Bis heute gibt es unterschiedlichste Urteile über den Zentrumsprälaten Ludwig Kaas. Eine Vertraute von Ludwig Kaas, Karin Schauff – die Frau des Zentrumsabgeordneten Johannes Schauff – berichtet, „… daß er seine Akten aus dieser Zeit [1928 bis 1933] im Auftrag von Papst Pius XII., als man im Verlauf des Krieges mit einer Besetzung des Vatikans durch die SS rechnen mußte, vernichtet hat. Dies ist auch von Augenzeugen bezeugt. … Mons. Kaas hinterließ kein Testament. Die Erben überließen die Erbschaft Pius XII.“ Und ergänzend fügt Karin Schauff hinzu: „Kaas sah klar voraus, daß die historischen Vorgänge um die Entlassung Brünings, dessen Vatikanbesuch, das Ermächtigungsgesetz und das Reichskonkordat, um das Wichtigste zu nennen, heftig umstritten werden würden.“
Im Folgenden wird die Biografie von Ludwig Kaas in den zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet und seine Rolle bei zentralen Ereignissen des Jahres 1933 dargestellt.
Politischer Katholizismus und Zentrumspartei
Die der Reichsfeindschaft bezichtigten Katholiken hatten bereits im 19. Jahrhundert durch unterschiedliche Bewegungen, etwa auf sozialen Gebiet, diesem Vorwurf entgegengewirkt und mit der 1870 gegründeten Deutschen Zentrumspartei eine Interessenvertretung der katholischen Volksminderheit gegründet. Der häufig gebrauchte Begriff „politischer Katholizismus“ sollte fortan für die Tätigkeit katholischer Politiker verwendet werden, auch wenn weder alle Katholiken die gleichen politischen Interessen teilten oder die gleichen Parteien wählten, noch sich die Kirchennähe der katholischen Parteien überproportional durch Repräsentanz von Geistlichen in ihren Reihen auszeichnete. Nach außen zeigte sich lediglich die Kirchennähe in einer Anzahl geistlicher Mandatsträger, oft auch als „Zentrumsprälaten“ (Dazu gehörten auch: Prälat Lauscher, Prälat Föhr, Prälat Leicht) und „Zentrumskaplänen“ bezeichnet. Einmalig war, dass 1928 mit Prälat Ludwig Kaas (1881–1952) ein Priester als Vorsitzender des Zentrums fungierte.
Dieses „Auftreten der Katholiken als politische Kraft in Staat und Gesellschaft“ und das Bemühen, bestimmte kirchliche Rechte und Freiheiten zu sichern, ohne das gesamte öffentliche Leben im katholischen Geist neu gestalten zu wollen, wies dem Zentrum in der Weimarer Republik eine Schlüsselrolle zu.
Das Zentrum selbst verstand sich als politische Partei und verwahrte sich stets nachdrücklich gegen kirchliche Einmischungsversuche, auch wenn seine enge Bindung an die Kirche offensichtlich blieb. Versuche, die konfessionelle Befangenheit zu überwinden und offen für alle Konfessionen zu sein, kamen nie zum Erfolg.
Auch eine Einigung aller katholischen politischen Kräfte kam nie zustande und erlebte sogar durch Abspaltung des bayerischen Zentrumsflügels (1918/19) und Gründung der Bayerischen Volkspartei (BVB) eine zusätzliche Separierung.
Diese Zersplitterung des politischen Katholizismus drückte sich auch in den Wahlergebnissen von 1919 bis 1933 für das Zentrum und die BVP aus. Zwischen 1919 und 1933 ging der prozentuale Stimmenanteil von 17,9 auf 13,9 % zurück.
Dass die Zentrumspartei dennoch in der Weimarer Republik eine bedeutende Rolle spielte, ist dem Umstand zu verdanken, dass sie Volkspartei war, alle Schichten der Bevölkerung umfasste und so, trotz vieler Zerreißproben, zum innerpolitischen Interessenausgleich fähig war. Sie kam damit für die Sozialdemokratie und (rechts-)bürgerliche Parteien als Koalitionspartner in Frage.
Pragmatische Handlungsmaximen erleichterten dem Zentrum 1918/19, sich schnell vom Schock der Revolution zu erholen und sich bewusst auf den Boden der Republik zu stellen. „Das Zentrum hat uns den Weg gewiesen, auf dem wir endlich unsere Eigenart politisch und kulturell nachleben können, das Zentrum hat uns diese Möglichkeit gegen rechts und links erstritten, nur dem Zentrum dürfen wir vertrauen“, hieß es in einem Wahlaufruf an die Katholiken, der am 13. Februar 1921 in der „Thüringer Volkswacht“ erschien. Im Gegensatz zur tiefen Verunsicherung, die das Verschwinden der Monarchie im evangelischen Deutschland hervorrief, war der monarchische Gedanke bei vielen Zentrumsanhängern diskreditiert.
In der gesamten Zeit der Weimarer Republik besaß das Zentrum eine starke Position. Aber angesichts der außenpolitischen Belastungen und wirtschaftlichen Krisen („strukturelle Dauerkrise“) bedeutete Regierungsverantwortung nicht Teilhabe an der Macht, sondern höchst unpopuläre Verantwortung.
Die starke Bindung der Katholiken an ihre Lebens- und Gemeinschaftsformen wirkte sich auch bei den Reichstagswahlen der Weimarer Republik aus. Bis zum Ende der Weimarer Republik haben von 62 % der praktizierenden Katholiken etwa zwei Drittel das Zentrum und die BVP gewählt. Die Wahlstatistiken zeigen, dass sich die beiden katholischen Parteien auf einen festen Wählerstamm stützen konnten. Bezogen auf die Wohnbevölkerung Deutschlands erreichten die Katholiken 1933 einen Anteil von 32,5 %. Wo die Mehrheit der Bevölkerung nicht katholisch war, kam keine Partei außer der NSDAP über einen Anteil von 30 % hinaus. Das Wahlverhalten der katholischen Bevölkerung zeigt auch für die Reichstagswahlen vom März 1933, die schon unter dem Druck der neuen nationalsozialistischen Machthaber stattfanden, dass den Nationalsozialisten in den überwiegend katholischen Gebieten des Deutschen Reiches der politische Erfolg versagt blieb.
Das Zentrum verblieb zwar auch in der Weimarer Republik in einer Minderheitensituation und konnte seine Ziele deshalb auch nur im Bündnis mit anderen Parteien zu erreichen suchen. So war beispielsweise an der 1919 gebildeten Reichsregierung neben den Sozialdemokraten und Linksliberalen auch das Zentrum beteiligt. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Reichstag war es aber erstaunlich, dass Katholizismus und katholische Kirche nun die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung erreicht hatten.
Der Aufstieg des Nationalsozialismus war in der Zentrumspartei mit Besorgnis registriert, zunächst aber nicht als staatsgefährdend eingestuft worden. Erst nach den überraschenden Erfolgen der NSDAP im Winter 1929/30 begann eine systematische Auseinandersetzung mit dem Programm und den Zielen der Partei. Nach Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 war auch die Deutsche Zentrumspartei unter den Getäuschten.
In seiner Regierungserklärung am 23. März bezeichnete Hitler u.a. die beiden christlichen Konfessionen als „wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums“. Schließlich stellte er die weitere Ausgestaltung der „freundschaftlichen Beziehungen“ zum Heiligen Stuhl in Aussicht.
Von einer momentanen Strömung im Katholizismus gedrängt, hob der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Adolf Kardinal Bertram (1859–1945), am 28. März 1933 alle allgemeinen Verbote und Warnungen vor dem Nationalsozialismus auf: „Für die katholischen Christen, denen die Stimme ihrer Kirche heilig ist, bedarf es auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt keiner besonderen Mahnung zur Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit und zur gewissenhaften Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten unter grundsätzlicher Ablehnung alles rechtswidrigen oder umstürzlerischen Verhaltens.“
Auch wenn die Verurteilung bestimmter, religiös sittlicher Irrtümer ausdrücklich nicht aufgehoben wurde, stellte dieses Schreiben eine Wendemarke zum Negativen dar, die sich als verwirrend und irreparabel erwies; denn es entstand zunächst der Eindruck, Kirche und Reichsregierung könnten sich auf einer Ebene gegenseitiger Respektierung treffen.
Beim Beschluss zum „Ermächtigungsgesetz“ (23. März 1933) war die Zustimmung des Zentrums nochmals erwünscht, wenn auch nicht mehr verfassungsrechtlich erforderlich. Dieser „Kardinalfehler“ des Zentrums – die Zustimmung – verhalf Hitler zu einer breiten parlamentarischen Mehrheit.
Mit dem Weggang des Parteivorsitzenden Ludwig Kaas 1933 nach Rom blieb die Partei wochenlang führer- und führungslos, wirkte gelähmt und hilflos. Schließlich wurde am 6. Mai des gleichen Jahres Heinrich Brüning zum Parteivorsitzenden gewählt.
Um einem Verbot zuvorzukommen, lösten sich die BVP am 4. Juli und das Zentrum und 5. Juli 1933 selbst auf; zehn Tage später wurde die Alleinherrschaft der NSDAP durch ein Reichsgesetz besiegelt. Der Auflösungsbeschluss vom 5. Juli 1933 erklärt sich allein aus innenpolitischen Komponenten. Ein Zeitzeuge und Zentrumsmitglied, Johannes Schauff, kritisierte die „ziellose Politik“ der Zentrumsführung, die von hilflosen „älteren Herren“ bestimmt worden und ein in „Interessengruppen und ehrgeizigen Cliquen auseinanderfallender Haufen“, „irgendwie reif zum Untergang“ gewesen sei. Der politische Katholizismus, von Hitler in seiner Bedeutung weit überschätzt, war lautlos von der Bühne abgetreten, hin- und hergerissen zwischen kraftloser Überlebenshoffnung und vergeblichen Anpassungsversuchen.
Für die Nationalsozialisten gehörten Repräsentanten und Anhänger des politischen Katholizismus von vornherein zu den Gegnern des „Dritten Reiches“. Einige mussten die Nichtanpassung an das Regime mit dem Tod bezahlen, andere wurden zur Emigration gezwungen oder inhaftiert. Massenweise seien die Anhänger des Zentrums davongelaufen, kommentierte Nuntius Orsenigo den Opportunismus Vieler. Ludwig Kaas mag dazu beigetragen haben, als er am 20. April 1933 aus Rom ein Telegramm an Hitler zu dessen 44. Geburtstag schickte und ihm die „Versicherung unbeirrter Mitarbeit am großen Werk der Schaffung eines innerlich geeinten, sozial befriedigten und nach außen freien Deutschlands“ übermittelte.
Ludwig Kaas, ein biografischer Überblick
Ludwig Kaas wurde am 23. Mai 1881 in Trier als Sohn eines Kaufmanns geboren. Er besuchte das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Trier und studierte anschließend dort und an der Gregoriana in Rom Theologie. 1906 wurde er zum Priester geweiht, 1907 zum Doktor der Theologie und der Philosophie sowie 1908 auch des Kanonischen Rechts promoviert. Nach kurzer Tätigkeit als Kaplan in Rom kehrte er 1909 nach Trier zurück. Man kann von drei Karrieren sprechen, die der hochbegabte Kaas durchlief.
Priester und Wissenschaftler
Vor seinem Eintritt ins öffentliche politische Leben vor 1919 war er Priester und Wissenschaftler, Lehrer und Erzieher in seiner moselländischen Heimat. Im Anschluss an die seelsorgliche Arbeit in einer Pfarrei des Ahrtals 1910 wurde Kaas Präfekt und Rektor des Waisenhauses und Religionslehrer und Subdirektor der Höheren Schule Kemperhof bei Koblenz. Diese Position erlaubte ihm fünfsemestrige Studien bei dem bedeutenden schweizerischen evangelischen Kanonisten Ulrich Stutz in Bonn sowie die Publikation kirchenrechtlicher Abhandlungen, von denen einige als „Spitzenleistung“ bezeichnet werden können. Der Trierer Bischof Korum ernannte Kaas am 22. April 1918 zum ersten Inhaber des neu errichteten Lehrstuhls für kanonisches Recht am Trierer Priesterseminar, nachdem er sich vergeblich um Lehrstühle in Münster, Straßburg und Freiburg beworben und auch eine Stelle als Assistent des inzwischen nach Berlin berufenen Stutz ausgeschlagen hatte. Als Kaas 1919 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn ablehnte, hatte sich sein Lebensweg bereits anders ausgerichtet. Die Teilnahme am politischen Geschehen im Deutschen Reich standen nun im Vordergrund seiner Tätigkeiten.
Spekulationen, Kaas habe Bischof von Trier werden wollen, entbehren jeder Grundlage; die als „Gipfel der Stellenjägerei“ (Josef Listl) charakterisierten ehrgeizigen Bemühungen um ein schließlich 1924 erreichtes Kanonikat in Trier und um die Dompropstei des Kölner Metropolitankapitels sind dagegen dokumentiert.
Zentrumspolitiker auf nationaler und internationaler Bühne
In den schwierigen Jahren von 1919 bis 1933 wirkte er in Berlin und von Berlin aus auf nationaler und internationaler politischer Bühne.
1919 wurde Ludwig Kaas Mitglied der Deutschen Zentrumspartei und deren Kandidat für den Wahlkreis Trier mit 57,9 % der Stimmen in die Deutsche Nationalversammlung gewählt. Vor allem im Verfassungsausschuss leistete er bedeutsame Arbeit. Von 1920 bis 1933 gehörte Kaas dem Deutschen Reichstag und hier dem Auswärtigen Ausschuss an; von 1926 -1930 war er Delegierter beim Völkerbund. Seit 1921 gehörte er zu den Mitgliedern des Preußischen Staatsrates, in dem er ein vertrauensvolles Verhältnis zu Konrad Adenauer pflegte. Seit 1917 war er zudem kanonistischer Berater des ab 1920 auch in Berlin akkreditierten Münchener Nuntius Eugenio Pacelli, des späteren Papstes Pius XII., und diente diesem vor allem als Konkordatsfachmann.
Schon bald zählte Kaas zu den prominentesten Vertretern des Zentrums. Nach Entbindung von seiner Professur in Trier wurde er 1924 Leiter eines von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute Max-Planck-Gesellschaft) errichteten Zweig-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Trier.
Die Arbeitskraft des glänzenden Redners wurde durch ein bis zu seinem Tod nicht ausreichend behandeltes chronisches Magenleiden eingeschränkt. Im Jahre 1928 wurde Kaas, der zum gemäßigten rechten Flügel der Zentrumspartei gehörte, mit 184 von 318 Stimmen als Nachfolger von Wilhelm Marx zu deren Vorsitzenden gewählt. Mit seiner Wahl war keine langfristige Strategie verbunden; er war eine Verlegenheitslösung und, wie bei vielen anderen geistliche Mandatsträgern auch, der Versuch, gegen die gesellschaftliche Orientierungskrise anzugehen.
In der Kirchenpolitik favorisierte der den Protestanten vorurteilslos begegnende Parteivorsitzende ein Zusammengehen aller christlichen Kräfte. Konkordate waren für ihn ein zentrales Anliegen seiner kirchenpolitischen Bemühungen. Er war beim Preußischen Konkordat von 1929 eine der Schlüsselfiguren und spielte beim Badischen Konkordat 1932 eine bedeutende Rolle.
Zeitweilig plädierte er für eine politische Kooperation von Zentrumspartei und NSDAP und stellte sich damit in offenen Gegensatz zum amtierenden Reichskanzler seiner Partei: Heinrich Brüning. Er unterschätzte die Gefahr der nationalsozialistischen Machtübernahme und glaubte wie viele, dass die seit dem 30. Januar 1933 mitregierenden Deutschnationalen die Nationalsozialisten unter Kontrolle halten und die Hitler-Regierung nur ein Übergang sei. Da er Hitlers Amoralität nicht erkannte, vertraute er dessen Zusicherungen im Vorfeld des „Ermächtigungsgesetzes“. Unter maßgeblichem Einfluss von Kaas hat die Reichstagsfraktion des Zentrums am 23. März 1933 ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz gegeben. So ermöglichte sie der Reichsregierung Adolf Hitlers die Ausschaltung des Reichstags. Am 7. April 1933 reiste Kaas nach Rom, von wo er nie wieder nach Deutschland zurückkehrte. Viele Zentrumsmitglieder verstanden seinen Weggang aus Deutschland als ein Im-Stichlassen seiner Partei. Er entzog sich durch seine Fahrt nach Rom wohl auch persönlichen Verfolgungen. Als vertrauter Mitarbeiter Pacellis war er beim Zustandekommen des Reichskonkordats beteiligt; dessen überraschend schneller Abschluss am 20. Juli 1933 gilt als sein Werk.
Privilegierter Exilant, erfolgreicher „Gräbersucher“ und „Finanzgenie“
Von 1933 bis zu seinem Tod 1952 war er Exilierter im römischen Hinter- und Untergrund. In den 19 Jahren seiner Emigration konnte er sich der Freundschaft Pacellis erfreuen. Seit 1935 war er Domherr an St. Peter und fand seit 1936 als Ökonom und Leiter der Kirchenfabrik (Bauhütte) von St. Peter eine neue Aufgabe, die er mit großem Erfolg bewältigte. Nach der Wahl Pius‘ XII. 1939 erhielt er die Verantwortung für die Ausgrabungen unter der Peterskirche, die 1950 zur Entdeckung des Petrusgrabes führten. Pius XII. konnte am 14. Dezember 1950 verkünden, das Grab des Apostels Petrus sei gefunden worden.
An der gegen den Nationalsozialismus gerichteten päpstlichen Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom Jahr 1937 hat Kaas ebenfalls mitgearbeitet.
Kaas galt als finanzielles Genie. Eine komfortable Dienstwohnung im Palazzo San Carlo mit Gemälden und Kunstwerken samt Mercedes nannte er sein Eigen. In Sterzing/Südtirol besaß er ein Drittel des Hauses Löwenegg; hinzu kam eine kleine Villa bei Castel Gandolfo. Bei verschiedenen Banken hat er erhebliches Vermögen besessen und verwaltet, Teile davon auch verwendet für Restaurierungsarbeiten an St. Peter. Nach seinem Tod erbrachte der Verkauf von Möbeln aus seinem Privatbesitz 450.000 Lire. Er verfügte also über erhebliche Vermögenswerte. Bisher ist nicht bekannt und erkennbar, woher deren Anfangskapital stammte.
1950 war er maßgeblich an der Errichtung der Theologischen Fakultät Trier beteiligt, indem er sich an höchster Stelle um die römische Anerkennung bemühte.
Ludwig Kaas starb am 25. April 1952 in Rom. Zunächst wurde er provisorisch in der Gruft des Germanicums beigesetzt. Als klar war, dass sein Leichnam nicht in die Heimat überführt werden würde, wurde er am 7. November 1957 in einem Grab auf dem Campo Santo Teutonico beigesetzt. Auf Anordnung Papst Pauls VI. wurden schließlich die Gebeine von Prälaten Dr. Ludwig Kaas im Februar 1965 in der Nähe des Ottonenaltars in den Grotten von St. Peter zur letzten Ruhe gebettet.
Ermächtigungsgesetz und Reichskonkordat
Ludwig Kass war in die Ereignisse „Ermächtigungsgesetz“ und Reichskonkordat federführend involviert. Mit „taktischen Legalismus“ (Heinrich August Winkler) hatte Hitler die demokratischen Parteien, den Rechtsstaat selbst entwaffnet. Der entscheidende Schritt war das am 23. März 1933 vom Reichstag angenommene „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das „Ermächtigungsgesetz“, das die endgültige Ausschaltung des Reichstages beabsichtigte. Die Rolle beider Konfessionsparteien, der Zentrumspartei und der Bayerischen Volkspartei (BVP) und ihr dramatisches Ende sind dabei zu beachten. Zwei Fragen stehen im Vordergrund:
- Aus welchen Gründen haben Zentrumsabgeordnete am 23. März 1933 dem von der Regierung geforderten Ermächtigungsgesetz zugestimmt?
- War dieses Votum etwa eine Vorleistung für eine Zusage Hitlers, mit dem Heiligen Stuhl ein Reichskonkordat abzuschließen?
„Ermächtigungsgesetz“
Am 30. Mai 1932 musste Reichskanzler Heinrich Brüning, der führende Zentrumspolitiker, zurücktreten. Als Konsequenz aus dem Wahlsieg der NSDAP sowie aus Empörung über den Nachfolger Brünings Franz von Papen, der Zentrumsmitglied gewesen war, nun aber als Verräter galt, beabsichtigte die Partei eine Mehrheitsbildung mit Deutschnationalen und Nationalsozialisten, um diese in der Regierungsverantwortung zu „zähmen“. Die Koalitionsverhandlungen wurden von der BVP unterstützt, allerdings auch von vielen Zentrumsanhängern mit Skepsis verfolgt. An unüberbrückbaren Gegensätzen scheiterten die Verhandlungen. Auch die Hoffnung auf eine Spaltung und damit Schwächung der NSDAP erfüllten sich nicht. Im Winter 1932/33 postulierte das Zentrum unter ihrem Vorsitzenden Kaas als Zielstellung: Bildung einer „Nationalen Sammlung“ als Voraussetzung für die Überwindung der Staatskrise und der Wirtschaftsnot. Die als Interimslösung gedachte „Nationale Sammlung“ zur Überwindung der Krise kam wenig später auch zustande, allerdings auf eine andere Weise, als ursprünglich angestrebt: durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler einer Rechtskoalition am 30. Januar 1933.
Dass ein Parlament die Regierung ermächtigt, Rechtsvorschriften zu erlassen, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Solche Fälle hat es mehrfach und schon vor 1933 gegeben. Die Bedeutung dieses Ermächtigungsgesetzes liegt darin, dass durch die Zusammenfassung von Regierung und Gesetzgebung der gesamte Behörden- und Gerichtskörper in den Dienst Hitlers gestellt wurde.
Für die Annahme des Gesetzes war die Anwesenheit einer Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Reichstages erforderlich. Beides hatte die Regierung durch eine Änderung der Geschäftsordnung des Reichstages erreicht. Diese Änderung lief darauf hinaus, die nicht erscheinenden Abgeordneten als anwesend zu fingieren. Auch wenn mehr als 250 Mitglieder den Sitzungen ferngeblieben wären, so war doch infolge der Fiktion ihrer Anwesenheit die Beschlussfähigkeit erreicht worden.
Die gesetzliche Mitgliederzahl des Hauses betrug 647. Denn die 81 Abgeordneten der KPD gehörten unzweifelhaft zu den gewählten Abgeordneten, auch wenn sie ausgeschlossen oder verhaftet waren. Die für die Beschlussfassung erforderliche Anwesenheit von zwei Dritteln verlangte die Anwesenheit von 432 Parlamentariern. Tatsächlich waren 538 anwesend. Zwei Drittel davon ergab 359 Stimmen. Da aber 444 Ja-Stimmen abgegeben wurden, war die Mindestmehrheit überschritten; 94 hatten mit Nein gestimmt
Durch diese Manipulationen war das „Ermächtigungsgesetz“ nicht mehr zu verhindern gewesen. Trotzdem bemühte sich Hitler um die Zustimmung kleinerer bürgerlicher Parteien und besonders um einen Teil der Zentrumsabgeordneten. Hitler versprach sich davon, wie er am 20. März 1933 erklärte, eine „Prestigestärkung gegenüber dem Ausland“.
Die katholische Oppositionspartei befand sich in einer schwierigen Situation. Der Vorsitzende, Ludwig Kaas, hatte am 6. März 1933, einen Tag nach der Reichstagswahl, Vizekanzler von Papen seine Mitarbeit an der neuen Regierung angeboten. Erst mit der Eröffnung des neuen Reichstages in Potsdam am 21. März wurde der Text des „Ermächtigungsgesetzes“, das die Regierung forderte, bekannt. Die von den Zentrumsabgeordneten verlangte Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz war für sie „schwerer als selbst die über den Versailler Vertrag“ (Kaas). Heinrich Brüning bezeichnete sie als das „Ungeheuerlichste, was je von einem Parlament gefordert worden wäre“. Der Gesetzesentwurf war in der Fraktion und im Vorstand der Partei heftig umstritten. Ausschlag für eine schließlich geschlossene Zustimmung aller 73 Abgeordneten – einer fehlte wegen Krankheit – gab letztlich eine Reihe von Zusicherungen, die Ludwig Kaas, Adam Stegerwald und Ludwig Perlitius in zwei Verhandlungen mit Hitler und Frick am 20. und 22. März erreichten. Diese Zusicherungen betrafen beispielsweise die Sicherung des den christlichen Konfessionen zukommenden Einflusses in Schule und Erziehung, die Respektierung der Länderkonkordate und die Existenz des Reichstages und des Reichsrates. Zu einer von den Zentrumsabgeordneten erhofften brieflichen Zusage Hitlers, die seit Februar 1933 außer Kraft gesetzten Grundrechte wiederherstellen zu lassen, kam es nicht. Ebenso war es den Zentrumsvertretern in der Besprechung nicht gelungen, das „Ermächtigungsgesetz“ auf sechs Monate zu befristeten.
Nach einer kontrovers und leidenschaftlich geführten Diskussion in der Zentrumsfraktion und nach einer Probeabstimmung votierten 57 Abgeordnete dafür, neun dagegen, bei fünf Enthaltungen. Auf Vorschlag von Kaas verständigte man sich darauf, ein einheitliches, positives Votum durch den Parteivorsitzenden geben zu lassen.
Weitere Motive für die Zustimmung spielten bei dem Ja der Zentrumsabgeordneten am 23. März eine Rolle. Dazu gehörten gezielte Einschüchterung der Parlamentarier und offene Drohungen, Hoffnung auf ein baldiges Scheitern der Regierung, zumindest auf Zähmung und Überwindung der braunen Revolution, Furcht vor einem Bürgerkrieg und dem Verlust beruflicher Positionen und Sorge um die Zentrumsbeamten. Die Anwesenheit bewaffneter SA- und SS- Posten bei der Abstimmung im Plenarsaal, die eine Atmosphäre der Bedrohung und Angst verbreiteten, die Abrieglung der Kroll-Oper durch uniformierte Schutzkräfte, die lautstark Zustimmung forderten, dürfte dazu beigetragen haben, die Abgeordneten einzuschüchtern.
Bereits im Oktober 1932 hatte Ludwig Kaas gefordert, dass sich drei bis fünf Parteiführer zur Bildung einer befristeten „Not und Mehrheitsgemeinschaft“ zusammenfinden sollten, ohne ein politisches Bündnis mit der NSDAP auszuschließen. Diesen Sammlungsgedanken stellte Kaas am 23. März an den Anfang seiner Erklärung im Reichstag und aus dessen „Ernsthaftigkeit“ leitete er die Pflicht zur Mitarbeit ab. Vor dem Deutschen Reichstag begründete Kaas das Ja seiner Partei zum Ermächtigungsgesetz wie folgt:
„Die gegenwärtige Stunde kann für uns nicht im Zeichen der Worte stehen, ihr einziges, ihr beherrschendes Gesetz ist das der raschen, aufbauenden und rettenden Tat. Und diese Tat kann nur geboren werden in der Sammlung.
Die deutsche Zentrumspartei, die den großen Sammlungsgedanken schon seit langem und trotz aller vorübergehenden Enttäuschung mit Nachdruck und Entschiedenheit vertreten hat, setzt sich zu dieser Stunde, wo alle kleinen und engen Erwägungen schweigen müssen, bewusst und aus nationalem Verantwortungsgefühl über alle parteipolitischen und sonstigen Gedanken hinweg. […]
Im Angesicht der brennenden Not, in der Volk und Staat gegenwärtig stehen, im Angesicht der riesenhaften Aufgaben, die der deutsche Wiederaufbau an uns stellt, im Angesicht vor allem der Sturmwolken, die in Deutschland und um Deutschland aufzusteigen beginnen, reichen wir von der deutschen Zentrumspartei in dieser Stunde allen, auch früheren Gegnern, die Hand, um die Fortführung des nationalen Aufstiegswerkes zu sichern.“
Die Fraktion dankte Kaas einen Tag später „begeistert“ für seine schwierige Arbeit in den letzten Tagen. Er selbst rühmte sich gegenüber einem Bekannten der von ihm am Vortag „herbeigeführten Entscheidung“ seiner Fraktion. 1935 erklärte er noch, seine Fraktion zur Annahme des Ermächtigungsgesetzes gedrängt zu haben und begründete dies „aufgrund bestimmter, mir durch den Herrn Reichskanzler gegebener Zusicherungen“. Später, bis zu seinem Lebensende, suchte er gegen die „Schatten des Ermächtigungsgesetzes“ zu kämpfen und wollte an dessen Annahme keinen Anteil gehabt haben. Der Jesuit Robert Leiber, Privatsekretär von Pacelli, urteilte, Kaas sei an diesem Ausnahmegesetz zerbrochen.
Reichskonkordat
Zu Hitlers taktischen Manövern zählte, der Kirche die Offerte eines Reichskonkordates (10. April 1933) zu machen. Der Konkordatsplan ging ursprünglich auf einen Vorschlag von Hitlers Vizekanzler Franz von Papen zurück. Hitlers Motive, diesen Plan aufzugreifen, waren offenbar die Hoffnung auf einen außenpolitischen Prestigegewinn und die Aussicht, den politischen Katholizismus endgültig auszuschalten. Zudem beeindruckte ihn Mussolinis Konkordat mit dem Heiligen Stuhl von 1929 (Lateranverträge) und dessen „Entpolitisierungsartikel“, der jede parteipolitische Tätigkeit des Klerus untersagte. Hitler bot zudem der Kurie Zusagen, die über Zusicherungen früherer Regierungen weit hinausgingen, wie etwa Garantien für die katholische Bekenntnisschule und die katholischen Verbände.
Rom musste für eine solche Offerte empfänglich sein, da der Heilige Stuhl und vor allem Kardinalstaatssekretär Pacelli sich seit langem darum bemüht hatten, die kirchliche Position im Deutschen Reich vertraglich abzusichern. „Der Papst und seine Berater hätten geradezu unverantwortlich gehandelt, hätten sie es unterlassen, das Angebot einer zweiseitigen vertraglichen Bindung seitens einer ebenso ungebundenen wie unberechenbaren Regierung nicht aufzugreifen und nicht zumindest ernsthaft zu prüfen.“ Auch die deutschen Bischöfe sahen wahrscheinlich im Konkordat die einzige Möglichkeit, den kirchenpolitisch-gesellschaftlichen Besitzstand zu sichern.
Prälat Kaas, der am 24. März 1933 nach Rom gefahren war, ohne dass es Informationen über die dort von ihm geführten Gespräche gibt, war bereits am 31. März wieder in Berlin. An diesem Tag fand die mittlerweile einberufene erste Sitzung eines „Arbeitsausschusses“ zur „Durchberatung der künftigen Einzelgesetze“ statt. Hitler und Frick informierten nun die Zentrumspolitiker, allen voran Kaas, über das „Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder“, das noch am selben Tag in Kraft trat. In zwei weiteren Sitzungen dieses Gremiums ging es um ein neues Beamtengesetz. Vom Reichskonkordat war bei keinem dieser drei Treffen die Rede. Im Anschluss an die Besprechung am 7. April führte Kaas – was er Brüning und Nuntius Orsenigo vorab mitgeteilt hatte – mit Hitler ein Gespräch unter vier Augen. Über dessen Inhalt ist nichts bekannt geworden. Es ließ seitdem Raum für Spekulationen, zumal Kaas am 14. April in Rom sein „gutes persönliches Verhältnis zu Hitler“ erwähnte. Noch am 7. April reiste der Parteivorsitzende endgültig nach Rom ab.
Am anderen Morgen, den 8. April 1933, will Kaas, nach einer Übernachtung in München, im Speisewagen des Zuges rein zufällig Franz von Papen, der von Berlin nach München den Nachtschnellzug benutzt hatte, getroffen haben (Der Reisetermin des Vizekanzlers, 8. April, war bereits vier Tage zuvor in den „Deutschen Führerbriefen“ angekündigt). Vizekanzler von Papen informierte Kaas während der Zugfahrt über seinen Auftrag, dem Vatikan Verhandlungen über ein Reichskonkordat anzubieten. Kaas bot sofort seine „nationale Mitarbeit“ an dieser – wie er 1935 rückblickend formulierte – „auch mehrfach in der Öffentlichkeit erörterten“ Thematik an. Ohne den Zentrumsvorsitz abzugeben, wozu er sich erst Anfang Mai entschloss, wurde er zum faktischen Angelpunkt der zehnwöchigen Vorverhandlungen, indem er als engster Berater Pacellis, Vertrauensmann des deutschen Episkopats und als persönlicher Beauftragter des Vizekanzlers den Vertragstext bis zur Unterschriftsreife förderte. Kaas‘ Mitarbeit wurde in der Presse zunächst verschwiegen.
Am 20. Juli 1933 wurde schließlich nach langen und schwierigen Verhandlungen das Reichskonkordat zwischen der Reichsregierung und dem Heiligen Stuhl unterzeichnet. Am 10. September 1933 bestätigte das Deutsche Reich den Vertrag. Zunächst bedeutete der Vertragsabschluss, dass nunmehr völkerrechtlich die Position der katholischen Kirche festgeschrieben war und der Heilige Stuhl späteren Übergriffen von Staat und Partei mit einer rechtlich abgesicherten Position entgegentreten konnte, was in den Jahren 1933 bis 1937 in fast 70 Noten geschah. Die Eigenständigkeit der Kirche wurde anerkannt; vielen ihrer Organisationen – aber nicht allen (vgl. Artikel 31) – wurde eine günstige Rechtsgrundlage gegeben.
„Mit der ausdrücklichen Anerkennung der Länderkonkordate und der stillschweigenden Übernahme von Rechtspositionen, welche die Kirche in der Weimarer Verfassung eingenommen hatte, ragte ein Stück liberaler Verfassungstradition … in das Recht des ‚Dritten Reiches’ hinein“. Es bedeutete aber auch, dass Reserven gegenüber dem Staat abgebaut wurden; den deutschen Katholiken, Bischöfen, Priestern und Laien wurde suggeriert, beim Neuaufbau eines christlich-nationalen Deutschlands nicht abseits stehen zu müssen und zu dürfen. Natürlich bedeutete das Konkordat auch die völkerrechtliche Anerkennung des NS-Staates.
Dissonanzen und Erklärungsversuche
Hat möglicherweise die Aussicht auf ein Konkordat die Zentrumspartei und ihren Vorsitzenden Prälat Kaas dazu bewogen, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen? Ist die plötzliche Kehrtwendung des deutschen Episkopates auf den Vatikan zurückzuführen, der damit entscheidende Verantwortung für das Ende des politischen Katholizismus und die Destruktion der katholischen Resistenz gegen den Nationalsozialismus gehabt hätte?
Nach bisher bekannten Quellen gibt es kein Junktim zwischen dem Untergang des Zentrums und dem Abschluss des Reichskonkordates. Die „Junktimsthese“, wonach dem Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 durch das Zentrum deshalb zugestimmt wurde, weil es in Rom die Hoffnung gab, ein Reichskonkordat abschließen zu können, ist wesentlich von Klaus Scholder exemplifiziert worden und fand als Gegenpol Widerlegungen durch Konrad Repgen. Als Scholder-Repgen-Debatte ist sie heute noch Gegenstand historischer Diskurse. Eine weiter sich daraus ergebende Frage ist z.B.: Wurde das Ende des Zentrums wesentlich durch das Reichskonkordat verursacht.
Wie stark war der Einfluss Roms auf die Haltung der Zentrumsfraktion im Frühjahr 1933 wirklich? Ist das Zentrum verraten worden? Und wenn ja, von wem? Das enge zeitliche Nebeneinander von Zentrumsauflösung und Konkordatsparaphierung (5. Juli; 8. Juli bzw. 20. Juli) verleitet fast unwiderstehlich dazu, zwischen beiden Ereignissen einen Kausalzusammenhang herzustellen.
Diese lang und kontrovers diskutierten Fragen dürften inzwischen weitgehend als beantwortet gelten. Die Fraktion des Zentrums hat in ihre Überlegungen, wie sie sich gegenüber dem Ermächtigungsgesetz verhalten solle, die Frage eines Reichskonkordats nicht einbezogen. Nicht einmal das Wort, geschweige denn die Sache wurde dabei berührt. In den Formulierungen, die das Zentrum am späten Abend des 22. März 1933 dem Reichskanzler zugehen ließ, war daher von einer geplanten oder möglichen konkordatären Aktivität der Regierung mit keinem Wort die Rede. Die Zustimmung der Zentrumsfraktion zum Ermächtigungsgesetz war mithin nicht die Gegenleistung für den etwa von Hitler in Aussicht gestellten Abschluss eines Reichskonkordates.
Sodann ist die Frage zu stellen, wann und von wem Kaas die Absicht Hitlers erfuhr, ein Reichskonkordat abzuschließen. Gerüchte über ein solches Vorhaben mögen ihn bereits vor dem 23. März 1933 erreicht haben. Aber Kaas war nicht der Mann, der auf Gerüchte hin weittragende Entschlüsse fasste; dafür verlangte er handfeste Zusicherungen der kompetenten Stellen. Wie die Verhältnisse lagen, kam als solche nur der Reichskanzler in Frage. Kaas hat mit Hitler im März 1933 immer nur in Beisein anderer, nie unter vier Augen, gesprochen. In diesen Gesprächen ist nach Ausweis der Quellen nie vom Abschluss eines Reichskonkordates die Rede gewesen. Wäre es anders, hätten die Teilnehmer an den Besprechungen dies bezeugt. Kaas kann also vor der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz nicht von Hitler selbst mit dem Köder des Reichskonkordates dafür gewonnen worden sein.
1977 erklärte Rudolf Morsey, der beste Kenner und Interpret dieser Ereignisse, den Befund: Weder sei ein kausaler Nexus zwischen der Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz und der Aussicht auf eine Konkordatsofferte nachweisbar, noch ließen sich Anhaltspunkte für einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Auflösung der Zentrumspartei und dem Abschluss des Konkordats beibringen. Die Zentrumspartei hat sich nicht deswegen aufgelöst, weil in Rom inzwischen der Art. 32 (Verbot parteipolitischer Betätigung des Klerus) in das abzuschließende Reichskonkordat aufgenommen worden war.
Der entscheidende Artikel 32 wurde nämlich durch Pius XI. erst am 2. Juli 1933 akzeptiert, als die Auflösung des Zentrums bereits feststand. Auch ein Zusammenhang zwischen der Initiative zu Konkordatsverhandlungen und der Erklärung der deutschen Bischöfe vom 28. März 1933 ist nicht nachzuweisen. Beide Entscheidungen lassen sich hinreichend aus der deutschen Situation erklären; denn insbesondere nach Hitlers Regierungserklärung war die Sorge vorherrschend, den Anschluss zu verpassen, und man suchte daher nach Kooperationsmöglichkeiten, um das Schlimmste zu verhindern.
Resümee
Neben einigen früheren Zentrumpolitikern, wie z.B. Konrad Adenauer, die ihm stets verbunden blieben, wurde Kaas seit 1933 von vielen gemieden oder angefeindet; die Memoiren von Heinrich Brüning verstärkten dies noch. Für viele blieb er bis zu seinem Tod der „Sündenbock“, der Schuldige am Untergang des Zentrums. Die Entfremdung zur Partei ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass er sein Amt nicht immer mit vollem Einsatz und der nötigen Härte versah. Oft fehlte er auf wichtigen Sitzungen. Seinen Wohnsitz hatte er seit 1930 nach Sterzing in Südtirol verlegt und war oft in entscheidenden Momenten nicht erreichbar. Mit Rudolf Morsey kann man resümieren: „Im letzten ist Kaas daran gescheitert, daß er die Gefährlichkeit totalitärer Kräfte und Bewegungen […] zu spät erkannte.“