Einkommen, Identität und Tierwohl

Im Rahmen der Veranstaltung "Nutztierhaltung – acatech", 04.05.2021

Die Nutztierhaltung steht aktuell tatsächlich vor großen Herausforderungen. Die Erwartungen der Gesellschaft, die sich ständig verschärfenden gesetzlichen Anforderungen, die immer knapper bemessenen Gewinnspannen führen jetzt schon dazu, dass immer mehr Tierhalter die Tierhaltung aufgeben. Zwischen den Jahren 2000 und 2019 ging die Zahl der tierhaltenden Betriebe um 31 Prozent zurück.

Dagegen setzen wir uns ein. Denn die Tierhaltung ist für viele der bayerischen landwirtschaftlichen Betriebe ein wichtiges Standbein und gehört zur Identität Bayerns. Ca. 70 Prozent aller Landwirte betreiben Tierhaltung und erwirtschaften größtenteils ihr Einkommen damit. Wird Tierhaltung weiter reduziert, ist dies oftmals gleichbedeutend mit dem Verlust von Betrieben und würde den Strukturwandel in Bayern weiter beschleunigen.

Heimische Bauernhöfe haben viele Funktionen: Sie bedeuten lebendige Dörfer, wohnortnahe Arbeitsplätze, regionale Lebensmittelerzeugung, Gestaltung unserer Kulturlandschaft mit Grünland und Feldern mit Anbau von eigenem Futtergetreide. Gerade das Grünland ist überwiegend über Tierhaltung nutzbar zu machen und dadurch zu erhalten.

Unerlässlich sind die Tiere insbesondere für möglichst geschlossene Nährstoffkreisläufe. Die Ausscheidungen der Tiere können als Dünger verwertet werden, sichern den Humusgehalt und damit die CO2-Bindung im Boden sowie die Bodenfruchtbarkeit und vermindern den Einsatz von Mineraldüngern, die oftmals importiert und unter hohem Energieaufwand gewonnen werden.

Das Miteinander von Mensch und Tier hat auch einen soziokulturellen Wert, der über Jahrtausende gewachsen ist. Der Umgang mit Tieren macht Freude! Tierhalter stehen ihren Tieren 365 Tage im Jahr zur Verfügung, bei Bedarf auch nachts – dazu gehört schon Herzblut! Mein Wunsch ist daher, dass die gesellschaftliche Wertschätzung nicht nur gegenüber den Nutztieren, sondern auch gegenüber ihren Haltern wächst: Unsere Tierhalter gehen verantwortungsvoll mit allen Ressourcen um, aber insbesondere auch mit ihren Tieren.

Das Mehr an Tierwohl, das gesellschaftlich gefordert wird, ist daher durchaus im Sinne der Landwirte! Die Frage lautet: Wer soll die zusätzlich erforderlichen Leistungen für die höheren Standards bezahlen? Durch die engen Gewinnspannen können viele Landwirte ihre Existenz nur durch höhere Tierzahlen sichern. Da ist finanziell absolut kein Spielraum, den Tieren nennenswert mehr Platz zu geben, Ausläufe zu bauen oder zusätzliche Arbeitskraft in Tierbeschäftigung zu stecken. Wäre das gewünscht, bräuchten Landwirte die passenden Rahmenbedingungen. Aktuell werden wir z. B. auch vom Gesetzgeber durch Bau- und Immissionsschutzrecht beim Ausbau der Ställe – mehr Platz für die Tiere – massiv ausgebremst: In vielen Fällen sind Außenklimaställe oder Ausläufe nicht möglich oder nach derzeitigem Recht nicht genehmigungsfähig.

Ob eine entsprechende Verteuerung der Produkte von der Gesellschaft mitgetragen wird, ist sehr fraglich. Die bekannte Kluft zwischen der Forderung nach Tierwohl und dem dann tatsächlich gezeigten Kaufverhalten hat bereits einen Namen bekommen: „consumer-citizen-gap“. Eine Studie zum Kaufverhalten der Hochschule Osnabrück zeigt dies auch auf wissenschaftlicher Basis.

Aber es gibt auch positive Beispiele, wie trotz aller Schwierigkeiten auch jetzt schon mehr Tierwohl als gesetzlich vorgeschrieben realisiert wird, so als Beispiel die Initiative Tierwohl. Diese Initiative wurde bereits vor Jahren aus freiwilligem Engagement der gesamten Vermarktungskette gegründet: Landwirtschaft, Schlachtbranche und auch Lebensmitteleinzelhandel haben gemeinsam ein transparentes Konzept entwickelt. Die entstehenden Mehrkosten werden entlang der Kette weitergegeben und die Produkte in Zukunft auch als solche gekennzeichnet. Diese Initiative – die Produkte gehören zur Stufe 2 Haltungsformkennzeichnung – läuft auf einer breiten Basis: 6430 Betriebe mit 553 Millionen Tieren sind dabei. In der neuen Programmphase ab Juli 2021: sogar 10.200 Betriebe, davon 7500 Schweinehalter, 2700 Geflügelhalter – man beachte die Steigerung, die vollkommen freiwillig geschieht! Das entspricht bisher schon einem Marktanteil von 80 Prozent des im Lebensmitteleinzelhandel verkauften Geflügels und 34 Prozent des Schweinefleisches.

Gewisse Hoffnung verbinden wir mit der so genannten Borchert-Kommission, einem wesentlichen Baustein im Rahmen der Nutztier-Strategie des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Als ehemaliger Landwirtschaftsminister hat Jochen Borchert die herausfordernde Aufgabe übernommen, möglichst einen Konsens zu einer verlässlichen, langfristigen Perspektive für die Nutztierhaltung herzustellen – und das über alle Parteien hinweg, mit Landwirtschaftsverbänden ebenso wie mit Tierschutz- und Umweltschutzorganisationen. Hier ist eine langfristige Co-Finanzierung eingeplant, die den im europäischen Vergleich überproportionalen Aufwand abfedern und die Wettbewerbsfähigkeit sichern soll.

So soll die Gesellschaft das Gemeingut Tierwohl mittragen. Die Machbarkeitsstudie zeigt aber auch: Sobald das Ordnungsrecht verschärft wird, ist die Co-Finanzierung durch den Staat in Frage gestellt. Ohne diese wird verschärftes Ordnungsrecht die Tierhaltung ins Ausland verlagern. Aber auch Änderungen des Bau- und Immissionsschutzrechts müssen folgen. Die bisher erstellten Kriterien und Anforderungen sind wirklich herausfordernd und erfordern teilweise große Umbaumaßnahmen und damit Investitionen und sind für die Landwirte extrem kostspielig. Aber wenn durch dieses Konzept langfristige Verlässlichkeit und Planungssicherheit für die Landwirte und gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen werden kann und die offenen Fragen geklärt sind, unterstützen wir dies.

Abschließend möchte ich noch einige Zahlen zur bayerischen Landwirtschaft anführen, um die Tragweite zu verdeutlichen:

Der Bayerische Bauernverband vertritt ca. 140.000 freiwillige Mitglieder auf ca. 105.000 landwirtschaftlichen Betrieben. Damit steht bundesweit jeder dritte Bauernhof in Bayern. Die bayerischen Betriebe bewirtschaften durchschnittlich knapp 30 Hektar, was im deutschlandweiten Vergleich relativ klein strukturiert ist. Ca. 1,2 Mio. Menschen sind in der bayerischen Land- und Forstwirtschaft tätig, inkl. vor- und nachgelagertem Bereich.

Für all diese Menschen ist die Herstellung von Lebensmitteln die zentrale Aufgabe, und wir wünschen uns daher als große Branche, als versorgende Basis, für die Zukunft einen Weg, der Perspektive hat. Nachhaltigkeit basiert auf den drei großen Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales! Eine Verlagerung der Produktion ins Ausland gefährdet unsere Betriebe und erweist dem Tier- und Umweltschutz in Deutschland einen Bärendienst. Wir befinden uns ohnehin schon massiv im Umbruch und wünschen uns für die Zukunft wieder mehr Wertschätzung und Anerkennung unserer Arbeit für die Gesellschaft.

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