I.
Arzt und Tod standen in der historischen Entwicklung des ärztlichen Berufes über Jahrhunderte in einer sehr engen Beziehung. Ein großer Teil des medizinischen Wissens über Todesursachen und Erkrankungen sowie deren Entwicklung und Behandelbarkeit resultiert aus der Beobachtung letztlich tödlicher Krankheitsverläufe und der Untersuchung Verstorbener. Erst in den letzten Jahrzehnten, in welchen das Sterben und der Tod zunehmend tabuisiert und aus dem öffentlichen Leben und der Wahrnehmung verbannt wurden, hat sich die vormals so enge Beziehung zwischen Arzt und Tod beziehungsweise der Leiche erkennbar gelockert. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass heute auch viele Ärzte eine teilweise erhebliche Scheu vor Leichen empfinden, die ärztliche Aufgabe der Leichenschau nicht zuletzt deshalb nur unter Druck und dann mit großer Zurückhaltung wahrgenommen wird und auch im letzten Behandlungsabschnitt, also in der Sterbephase des Patienten, eine teilweise ausgeprägte Unsicherheit auftritt, so dass wir heute ambulant und in Hospizen speziell ausgebildete Ärzte benötigen, die Patienten in der letzten Lebensphase behandeln und begleiten. Ob dies notwendig ist, weil die Ärzte anderer Fachrichtungen dies aus fachlichen Gründen nicht mehr können – oder nicht mehr wollen –, mag dahin gestellt bleiben.
Die Thanatologie als Lehre von der Natur und den Ursachen des Todes wird an den Universitäten heute praktisch nur noch im Fach Rechtsmedizin an die Studenten vermittelt. Eine Demonstration von Leichen und Obduktionen im Rahmen der studentischen Ausbildung unterbleiben zunehmend; so sind, nicht zuletzt aus Kostengründen, auch schon an verschiedenen Universitäten Überlegungen angestellt worden, die Präparierkurse an Leichen durch Übungen mit dreidimensionalen Computermodellen zu ersetzen. Auch dies ist sicher zumindest teilweise eine Folge der erkennbaren Tabuisierung und Verdrängung der Themen Tod und Sterben und wird im Zweifel diesen Entwicklungen auch weiter Vorschub leisten, auch wenn sich vereinzelt in den letzten Jahren wieder ein wachsendes Bewusstsein für diese Thematik erkennen lässt.
Dabei ist der Tod ein Thema, das nicht nur in der Medizin sondern auch in der Philosophie, der Theologie und der Jurisprudenz eine hohe Bedeutung hat. Auch in den Medien spielt das Thema Tod und Sterben eine große Rolle: Medien berichten über einen Großteil insbesondere der nicht natürlichen und akzidentellen Todesfälle sowie von Tötungsdelikten, die auch im Krimi als tragendes Genre permanente TV-Präsenz aufweisen. Allerdings spielen hier das Sterben und der Tod des Opfers nur als thematischer Aufhänger für die als spannend empfundene Suche nach dem Täter eine Rolle. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Materie Tod und Sterben ist damit in der Regel nicht verbunden.
Für den plötzlichen Tod trifft dies abgesehen von akzidentellen Ereignissen besonders zu. Selbst in dem monumentalen Werk von Philippe Ariès zur „Geschichte des Todes“ wird der plötzliche Tod als besondere Entität nur am Rande erwähnt. Auch in der Hospizmedizin und bei palliativen Behandlungsansätzen ist der plötzliche Tod naturgemäß nicht Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen oder therapeutischen Ansätzen. Lediglich in der Notfallmedizin, in der Krisenintervention und in der Rechtsmedizin ist der plötzliche Tod als zentrales Ereignis im Rahmen der medizinischen Profession bzw. der Angehörigenfürsorge präsent.
II.
Der „plötzliche Tod“ wird häufig synonym mit dem „unerwarteten Tod“ verwendet; gemeint ist damit, dass die soziale Umgebung eines Menschen vom Tod einer Person überrascht ist, weil der Todeseintritt zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet wurde. Dies kann je nach sozialer Umgebung auch für alte und schwer kranke Menschen zutreffen, so dass der plötzliche, unerwartete Tod kein Phänomen ausschließlich des jungen oder mittleren Lebensalters ist. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert den plötzlichen Tod als Todesfall innerhalb von 24 Stunden nach dem Auftreten von Krankheitssymptomen. In der deutschen medizinischen Literatur findet sich häufig als wesentliches Charakteristikum der Tod aus scheinbar völliger Gesundheit oder nach banalen Krankheitserscheinungen beziehungsweise nach rapider Verschlechterung von bekannten Vorerkrankungen beschrieben. Allein aus diesen Definitionen wird schon deutlich, dass der Tod infolge von äußeren Gewalteinwirkungen hier oft nur unzureichend unter den Begriff des plötzlichen Todes summiert wird.
Für den Arzt ist dies besonders in seiner Funktion als Leichenschauer von besonderer Bedeutung. Nach den Bestattungsgesetzen der Länder muss jeder Verstorbene von einem Arzt gesehen, und durch diesen eine Leichenschau durchgeführt werden, bei der es um Feststellung von Todesart und Todesumständen, Todesursache, Todeszeit sowie möglicher Infektionserkrankungen geht. Die besondere, rechtliche relevante Kernfragestellung ist hier die Differenzierung des natürlichen vom nicht natürlichen Tod (Todesart), da beim nicht natürlichen Tod eine polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlung eingeleitet werden muss, während beim natürlichen Tod keine weitere Kontrollinstanz außer dem leichenschauenden Arzt existiert. In Bayern gibt es, im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern, nicht einmal vor der Feuerbestattung eines Verstorbenen eine weitere medizinische Untersuchung.
Der nicht natürliche Tod ist in Bayern als Tod in Folge von „Unfall, Selbstmord, Tod durch strafbare Handlung oder sonst von außen herbeigeführt“ definiert. Eine gesetzliche Definition des natürlichen Todes existiert demgegenüber nicht. Daher wurde von Seiten der Medizin im Rahmen der entsprechenden Leitlinie eine Definition des natürlichen Todes entwickelt: Ein natürlicher Tod kann demnach bescheinigt werden, wenn eine Krankheit aus natürlicher, innerer Ursache vorliegt, die von einem Arzt diagnostiziert, derentwegen der Patient von einem Arzt behandelt wurde und die das Ableben dieses Patienten für den gegenständlichen Zeitpunkt vorhersehbar gemacht hat. Gleichzeitig darf kein Hinweis für einen nicht natürlichen Tod vorliegen, und der Tod muss unabhängig von rechtlich bedeutsamen äußeren Faktoren eingetreten sein. Aus dieser Definition ergibt sich praktisch zwangsläufig, dass der plötzliche, unerwartete Tod für den ärztlichen Leichenschauer nicht die definitorischen Kriterien des natürlichen Todes erfüllen kann. Mithin müssten sämtliche plötzlichen, unerwarteten Todesfälle ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren nach sich ziehen. Betrachtet man die Todesursachenstatistik, in der kardiale, oft „plötzlich“ und damit unerwartet auftretende Todesfälle mit über 40 Prozent der Gesamtsterbefälle die häufigsten Todesursachen darstellen, so wird klar, dass ein erheblicher Teil dieser Todesursachen und damit auch der natürlichen Todesarten nicht auf der Basis einer sicheren Feststellung beruhen. Daraus ist zu schließen, dass die Bedeutung des plötzlichen, unerwartenden Todes weit die faktische, tatsächliche Beschäftigung der Gesellschaft mit dieser Thematik übersteigt.
Exemplarisch lassen sich einige spezielle Themenkomplexe und Konstellationen herausgreifen, die besonders häufig mit dem plötzlichen, unerwarteten Tod in Verbindung gebracht werden können und die auf ihre Weise jeweils besondere Folgen für die betroffenen Angehörigen sowie die soziale Umgebung nach sich ziehen. Hier ist zunächst weniger die formal juristische Qualifikation in natürlichen oder nicht natürlichen Tod entscheidend, sondern mehr die Örtlichkeit, an der der Tod eintritt oder die Tätigkeit mit der der dann unmittelbar Verstorbene gerade befasst gewesen ist. Einige dieser besonderen Konstellationen von plötzlichen Todesfällen sollen hier exemplarisch aufgezeigt werden:
III.
Der Tod am Arbeitsplatz ist besonders häufig ein plötzlicher und unerwarteter Tod und gleichzeitig häufig ein akzidentelles Ereignis. Die Statistik weist die Gerüstbauer, Dachdecker und Bergleute als gefährlichste Berufe aus. Todesfälle während der beruflichen Tätigkeit in diesen Fällen werden in der Regel polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und gegebenenfalls auch entsprechende Verfahren nach sich ziehen, insbesondere dann, wenn Aspekte der Arbeitssicherheit vernachlässigt oder gar bewusst missachtet wurden. Dabei sind auch soziokulturelle Unterschiede festzustellen: „Karoshi“ – in Japan der Begriff für einen „Tod durch Überarbeitung“ – existiert in der westlichen Welt nicht als eigene Entität.
Der Tod im öffentlichen Gewahrsam, also in einer Haftsituation, wird ebenso wie der Tod in geschlossenen stationär psychiatrischen Einrichtungen sicher nicht zuletzt aus historischen Gründen sowohl von der Öffentlichkeit als auch von der Justiz besonders beachtet. Dies ist schon darauf zurückzuführen, dass erkennbar schwerkranke Menschen oder gar Sterbende schon von den rechtlichen Voraussetzungen her nicht inhaftiert bleiben, sondern einer klinisch-stationären Behandlung zugeführt werden. In der Konsequenz bedeutet der Tod im öffentlichen Gewahrsam häufig ein Tod durch Suizid, seltener auch durch Gewalteinwirkungen von dritter Hand, so dass die erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber diesen Todesfällen absolut berechtigt erscheint. Die Differenzierung von natürlichen, krankheitsbedingten Todesfällen in Haft von Suiziden und von der Einwirkung Dritter ist dabei nicht von untergeordneter Bedeutung.
Hier wird auch regelmäßig nach der möglichen Erkennbarkeit von Suizidalität, Krankheitserscheinungen oder aggressivem Verhalten durch Dritte gefragt, da diese eine Verantwortlichkeit des aufsichtführenden Justizpersonals bedingen und zu entsprechenden rechtlichen Folgen führen kann (so zum Beispiel die Fälle Ouri Jalloh in Dessau – fraglicher Unfall/Suizid durch Brand in Haftzelle – oder der Suizid des Terrorverdächtigen Jaber al-Bakr in Leipzig). Auch im Rahmen von Abschiebungen oder bei randalierenden Häftlingen kommt es immer wieder zum Beispiel durch Fixierung, positionsbezogene Asphyxie, Erregungszustände oder Drogeneinfluss zum plötzlichen Tod von Personen unter unmittelbarer Einwirkung von Justizpersonal. Dass diese Fälle ebenso wie Todesfälle durch polizeilichen Schusswaffengebrauch besonderer Aufmerksamkeit bei der Klärung und auch bei der Beurteilung von Verantwortlichkeiten bedürfen, zeigt sich hier in der deutlich erhöhten öffentlichen Wahrnehmung (ganz aktuell z.B. auch in den USA nach mehreren Todesfällen von Afroamerikanern durch Polizeischüsse).
Der Tod im Straßenverkehr ist ein permanentes Thema in der Presseberichtserstattung, in den Anstrengungen zur aktiven und passiven Fahrzeugsicherheit sowie in den sicherheitsrelevanten Entwicklungen der Kraftfahrzeughersteller. Dies wird nicht zuletzt in der stark gesunkenen Zahl der Verkehrstoten von fast 20.000 in den 70er Jahren, um 10.000 in den 80er und 90-er Jahren auf 4.000 aktuell und der weiten politischen Diskussion über diese Thematik deutlich. Auch tödliche Verkehrsunfälle führen in der Regel zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, gegebenenfalls auch mit der Folge strafrechtlicher Verurteilungen, wenn die Schuld eines Verkehrsteilnehmers am Tode eines anderen Menschen festgestellt werden kann. Gerade im Hinblick auf die zunehmende Teilnahme alter und auch kranker Menschen am Straßenverkehr rückt dabei die Frage der medizinischen Fahreignung auch verstärkt in das Blickfeld und den Aufgabenbereich der praktisch-kurativ tätigen Ärzte, die häufig in ein Konfliktfeld zwischen Akzeptanz der Verhaltensmuster des Patienten und der Fürsorge für Dritte, gegebenenfalls Gefährdete, geraten. Schwere Verkehrsunfälle zum Teil mit mehreren Toten, verursacht durch Kraftfahrer mit gravierenden Stoffwechselerkrankungen, gerade Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen oder Krampfleiden zeigen hier immer wieder in der öffentlichen Resonanz, welche Bedeutung diese Thematik aufweist und dass hier der plötzliche Tod eines Menschen gegebenenfalls auch den Tod anderer bedingen kann.
Der Tod beim Sport ist demgegenüber ein Ereignis, dass häufig öffentlich beobachtet wird, zumindest beim Mannschaftssportarten, dann auch häufig unmittelbare ärztliche bzw. notfallmedizinische Hilfe nach sich zieht und deswegen weniger häufig von Ermittlungen begleitet wird, da es sich um einen Tod unter Zeugen und ohne Fremdbeteilung handelt. Diese Fälle sind sicher in der öffentlichen Wahrnehmung überrepräsentiert, insbesondere wenn sie bei typischen Massensportarten wie beim Skifahren oder beim Fußballspielen auftreten. Aber auch bei Hochrisikosportarten wie Rennfahren oder Boxen werden tödliche Verletzungen von einer hohen öffentlichen Wahrnehmung begleitet. Besonders überraschend erscheint der Tod der Personen hier oft deshalb, weil naturgemäß davon ausgegangen wird, dass ein Mensch, der Sport, insbesondere intensiven Sport oder Ausdauersport betreibt, besonders gesund ist oder gesund sein muss. Insofern wird der Tod hier häufig als besonders unerwartet empfunden und mit Fassungslosigkeit wahrgenommen.
Vergleichbares trifft auf den Tod bei sexueller Betätigung zu, der durchaus auch Menschen im jüngeren Lebensalter betreffen kann und vom jeweiligen Partner oft als extrem traumatisierend empfunden wird. Die Dunkelziffer ist hier sicher auch besonders hoch. Das Risikoprofil ist bezüglich des männlichen Geschlechtes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen diskret erhöht, allerdings laut Untersuchungen aus der Kardiologie nicht in einem Umfang, der bei den meisten Patienten zu einem Verzicht auf gewünschte sexuelle Betätigung führen sollte. Oft sind es auch bestimmte sexuelle Praktiken, die mit Fesselungen und Atembeschränkungen (Asphyxie) einhergehen, die zu einem plötzlichen Tod, dann aber „nicht natürlicher Todesart“ führen und entsprechende Ermittlungsverfahren nach sich ziehen.
Mit besonderer Betroffenheit wird häufig der Tod während der Schwangerschaft oder unmittelbar danach genommen; dies naturgemäß aufgrund der sozialen Situation, in der sich eine Schwangere beziehungsweise junge Mutter befindet und aufgrund des Umstandes, dass auch dieser Zustand häufig mit einer besonderen Gesundheit assoziiert wird.
Der plötzliche Kindstod ist schon allein durch seinen Namen und die Bezeichnung ein klassisches Beispiel für den unerwarteten Tod. Hier erscheint es insbesondere in der differenzierenden Abgrenzung zu den Folgen von Kindesmisshandlungen und damit Tötungsdelikten an Säuglingen oder Neugeborenen von besonderer Bedeutung, medizinische und auch staatsanwaltschaftliche Untersuchungen und Ermittlungen einzuleiten. Nicht selten wird jedoch der plötzliche Kindstod ärztlicherseits bereits primär als natürlicher Todesfall attestiert, obwohl dies rein von der Definition her eine nicht zulässige Vermutungsdiagnose sein muss. Treten dann in einer entsprechenden Familie weitere Todesfälle auf, die erst verspätet als Misshandlungsfolgen wahrgenommen werden, ist sowohl eine breite öffentliche Betroffenheit als auch der Ruf nach einer strengeren Reglementierung die Regel. Vergessen wird dabei häufig, dass Gewalteinwirkungen gegen Kinder, beispielsweise beim Ersticken durch weiche Bedeckung oder ein Schütteltrauma, sehr oft keine äußerlich erkennbaren Verletzungen hervorrufen und eine Differenzierung zwischen vermutetem natürlichem Tod und einer äußeren Gewalteinwirkung ausschließlich durch eine äußere Untersuchung eben nicht erfolgen kann. Wird aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf die Angehörigen auf eine Obduktion des verstorbenen Kindes verzichtet, ist das Risiko, Gewalteinwirkungen zu übersehen und damit eine Möglichkeit für weitere Gewalteinwirkungen bei anderen Kindern in derselben Familie zu setzen, sicher nicht zu leugnen.
Der in der Öffentlichkeit eintretende Tod wird aus naheliegenden Gründen, weil meist keine gravierende Erkrankung mit der Folge einer medizinischen Behandlungs- oder Pflegesituation bestanden hat, in der Regel ebenfalls ein plötzlicher Tod sein. In den Fällen, in denen eine breite Öffentlichkeit zugegen ist wie beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln, sind häufig Herzinfarkte oder Lungenembolien die Ursache für einen natürlichen Tod. Aber auch Suizide kommen in der Öffentlichkeit vor. Wenn Menschen sich vor Schienenfahrzeuge werfen, gibt es eine Überlappung zu den Todesfällen im Straßenverkehr. Solche Situationen machen oft auch den Einsatz von Kriseninterventionsteams erforderlich, die dann bei einer nur schwer zu überschauenden Anzahl Betroffener und Zeugen oft vor besondere Probleme gestellt werden.
Insgesamt wird aber die psychosoziale und auch medizinische Bedeutung eines Todesfalles bzw. des Todeseintrittes auch für die unmittelbaren Angehörigen unterschätzt, egal ob dieser in der Öffentlichkeit oder im häuslichen Umfeld stattfindet. Infektionsgefahren für Kontaktpersonen, wie z.B. nach einer Meningokokken-Meningitis, können noch häufig abgefangen werden, wenn es durch einen sich drastisch verschlechternden Gesundheitszustand unmittelbar vor dem Tod noch zu einer ärztlichen Behandlung und einer richtungweisenden Diagnose kommt.
Bei den sicherlich nicht selten todesursächlichen Herz-Rhythmus-Störungen existieren jedoch auch erbliche Formen, deren Diagnostik gerade für die unmittelbaren Nachkommen von elementarer Bedeutung ist, da bei entsprechenden medizinischen bzw. molekular-genetischen Feststellungen eine zielgerichtete Therapie und Behandlung solcher Patienten bzw. Angehöriger erfolgen kann. Beispielhaft genannt sei ein Fall, indem ein junger Mann während eines Tanzkurses zusammenbrach und nicht mehr reanimierbar war. Die Obduktion ergab, wie regelhaft bei Herz-Rhythmus-Störungen, keinen richtungsweisenden autoptischen Befund. Nachdem aber die polizeilicherseits vermutete Drogenbeeinflussung ausgeschlossen werden konnte, konnte den Angehörigen geraten werden, dass sich der Bruder des Verstorbenen in medizinische Behandlung begeben solle. Bei diesem wurde eine ebenfalls erbliche Herz-Rhythmus-Störung diagnostiziert und prophylaktisch durch Implantation eines Schrittmachers/Defibrillators behandelt.
Differenzierbar davon ist der Tod im Krankenhaus bzw. in der ärztlichen Praxis, der häufig als erwarteter Tod wahrgenommen wird, es sei denn, er ist Folge eines selektiven Eingriffes mit niedrigem Risikoprofil oder es entsteht der Eindruck eines ärztlichen Behandlungsfehlers. Derartigen Vorwürfen wird, sofern sie gegenüber Vertretern der Ermittlungsbehörde erhoben werden, in der Regel sehr konsequent und auch mit hohem Aufwand nachgegangen, wenngleich der tatsächliche Nachweis eines schuldhaften ärztlichen Behandlungsfehlers mit tödlichen Konsequenzen eher die Ausnahme als die Regel ist.
Problematisch ist demgegenüber viel häufiger die Situation, dass die Tendenz besteht, nahezu jeden Todesfall in einer medizinischen oder pflegerischen Einrichtung, insbesondere wenn ältere Menschen betroffen sind, als natürlichen Tod zu qualifizieren. Dabei wird vergessen, dass echte Serientötungsdelikte mit zum Teil Dutzenden Toten in den letzten Dekaden in unserem Sozialraum weit überwiegend in klinischen oder therapeutischen Einrichtungen stattgefunden haben. Fälle wie derjenige der Krankenschwester Michaela R. aus Wuppertal, die Tötungs-Serien in Wien-Lainz, Sonthofen oder aktuell der Fall des Krankpflegers Nils H. in Delmenhorst zeigen, wie viel Todesfälle in klinisch-stationären Behandlungseinrichtungen passieren müssen, bis der Gedanke an ein möglicherweise nicht natürliches Geschehen aufkommt.
IV.
Resümiert man die Thematik des plötzlichen Todes aus rechtsmedizinischer Sicht, so steht der Verstorbene/die Leiche im Fokus für den ärztlichen Leichenschauer, die ermittelnden Polizeibeamten, die untersuchenden Rechtsmediziner und die abschließend beurteilende Justiz. Der (noch) lebende Patient bzw. die Hinterbliebenen des dann plötzlich Verstorbenen stehen demgegenüber im Fokus für die kurativ tätigen Ärzte, Notfallmediziner, Kriseninterventionsteams, Seelsorger und sozialen Dienste. Diese Funktionen werden häufig so stark voneinander getrennt, dass eine Verbindung und die Verschränkung der Problemkreise zwischen dem Verstorbenen einerseits und den Hinterbliebenen andererseits nur schwer möglich sein werden. Erfahrungsgemäß werden viele Fälle des plötzlichen Todes vielleicht auch aus diesen Gründen medizinisch-diagnostisch nicht ausreichend hinterfragt, wobei hier zweifelsohne auch Kosten und finanzieller Aufwand eine erhebliche Rolle spielen. Die alte medizinische Weisheit, dass die Toten die Lebenden lehren können („Mortui vivos docent“) wird dabei häufig aus Bequemlichkeit verdrängt oder durch moderne bildgebende Technologien nur unvollständig ersetzt. Dem Umstand, dass wir als Gesellschaft uns diesen Fällen des plötzlichen Todes zu wenig widmen, sind zahlreiche und unentdeckte Tötungsdelikte vor allen Dingen an Senioren, Kranken und Kindern geschuldet.
Eine weitere Dimension des plötzlichen Todes eröffnet sich bei Massenkatastrophen wie Flugzeugabstürzen, Zugunglücken oder wie in jüngster Zeit gesehen beziehungsweise in Zukunft zu befürchten auch bei Amokläufen und Terroranschlägen, die wiederum besondere Belastungen mit sich bringen. Wir sollten uns der Thematik des plötzlichen Todes deshalb widmen und stellen, um für uns, wenn wir konkret durch einen Ablebensfall in unserem Umfeld damit konfrontiert werden, und auch für Andere entsprechend Vorsorge treffen zu können.