Sie sind heute hier, verehrte Gäste, aus zwei Gründen: es ist Interesse, Neugier an der Wissenschaft, speziell an der Immunologie und Medizin, vielleicht aber auch, dass ein Mensch in Ihrer Familie an einer Tumorerkrankung leidet oder gelitten hat oder gar Sie selbst diese Diagnose einmal hatten, was ich am allerwenigsten hoffe. Vor diesem Hintergrund will ich Ihnen einen sachlichen Überblick geben über dieses Gebiet, der zum einen auf dem Boden der Tatsachen bleibt, zum anderen aber auch für Sie das Verständnis gibt, woher doch die Begeisterung und der Hype für diese neue Therapieform kommt.
Ich will den Vortrag in drei Teile gliedern: ich werde Ihnen die Modalitäten der Tumorimmuntherapie vorstellen, ich werde Ihnen Forschungsschwerpunkte unserer eigenen Abteilung zusammenfassen und ich werde mit einem Ausblick und aktuellen Themen enden.
Modalitäten der Tumorimmuntherapie
Bevor ich zur Immuntherapie komme, ist es mir ein Anliegen, Ihnen darzulegen, dass die klassischen Tumortherapien weiterhin von ganz großer Bedeutung sind. Was sind die klassischen Tumortherapien, mit denen wir arbeiten? Es gibt sie seit ziemlich genau dem Anfang des letzten Jahrhunderts.
Das sind die Chirurgie, die Bestrahlung und die Chemotherapie. Das sind die drei großen Säulen der konventionellen Tumortherapie, mit denen wir auch Tumoren heilen können. Ich habe selbst in meiner unmittelbaren Umgebung zwei ärztliche Kollegen, die beide die Diagnose eines bösartigen Hodgkin-Tumors hatten. Die sind vor Jahren behandelt worden mit Bestrahlung und Chemotherapie; seit 20 und seit 40 Jahren haben beide nichts mehr von dieser Krankheit gehört, sie sind geheilt, obwohl dies früher eine tödliche Krankheit war. Also, behalten Sie im Hinterkopf, die Tumor-Immuntherapie ist spannend, aber sie ist nur ein Baustein in einem wirklich eindrucksvollen Armamentarium, das wir seit Jahrzehnten einsetzen.
Seit 2000 kommen drei neue Bereiche dazu: Das eine sind die sogenannten zielgerichteten Therapien; das sind Wirkstoffe, die man als Tablette einnehmen kann und die Schlüsselenzyme von Tumorzellen hemmen. Es sind die Antitumor-Antikörper, die direkt an den Tumorzellen angreifen und von denen mittlerweile bereits 20 auf dem Markt sind und eingesetzt werden; und es ist schließlich – und das ist unser Thema heute – die Immuntherapie von Tumoren im engeren Sinne, die ich Ihnen heute gerne vorstellen werde.
Jedes Jahr gibt die Fachzeitung Science den wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres bekannt, das ist z. B. die Entdeckung eines neuen Planeten oder eines neuen Elementarteilchens. Vor vier Jahren hat Science entschieden: der Durchbruch des Jahres – nicht nur der Medizin, sondern der Wissenschaften insgesamt – ist die Tumorimmuntherapie; und ganz besonders wurde dabei herausgestellt die „T-Zellen on the attack“, beim Attackieren des Tumors.
Dem zugrunde liegt ein Paradigmenwechsel, der sich durch dieses ganze Thema durchziehen wird. Bei allen konventionellen Therapien haben wir die Tumorzelle selbst angegriffen, z. B. mit Zellgiften oder mit Antikörpern. Aber auch die Bestrahlung zielt direkt auf die Tumorzelle. Und auch der Chirurg mit seinem Skalpell zielt direkt auf die Tumorzelle. Jetzt kommt ein ganz neues Prinzip, ein neues Paradigma: nicht mehr die Tumorzelle ist das Ziel, sondern die Immunzelle muss aktiviert werden. Das heißt der Antikörper richtet sich auf die Immunzelle des Körpers und erst dadurch – durch seine Wirkung – wird das eigene Immunsystem aktiviert.
Was ist überhaupt Tumorimmuntherapie?
Da möchte ich Sie zu einem kurzen Ausflug in die Immunbiologie unseres Organismus nehmen. Unser Organismus ist in der Lage, Zellen abzutöten. Er muss dies machen bei Virusinfektionen; er muss dies sogar machen in der Embryonalentwicklung und er muss dies machen bei entarteten Zellen. Die Prinzipien sind sehr einfach: es gibt Effektorzellen, die diese Tumorzellabtötung ausüben. Diese wiederum brauchen Hilfe von anderen Zellen, das sind z. B. sogenannte Antigen präsentierende Zellen, die den Effektorzellen helfen. Es gibt aber auch eine andere Gruppe von Zellen, sozusagen „die Bremser“, die die Effektorzellen im Zaum halten. Wenn es die nicht gäbe, würden wir ständig an einer den ganzen Körper befallenden Entzündung – Inflammation – leiden.
Das ist das zellbiologische System, mit dem unser Körper Tumorzellen von sich aus schon erkennen und töten kann. Dieses System können wir an mehreren Schaltstellen unterstützen. Wo sind diese Schaltstellen?
Zum einen können wir die Helferzellen aktivieren, z. B. mit doppelsträngiger Nukleinsäure. Wir können Antikörper geben, die direkt Tumorzellen erkennen. Es gibt neuerdings auch besondere Antikörper, sogenannte bispezifische Antikörper, die haben vier Arme, diese können die Leukozyten, genauer gesagt die T-Zelle, mit der Tumorzelle vernetzen. Wir können das Gegenteil machen, das sind Antikörper, die nicht auf die Tumorzelle gehen, sondern das sind Antikörper, die die hemmenden Zellen wiederum in Schach halten – also „minus und minus ergibt plus“. Damit ermöglichen diese Antikörper den körpereigenen „guten Zellen“ wieder ihr Werk. Und wir können kleine Moleküle geben, Peptide in Art einer Impfung, um die T-Zellen zu aktivieren. Das sind neue, aber relativ überschaubare Therapieformen.
Viel anspruchsvoller ist, wenn wir nicht mehr Moleküle geben, sondern die Zellen selbst ersetzen. Wir können dendritische Zellen geben und wir können auch T-Zellen selbst vom Patienten entnehmen, umprogrammieren und wieder zurückgeben.
Das ist die Übersicht über die Grundprinzipien der Tumorimmuntherapie, hier nochmal zusammengefasst in fünf Klassen. Zum einen ist es die Immunstimulation, z. B. durch doppelsträngige Nukleinsäuren; es sind Antikörper, entweder konventionell oder mit vier Armen, also bispezifisch, die die Tumorzelle erkennen; es sind – und das wird ein wichtiges Thema heute Abend sein – die Checkpoint-Inhibitoren, das sind Antikörper, die diese bremsenden Zellen in Schach halten, abhalten. Dann gibt es Vakzinierungen, und als fünfte große Gruppe die zellbasierten Therapien. Das sind die fünf Formen der Immuntherapie von Tumoren; andere Formen gibt es nicht.
Sind sie bereits verfügbar, kann der Arzt sie bereits einsetzen? Das unterscheidet sich je nach Klasse und ich habe Ihnen dies zusammengestellt: diese Klasse 1, die Immunstimulation: da gibt es tatsächlich schon seit zwei Jahrzehnten Interleukine und Interferone. Das sind Immunmoleküle, Eiweißproteine, die auch Fieber verursachen und die unspezifisch die Immunabwehr stärken. Dann sind es die Tumorantikörper, die seit 20 Jahren sehr erfolgreich auf dem Markt und in der Therapie sind und ganz neu die spezifischen Antikörper. Die dritte Gruppe sind die Checkpoint-Inhibitoren, die haben komplizierte Namen wie z. Bsp. Ipilimumap; das Wichtige ist, sie sind eben alle gegen diese Oberflächenmoleküle auf den T-Zellen (und nicht auf den Tumorzellen) gerichtet. Diese Checkpoint-Inhibitoren sind zugelassen und dies ist tatsächlich der Grund, warum Immuntherapie derzeit in aller Munde ist. Dann gibt es die Vakzinierung und die zellbasierten Therapien, die beide in Entwicklung sind, aber beide, weder in USA noch in Europa, zugelassene Medikamente oder Therapien für Patienten sind.
Was ist die geschichtliche Entwicklung der Tumorimmuntherapie?
Diese Entwicklung ist nicht neu, sondern sie geht tatsächlich zurück über 100 Jahre, als zum ersten Mal die Idee einer Tumorvakzinierung kam. Über lange Zeit gab es einen Enthusiasmus, man könne relativ schnell mit Immuntherapien Tumoren behandeln. Dann kam aber eine Phase des Skeptizismus, da war man ernüchtert und hat gesehen, dass z. B. Interferon alpha nur einen geringen Nutzen für den Patienten hat, aber doch mit schweren Nebenwirkungen einhergeht. Trotzdem war das eine wichtige Phase, weil in dieser Zeit die Immunologie wichtige Moleküle erstmals entdeckt hat, die heute Zielmoleküle der Tumorimmuntherapie sind.
Und heute sind wir in der sogenannten Renaissance-Phase. Ein wichtiges Datum ist hier 1997, als zum ersten Mal ein Antikörper zur Therapie einer Tumorerkrankung, hier ein Lymphknotenkrebs, zugelassen wurde. Und vor sechs Jahren wurde zum ersten Mal ein aus der Klasse der Checkpoint-Inhibitoren ein Medikament zugelassen.
Die adoptive T-Zelltherapie ist methodisch sehr anspruchsvoll, weil man eben Zellen vom Patienten entnimmt, verarbeitet und zurückgibt. Aber für einige Indikationen wird dies eine Therapie sein.
Eigene Forschungsprojekte
Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen drei Beispiele unserer eigenen Forschungsarbeiten vorstellen. Die T-Zelle steht im Mittelpunkt mehrerer neuer Strategien. Warum heißt die T-Zelle so? Es ist eine spezielle Population von weißen Blutkörperchen, die im Thymus, in unserer Thymusdrüse programmiert werden und erst zu dem ausgebildet werden, was sie sind. Daher kommt die Abkürzung T-Zelle, von Thymus hergeleitete Lymphozyt.
Egal, ob wir die T-Zellen selbst geben oder ob wir bispezifische Antikörper geben: die Aktivität der T-Zelle steht tatsächlich im Mittelpunkt vieler dieser neuen Immuntherapien. Bei der adoptiven T-Zelltherapie werden T-Zellen vom Patienten aus dem peripheren Blut, also aus seinem Venenblut entnommen, dann werden sie in vitro, im Labor, wie in einer Blutbank, gezüchtet, werden vermehrt, werden genetisch verändert, es wird ein neuer Rezeptor implantiert, der speziell den Tumor des Patienten erkennt, und dann werden die Zellen den Patienten zurückgegeben. Also extrem aufwändig – aber wir versuchen, damit der Natur auf die Beine zu helfen. Grundsätzlich gibt es immer einen Wettlauf von Tumorzellen mit Immunzellen. Die Tumorzellen sind in der Lage zu proliferieren, oft Epithelzellen. Erfreulicherweise haben wir selbst T-Zellen und sogar verschiedene Arten von Effektorzellen, die Tumorzellen erkennen und bekämpfen können. Es gibt allerdings mehrere Hürden, damit dieser Wettlauf von den T-Zellen gewonnen werden kann. Die erste Hürde ist, die T-Zelle muss überhaupt erst in den Tumor kommen und diesen Tumor erkennen.
Manchmal reicht diese Erkennung nicht, um die T-Zelle zur Tumorzelle zu bringen; deswegen hatten wir ein Projekt, wo wir nicht nur die T-Zellen gegeben haben, sondern zusätzlich einen bispezifischen Antikörper, das heißt einen Antikörper mit vier Armen: mit zwei Armen erkennt er die T-Zelle und mit den anderen zwei Armen erkennt er die Tumorzelle. Er bringt damit die T-Zelle, die den Tumor bekämpft, näher an die Tumorzelle hin.
Ziel ist es, dass diese T-Zellen die Tumorzelle nicht nur erkennen, sondern, dass sie sich auch anheften und dann ihre giftigen Enzyme in die Tumorzelle injizieren.
Ausblick
Die neuen Tumorimmuntherapien sind bei einer stetig zunehmenden Zahl von Tumoren zugelassen. Ziel muss es sein, nicht nur das sogenannte mediane Überleben zu verlängern – also den Zeitraum ab Therapiebeginn, nach dessen Ablauf die Hälfte der Patienten noch lebt –, sondern auch, den Anteil der Patienten mit Langzeitüberleben zu steigern. Bei der Wirksamkeit der neuen Immuntherapien ist auch das neue und teils schwere Nebenwirkungsspektrum zu beachten. Dies erfordert eine Behandlung in spezialisierten Zentren und Praxen. Zu entscheiden, wann und wie die sehr hohen Kosten für die neuen Immuntherapien getragen werden können, ist eine gesellschaftliche Herausforderung.