Erich Garhammer trifft Christoph Ransmayr

Literatur im Gespräch

Im Rahmen der Veranstaltung "Erich Garhammer trifft Christoph Ransmayr", 07.11.2019

© FabrikaCr / iStock

Herzlich willkommen zu dem zweiten Abend in der Reihe „Literatur im Gespräch“. Nachdem uns zur Eröffnung Navid Kermani einen Einblick in sein literarisches Schaffen gewährt hat, haben wir heute Abend – ich darf hier den Superlativ wählen –  den begnadetsten Erzähler der deutschen Gegenwartsliteratur zu Gast: herzlich willkommen Christoph Ransmayr.

Ich bin allerdings in einer misslichen Lage: als Christoph Ransmayr am 28. Mai 2018 im großen Saal des Würth Forums in Künzelsau den Preis für europäische Literatur verliehen bekam, gab es gleich zwei Laudatores: Sigrid Löffler, bekannte Literaturkritikerin und auch eine gute Kennerin des Werkes von Christoph Ransmayr und Claus Peymann, Theaterdirektor von Beruf und im Leben und langjähriger Freund von Christoph Ransmayr.

Peymann nutzte die Gelegenheit für eine Performance – wie könnte er auch anders. Er hatte einfach den Mailverkehr mit Christoph Ransmayr im Vorfeld der Preisverleihung ausgedruckt und las daraus vor. Er ging im Raum auf und ab und warf nach der Verlesung jedes Blatt wie durch einen Briefschlitz auf den Boden – wie ein Postbote, der eine wichtige Nachricht zu überbringen hat.

Wie also bestehen vor diesen Großmeistern ihres Faches?

Ich möchte mich nicht in Konkurrenz zu ihnen begeben, sondern ich wähle einen anderen Weg. Ich werde als Theologe auf Christoph Ransmayrs Werk und auf sein Schreiben blicken, das ist wohl auch für eine Katholische Akademie angemessen.

Es gibt andere Häuser und Institutionen in München, die den literarischen Primat für sich beanspruchen – das Literaturhaus oder auch das jährliche Literaturfest im November. Zu fehlen scheint mir aber die theologische Stimme in diesem Konzert. Das ist nicht Schuld der Literatur, sondern liegt oft am Desinteresse der Theologie, die das Potential der Literatur nicht zu erkennen vermag.

Ja mehr noch, es gibt in der theologischen Tradition sogar so etwas wie ein Erzählverbot, ein Ressentiment gegenüber dem Erzählen: Dogma versus Geschichte(n). Der Theologe Bonaventura hat gar formuliert: „Omnes cognitiones famulant theologiae“ – alle Erkenntnisse haben der Theologie zu dienen und die Theologie dürfe sich nicht den Fabeleien der Literaten hingeben: also famulieren statt fabulieren sei Aufgabe der Theologie.

Heute Abend haben wir den großen Fabulator der Gegenwartsliteratur zu Gast. Ist das eine Grenzüberschreitung?  Keineswegs: es gibt ein großes Vorbild in der frühen Neuzeit mit ähnlichem Blick: Giovanni Boccaccio, der in seinem Decameron deutlich gemacht hat, es gibt nicht nur das Hexameron der Schöpfung, das Sechs Tage Werk Gottes, sondern es gibt auch das Decameron, den zehn Tagesraum der Poesie. Es gibt die Literatur, die alles verwandeln kann.

Literatur als Verwandlung: damit sind wir mitten im Erzählkosmos von Christoph Ransmayr, er verwandelt die Welt durch Erzählen. Dabei ist seine Sprache eine ganz besondere: einer seiner Übersetzer, der Übersetzer ins Italienische, Claudio Groff, hat seine Sprache treffend so charakterisiert: sie sei mineralisch und empathisch, sorgfältig und berührend. Sie werden das heute Abend hoffentlich alle erfahren können.

Ein paar kurze Hinweise auf den Werkkosmos von Christoph Ransmayr seien mir erlaubt: er ist ein Literat, der sich Zeit lässt, deshalb ist sein Werk geprägt von großen Zeitabständen zwischen den einzelnen Büchern. Von seinen Romanen möchte ich nur erwähnen „Die letzte Welt“, erschienen 1988 – Peter Esterhazy stellte damals fest: dieses Werk war wie ein Erdbeben in der deutschsprachigen Literatur und ließ die Frankfurter Buchmesse erbeben, „Morbus Kithahara“ von 1997 und zuletzt „Cox oder der Lauf der Zeit“ (2016).

Dazwischen aber erschienen immer wieder kleinere Formen, Spielformen des Erzählens: etwa „Geständnisse eines Touristen“ oder „Gerede. Elf Ansprachen“ und zuletzt und ganz neu auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse präsentiert „Arznei gegen die Sterblichkeit. Drei Geschichten zum Dank“.  In diesem Band ist auch die Dankrede von Künzelsau abgedruckt, sowie die Dankrede zur Verleihung des Kleist-Preises und des Marie-Luise Fleißer Preises.

Heute Abend liest Christoph Ransmayr aus dem „Atlas eines ängstlichen Mannes“ – es sind 70 Episoden, man könnte auch sagen Mikroromane, in denen Ransmayr Erfahrungen, Erlebnisse und Reiseberichte noch einmal poetisch verdichtet und etwas leistet, was man als ein Gegengift gegen den Morbus Kithahara bezeichnen könnte.

Morbus Kithahara ist eine Augenerkrankung, die Ransmayr selber von einem Arzt an der Wiener Augenklinik diagnostiziert bekam. Sie befällt alle Menschen, die fixiert sind auf ihre Arbeit, auf irgendetwas in ihrem Leben, so dass sie sich buchstäblich ein Loch ins eigene Auge starren. Es kommt zur Blickverfinsterung und in dem Roman „Morbus Kithahara“ leidet eine ganze Gesellschaft an dieser Krankheit.

Der „Atlas eines ängstlichen Mannes“ ist geradezu das Gegengift: es geht um das Sehen, das Sehenkönnen, das Wahrnehmen, es ist der literarische Komplementärwinkel, also nicht nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit wahrzunehmen, sondern Wirklichkeit in ihrer Fülle und in ihren Ambivalenzen. Literatur und Erzählung haben die Fähigkeit diesen Blick wiederherzustellen.

Hier bewegen wir uns geradezu in neutestamentlichem Gefilde: „ich möchte sehen können“, so ruft der blinde Bartimäus. Die Begegnung mit Jesus heilt ihn und der Blinde konnte sehen. Die Pointe der Erzählung ist allerdings kein naturwissenschaftlicher Vorgang, keine Augen OP, sondern eine Blickveränderung. Blicken heißt im griechischen  Text „anablepein“, er konnte aufblicken. Das Wunder war: weg von der Blickstarre zum Blick in die Weite, weg vom Stieren zum Aufschauen, weg also vom „Morbus Kithahara“.

Und ein zweites: häufig ist festgestellt worden, Ransmayr habe sich mit dem „ich sah“ an den Seher von Patmos gehalten, an die johanneische Apokalypse. „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“, so beginnt Kap 21 die Schilderung der kommenden Welt. Das Besondere am Seher von Patmos ist allerdings nicht eine prophetische Vision, sondern seine Lesefähigkeit.

Der Alttestamentler Jürgen Ebach hat sich einmal die Mühe gemacht, den Text von Kapitel 21 so zu gestalten, dass alle Zitate darin kursiv gedruckt waren. Der ganze Text war nun zu Dreiviertel kursiv: der Seher als Leser, das Authentische – eine Collage aus Zitaten, die zu etwas Eigenem geformt wurden, Authentizität ein Amalgam aus Authenti-Zitaten.

Nun ist Christoph Ransmayr kein Zitator des Alten oder Neuen Testaments, aber er ist Gestalter, auch seine Literatur ist akribische Gestaltung, ist sprachliche Mineralogie mit durchaus biblischen Gesteinsproben.

Lieber Herr Ransmayr,

noch einmal herzlich willkommen an der Kath. Akademie. Wir freuen uns auf den Zauber ihrer Lesung, auf das anschließende Gespräch – das auch eine Spielform des Erzählens werden kann – und auf das Signieren der Bücher im Anschluss der Lesung.

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