Ein Leben, das sich treu bleibt

Laudatio zur Verleihung des Romano-Guardini-Preises 2022

Königliche Hoheit! Verehrter Herzog Franz von Bayern, Eminenz! Lieber Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, sehr geehrte Anwesende!

Seine Königliche Hoheit, Herzog Franz von Bayern, wurde am 14. Juli 1933 geboren. Sechs Jahre später begann der Zweite Weltkrieg, sechs weitere Jahre brauchte es, bis er endlich vorüber war und die gesamte NS-Zeit mitsamt dem Holocaust in Schutt und Asche versanken. Als Mitglied der Wittelsbacher Großfamilie stand Herzog Franz als junger Prinz der alten Kunst und Musik, der Philosophie und der Theologie nahe.

Doch früh stand für ihn in persönlicher Entschiedenheit fest, dass er sich mit der Modernen Bildenden Kunst und der Neuen Musik seiner Gegenwart befassen sollte. Dazu wurde er zwar nicht ausdrücklich erzogen, aber nach all den Zermürbungen unter den Nationalsozialisten und dem Zweiten Weltkrieg stand für ihn fest, dass die existenziellen Fragen seines Lebens und seiner Gesellschaft nur durch die Gegenwartskunst bedacht und gestaltet werden konnten.

Nachdem er in den frühen 50er Jahren in München das Studium der Betriebswirtschaft aufgenommen hatte, bewegte er sich bald auch mit lebendigem Interesse in der Münchener Kunstszene. Sein früher Blick für einen ersten Künstler formte sich nach dem Besuch einer Ausstellung in der Galerie Günther Franke. Er galt Zeichnungen von Afred Kubin (1877–1959). Von hier aus fand er schnell den Weg zu Otto Wilhelm Gaus, der in seinem Kunsthandel in Münchens Widenmayerstrasse über eine beträchtliche Anzahl von Zeichnungen Kubins verfügte.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Kubin als entarteter Künstler diffamiert. 63 Werke konfiszierten die NS-Kunstagenten. Immerhin, er erhielt kein Ausstellungsverbot. Kubin erarbeitete seine Zeichnungen stets in nervös hingeworfenen Strichführungen aus Traumvisionen, Intuitionen und Ahnungen, und er ließ sich dazu anfangs von großen Künstlern wie Francisco de Goya, James Ensor, Odilon Redon, Edvard Munch oder Max Klinger anregen. Diese Kunst, die sich aus dem Unbewussten aufbaute, faszinierte den jungen Prinzen Franz sehr. Er entschied sich zunächst für den Erwerb einiger, später mehrerer Arbeiten und legte so am Ende mit ca. 300 Werken seinen ersten Sammlerblock an.

Die Sammler und das Sammeln

Mehr und mehr schuf sich der Prinz in den 50er Jahren seine ‚zweite Welt‘. Anfangs berührte ihn der Jugendstil, doch bald machte er sich mit der internationalen Garde an Künstlern der europäischen Nachkriegszeit vertraut, mit Ida Kerkovius, Fritz Winter, Pierre Soulages, Ernst Wilhelm May, Serge Poliakoff, WOLS, Willi Baumeister und anderen. Mit Hilfe Münchener Galeristen wie Franke, Stangl und Ketterer entwickelte er langsam ein waches Interesse. Dennoch war er sich im Einzelnen der Qualität der Kunst nicht immer gleich sicher. Innerlich schwankte er mit seinem Urteil und brauchte seine Zeit, bis er zu fester Entschiedenheit für das ein oder andere Bild fand.

Manche Ausstellungen besuchte er mehrfach. Manche Verkäufer suchten ihn dabei zu beschwätzen und zum Kauf zu drängen. Aber Prinz Franz hielt auf Distanz. Er wollte sein eigenes Urteil finden. Dazu brauchte er Geduld. Heidi Bürklin schrieb das vor fast 50 Jahren in ihrem wunderbaren ‚Portrait eines Sammlers‘ nieder. Im Katalog Deutsche Kunst seit 1960. Aus der Sammlung Prinz Franz von Bayern, herausgegeben von Carla Schulz-Hoffmann und Klaus-Peter Schuster (1985).

Früh hatte der junge Kunstfreund ein Problem mit dem Künstler Willi Baumeister. Das zeigte sich deutlich in der Galerie Franke. Da standen vor der Hängung einige fabelhafte ‚Baumeister‘ herum. Wieder redete ein Angestellter auf ihn ein. Aber der Prinz hatte sie einfach nicht gemocht. Dann rief eines Abends der Galerist selber an: Bei Ketterer in Stuttgart würde am nächsten Morgen ein besonders schöner ‚Baumeister‘ in einer Auktion angeboten, der einen Kauf wert sei. Noch in der Nacht eilte der Prinz in seinem VW nach Stuttgart. Er wird vom Nachtwächter reingelassen, und er prüft aufmerksam das Bild im Halbdunkel mit der Taschenlampe. Es gefällt ihm. Und so kauft er seinen ersten ‚Baumeister‘ – im Alter von 28 Jahren.

Zwei Jahre lang hat er um diese Klarheit gerungen. Zwei Jahre hatte es gedauert, eine feste Entscheidung mit Freude zu treffen, Jahre des Schwankens und Zweifelns, Jahre des Ringens mit sich und mit der Kunst. Dann verfloss der Zweifel und langsam verfestigte er sich in den Glauben an ein konkretes Bild. Prinz Franz begeisterte sich für Safer avec des points (1954). Das Bild fand so zu einer bleibend zentralen Bedeutung für seinen Sammler.

In den frühen 60er Jahren verdichtete sich bei Prinz Franz sein Leben mit der Kunst weiter. Noch keine dreißig Jahre, schon galt er als ausgemachter Sammler für zeitgenössische Kunst. Das beständige Sehen und Leben zwischen den Bildern sozialisierte ihn mit anderen Kunstfreunden. Man lernte sich kennen, traf sich in Galerien und Museen, blickte auf die Bilder und sprach über Kunst. So fasste man Vertrauen zueinander und befreundete sich.

Die Begegnung mit Walter Bareiss war vielleicht die früheste Bekanntschaft für Prinz Franz in diesem Kreis. Früh entdeckte man eine gleiche Gesinnung in der Wertschätzung von Bildern und Künstlern in der Kunst ihrer Zeit. Andere Kunstfreunde gesellten sich dazu. Man traf sich und erörterte untereinander die neuesten Ausstellungen in München oder in der Nähe, zumal in den Kunstinstitutionen. Das ‚Alte‘ stand in bürgerlichen Kreisen der bayerischen Hauptstadt in hohem Ruf; das ‚Neue‘ aber galt weit in die Gesellschaft hinein als höchst umstritten. Immer wieder konzentrierte sich die Gruppe auf die Bayerische Staatsgemäldesammlung. Die Neue Kunst war dort wenig präsent. Auch Ankäufe schienen damals schwer machbar. Doch diesen Kreis von Kunstliebhabern drängte es ungebremst auch in andere Städte. Sie wollten dort Neue Kunst sehen, in Stuttgart, Köln, Düsseldorf, Hannover, Hamburg, Berlin; in Paris und London, in Basel, Zürich und Wien. Am liebsten aber flog man an die amerikanische Ostküste. Nicht zuletzt lernten sie bei ihren vielen Besuchen in New York, dass der Zustand der großen Museen dort, vor allem im Museum of Modern Art (MoMA), vom privaten Engagement vieler abhing. Das war für München eine Vorgabe.

Der Aufbruch nach New York

Es war das Jahr 1967. Wieder flogen zwei aus dem Münchener Kreis nach New York, Walter Bareiss und Prinz Franz. Ersterer gehörte als Deutscher längst zur Ankaufskommission für Zeichnungen im MoMA. Bald aber band er auch den Prinzen mit in diese Institution ein. Er vermittelte ihn zur Mitarbeit in den International Council, den internationalen Freundeskreis des Museums. Die beiden verband in diesem großen Institut ihr gemeinsamer Einsatz. Diesmal aber musste Walter Bareiss vom Flughafen aus gleich in seine Textilfabrik. Prinz Franz jedoch zog es gleich in die Kunstszene von Manhatten. Viele Treffen waren verabredet. Denn hier brodelte der Geist der Neuen Kunst.

Prinz Franz besuchte als erste die bekannte Marborough Gallery. Dort war er später mit dem Kurator des MoMA verabredet, mit William Liberman. Gelassen schlenderte er durch das Entrée und war sofort wie ausgebremst. Bewegungslos stand er fixiert vor einem großen Triptychon von Francis Bacon. Crucifixion (1965) war sein Titel, gut ein Jahr zuvor war es entstanden. Das war wie ein Donnerschlag, erinnerte sich der Prinz später.

Kurz darauf führte er im Gespräch weiter aus: Ich erinnere mich an seine Größe, seine Eindringlichkeit. Es war dann diese Hakenkreuz-Binde am Arm der rechten Figur, die mir als Deutscher natürlich auffiel, die Bacon aber später heruntergespielt hat; <…> denn es war keine Anklage gegen Deutschland, aber diese schonungslose Gegenüberstellung <…> von Qualen und von unbeteiligtem Wegsehen, also alle jene Dinge, die uns eigentlich im Umgang mit der deutschen Vergangenheit beschäftigten, waren in diesem Bild enthalten.

Der Galerie-Verein

Als Prinz Franz nach knapp einer Woche wieder nach München zurückkam, traf sich der Freundeskreis sehr bald. Man erzählte sich all das, was man an Neuem gesehen hatte, und was man tun müsste, um die klägliche Situation der Staatlichen Gemäldegalerie der Moderne zu verändern. Schließlich kam der Einfall auf, einen privaten Verein zu gründen, um so für die Staatlichen Museen in München Neuanschaffungen leichter zu ermöglichen und neue Ausstellungen zu initiieren. Stets handelte es sich dabei natürlich um private Beihilfe und finanzielle Unterstützung.

Kurz darauf kam der engagierte Kreis wieder zusammen. Diesmal sollte es im Haus des Prinzen eine lange Sitzung werden. Alle waren jetzt von der Sache beseelt, einen Förderverein zu gründen. Es waren neben Prinz Franz der Restaurator Klaus Gebhard, der Verleger Egon Hanfstaengl, der Kunsthistoriker Siegfried Wichmann, der Bankier Alfred Winterstein und der Kunstsammler Christian Wolters. Im Laufe des Abends gründeten dann diese sechs Anwesenden aus dem Freundeskreis den Galerie-Verein, wie er fortan genannt wurde. Wenige Tage später traten noch weitere Mitglieder hinzu, die beim ersten Treffen verhindert waren: Walter Bareiss, Christof Engelhorn und Karl-Heinz Dallinger. Als Vereinszweck standen am ersten Abend drei Ziele im Raum:

1. Die Neue Pinakothek, die Neue Staatsgalerie und die Staatliche Graphische Sammlung zu fördern.

2. Die Gewährung von Zuschüssen zur Anschaffung solcher Werke durch die Staatlichen Sammlungen.

3. Die Förderung von Ausstellungen mit Publikationen von Kunstwerken in deutschen und ausländischen Museen.

Der Freundeskreis wollte zudem die Kunstszene durch gemeinsame Reisen verlebendigen, durch Steigerung der Mitgliederzahl und konkret durch Empfehlung von neuen Ankäufen. In den folgenden Jahren gehörte natürlich der junge Prinz im Verein zu den engagiertesten Mitgliedern. Er brachte selbst die meisten Vorschläge ein und wusste sie im Kreis auch durchzusetzen, wenn es um neueste Kunst ging. Hier trat er auf mit Charme und Hartnäckigkeit, wie Heidi Bürklin zu zitieren wusste.

Zur nächsten Sitzung sollte jeder ein paar Werke nominieren, um sie dann in eine Ausstellung der Staatlichen Sammlung einzubringen. Bareiss und der Prinz nominierten unabhängig voneinander die Crucifixion (1965) von Francis Bacon. Andere im Kreis benannten Werke von Fernando Botero, Antony Caro, Alan Davie, Robert Rauschenberg, Graham Sutherland, Antoni Tàpies und weitere.

Als die Ausstellung schließlich eröffnet wurde, war für Prinz Franz und anderen sofort klar, dass das Bacon-Triptychon München nicht mehr verlassen dürfe. Auch der damalige Generaldirektor der Neuen Staatsgalerie, Haldor Soehner, war auf den ersten Blick vom Bacon-Bild eingenommen. Er bezeichnete das Werk als gewaltiges Mahnmal, das eine magische Kraft aussende. Kaum waren die ersten Gespräche über die Finanzierung dieser Erwerbung in Gang gekommen, war es schon bezahlt. Eine Sensation! Christof Engelhorn hatte den Ankauf der Kreuzigung (1965) in einem Zug gesponsert.

Die ersten Spuren in München

Die Zahlen der Mitglieder des Galerie-Vereins steigerten sich nach und nach. Bei der Zahl von etwa 100 stagnierte das Wachsen. Im Rückblick auf den Ankauf von Francis Bacon aber war sich Prinz Franz sicher, dass diese Erwerbung das Schlüsselereignis für die Entwicklung der Sammlung im 20. Jahrhundert in München sei.

Durch so manche privat gesponserten neuen Erwerbungen gewann der Galerie-Verein an Dynamik. Besonders Prinz Franz von Bayern brachte dort immer wieder entscheidende Vorschläge ein und wusste sie auch durchzusetzen, zumal dann, wenn es um kontroverse junge Kunst ging. Diesmal galt sein besonderes Interesse, Blinky Palermos Stoffbilder in die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen aufzunehmen. Und wieder ging der Vorschlag – wie so oft – ohne Gegenstimme durch.

Ingvield Goetz erinnerte sich später an die erste Begegnung mit dem Galerie-Verein: Das ging sehr schnell, dass ich die Herren kennenlernte. Sie kamen oft zu den Eröffnungen, manchmal schon vorher. Es sind aber nur Klaus Gebhard, Walter Bareiss, Prinz Franz von Bayern und Christof Engelhorn, die mir in Erinnerung geblieben sind. Ein sehr kleiner Zirkel sehr aktiver und interessierter Menschen. Es war wirklich ein Segen, dass es so engagierte Sammler gab.

Es folgten unentwegt weitere Ideen und Impulse, Schlag auf Schlag. Der erste war die Sammlung Ströher in Darmstadt. Die beiden Galeristen Heiner Friedrich und Franz Dahlem hatten wiederholt auf eine Ausstellung dieser sensationellen Sammlung mit amerikanischer Kunst gedrungen: Pop Art. Pop und cetera. Diese Ausstellung sollte das bis dahin wohl Sensationellste sein, was es in München je zu sehen gab.

Als der Amerikaner Dan Flavin die erste Hängung gesehen hatte, beschied er umgehend vor der Eröffnung, die Bilder seien viel zu ‚brav‘ gehängt. Und schon wurde von den Kuratoren und einigen Mitgliedern des Galerie-Vereins alles umgehängt. Wer konnte, griff zu. Der Prinz rückte gleich eine hohe Leiter herbei und brachte in der Höhe selbst alles ins nicht gerade rechte Lot. An die 200 Bilder, Plastiken und viele Zeichnungen – am Ende noch ergänzt vom sog. Block Beuys, den der rheinische Künstler allerdings in seinen Räumen selber einrichtete. Bei der Eröffnung dann – verbot die Polizei jeglichen Alkoholausschank. Dennoch: Die Laune muss glänzend gewesen sein.

Kaum war nach gut zwei Monaten diese Ausstellung mit einem großen Erfolg zu Ende gegangen, setzte schon wieder ein Durchbruch ein. Es ging um Zeichnungen und Aquarelle von Georg Baselitz. Prinz Franz und der Künstler begegneten sich und wurden bis heute enge Freunde. In voller Begeisterung griff der Prinz kräftig zu, um viele Zeichnungen zu erwerben. Wieder formte sich eine großartige Ausstellung in der Planung. Die neue Postulantin, Dr. Carla Schulz-Hoffmann, übernahm die Verantwortung für die Hängung und für ihren ersten Text über diesen Künstler. Das war im Jahr 1986.

Mit den neuen Arbeiten von Georg Baselitz steigerte sich die Sammlerleidenschaft von Prinz Franz wie im Schub zu hoher Begeisterung. Jetzt erkletterte er seinen Blick auf neue Aussichten. Diesmal ging es vor allem um den Erwerb von Druckgrafik. Fred Jahn, sein lebenslang befreundeter Kunstberater und Begleiter für den Aufbau seiner Sammlung, ermutigte ihn, fünfhundert Zustandsdrucke frisch aus dem Atelier von Baselitz zu erwerben. Und wieder sprang die Freude am Erwerben neuer Kunst in die Höhe. Die Frucht der wachen Lust zu sammeln! Von Galeristen und anderen Kunstfreunden ließ er sich durchaus gern beraten, aber die Auswahl war immer nur seine eigene Sache. Den Zuschlag traf er stets allein. Er fiel dabei nie rein auf das, was ihn gerade gepackt hatte. Dennoch blieb er stets seinen eigenen ­Sammelfeldern treu.

Das zeigte sich schon früh in den USA, wo sein Sammeleifer heranreifte, bei Künstlern wie Tuttle, Judd und Sandback. Bei Werken von Rivers und de Kooning hatte er vieles schon früh erstanden, bei Chamberlin und Heizer war er schnell auf deren neuen Spuren.

Auch zu Hause in der Münchner Szene ging es beständig um den Zukauf von Arbeiten bei Baselitz, Palermo, Richter, Penck und Immendorf. Zunehmend war er aber auch an Aktionen und Arbeiten von Hermann Nitsch interessiert. Noch kurz vor dessen Tod am Ostermontag 2022 erwarb er ein großes, völlig neu konzipiertes Farbbild.

Doch noch einer anderen Gruppe war er treu, seinen Münchener Künstlern. Regelmäßig besuchte er auch sie in ihren Ateliers, so bei Oscar Coester, Ursula Rusche-Wolters, Priska von Martin, Helmut Pfeuffer, Rudi Troeger und nicht zuletzt bei Erwin Pfrang.

Letzterer hatte ein Werk in die Welt gesetzt, das sich mit den Menschen auseinandersetzte, die am Rande der Gesellschaft lebten. Für sie erspürte und entwickelte der Künstler ein existentiell aufgebrochenes Menschenbild. Erwin Pfang fühlte sich selbst in diese Menschen ein, und zwar durch eine bewegte, anteilnehmende Sensibilität. Diese Position transformierte sich zu einer künstlerischen Haltung und versetzte den Betrachter in eine große innere Erregung.

Genau diese Ergriffenheit drang tief in das Bewusstsein des Sehens von Prinz Franz als Sammler ein. Sie packte ihn. Gleichzeitig entzog der Künstler dem Sammler jegliches Verstehen. Diese Kunst überwältigte alle drei, Künstler, Sammler und Betrachter. Sie blieb stets offen, entzog allen die kompositionelle Orientierung und verwehrte den Augen jeglichen Halt. In diesem Taumel verlor diese Kunst bewusst ihre Eindeutigkeit in Aussage und Bedeutung, blieb aber dennoch brennend interessant.

Die Kunsthistorikerin Carla Schulz-Hoffmann bringt in einem Text die Haltung des Künstlers auf den Punkt: „Aus einer bewusst gewählten Außenseiterposition heraus entstanden bildnerische Formulierungen, die sich in ihrer inhaltlichen und formalen Unangepasstheit gegen alle herrschenden Trends richten und damit indirekt ein durchaus subversives, weil gegen jede Konvention gerichtetes Potential enthielten.“

Aus der Sammlung Prinz Franz von Bayern

Doch noch sei ein Blick zurück gewagt, ins Jahr 1984. Es war wieder ein Jahr größter Überraschung. So schreibt der Generaldirektor der Staatsgalerie Moderner Kunst, Erich Steingräber, im Vorwort zu einer sensationellen Ausstellung: Deutsche Kunst seit 1960. Aus der Sammlung Prinz Franz von Bayern.

„Prinz Franz von Bayern schenkte dem Wittelsbacher Ausgleichsfonds den größten und gewichtigsten Teil seiner Sammlung moderner Kunst mit der ausdrücklichen Zweckbestimmung, sie den staatlichen bayerischen Sammlungen für ihre Museen in München zur Verfügung zu stellen. Diese Schenkung folgte gleichsam einer besonderen wittelsbachischen Tradition. Kronprinz Rupprecht von Bayern hatte den Sammlungsbesitz in zwei Stiftungen zusammengefasst, in

  • die Kunstwerke des älteren Bestandes in der Wittelsbacher Landesstiftung,
  • und den größten Teil der im 19. Jahrhundert gesammelten Objekte und privaten Bestände, im Wittelsbacher Ausgleichfonds.

Prinz Franz von Bayern folgt jetzt der Noblesse seiner Vorfahren, wenn er die sehr vielen von ihm gesammelten, hier in der Ausstellung vorgestellten Werke der Öffentlichkeit zugänglich macht.“

Gemeinsam mit der Sammlung von Prinz Franz werden aber in dieser Ausstellung auch Arbeiten aus demselben Umkreis gezeigt, die vom Galerie-Verein für die Staatsgalerie Moderner Kunst erworben wurden, sowie auch noch einige Ankäufe der Staatsgalerie selbst. Es waren Werke von Baselitz, Beuys, Höckelmann, Immendorf, Kiefer, Knoebel, Lüpertz, Palermo, Penck, Polke, Rainer, Richter, Schönebeck u.a.

Später dann – Anfang der 90er Jahre – als der Galerie-Verein nach 25 Jahren rückblickend zwei Ausstellungen ausrichtete,

  • eine mit ausgewählten Bildern und Objekten der Staatsgalerie Moderner Kunst und
  • eine mit ausgewählter Druckgraphik in der Staatlichen Graphischen Sammlung,

zeugen zwei weitere Vorworte Respekt und Dank für das gemeinsame Wirken in Vergangenheit und Zukunft:

„In all den vergangenen Jahren hat der Galerie-Verein seine Ankäufe mit den jeweiligen Leitern der Staatsgalerie Moderner Kunst und der Staatlichen Graphischen Sammlung abgesprochen. Das Ergänzen der Museumsbestände war eines seiner wichtigsten Ziele. … Beflügelt von der Aussicht auf einen inspirierten und inspirierenden Museumsneubau in unmittelbarer Nähe der beiden Pinakotheken, der die Kunst des Zwanzigsten Jahrhunderts und die bedeutenden Bestände der Staatlichen Graphischen Sammlung in den Kontext der vergangenen Epochen stellen wird, wünscht sich der Galerie-Verein in Zukunft eine noch furchtbarere Sammeltätigkeit.“ gez.: Katharina Sattler, Prinz Franz, Walter Bareiss

Der damalige Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen schreibt im zweiten Band des Katalogs folgende Zeilen im Vorwort: „Ausstellung und Katalog zum 25. Jahrestag der Gründung des Galerie-Vereins … sind Rèsumèe des Geleisteten und zugleich Zukunftsperspektive. … Wichtige Erwerbungen, die heute das Gesicht der Sammlung mitprägen, wären ohne die ideelle und materielle Hilfe des Galerie-Vereins unerfüllbarer Wunschtraum geblieben, … so z.B. das heute im Gesamtwerk des Künstlers als singulär eingestufte Triptychon von Francis Bacon ebenso wie die monumentale Steinarbeit Das Ende des 20. Jahrhunderts von Joseph Beuys, um nur die beiden markantesten Pole zu nennen: Der Galerie-Verein als Anreger, Vermittler, aber auch als kritisches Korrektiv einer oftmals als zu starr empfundenen musealen Praxis. (Und das), was über das finanzielle Engagement hinaus immer wieder zum positiven Stimulans für das jeweilige Gegenüber wurde.“ gez.: Hubertus F. von Sonnenburg

Die Pinakothek der Moderne

Die im ersten Vorwort erhoffte große Veränderung deutete sich gegen Ende des zweiten Jahrtausends durch den Entwurf und den Bau der Pinakothek der Moderne an. Auf dem Weg zur Eröffnung im Jahr 2002 aber ging es dann um weitere große Veränderungen, die dann dem Galerie-Verein selbst in Haus standen, die Selbstauflösung und die Überführung in PIN.

Konkret erstrecken sich diese Aktivitäten auf folgende Festlegungen:

  • auf Erwerbungen, die den Sammlungen als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt werden;
  • auf Ausstellungsförderungen und Publikationen zur Sichtbarmachung und Vermittlung der Sammlungen und für eine erhöhte Strahlkraft der Museen;
  • auf Vermittlungsprojekte, um Menschen verschiedenster sozialer Schichten und Altersgruppen an die Museen heranzuführen, besonders Kinder und Jugendliche;
  • Programme für unsere Mitglieder, um die Begeisterung für unsere Sammlungen erlebbar zu machen und das Interesse an der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zu teilen.

Generell geht es dabei auch darum, Synergien zu nutzen und zu schaffen, indem wir Personen und Institutionen vernetzen, die München und die Pinakothek der Moderne zu einem vitalen Zentrum für zeitgenössische Kunst machen möchten;

  • um die Kontinuität und Vitalität der Sammlungen lebendig zu halten, gehört es zu unseren Aufgaben, Erwerbungen zu ermöglichen, Ausstellungen zu fördern, Vermittlungsprojekte für Jung und Alt zu unterstützen und ein lebendiges Mitgliederprogramm anzubieten;
  • schließlich wollen wir uns bemühen, Synergien zwischen den vier Sammlungen, die unter einem Dach der Pinakothek der Moderne beheimatet sind, aufzuspüren und zu stärken. Und wir wollen unseren Ansprechpartnern in den Museen, in Wirtschaft und Politik starke, strategische Partner sein.

Was verbindet diese Ziele und Aktivitäten letztlich miteinander?

Sie eint das Bemühen, den Bestand der Sammlungen immer wieder auf neue Weise zu befragen und für heutige Generationen zu aktivieren.

Fünfzig Jahre lang …

… hat Prinz Franz, der spätere Herzog von Bayern, mitten unter Sammlern, Instituten und Bildern gesessen. Und nach fünfzig Jahren sah er im Rückblick, dass er immer ‚dabei gewesen‘ war. Das war ihm das Wichtige in München und in New York, vom Ende der 60er Jahre bis Anfang der 20er. Es waren die Begegnungen mit den Künstlern, den Instituten, den Engagierten; den Freunden…. Und überall entwickelten sich Geschichten, Erfahrungen, Erinnerungen. Ich saß mitten drin, hab‘ alles mitgemacht und doch auch hier und da etwas in Bewegung gebracht. Daher machte ihn der internationale Freundeskreis des MoMA bald auch zu seinem Vorsitzenden. Das hielt er16 Jahre durch.

Der Prinz hatte schon in frühester Zeit immer eine Reihe interessanter Leute um sich versammelt. Die hatten zwar nicht gerade Geld zur Verfügung, aber sie waren offene Köpfe, die vieles unterstützt und mitgemacht hatten. Es waren für Prinz Franz durchaus ‚Mitwirkende‘ und sie hatten vieles mit- und durchgetragen – wie auf einer offenen Bühne. Nicht überall standen sie in der ersten Reihe, aber sie waren präsent, manchmal ‚anonym’, wie unbekannt. Aber in meiner Welt war mir jeder einzelne sehr wichtig.

Mit dem neuen Museum, der Pinakothek der Moderne, haben sich die meisten Aufgaben sehr verändert. Das galt vor allem für das private Engagement, natürlich vor allem für das neue PIN. Es musste im Unterschied zum auslaufenden Galerie-Verein breiter aufgestellt werden. Ausstellungen beispielsweise waren ohne PIN. gar nicht mehr machbar. Überall waren jetzt private Förderungen nötig. Den Behörden war die Pinakothek der Moderne zu teuer. Stadt und Land hatten kein Geld mehr. Die Förderungen konnten sie nicht mehr allein bewältigen, es sei denn, hieß es in einer Regierungserklärung, die private Hand könne eine 10%-Förderung mitfinanzieren. Das konnte sie nach den Aufbaujahrzehnten in München in der Tat sehr bald zuverlässig auf das Doppelte steigern. Da dominierte inzwischen längst eine selbstbewusste Euphorie.

Herzog Franz war nach der Eröffnung der Pinakothek der Moderne in den Institutionen weiter präsent. Er übernahm für länger den Vorsitz des Kuratoriums von PIN. Er war weiterhin präsent und saß in seinen Gremien ‚mitten drin‘. Nie hat er aufgehört, für alle Belange zu sorgen und zu vermitteln, besonders für die Staatliche Graphische Sammlung. Freilich: langsam begann er auch, aus Altersgründen langsamer zu treten. Und doch blieb er formal und informell eine entscheidende Gestalt, stand nach wie vor an vorderster Front, galt als eine Figur, auf die man zählen und mit der man sprechen konnte. Alles musste einem natürlich ‚gelingen‘, vor allem im Gespräch, um andere zu überzeugen. Aber dafür braucht man ein Grundvertrauen und eine Vertrauensphase. Gefragt, ob das auf seine Art, bescheiden aufzutreten, zurückginge – antwortet er direkt: Nein, bescheiden bin ich nicht, ich will etwas erreichen, will, dass da etwas gelingt. Aber da stelle ich mich nicht nach außen.

S.K.H. Herzog Franz von Bayern blieb Zeit seines Lebens all seinen Themen treu und begleitete sie – und wie selbstverständlich begleiteten sie ihn, mehr als 50 Jahre, ein Leben lang. Aber sie zeigten sich immer neu. Und ‚sein Ding‘, das immer an oberster Stelle stand, das blieb: die neue, die junge Kunst.

50 Jahre Katholische Akademie in Bayern

Zu ‚seinen Dingen‘ gehörte auch die Katholische Akademie. Auch sie gehörte in ‚seine Welt‘ und war ihm sehr wichtig, auch die 50 Jahre lang. Nicht dass es dort viele künstlerische Themen gab, aber an leitender Stelle hatte er immer wieder zu moderieren. Auch hier ging es um die Freiheit des Denkens und die Freiheit des Glaubens. Vermittlungen standen an zwischen den Kardinälen und den Leitern der Akademie, den Meinungsträgern, den Spannungen, den Gegensätzen, den festgefahrenen Diskussionen in Theologie und Philosophie, Tradition und Aufbruch. Auch hier gingen jetzt die 50 Jahre zu Ende.

Wie wird es da weitergehen? Die Kirche hat sich im Augenblick tragisch festgefahren. Viele können sich nicht vorstellen, dass da eine Zukunft auferstehen kann. Was kommt jetzt? Was ist für eine neue Kirche wichtig? Wie wird sie die ihr eigene geistige Freiheit bewahren können? Was kann ich ihr nach all den Jahren Mitwirkung an leitender Stelle wünschen?

Klar: Die Strahlkraft Christi! Sein Licht! Seine Leucht-Kraft. Eine Akademie hat eigentlich keine Ziele zu verkünden. Sie will Diskussionen fördern, und das in einer zivilisierten Welt, in einer Theologie der Befreiung. (Leonardo Boff). Was wird aus dem Synodalen Weg? Was kann ich ihr hinterlassen?

Ein Bild für wache Augen. Kein anderes könnte es sein als Pfrangs Bild Einzug Christi in Deutschdachau (1996). Als Prinz erwarb es Franz von Bayern im Jahr des Entstehens. 25 Jahre lang hing es konfrontierend in seinem Arbeitszimmer, zog ihn in Bann, forderte ihn heraus. Es hat das Sehen des Prinzen in Jahrzehnten geformt. Darum war es jetzt der Herzog Franz von Bayern, der Chef des Hauses Wittelsbach, der dieses Bild der Akademie vermachte, als er sich als Vorstandsmitglied aus der aktiven Mitarbeit der Katholischen Akademie verabschiedete.

Diese Bild-Stiftung muss weiter in die Tiefe gehen. Habe an die 25 Jahre damit gelebt, war immer bereit, mich darauf einzulassen. Ich tat mich schwer damit, aber bin damit anders und neugieriger geworden, weil es mich beunruhigt hatte. Statt sehen – erahne ich jetzt. Statt zweifeln – schweige ich vor jedem Detail. Jetzt bringe ich das Verstockte und Versteckte in Bewegung. Jetzt geb’ ich’s her.

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