Die Immuntherapie von Krebserkrankungen hat die bisher etablierten Therapiekonzepte revolutioniert. Die Immuntherapie ist inzwischen eine feste Säule in der Therapie von Krebserkrankungen geworden. Die enormen Entwicklungen in der Immuntherapie werden in der stark steigenden Anzahl von Publikationen in diesem Bereich reflektiert. Insbesondere in der Therapie von soliden Malignomen, unter anderem dem schwarzen Hautkrebs (Malignes Melanom) und dem Lungenkrebs, haben sich die Therapiealgorithmen komplett verändert. Ich möchte im Folgenden ausschließlich auf die Entwicklungen der Immuntherapie im Bereich der Hämatologie eingehen.
Die Fortschritte in diesem Bereich basieren auf über 50 Jahren immuntherapeutischer Erfahrung. Die allogene Blutstammzelltransplantation (oder auch Knochenmarktransplantation) zur Therapie von akuten Leukämien ist eine der ältesten und erfolgreichsten Immuntherapien im Bereich der Krebstherapie. Die Transplantation basiert auf der Übertragung eines fremden Blut- und Immunsystems in den erkrankten Leukämiepatienten, das die Vernichtung von übriggebliebenen Leukämiezellen ermöglicht. Es handelt sich um eine klassische Immuntherapie, in der die T-Zellen („T-Lymphozyten“) die Leukämiezellen töten können. Die aktuellen Entwicklungen basieren mehrheitlich auf der Potenz der T-Zellen in der Eliminierung von Krebszellen.
Ich werde Ihnen verschiedene Therapieplattformen vorstellen und jeweils eine hämatologische Erkrankung und ein bereits in der Welt zugelassenes Medikament vorstellen. Ich hoffe, Ihnen damit zum einen Therapieprinzipien und zum anderen die Zulassung von neuen immuntherapeutischen Medikamenten vorzustellen. Allen Therapieprinzipien ist gemeinsam, dass das ausführende Organ die T-Zelle ist, also die Therapie darauf abzielt, die T-Zellen des Patienten gegen den Tumor zu richten. Die verschiedenen Therapieplattformen bedienen sich hier unterschiedlicher Mechanismen, um dies umzusetzen. Grundsätzlich ist vorstellbar, dass in der Zukunft auch verschiedene Therapiemodalitäten kombiniert werden.
„Checkpoint“- inhibierende Antikörper
Professor Endres hat Ihnen bereits den Wirkmechanismus der sogenannten „Checkpoint“-inhibierenden Antikörpern vorgestellt. Diese Antikörper blockieren ein inhibierendes Signal auf der Tumorzelle, das in der Lage ist, Immunantworten gegen den Tumor abzustellen. Diese Antikörper lösen also die Bremse des Immunsystems. Im Bereich der Hämatologie wurden Ende 2016 und Mitte 2017 zwei „Checkpoint“-inhibierende Antikörper für die Therapie des Morbus Hodgkin zugelassen.
Beim Morbus Hodgkin, einer bestimmte Form von Lymphdrüsenkrebs, ist die Besonderheit, dass fast 100 Prozent der Lymphomzellen das Checkpoint Molekül PD-L1 auf der Oberfläche exprimieren. In den bisherigen Studien wurden die Antikörper Pembrolizumab und Nivolumab, beides Antikörper, welche die Interaktion von PD-L1 auf Lymphomzellen und PD-1 auf T-Zellen inhibieren, bei weit fortgeschrittenem Morbus Hodgkin geprüft. Die isolierte Therapie mit diesen Antikörpern führte bei über 80 Prozent der Patienten zu einer Stabilisierung der Erkrankung, das heißt die Tumoren verschwanden komplett, wurden kleiner oder waren zu mindestens stabil in der Größe. Im Vergleich zu einer Chemotherapie war das Ansprechen signifikant besser, sodass beide Antikörper die Zulassung für den rezidivierten bzw. refraktären Morbus Hodgkin erhalten haben.
Wie in vielen onkologischen Bereichen, werden neue Therapiekonzepte erst bei Patienten mit weit fortgeschrittenen Erkrankungen geprüft. Es wird natürlich spannend sein zu sehen, in wieweit diese Antikörper zu einem früheren Zeitpunkt im Erkrankungsverlauf noch bessere Therapieergebnisse erzielen können. Hierzu laufen aktuell Studien weltweit. Auch an unserem Zentrum in Großhadern, in der Medizinischen Klinik und Poliklinik III, schließen wir aktuell Patienten mit Morbus Hodgkin in Studien ein (siehe http:// www.cccmstudienregister.de/trials?utf8=✓&search4=Med3&status_id=2& choose_orga=kum).
Therapeutische Vakzinierung
Ein weiterer und gegebenenfalls komplementärer Ansatz zur Aktivierung von Tumor-spezifischen T-Zellen ist die Impfung. Prophylaktische Impfungen sind eine Erfolgsgeschichte in der Medizin und können sehr effizient Immunantworten induzieren, sodass Kinder und Erwachsene nicht an spezifischen Infektionen erkranken, zum Beispiel Tetanusimpfung oder Masernimpfung. Hierbei handelt es sich um prophylaktische Impfungen gegen Infektionen. Da bestimmte Infektionen das Krebsrisiko erhöhen können, gibt es inzwischen auch Impfungen gegen Erreger, die mit Krebserkrankungen vergesellschaftet sind, zum Beispiel Hepatitis B oder Papillomavirus.
Therapeutische Impfungen sind Impfungen, die nach Auftreten einer Krebserkrankung appliziert werden, um das Wiederauftreten der Erkrankung zu verhindern oder eine bestehende Erkrankung zu bekämpfen. Insbesondere für Tumore, bei denen keine Immunantwort vorhanden ist, ist eine Impfung eine Möglichkeit, diese zu induzieren. Wie diese Impfung aussehen muss, ist nicht generell beantwortet und Gegenstand der aktuellen Forschung. Das heißt, welches Protein, mit welchem Hilfsstoff, in welchem Zeitabstand appliziert werden muss, ist insbesondere für die verschiedenen Tumorerkrankungen noch nicht ausreichend beantwortet. Am Klinikum Großhadern führen wir aktuell eine Phase-I/II-Studie durch, die einen neuen immuntherapeutischen Impfstoff gegen die Aktue Myeloische Leukämie (AML) testet. Die AML gehört zu den gefährlichsten Leukämie-Erkrankungen überhaupt. Häufig bricht die Erkrankung ein bis zwei Jahre nach der initialen Behandlung erneut aus, weil mit der Chemotherapie nicht alle Leukämiezellen zerstört werden konnten. Helfen könnte ein therapeutischer Impfstoff, mit dem die T-Zellen des patienteneigenen Immunsystems gegen Oberflächenstrukturen der Leukämiezellen scharfgemacht werden, damit sie den Rest der gefährlichen Tumorzellen aufspüren und eliminieren können.
Basis des Impfstoffs sind die dendritischen Zellen. Diese Immunzellen sind darauf spezialisiert, die T-Zellen zielgenau gegen Tumorzellen auszurichten, indem sie ihnen charakteristische Eiweißbausteine auf ihrer Oberfläche präsentieren. Die im Impfstoff enthaltenen dendritischen Zellen sind jedoch in einer Zellkultur gereift, hervorgegangen aus anderen Immunzellen (Monozyten), die zuvor aus dem Blut des Patienten entnommen wurden. Mithilfe eines bestimmten Erbmoleküls, das in die reifen Zellen geschleust wird, produzieren die dendritischen Zellen ein Protein, das auf der Oberfläche der AML-Zellen zu finden ist – und das sie nach erfolgter Impfung im Körper des Patienten nun den T-Zellen präsentieren können.
Treffen die T-Zellen jetzt auf Leukämiezellen, erkennen sie diese an ihrer Molekülstruktur und zerstören diese. Weitere Studien werden nötig sein, um die Wirksamkeit in einem größeren Patientenkollektiv zu prüfen. Interessant ist die Kombination von therapeutischen Impfstoffen mit Checkpointmolekülen, die neu induzierte Immunantworten verstärken könnten. Hier ist noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten, aber erste Daten zeigen, dass die Kombination aus Impfstoff und Checkpoint-Antikörpern großes Potenzial haben. Dies konnte bereits in sehr kleinen Fallstudien bei Patienten mit malignem Melanom gezeigt werden. (http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Medizinische-Klinik-und-Poliklinik-III/download/inhalt/oa/Auszug-KUM-Jahresbericht_2014_CCC-p18-23.pdf)
T-Zellrekrutierende Antikörper
Bispecific T cell engagers (BiTE) sind 50 kDa große Konstrukte, bestehend aus zwei variablen Fragmenten (single chain Fv) unterschiedlicher Spezifität, die durch einen kurzen Peptidlinker miteinander verbunden sind. Eines der beiden Fragmente ist gegen CD3e im T-Zellrezeptorkomplex, und das andere gegen ein tumorassoziiertes Zielantigen gerichtet. Die Bindung an CD3 bewirkt eine T-Zellaktivierung und T-Zell-vermittelte Zytotoxizität der Zielzelle. Diese Antikörperkonstrukte, die von vielen pharmazeutischen Unternehmen in unterschiedlichen Varianten hergestellt werden, dienen quasi als Adaptormoleküle zwischen T-Zelle und Krebszelle. Die Weiterentwicklungen in der industriellen Herstellung von Antikörpermolekülen ermöglicht es heutzutage, neuartige Proteine zu generieren, die zweiarmig oder mehrarmig verschiedene Zellpopulationen zusammenbringen. Der Erfolg dieses Konzeptes wurde bereits klinisch für die akute lymphatische Leukämie (ALL) mit Blinatumomab (CD19/CD3) umgesetzt.
Zur Zulassung von Blinatumomab 2014 in den USA führten vor allem die Ergebnisse der Phase-II-Studie bei Patienten mit rezidivierter/refraktärer B-Vorläufer ALL. Hier erreichten 43 Prozent der Patienten eine komplette Remission nach zwei Zyklen. Auch in Europa hat die EMA im September 2015 diesen Antikörper zugelassen. Inzwischen liegen Daten der Phase-III-Studie TOWER zur Behandlung der Ph-negativen r/r-ALL vor. In dieser Studie wurde die Therapie mit Blinatumomab versus Standardtherapie untersucht. Die Daten bestätigten die Ergebnisse der Phase-II-Studie: Die Ansprechrate lag unter Blinatumomab bei 42 Prozent. Neben der neuen Therapieoption für diese seltene Erkrankung eröffnet dieser Antikörper die Weiterentwicklung einer neuen Therapieplattform. Weitere Studien werden prüfen, ob ein früherer Einsatz noch bessere Ergebnisse erzielen kann.
Die Übertragung dieser Therapiemodalität auf andere Krebserkrankungen wird aktuell in klinischen Studien geprüft. Die Schwierigkeit liegt hier insbesondere in der Auswahl der Zielstruktur auf der Krebszelle: Die meisten Zielproteine auf Krebszellen sind „Linien“-spezifisch, das heißt sind sowohl auf Krebszellen als auch auf gesunden Zellen vorhanden. Im Falle der Akuten Lymphatischen Leukämie und auch bei den Lymphomen ist die Zielstruktur CD19 – und die erfolgreiche Immuntherapie führt zur Vernichtung von Leukämie/Lymphommzellen und gesunden B-Zellen. Wir können allerdings relativ gut ohne B-Zellen leben – das ist bei anderen Zielmolekülen häufig nicht gegeben. Etwa eine Zielstruktur beim Darmkrebs, die auch auf gesunden Darmzellen vorhanden ist, kann zu einer großen Toxizität führen. Daher ist aktuell ein wichtiger Bestandteil der Forschung die Identifizierung von geeigneten Zielstrukturen bei den verschiedenen Tumorentitäten. In der Medizinischen Klinik III werden aktuell Studien mit verschiedenen T-Zellrekrutierenden Antikörpern bei der ALL und AML durchgeführt (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4288407/).
Chimäre Antigenrezeptor T-Zellen
T-Zellrekrutierende Antikörper benötigen funktionierende T-Zellen, die durch die „Adaptor- Moleküle“ oder Antikörperkonstrukte zur Tumorzelle rekrutiert werden. Falls diese T-Zellen erschöpft sind und nicht mehr funktionieren, zum Beispiel bei weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen, können Chimäre Antigen Rezeptor T-Zellen (CAR T) eine alternative Möglichkeit sein. Wie bereits im Abschnitt zuvor vorgestellt, basieren bispezifische, T-Zell-rekrutierende Antikörperkonstrukte auf der (Re-) Aktivierung von endogenen T-Zellen. Ein alternativer Ansatz ist die Generierung von Chimären Antigen Rezeptor T-Zellen (CAR T), die an der Oberfläche eine Antigen-bindende Domäne und intrazellulär eine Signaldomäne des T-Zellrezeptorkomplexes vereinen.
Die intrazelluläre Signalkomponente besteht in den meisten Fällen aus den Domänen CD28 oder 4-IBB und CD3zeta. Nicht antigen-spezifische T-Zellen aus dem peripheren Blut können damit über Einbau und Expression des Gens für einen chimären Antigenrezeptor tumorspezifisch gemacht werden. Für die klinische Anwendung werden dem Patienten autologe T-Zellen mittels einer „Blutwäsche“ (Leukapherese) entnommen, im Labor gentechnisch mittels retro- oder lentiviralem Gentransfer transduziert und nach Expansion reinfundiert. Der Patient erhält vor der Rückgabe eine lymphodepletierende Chemotherapie, zum Beispiel Cyclophosphamid und/oder Fludarabin, um die homöostatische Expansion der adoptiv transferierten T-Zellen zu propagieren. Trifft die Rezeptor-exprimierende T-Zelle auf das von ihm erkannte Antigen, so wird die T-Zelle analog der normalen T-Zellrezeptor-vermittelten Antwort aktiviert und die Antigen-tragende Zelle getötet.
Die bislang am weitesten klinisch fortgeschrittene Zielstruktur ist CD19, ein B-Zellantigen, das auf den meisten B-Zellneoplasien exprimiert wird. In den bisher publizierten klinischen Studien mit CAR-T-Zellen wurden in erster Linie Patienten mit weit fortgeschrittenen CD19-positiven Leukämien und B-Zell-Lymphomen therapiert. Den Studien gemeinsam ist eine hohe Ansprechrate (30 bis 90 Prozent) bei zum Teil stark vortherapierten Patienten. Für die r/r-ALL wurden bisher Ergebnisse von insgesamt mehr als 200 Patienten berichtet. Die Ansprechraten betrugen in allen Studien über 70 Prozent. Das mediane Überleben in den verschiedenen Studien lag bei 13 bis 16 Monaten.
Im September 2017 wurde die erste CAR T-Zelltherapie in den USA für die rezidivierte/refraktäre Akute Lymphatische Leukämie zugelassen für Patienten bis 26 Jahren. Es wird erwartet, dass weitere Zulassungen bei dieser Erkrankung aber auch bei den aggressiven Lymphomen folgen werden. Leider sind die Entwicklungen in Europa noch nicht so weit, und es werden hoffentlich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten einige Studien aktiviert. Für die Akute Lymphatische Leukämie haben sich somit verschiedene neue Therapiemöglichkeiten ergeben, die hoffentlich noch so weiterentwickelt werden, dass sich die Heilungsraten noch weiter verbessern.
Außerdem sind diese Therapieerfolge Beispiele für neue Therapieformen, die hoffentlich auch auf andere Tumorentitäten übertragbar sind. Allerdings ist dieser Fortschritt von einer signifikanten Kostensteigerung begleitet. Für die Therapie von Tumorpatienten wurden 2013 mit den drei am häufigsten eingesetzten Antikörpern (Rituximab, Bevacizumab und Trastuzumab) weltweit 21,79 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Die neu zugelassene CAR T Zelltherapie für die ALL wird aktuell mit 475.000 US Dollar vergütet.