Für Biene, Schmetterling & Co

Zehn Tipps für mehr Biodiversität daheim und im Betrieb

Im Rahmen der Veranstaltung "Insekten sterben – Faktor Mensch", 23.04.2018

A. H. Segerer

Einleitung

 

Das Insektensterben ist nicht nur in aller Munde und in den Medien präsent – es ist leider traurige Realität. Die Details dazu hat Kollege Dr. Segerer im Vorartikel überzeugend dargelegt. Dieser Beitrag soll dazu anregen, nicht nur darüber zu reden, sondern etwas dagegen zu tun. Er ist in der Überzeugung geschrieben, dass es insbesondere für unsere Insektenfauna (die ganze Artenvielfalt, nicht bloß die Bienen und Schmetterlinge!) nicht zu spät ist. Dazu gleich drei gute Nachrichten vorweg:

Erstens: Insekten haben generell eine hohe Vermehrungskapazität, das heißt: sie legen in der Regel mehrere 100 Eier. Daher ist Einzelentnahme – etwa für wissenschaftliche Zwecke – niemals die Ursache für einen flächenübergreifenden Rückgang, sondern der Grund dafür ist stets in der Beeinträchtigung der Lebensräume und Habitate zu suchen: intensive Agrarindustrie mit Bodenerosion, Überdüngung und Pestizideinsatz, Flächenfraß für Siedlungs- oder Gewerbebau sowie Lichtverschmutzung bei nachtaktiven Arten. Anders herum wird aber auch ein Schuh daraus: Wenn es lokal gelingt, art-entsprechende Rahmenbedingungen wieder herzustellen, dann werden sich die entsprechenden Arten auch wieder einfinden. Die erfolgreiche Re-kolonialisierung durch viele schon verschwundene Arten etwa unserer Fließ- und Stillgewässer nach umfassendem Bau von Kläranlagen und entsprechenden Verboten für Waschmittel-Phosphate und Chemikalien-Einleitung ist ein gutes Beispiel dafür.

Zweitens: Insekten können meist fliegen. Sie sind daher grundsätzlich in der Lage, kleine Oasen in der Agrar- oder Betonwüste auf dem Luftweg zu erreichen. Neben der aktiven Reichweite, die meist auf wenige 100 Meter begrenzt ist, ist hier vor allem die passive Verdriftung durch Wind oder durch menschliche Aktivitäten (blinde Passagiere) zu nennen, die über viele Kilometer hinweg reichen kann. Diese Verdriftung ist natürlich nie gezielt, sondern dem Zufall ausgeliefert, daher ist die Dichte der art-gerechten Oasen ein entscheidender Faktor für den Wiederbesiedelungs- bzw. Ausbreitungserfolg.

Drittens: Insekten sind recht klein, das heißt sie brauchen wenig Platz. Schon ein Balkon, ein Garagendach oder ein Kleingarten, aber auch etwa ein Totholzplatz (siehe unten) ist für viele Arten eine Oase, in der sie überleben und sich vermehren können. Unnötig aber zu sagen, dass mit der Größe der angepassten Fläche auch deren Wirkung steigt, meist sogar deutlich überproportional, da etwaige negative Nachbar-Effekte (Überdüngung, Gifteinsatz) geringer ausfallen.

Diese drei Basisfaktoren lassen sich in einer einfachen, grundsätzlichen Handlungsanleitung zusammenfassen: Niemand kann alles, aber keiner kann nichts! Die folgenden zehn Tipps sind insbesondere für Gartenbesitzer und für Betriebe gedacht, aber auch Kommunen oder Regierungen sind aufgerufen, die damit verbundenen Prinzipien zu fördern und im Rahmen ihrer Zuständigkeit, zum Beispiel Stadtgartenämter und Vorschriften für Kleingartenanlagen, umzusetzen.

 

Zehn Tipps für mehr Biodiversität

 

Tipp 1: Wiese statt Rasen

Nichts liebt die deutsche Seele so sehr wie einen perfekt getrimmten, kurz geschnittenen und unkrautfreien Rasen – ordentlich muss es aussehen im Garten. Nicht umsonst machen die kleinen Mäh-Roboter aktuell hervorragende Umsätze – da hat auch das kleinste Gänseblümchen oder der Löwenzahn keine Chance mehr auf Blüte und Samenbildung – sterilgrün ist die Folge.

Das Paradoxe an der Artenvielfalt: Je weniger Nährstoffe im Boden oder im Wasser, umso mehr Artenvielfalt stellt sich ein. Die ersten beiden Gebote daher gleich vorweg: kein Rasendünger (in der Luft ist Nitrat genug) und kein Rasenmäher (wenn überhaupt dann von Hand und nur ein- bis zweimal pro Jahr). Erfreuen Sie sich an Blüten: Es gibt im Handel genügend einschlägige Samenmischungen für Blütenwiesen, idealerweise aus regionaler Herkunft, entscheidend ist die richtige Auswahl in Bezug auf den Bodentyp (trocken, feucht etc.) und die Sonnenexposition (sonnig – schattig). Und wenn Sie schon nicht den ganzen Garten „opfern” wollen (wer opfert hier eigentlich was?) – selbst ein schmaler Blühstreifen wirkt Wunder, wirkliche Wunder. Und für alle, die fürs Mähen und die Mähgut-Entsorgung zu zahlen haben: Ein großflächiger Magerrasen (das heißt auf einem Boden mit nur wenig Nährstoffen) blüht nicht nur im Vor- und Hochsommer unglaublich schön, sondern muss nur einmal im Jahr (ideal mit Traktorbalken) gemäht werden – und das Mähgut übernehmen mit Freuden die lokalen Naturschützer, die damit weitere Flächen „animpfen”.

 

Tipp 2: Blumen im Garten, auf Balkon und Terrasse

Eigentlich logisch: Je mehr Blumenarten, umso mehr potenzielle Nutznießer-Arten der Insekten. Doch lassen sich die positiven Effekte sogar noch steigern: (1) Für alle Bestäuber (Bienen, Schmetterlinge, viele Käfer, Schwebfliegen) kommt nach der umfangreichen Frühjahrs- und Frühsommerblüte (auch großflächig durch Obstbäume oder Raps) im Hochsommer und Herbst meist die Hungerzeit. Daher sollte man bevorzugt Arten pflegen, die in der zweiten Jahreshälfte blühen, um das Pollen- und Nektarangebot aufrecht zu erhalten. (2) Keine Sorten mit gefüllten Blüten verwenden, sondern solche, die noch richtige Staubgefäße zeigen. Das freut nicht nur die Pollensammler, sondern auch den/die Gärtner/in, denn die (eher ursprünglichen, aber keineswegs weniger schönen) Sorten sind meist auch robuster gegen Schädlinge und Stress als hochgezüchtete gefüllte Varianten.

 

Tipp 3: Bienenhotel

Hier kommt das schon oben Gesagte voll zum Tragen: Platz ist in der kleinsten Hütte und auf dem kleinstes Balkon. Bienenhotels zur gezielten Ansiedelung von Wildbienen – fast 500 (!) Arten davon leben in Deutschland – kann man im Fachhandel erwerben oder aber mit wenig Aufwand selbst bauen (Extratipp: eine tolle Aktion für den Werkunterricht in der Schule). Man kann zusätzlich eine alte Holzkiste mit feuchter, am besten lehmiger Erde füllen und diese dann komplett austrocknen lassen. Die getrocknete Lehmwand wird senkrecht aufgestellt und ist eine wichtige Angebotsergänzung zum Nestbau für die diversen und unterschiedlich großen Löcher in Holz, Bambus oder Schilf. Ist der Standort regen- und windgeschützt, werden sich die kleinen Gäste im Frühjahr bald einstellen.

 

Tipp 4: Blütenhecken statt Thujen oder Scheinzypressen (oder Forsythien)

Die immergrünen (manchmal auch bläulichen oder gelblichen) Thujen oder Scheinzypressen (Gattungen Thuja, Chamaecyparis) erfreuen sich bei (Klein-)Gärtnern großer Begeisterung – wohl weil kaum jemand weiß, wie schädlich diese Neophyten aus Nordamerika sind. Haben sie schon einmal ihre Hecke oder den Boden darunter genauer angesehen? – Da lebt nichts, denn diese Pflanzen sind in allen Teilen hochgradig giftig (für Pflanzung und Rückschnitt sind Handschuhe empfohlen). Einige Wertstoffhöfe sind bereits dazu übergegangen, abgegebenes Material (in größerer Menge) nicht zu kompostieren, sondern zu verbrennen, um Bakterien, Milben, Asseln und Regenwürmer in den Kompostanlagen nicht umzubringen. Zudem sind die Pflanzen als Koniferen Windbestäuber, auch Biene & Co gehen völlig leer aus. Letzteres gilt auch für die aus China stammende Forsythie, die als Hybride kaum Pollen noch Nektar anbietet (Ausnahme: Sorte „Beatrix Farrand”), in der Regel also eine „trockene Oase” darstellt.

Wie schon oben für Wiese und Blumen ausgeführt, so gilt auch hier: Möglichst hohe Artenvielfalt an blühenden, möglichst einheimischen Sträuchern, möglichst mit Blüte im zweiten Halbjahr, keine gefüllten Blüten. Ideal, wenn diese Sträucher dann auch noch Beeren ausbilden, die für viele Insekten wie Vögel über den Herbst und Winter eine zusätzliche Nahrungsquelle sind.

 

Tipp 5: Grüner Parkplatz

Leider ist es noch immer Standard, Parkplätze komplett zu versiegeln, insbesondere rund um Supermärkte, Stadien oder Möbelhäuser eine wesentliche Komponente des Flächenfraßes. Doch man kann Flächen auch gebrauchen, ohne sie zu verbrauchen – das gilt auch oder gerade für Parkplätze. Entscheidend dabei: keine komplette Bodenversiegelung, sondern flächige Versickerungsmöglichkeit für das Regenwasser. Das lässt sich auch bei der kleinsten Parkfläche mit lockerem Pflaster, noch besser mit Rasengittersteinen bewerkstelligen, die direkt mit robusten Grassorten begrünt werden können. Damit wird dem Bodenleben eine Chance eingeräumt.

Noch effektiver ist der grüne Parkplatz, wenn zwischen den Parkreihen Blüh(!)Strauchreihen oder Laub(!)Bäume gepflanzt werden. Diese verholzten Gewächse erhalten dann genug Wasser im gesamten Wurzelbereich – der übrigens mindestens so groß wie der Kronenbereich ist. Sie werden staunen, wie schnell diese Schattenspender dann wachsen können. In der Tat ist ein solcher grüner Parkplatz (als offiziell verbaute Fläche) ökologisch gesehen erheblich wertvoller und hat erheblich mehr Artenvielfalt aufzuweisen als etwa ein Maisacker (als offizielles Grünland).

 

Tipp 6: Dachtrockengarten

Fast jedes Flachdach (bis 30% Neigung), ob groß (80% der Gebäude in Gewerbegebieten) oder klein (Garage), eignet sich potenziell für eine Trockenbepflanzung. Im Vergleich mit der üblichen Grobkiesbeschwerung (gegen Hebung bei starkem Wind) hat diese Trockenbepflanzung (ideal sind diverse Arten des Mauerpfeffers Sedum, aber auch etwa Kartäuser-Nelke Dianthus oder Sandthymian Thymus) mit ca. 10 cm Erdauflage gleich mehrere Vorteile: (a) Es sieht viel schöner aus und blüht mindestens das halbe Jahr. (b) Das Dach selbst ist dadurch weit besser isoliert. (c) Bei Neigung ist die Schneebrettgefahr erheblich herabgesetzt. (d) Durch die dunkle Farbe schmilzt der Schnee schneller.

Die Pflegemaßnahmen halten sich dem gegenüber in engen Grenzen: Gießen ist unnötig! Einmal pro Jahr sind aufgegangene Baum- und Strauchsamen zu entfernen.

 

Tipp 7: Wandbegrünung

Was für das Dach gut ist, ist auch für kahle Betonwände eine Option. Leider kommen nur wenige Pflanzen ohne spezielle Kletterhilfe zurecht: In sonnigen Lagen schafft eine Begrünung durch Wilden Wein (Veitschie, Parthenocissus) oder Efeu (Hedera) nicht nur optisch eine Oase, sondern ist auch wichtige Nahrungsquelle (Pollen, Nektar, Beeren), Versteckmöglichkeit für zahllose Insekten und andere Kleinsttiere, aber auch Nistgelegenheit für Singvögel. In Schattenlagen kommt meist nur Efeu in Frage, der dann aber meist keine Lichttriebe mit Blüten hervorbringt. Insbesondere in Innenhöfen hat eine solche Wandbegrünung darüber hinaus einen sehr positiven Einfluss (weniger Hitze, höhere Luftfeuchtigkeit, weniger Feinstaub) auf das Raumklima.

Für Leute mit größerer Geldbörse eignen sich natürlich auch alle Varianten künstlicher Wandbegrünung, die von der Gartenindustrie angeboten werden.

 

Tipp 8: Das „schlampige” Eck

Zugegeben: Unaufgeräumte Ecken widersprechen dem deutschen Ordnungsbedürfnis zutiefst. Trotzdem das Plädoyer für ein „schlampiges Eck” im Garten oder im Betrieb – ganz hinten und versteckt, wo es keiner sieht. Grobe, große Holzabfälle (Wurzelstöcke, Stammstücke), Zweige und Laub bilden den Kern eines faszinierenden Mikrokosmos, der über die Jahre hinweg unglaublich viele Tier- aber auch Pilzarten, die sogenannten „Totholzbewohner” beherbergen kann – viele davon haben Sie sicherlich noch nie gesehen. Bei entsprechender Umgebung (Hecke, Waldrand) und Ruhe finden sich in Sonnenlagen selbst Zauneidechse und Ringelnatter ganz regelmäßig, im Winter hat der Igel ein hervorragendes Winterschlafquartier. Der Begriff „konstruktive Faulheit” (man spart ja die Entsorgung der Gartenabfälle) bekommt hier eine ganz neue Dimension.

 

Tipp 9: Vermeiden von Lichtfallen

Nachtbeleuchtung aller Art wird für viele nachtaktive Insekten, insbesondere für die weit umherschwärmenden Nachtschmetterlinge zur Todesfalle – mehrere tausend Opfer pro Lampe und Saison sind keine Seltenheit. Dagegen lässt sich einiges tun:

(1) Die wichtigste Maßnahme zuerst: das Licht in der Nacht nur dann einschalten, wenn es wirklich gebraucht wird. Zeitschaltuhren oder sensible Bewegungsmelder sind die besten Waffen gegen den Insektentod an der Lichtfalle – und sie sparen auch gleich Strom dabei.

(2) Auch die Lichtfarbe spielt eine bedeutende Rolle: Vermeiden Sie das bläuliche Licht von Quecksilber-Dampflampen, sondern bevorzugen Sie das gelblich warme Lichtspektrum der Natrium-Dampflampen – es ist für Nachtinsekten, die im Rotbereich des Lichts nur schlecht bis gar nicht sehen können, weit weniger attraktiv.

(3) Entsprechende Reflektoren nach unten sorgen schließlich dafür, dass das Licht nur dorthin strahlt, wo es wirklich gebraucht wird – am Boden, nicht gegen den Himmel.

 

Tipp 10: Tue Gutes und rede darüber

Ja, alle genannten Tipps mögen als Tropfen auf den heißen Stein empfunden werden; aber viele Tropfen höhlen bekanntlich den Stein und füllen den Eimer. Es ist daher von essenzieller Bedeutung, dass Sie die getroffen Maßnahmen, welche immer es auch sein mögen, möglichst vielen Personen bekannt machen und zur Nachahmung anregen. Je nach Möglichkeit und Sinnhaftigkeit kann das durch Plakate, Mitarbeiter-Infos oder über die persönliche oder betriebliche Webseite erfolgen.

 

Epilog

 

Bezogen auf den finanziellen Aufwand der hier angeregten Maßnahmen hat sich herausgestellt, dass es insbesondere bei Neuanlagen von Gärten, Grünanlagen, Parkplätzen oder Dächern kaum zu Teuerungen kommt. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Bewahrung von unberührter Natur, welcher Art auch immer, 200 bis 500mal billiger kommt, als sie wiederherzustellen. Die hier vorgestellten Anregungen sollen daher keinesfalls so interpretiert werden, dass der klassische Natur- und Biotopschutz dadurch überflüssig wird.

Last but not least möchte ich darauf verweisen, dass gerade Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato sí die Bewahrung der Schöpfung als urchristliches Anliegen betont hat. Die Erde ist „ein von der Liebe des himmlischen Vaters erhaltenes Geschenk“, mit dem sorgsam umzugehen ist. Dieses Geschenk Gottes zu erhalten und zu bewahren, Beschädigungen wieder zu reparieren, um sich daran dauerhaft wieder zu erfreuen, es zu gebrauchen ohne es zu verbrauchen, das ist das Ziel dieses Artikels.

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