdruck von Feierlichkeit und Erhabenheit stehen, die der Marienverehrung angemessen sind.

Auch wenn man unter dem „Sakralen“ im weitesten Sinne jede Art von Manifestation des Transzendentalen verstehen kann, ist es so, dass sich die Feier der Liturgie – solange man sie als sakrale Handlung betrachtet – immer in unterschiedlichen Graden von Feierlichkeit zeigt, je nachdem, ob es sich etwa um das erhabene Sakrament der Eucharistie oder um die einfachste Form des Gebets handelt. Diese mehr oder weniger große Heiligkeit der jeweiligen Handlung, die im Prinzip durch die verwendeten liturgischen und paraliturgischen Texte ausgedrückt wird, findet ihr Korrelat in der Faktur der Musik und bestimmt letztlich die stilistischen Charakteristiken, die der Autor verwendet.

 

Juan París

 

In den Werken von Juan París, der zwischen 1805 und 1845 Kapellmeister an der Kathedrale von Santiango de Cuba war, finden wir paraliturgische Texte, die entweder von ihm selbst oder einem Dichter aus der Gegend stammen und in der Sprache der Einheimischen verfasst sind. Bei der Vertonung dieser Texte hat Juan París mit größter Selbstverständlichkeit weltliche musikalische Mittel angewandt; die Musik war aber trotzdem im Hinblick auf Funktion und Gattung geistlich, und sie wurde auch in einem liturgischen Zusammenhang aufgeführt. So ist dies zum Beispiel bei den sogenannten Villancicos der Fall, die Anfang des 19. Jahrhunderts in der Weihnachtsmette die Responsorien ersetzten. Für dieses eine Mal im Jahr, zur Feier der Geburt Christi, hat er sich erlaubt, der spanischen Popularmusik entlehnte Rhythmen und Melodien zu verwenden, Pastorellen und Rezitative einzubauen und dem von Instrumenten begleiteten Gesang eine Hauptrolle einzuräumen. Auf diese Weise verlieh er der Gattung eine bodenständige Prägung, die die Frömmigkeit des einfachen Volkes gut zum Ausdruck brachte. Trotzdem ging dies nicht auf Kosten eines grundsätzlich geistlichen Charakters der Stücke. Dies mag auch auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass die verwendeten Texte der Einheimischen nicht so sehr Krippenspielcharakter hatten, sondern vielmehr eher theologischer Natur waren. Jedenfalls kann man angesichts der hohen Zahl der erhaltenen Werke davon ausgehen, dass Juan París’ Kompositionsmethode von den kirchlichen Behörden gebilligt worden war.

Diese Villancicos von Juan París sind von sehr klassischer Machart und einer Klanglichkeit, die bereits Einflüsse des neuen Stils aufweist, der sich seit der Aufklärung entwickelt hat und sich vom Klassizismus ableitet. Beispielsweise setzt er in einigen seiner Werke kleine Kammerorchester im konzertanten Stil ein. Lesen wir dazu nun aus dem Villancico „Parió María en Belén“ (1814) von Juan Paris (Katalonien, ca. 1759-Santiago de Cuba, 1845):

 

Refrain

Maria kam nieder in Bethlehem,

Und sie kamen, um ihr Kind zu sehen

Viele sind es, viele waren es,

Und so war es wohl gut.

 

Coplas

  1. Mit vierzehn Jahren

und noch dreieinhalb Monaten

gebar Maria die Ehre und den Retter,

um den der Himmel den Himmel gebeten hat.

Und an diesem Tag bat der Mensch

– auch wenn dies verwundern mag -,

dass Gott seinen Namen nenne.

Und er hielt Wort, indem er Christus sandte.

So sagte der Vater „ja“,

und der Heilige Geist auch.

Und so war es wohl gut.

 

  1. Es kamen die Wöchnerin zu sehen

– wenn auch nicht zu ihr als Person,

sondern als Lebensquelle –

viele ältere und noble Menschen.

An die Stelle dessen, was Adam aß,

tritt nun dieses wunderbare Brot,

dieses Brot mit schönen Blumen,

schönen Blumen und auch Eva unter ihnen;

Süßigkeiten junger Mädchen

Die schlecht bekommen und gut schmecken.

Und so war es wohl gut.

 

Betrachtet man die Musik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, so kann man feststellen, dass sich hier allmählich ein Kreolismus manifestierte. Kreolen nannte man auf Kuba die im Land geborenen Nachfahren der weißen Siedler, die sich nicht mehr als Einwanderer verstanden und eine eigenständige Kultur entwickelten, eine Mischung aus Elementen ihrer ursprünglichen und der im Land vorgefundenen Kultur. So kann man beobachten, dass in jenen Jahrzehnten ein musikalisches Repertoire entstand, das man von seiner stilistischen Einordnung her von nun an klar als kubanisch definieren kann.

 

Die Jungfrau von El Cobre

 

Im Jahr 1687 berichtet der Kapitän Juan Moreno, ein aus dem Dorf El Cobre stammender, damals 85-jähriger Schwarzer, von einer Begebenheit, die sich als höchst bedeutsam erweisen sollte und aus der sich der wichtigste religiöse Kult des kubanischen Volkes überhaupt entwickelte, die Verehrung der Barmherzigen Jungfrau von El Cobre:

„Eines Morgens, als das Meer ruhig lag, legten Juan und Rodrigo de Hoyos und der, der dies berichtet, vor Sonnenaufgang vom Cayo Francés in einem Boot in Richtung der Salinen ab. Und als sie besagten Cayo Francés hinter sich gelassen hatten, sahen sie etwas Weißes auf dem Schaum des Wassers, von dem sie nicht erkennen konnten, was es sein könnte, und beim Näherkommen hielten sie es für einen Vogel, und als sie noch näher kamen, sagten die beiden Indios [Juan und Rodrigo], dass es ein Mädchen wäre, und sie erkannten es und sahen das Bild der Muttergottes, der Heiligsten Jungfrau Maria mit dem Jesuskind in dem Armen und einem kleinen Täfelchen, und auf besagtem Täfelchen waren einige große Buchstaben, die der besagte Rodrigo de Hoyos vorlas, und da stand: ‘Ich bin die Barmherzige Jungfrau’, und sie wunderten sich, dass ihr Gewand nicht nass war.“

Das Bild der Heiligen Jungfrau der Göttlichen Barmherzigkeit war bereits um 1612 nach Kuba gelangt. Zunächst war sie nur von den Bewohnern des Dorfes El Cobre in der Nähe von Santiago de Cuba verehrt worden, hauptsächlich einfachen Minenarbeitern, die von schwarzen Sklaven abstammten. Im Lauf der folgenden zwei Jahrhunderte entwickelte sich die Verehrung der Barmherzigen Jungfrau von El Cobre zum wichtigsten religiösen Kult der kreolischen Bevölkerung. Sie wurde zur Schutzpatronin der Kreolen, zur Repräsentantin ihres Heimatlandes.

Und ein Kreole war es auch, nämlich Cratilio Guerra Sardá (Santiago de Cuba, 1835-1896), Interimskapellmeister an der Kathedrale von Santiago de Cuba, der der Jungfrau von El Cobre erstmals auch in der Musik ihren Platz einräumte. So finden wir in den Büchern der Domkappelle im Jahr 1867 einen Hinweis auf die Feier des Festes Unserer lieben Frau der Barmherzigen Jungfrau von El Cobre, dessen musikalische Gestaltung Cratilio Guerra oblag.

Bis dahin hatte die Verehrung der Muttergottes der Barmherzigkeit überwiegend politische Bedeutung, da sie als Sinnbild der nationalen Identität für die ethnische und kulturelle Einheit der kubanischen Bevölkerung stand. So war sie auch die religiöse Leitfigur der Mambíes, also der aufständischen Kubaner, die für die Unabhängigkeit Kubas von Spanien kämpften.

Es mag kein Zufall sein, dass eine der allerersten überlieferten Kompositionen, die der Jungfrau von El Cobre gewidmet sind, genau in dem Zeitraum entstanden ist, in dem der erste Unabhängigkeitskrieg stattfand, nämlich zwischen 1866 und 1878. Es handelt sich um Cratilio Guerras „Gebet an Barmherzige Jungfrau von El Cobre“, dessen Text in spanischer Sprache verfasst ist.

Ein Beispiel für die symbolische Verbindung der Jungfrau von El Cobre mit der Unabhängigkeitsbewegung ist folgende Begebenheit, von der verschiedene Historiker berichten: Im Jahr 1869 wurde der kubanische Priester Juan Arteaga wegen Untreue festgenommen und des Landes verwiesen, nachdem er in einer Predigt im Franziskanerkonvent von Santiago de Cuba eine Allegorie verwendet hatte, in der er die Jungfrau von El Cobre als „estrella solitaria“, also als „einsamen Stern“ bezeichnete. Damit bezog er sich auf den weißen Stern, der auf der kubanischen Flagge zu sehen ist. Dieser wird im Volksmund „estrella solitaria“ genannt und steht für Freiheit und Gleichheit. Darüber hinaus ordnete er in besagter Predigt der Jungfrau die Farben Weiß, Blau und Rot zu und bezog sich damit wiederum auf die kubanische Flagge, die ebenjene Farben trägt. Auch in der ersten Strophe der Plegaria von Cratilio Guerra finden wir eine Metapher, in der die Jungfrau von El Cobre mit einem Stern verglichen wird: „Du, die du in der Höhe herrschst, schöne und mächtige Jungfrau, Du, die Du leuchtest wie ein Stern von einzigartiger Schönheit“.

Und auch wenn sich in diesem Text keine weitere direkten Allegorien finden, ist es doch interessant, dass auch sein Verfasser, ebenfalls ein Priester aus Santiago de Cuba, vom Erzbischof seiner Heimatstadt angezeigt und von der Regierung ins Exil geschickt wurde, weil er sich öffentlich auf die Seite der Unabhängigkeitsbewegung gestellt hatte.

Lesen wir dazu aus der Plegaria a la Virgen de la Caridad del Cobre, das „Gebet zur Barmherzigen Jungfrau von El Cobre“ von Cratilio Guerra (Santiago de Cuba, 1835-1896). Dieses Werk ist signifikant für die Entwicklung der geistlichen Musik auf Kuba, da es erstmals Charakteristika eines eigenständigen, gemischt-kulturellen Stils, eines mestizischen Stils enthält, der im weiteren Verlauf die kubanische Kirchenmusik prägte. Man kann also sagen, dass das 19. Jahrhundert die Zeit war, in der die verschiedenen Ethnien, die die Karibik bevölkerten, zu einer gemeinsamen Identität gefunden hatten und im Zuge dessen eine gemeinsame, eigenständige Kultur und eine eigene Form des Ausdrucks entwickelt hatten:

 

Du, die Du in der Höhe herrschst,

Schöne und mächtige,

Du, die Du leuchtest wie ein Stern

Von einzigartiger Schönheit.

 

Du, die stets Großzügige,

Sehr milde und sehr Gütige:

Mit dem armen Sünder

Hattest Du stets großes Erbarmen.

 

Überhöre nicht, auch wenn sie Deiner nicht würdig ist,

Liebe Mutter, liebende Mutter,

Die schwache, verabscheuungswürdige Stimme

Dessen, der Dir so viele Schmerzen bereitet hat.

 

Ich verspreche, Dich nicht mehr,

Reine Königin, prächtige Mutter,

Mit Trauer zu erfüllen

Durch meine ungerechten Taten.

 

Wenn Du mir beistehst, Du Warmherzige,

Werde ich gut sein, gnädige Mutter,

Und werde von heute an mich ganz und gar

Auf den rechten Weg begeben.

Jungfrau Maria, liebevolle Mutter,

Höre gnädig mein Gebet,

Süße Hoffnung der Bekümmerten,

Ich rufe voller Schmerz: Vergib mir!

 

Höre meine Bitten, höre sie gnädig an,

Lindere, Maria, meinen Schmerz,

Geliebtes und bewundertes Wesen, heute

Sehne ich mich voll Sorge und Einsamkeit nach Deiner Liebe.

 

Verweigere sie mir nicht, Königin des Himmels,

Denn wer wird mich in meiner Trauer trösten?

Nur Du kannst es, liebevolle Mutter,

Deine gütige Gnade wird es vollbringen.

 

Dir gilt mein Dank für alle Ewigkeit,

Allen Kummervollen werde ich es erzählen,

Nun, da wir uns von neuem niederwerfen

Und immer zu Deinen Füßen weinen werden.

 

Die Heilige Dreifaltigkeit wollte es,

Dass Deine göttliche Schönheit

Weder im Himmel noch auf Erden ihresgleichen fände.

Befreie uns, Mutter, von allem Bösen.

 

  1. Zum Einfluss des II. Vatikanischen Konzils

 

In den 40er- und 50er-Jahren finden wir auf Kuba eine Reihe von Komponisten, die in ihren geistlichen Werken Elemente aus der mündlich überlieferten Volksmusik verwenden. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass zu jener Zeit die sogenannte afro-kubanische Bewegung aktiv war, angeführt von dem kubanischen Schriftsteller Alejo Carpentier und dem Anthropologen Fernando Ortiz, deren Anliegen die Rückbesinnung auf die eigenen kulturellen Wurzeln war, was sie als unerlässlich für ein umfassendes Verständnis der eigenen Identität ansahen. So versprach man sich von der Erforschung der afrikanischen und spanischen Einflüsse in der kubanischen Kultur einen wertvollen Erkenntnisgewinn. Auf musikalischem Gebiet ist in diesem Zusammenhang die „Grupo de Renovación Musical“, also die „Gruppe der musikalischen Erneuerung“ zu nennen, die die musikalische Avantgarde der 50er-Jahre vertrat und zu der neben Harold Gramatges, einer der wichtigsten kubanischen Komponisten, auch Gisela Hernández gehörte. In ihrem Werk finden sich zahlreiche Weihnachts-Villancicos von komplett folkloristischem Charakter. Hier erlaubte sie sich in vielerlei Hinsicht bereits Freiheiten, die den Komponisten geistlicher Musik eigentlich erst durch das Zweite Vatikanische Konzil zugestanden wurden. Der „Son“, der als musikalische Gattung ein Paradebeispiel für die Verschmelzung verschiedenster musikalischer Einflüsse und höchster Ausdruck des genuin Kubanischen ist, wird dem Jesuskind gesungen, begleitet von Claves, also einem typisch kubanischen Perkussionsinstrument, und die „guajiros“ – so wird die kubanische Landbevölkerung genannt – bringen dem Jesuskind typisch kubanische Produkte als Geschenke, nämlich Honig und Zuckerrohr. Lesen wir dazu aus „Son de Navidad“, also den „Weihnachts-Son“ von Gisela Hernández (Cárdenas, 1912- La Habana, 1971):

 

Sie bringen ihm Zuckerrohr und leckeren Honig.

Die Guajiros von Kuba kommen nach Bethlehem,

Um dem königlichen Kind zu singen und es anzubeten.

Sie bringen Blüten von Aguinaldo und Kaffee,

Sie bringen Zuckerrohr und leckeren Honig.

 

Um nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein kirchenmusikalisches Repertoire zu schaffen, das im Einklang mit den neuen Regelungen stand, hatte man zunächst damit begonnen, die bekanntesten und beliebtesten Stücke des bisherigen Repertoires zu adaptieren, also ihre Besetzung zu reduzieren und zu vereinfachen und ihre Texte aus dem Lateinischen ins Spanische zu übertragen. Später begannen katholische kubanische Komponisten nach und nach mit der Schaffung eines eigenen musikalischen Repertoires von unschätzbarem Wert für unsere Geschichte, und zwar unter der Einbindung verschiedenster Gattungen der kubanischen Popularmusik, die von Instrumenten wie dem in Kuba in der Kirchenmusik üblichen Klavier, aber auch von Keyboards, Gitarren und kubanischen Perkussionsinstrumenten begleitet wurden. Diese Arbeit mündete in die Veröffentlichung des Gesangsbuches „Cuba canta su fe“, also „Kuba singt seinen Glauben“. Dieses Kompendium von Liedern für den Gottesdienst diente der einheitlichen Verbreitung des neu geschaffenen Repertoires in alle Kirchgemeinden des Landes. Die Orgel spielte in diesem Zusammenhang eine eher untergeordnete Rolle. Das Orgelspiel war aus Gründen, die in der Folge noch erläutert werden, nach und nach aus den Kirchen Kubas verschwunden, und der Gebrauch des Klaviers im Gottesdienst hatte sich eingebürgert – fallweise ergänzt durch die oben genannten Instrumente.

 

Der Papst in Kuba

 

Einen historischen, ja transzendentalen Moment in der Geschichte der katholischen Kirche auf Kuba stellte der Papstbesuch im Jahr 1998 dar. Dieses Ereignis war auch für die Entwicklung der Kirchenmusik von großer Tragweite, da im Zuge der Vorbereitungsarbeiten des Chores für die musikalische Gestaltung der Papstmesse das bestehende Repertoire um interessante Facetten erweitert wurde und sich neue Quellen für die kirchenmusikalische Praxis erschlossen. Eine der renommiertesten und erfahrensten Chor-Leiterinnen Kubas, Maestra Alina Orraca, war damit beauftragt worden, für diesen Anlass einen Papstchor zusammenzustellen und die entsprechenden Werke auszuwählen und einzustudieren. Man war übereingekommen, anstatt eines elitären Hochglanzprogramms in dieser Messe genau diejenigen Lieder zu präsentieren, die üblicherweise in den Gemeinden gesungen wurden, denn schließlich sollten selbst bei einer Papstmesse alle Gottesdienstbesucher die Messe auf gewohnte Art feiern können, auch die einfachen Leute aus den Landgemeinden. Dieser Ansatz wurde auch von Kardinal Jaime Ortega sehr befürwortet. Die Idee war, die traditionellen Kirchenlieder aus der Feder von so bekannten Komponisten wie Rodrigo Prats, Perla Moré oder Tony Rubí für A-Cappella-Chor zu arrangieren und auf diese Weise der doch eher volksnahen Musik ein künstlerisch anspruchsvolleres Gepräge zu verleihen. Diesen Teil der Aufgabe hatten bekannte Musiker wie Beatriz Corona und Andrés Alén übernommen. Mehrstimmiger A-Cappella-Gesang war bis dahin bei kubanischen Kirchenchören eher unüblich; so war dies ein ziemlich gewagtes, buchstäblich unerhörtes Experiment, und gerade von konservativer Seite wurden große Zweifel an der Durchführbarkeit eines solchen Vorhabens laut. Aber Alina Orraca bewies, dass dies durchaus möglich war, indem sie ihren eigenen professionellen Chor „Schola Cantorum Coralina“ um einige hundert Laiensänger aus Kirchenchören aus dem ganzen Land erweiterte und mit diesem Chor das Repertoire für die Papstmesse mit eiserner Disziplin einstudierte. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Kollegin Ada Ravela, die seit vielen Jahren den Chor der Diözese von Havanna leitet. Als dann am Sonntag, den 25. Januar 1998 schließlich die große Papstmesse stattfand und der engelsgleiche Gesang von 400 Chorsängern in der Kathedrale von Havanna erklang, waren auch die hartnäckigsten ungläubigen Thomasse bekehrt, da sie nun mit eigenen Ohren hörten, was sie nie geglaubt hätten. Dies war in der jüngeren Geschichte der Kirchenmusik in Kuba ein Meilenstein, was die musikalische Gestaltung der Messe anbelangt.

 

Exkurs: Orgel

 

In der Folgezeit haben sich auch bezüglich der Orgel als wichtiges Gestaltungsmittel der Liturgie entscheidende Entwicklungen ergeben. Früher hatte es allein in der Altstadt von Havanna mehr als 20 Orgeln gegeben. Da es aber an Fachleuten zur regelmäßigen Wartung der Instrumente fehlte, verschlechterte sich ihr Zustand zusehends, bis in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts auch die letzte Orgel unspielbar geworden war. Gleichzeitig war es durch die Neuerungen des 2. Vatikanischen Konzils – wie schon erwähnt – möglich geworden, auch andere Instrumente in die Gestaltung der Liturgie mit einzubeziehen. Diese beiden Umstände führten dazu, dass die Orgel für mehr als 30 Jahre komplett in Vergessenheit geraten war. Im Jahr 2000 wurden nun im Zuge eines Projekts der musikwissenschaftlichen Abteilung der Universität von Valladolid in Spanien die in Havanna vorhandenen Orgeln erstmals inventarisiert. Man fand verschiedene pneumatische Orgeln sowie zwei mechanische, die aber völlig unbrauchbar waren. Die Oficina del Historiador, also die Denkmalschutzbehörde der Stadt Havanna, der auch Frau Dr. Miariam Escudero angehört, machte sich nun daran, erstmals in der Geschichte Kubas die Restaurierung einer mechanischen Orgel durchzuführen. Es handelte sich um ein Instrument aus dem Hause Doublaine-Ducroquet, das zwischen 1845 und 1855 in der Kirche des Heiligen Franziskus von Paula in der Altstadt von Havanna verbaut worden ist. Nach vielen Jahren des Schweigens erklang sie erstmals wieder im Jahr 2008 im Rahmen des 6. Esteban-Salas-Festivals für Alte Musik, unter anderem in einem Konzert von Claudia Gerauer und meiner Person, Professor Stefan Baier, dem Rektor der Regensburger Musikhochschule, der Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik Regensburg (HfKM). Dieses Treffen zwischen Miriam Escudero, Claudia Gerauer und mir erwies sich als sehr folgenreich für die Wiederbelebung der Orgeltradition auf Kuba. Da es seit den 60er-Jahren keine spielbaren Orgeln mehr auf Kuba gegeben hatte, waren folglich auch keine Organisten mehr ausgebildet worden, sodass es keinen einzigen Menschen auf Kuba gab, der des Orgelspiels mächtig war. Dies sollte sich aber bald ändern. Wir begannen noch im selben Jahr, Gespräche mit den verschiedensten kubanischen und deutschen Institutionen und Behörden zu führen, damit mittelfristig in Kuba wieder eine fundierte Ausbildungsmöglichkeit für Organisten geschaffen werden konnte. Erstes Ergebnis dieser Bemühungen war eine Übereinkunft zwischen den Bistümern von Regensburg und Havanna, die Ausbildung des ersten kubanischen Organisten zu unterstützen: Moisés Santiesteban. Er studiert nun hier in Regensburg an der Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik. Seither hat sich auf dem Gebiet der Kirchenmusik in Kuba einiges getan. Moisés Santiesteban ist mittlerweile Titularorganist an der Kathedrale von Havanna, wo sich dank einer Schenkung der Deutschen Botschaft mittlerweile eine Orgel befindet – zwar nur eine elektronische, aber immerhin –, sodass zumindest dort die Verwendung der Orgel im liturgischen Ablauf wieder nach und nach eingeführt werden kann. Die oben erwähnte, renovierte mechanische Orgel aus dem 19. Jahrhundert steht in einer säkularisierten Kirche, die heute als Konzertsaal dient, und kann daher zum liturgischen Gebrauch nicht herangezogen werden. Aber neben ihrem großen historischen Wert war und ist sie von unschätzbarem Wert für die auszubildenden Organisten, die mit dieser Orgel zunächst das einzig funktionstüchtige mechanische Instrument zum Üben zur Verfügung hatten. Mittlerweile gibt es zwei mechanische Truhenorgeln, und im Januar 2019 wird eine weitere restaurierte mechanische Orgel eingeweiht. Im Hinblick auf die Ausbildung von Organisten wurden Vereinbarungen zwischen der HfkM und dem Colegio de San Gerónimo, einer Fakultät der Universität von Havanna, unterzeichnet. Darüber hinaus findet seit dem Jahr 2014 alljährlich eine „Woche der Kirchenmusik“, die „Semana de la musica sacra en La Habana“ statt. Im Laufe dieser Arbeitswoche gibt es Konzerte und Kurse für Orgel, Chor und Gregorianischen Choral unter Mitwirkung von Dozenten und Professoren der HfKM. Dank der Unterstützung durch die Diözese Regensburg, im Besonderen durch den Bischof von Regensburg, Prof. Dr. Rudolf Voderholzer, ist die Durchführung dieser Woche möglich, die mittlerweile zu einem kulturellen und religiösen Höhepunkt im Veranstaltungskalender von Havanna geworden ist. Selbst in der kubanischen Parteizeitung „Granma“ wurde die semana zuletzt mit einem ausführlichen Bericht bedacht. Darüber hinaus gibt es seit 2016 die Möglichkeit, in Havanna an der neugeschaffenen Catedra de Musica Sacra des Instituo ecclesiastico P. Felix Varela der Diözese von Havanna unter Anleitung und Kooperation mit der Regensburger Musikhochschule (HfKM), ein zweijähriges sogenanntes „Diplomado“ in Kirchenmusik zu absolvieren. Die drei ersten Studentinnen haben im September dieses Jahres ihren Abschluss erhalten.

 

José María Vitier

 

Ihren vielleicht höchsten Ausdruck findet die Synthese aller der kubanischen Kultur innewohnenden Elemente, gepaart mit ihrem jeweiligen Glaubensausdruck, in der „Messe für die Barmherzige Jungfrau von El Cobre“ von José María Vitier. Dieser bekannte kubanische Komponist entstammt einer illustren Familie, die in das Umfeld der Avantgarde der 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts einzuordnen ist und sich dafür aussprach, dass man die kubanische Kultur von ihren katholischen Wurzeln her betrachten müsse, um sie verstehen zu können. Seine Eltern Cintio Vitier und Fina García Marrúz waren aktive Mitglieder des Intellektuellenzirkels „Grupo Orígenes“, dem auch Persönlichkeiten wie etwa der Dichter und Essayist José Lezama Lima angehörten. In ihren Augen waren die Wurzeln der kubanischen Identität im nationalen Kulturerbe spanisch-katholischen Ursprungs zu finden, wobei sie unter Katholizität mehr als eine im Wortsinn ökumenische und allgemein kulturstiftende Bewegung verstanden, was laut Cintio Vitier „immer das höchste Streben des Kubanischen an sich“ war.

José Maria Vitier hatte die „Messe für die Barmherzige Jungfrau von El Cobre“, die im Jahr 1992 in der Kathedrale von Havanna uraufgeführt wurde, als Gedenkmesse anlässlich des 80. Jahrestages der Ausrufung der Barmherzigen Jungfrau von El Cobre zur Schutzpatronin Kubas komponiert. Die Musik ist sehr textausdeutend und unterstreicht so die Heiligkeit der Liturgie. Darüber hinaus ist sie in ihrer Art und Weise, wie sie die Geschichte der Jungfrau von El Cobre erzählt und wie sie Gefühle des Kummers oder der Freude ausdrückt, zutiefst kubanisch und somit eine identitätsstiftende Botschaft für jeden Kubaner, ob gläubig oder nicht.

Vitier gelang es in genialer Weise, die Geschichte des Wunders von El Cobre mit dem Genre der Popularmusik zu verknüpfen, indem er etwa für den Introitus eine Vertonung des Textes „Déjame tomar asiento“, zu Deutsch: „Lass mich Ruhe finden“ von Emilio Ballagas auswählte und von dem bekannten kubanischen Liedermacher Silvio Rodriguez singen ließ. Diese zutiefst kubanische Vorgehensweise, verschiedene Genres miteinander zu kombinieren, erreicht ihren Höhepunkt im Kyrie. Die unablässige Bitte um Vergebung wird durch den allgegenwärtigen Trommelschlag symbolisiert, gespielt auf Batás. Das sind Perkussionsinstrumente der Yoruba, einem ursprünglich aus Westafrika stammenden Volk, dessen religiöse Tradition auch in Kuba verwurzelt ist, wobei die Grenzen zum Christentum oft fließend sind. Die Polyrhythmie dieser Trommeln, die bis zu sechs verschiedene Tonhöhen produzieren können, ist eingebunden in die Polyphonie eines vokalen Kontrapunkts und stellt somit eine Art Versöhnung dar zwischen den hispanischen und den afrikanischen Elementen in der kubanischen Kultur, gleichsam ein Manifest der katholischen Berufung aller Kubaner.

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