Das 20. Jahrhundert begann für Kuba mit dem Krieg von 1895-1898, der zur Unabhängigkeit der Karibikinsel von Spanien, gleichzeitig jedoch zu erneuter Abhängigkeit – diesmal von den USA – führte. Die neue politische Struktur ist häufig als abhängige oder neokoloniale Republik bezeichnet worden, wobei wesentliche Elemente der Kolonialgesellschaft in die Republik überführt wurden. Bezeichnenderweise wurde der Friede von Paris im Dezember 1898 nicht zwischen Spanien und Kuba, sondern zwischen Spanien und den USA unterzeichnet. In der US-Politik setzte sich in dieser entscheidenden Phase der neokolonialistische und annexionistische Flügel durch. Den USA gelang es schließlich, dass die kubanische Verfassung von 1901 in Form des sog. Platt-Amendment einen Zusatz erhielt, der den US-Amerikanern das jederzeitige Recht auf Intervention in Kuba einräumte. Damit waren die Beziehungen zwischen den USA und der Karibikinsel auf Jahrzehnte hinaus festgeschrieben. Außerdem sah ein „dauerhafter Vertrag“ von 1903 völkerrechtlich vor, dass der Militärstützpunkt Guantánamo für „immer und ewig“ an die USA fiel.
Kuba als Quasi- Protektorat der USA
Die Erste und die Zweite Republik zwischen 1902 und 1958 lassen sich als ein Quasi-Protektorat der USA bezeichnen, vor allem im Hinblick auf die Beibehaltung und den Ausbau der kolonialen Wirtschafts- und Sozialstrukturen sowie auf die politische Dominanz der Vereinigten Staaten. In dieser Periode griffen die USA immer wieder in die Geschicke des Karibikstaates ein, und häufig genug waren die kubanischen Regierungen durchaus willfährig und ließen diese Eingriffe zu. Schon der erste Präsident des unabhängigen Kuba, Tomás Estrada Palma (1836-1908), wurde mit Unterstützung durch die USA ins Amt eingeführt. Auch spätere Wahlen fanden unter Kontrolle der Okkupationsmacht statt. Die sozioökonomischen Bedingungen und Strukturen veränderten sich in jener Phase nur geringfügig; sie waren geprägt von einer stets stärkeren Durchsetzung des Großgrundbesitzes und der Zucker-Monoproduktion sowie vom Ausbau der Transportinfrastruktur unter Kontrolle zumeist US-amerikanischer Gesellschaften und Banken. Schon während der Präsidentschaft von Mario García Menocal (1913-1921), später noch mehr unter seinen Nachfolgern, kam es zur Durchsetzung der US-amerikanischen Dominanz in der kubanischen Wirtschaft. Die Zuckerproduktion expandierte immer weiter in den Osten der Insel, wo moderne Zuckerverarbeitungsbetriebe und riesige Latifundien entstanden, die häufig von der United Fruit Company kontrolliert wurden.
Zur Vorgeschichte der Revolution
Nach Erlangung der Unabhängigkeit und verschiedenen schweren Auseinandersetzungen um die politisch-soziale Rolle von Weißen, Farbigen und Schwarzen im Staat bildeten sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts klare Machtverhältnisse heraus, die jahrzehntelang andauern sollten: An der Spitze der sozialen Pyramide hielten hohe weiße Offiziere des Unabhängigkeitskrieges, Großgrundbesitzer, weiße zivile Oligarchen und einige wenige Farbige die Macht in ihren Händen. 1933 brach jedoch ein Massenaufstand aus, der sich primär gegen die bestehenden Agrarstrukturen (Dominanz der Zuckerwirtschaft) richtete. Der ehemalige Korporal Fulgencio Batista (1901-1973) nutzte die Gunst der Stunde, ließ das alte Offizierskorps niedermetzeln, bildete sodann einen gemischten Militär- und Sicherheitsapparat, würgte den Aufstand nieder und versuchte, als „starker Mann“ seine Herrschaft durch Reformpolitik zu legitimieren. Batista blieb nach dem Zweiten Weltkrieg, der Kuba viele ökonomische Vorteile brachte, die bestimmende Figur in der kubanischen Politik.
Als 1952 die Gefahr drohte, dass eine linksnationale Parteiformation die Wahlen gewinnen könnte, ergriff Batista mittels eines vom Militär unterstützten Staatsstreichs direkt die Macht. Nach Abschaffung der damals progressiven Verfassung von 1940 regierte er brutal-diktatorisch, während sich die wirtschaftliche Lage der Insel zusehends verschlechterte. Hohe Arbeitslosigkeit, durch Marktabstimmung mit den USA hervorgerufene industrielle Fehlentwicklung, extrem ungleiche Besitzverhältnisse, nahezu ausschließliche Wirtschaftsabhängigkeit von der Zuckermonokultur und Kontrolle der wichtigsten Wirtschaftssektoren durch US-Kapital riefen massiven Widerstand hervor, auf den das korrupte Regime mit Terror reagierte. Zum Anführer der Widerstandsbewegung wurde der in einer jesuitischen Eliteschule ausgebildete Rechtsanwalt Fidel Castro Ruz (1927-2016), der schon 1953 einen (damals fehlgeschlagenen) Angriff auf die Moncada-Kaserne bei Santiago de Cuba unternommen und deshalb vorübergehend gefangengesetzt worden war. Nach einer Amnestie begab er sich nach Mexiko, wo er – zusammen mit Ernesto „Che“ Guevara (1928-1967) – den Sturz Batistas vorbereitete. Seit 1956 führten die Aufständischen einen Guerillakrieg in der Sierra Maestra, der in der Silvesternacht 1958/1959 mit der Flucht Batistas siegreich beendet werden konnte, nachdem sich die durch Korruptionsaffären und interne Streitigkeiten geschwächte Armee allmählich zersetzt hatte.
Die Revolution von 1959
Am Vorabend der Revolution war Kuba eine noch junge Nation, in der Traditionen der Zucker-Monowirtschaft und das Erbe der (bis 1886 bestehenden) Sklaverei extreme gesellschaftliche Hierarchisierungen, ein großes Gefälle zwischen Stadt und Land und starken Rassismus hervorgebracht hatten. Die siegreichen guerrilleros setzten – unter Leitung des neuen Ministerpräsidenten Fidel Castro – ihr nationalistisch-sozialistisches Programm schnell in die Tat um: ein erstes Agrarreformgesetz legte Höchstgrenzen für landwirtschaftliche Betriebe fest und eliminierte damit praktisch den privaten Großgrundbesitz. Die enteigneten Betriebe wurden z. T. als Kooperative, z. T. als Staatsbetriebe unter Verwaltung der neu geschaffenen Agrarreformbehörde fortgeführt. Unternehmer und Anhänger des gestürzten Regimes, Industrielle und ausländische Konzerne wurden enteignet, Kollaborateure massenhaft hingerichtet. Nach der Verstaatlichung der wichtigsten US-Unternehmen kürzte US-Präsident Dwight Eisenhower drastisch die Abnahme der kubanischen Zuckerquote, was eine empfindliche Reduzierung der kubanischen Deviseneinnahmen beim wichtigsten Exportartikel bedeutete. Kurz danach verhängten die USA ein Handelsembargo auf alle Einfuhren aus Kuba. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verurteilte scharf die radikalen Maßnahmen der neuen kubanischen Führung und schloss den Inselstaat aus der Organisation aus, was im Gegenzug zur Hinwendung Kubas zur Sowjetunion und zum ersten kubanisch-sowjetischen Handels- und Kapitalhilfeabkommen führte.
Ideologie, Politik und Außenbeziehungen
Bereits Anfang der 1960er Jahre wurden die wichtigsten politisch-ideologischen Grundlagen für die Entwicklung Kubas in den nächsten Jahrzehnten gelegt. In jener Phase entfaltete die Revolution zweifelsohne ein emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt, das aber bald in Stagnation und Reformstau mündete. Im Herbst 1960 ließ Castro von einer Million Menschen die „Erklärung von Havanna“ per Akklamation beschließen. Sie enthielt eine Absage an die herkömmlichen Regeln der Demokratie und garantierte den Bauern das Recht auf Land, allen Menschen das Recht auf Arbeit, Zugang zu Bildung und Krankenversorgung, dem Staat wiederum das Recht, große Unternehmen entschädigungslos zu verstaatlichen. Aus der Zustimmung zu diesem Dokument leitete Castro die Legitimität ab, ohne Wahlen zu regieren. Schon Ende 1961 erklärte der Comandante en Jefe Kuba zur Sozialistischen Republik auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus, 1965 benannte sich die Vereinigte Partei der Sozialistischen Revolution in Kommunistische Partei Kubas um.
Die Reaktion von Seiten der USA blieb nicht aus. Washington unterstützte eine Invasion antirevolutionärer Exilkubaner, die im April 1961 einen Umsturzversuch unternahmen. Diese Schweinebucht-Invasion wurde zum Debakel; innenpolitisch beschleunigte sie die Entwicklung Kubas zum sozialistischen Staat. Weit gravierender war ein Jahr später die „Kubakrise“, die die Welt an den Rand eines Atomkriegs brachte, nachdem die Sowjets auf der Insel eine Raketenbasis errichten ließen, von der aus die USA mit Atomwaffen bedroht werden konnten. US-Präsident John F. Kennedy ließ sich (trotz anfänglicher Drohungen) nicht von Scharfmachern zu gezielten Luftschlägen gegen Kuba provozieren, sondern verhängte eine Seeblockade, bis die Sowjets in sprichwörtlich letzter Sekunde ihre Offensivwaffen aus Kuba wieder abzogen. Castro wäre offensichtlich das Risiko eines Atomkriegs eingegangen und rügte seinen sowjetischen Verbündeten wegen dessen Einknickens gegenüber der kapitalistischen Supermacht. Kennedy wiederum musste die Garantie abgeben, nicht in Kuba einzumarschieren und auch keine weiteren Invasionen zu unterstützen; und Nikita Chruschtschow erreichte, dass die USA ihre Offensiv-Raketen aus dem NATO-Land Türkei abzogen.
Um den Aufbau des Sozialismus aus seiner weltpolitischen Isolierung zu befreien, war Castro in den 1960er Jahren bereit, die Revolution zu „exportieren“; in ganz Lateinamerika unterstützte er in vielfältiger Weise Guerillabewegungen. „Che“ Guevara begab sich persönlich an der Spitze einer Rebellentruppe auf das lateinamerikanische Festland; dort wurde er 1967 in Bolivien ermordet, der Revolutionsexport scheiterte kläglich. Aufgrund der castristischen These von der Notwendigkeit des bewaffneten Aufstands und der davon ausgehenden Politik des „Exports von Revolution“, die der sowjetischen Reformismusstrategie (Bildung von Volksfrontregierungen) entgegenstand, kam es zu vermehrten Meinungsverschiedenheiten zwischen der kubanischen und der sowjetischen Führung. Erst nach dem Scheitern der revolutionären Bewegungen auf dem lateinamerikanischen Subkontinent und infolge der stärker werdenden wirtschaftlichen Abhängigkeit Kubas von der Sowjetunion gab die Führung in Havanna ihre ideologische Eigenständigkeit zum Teil auf. Der Besuch des sowjetischen Parteichefs Leonid Breschnew in Havanna (1974) wurde von der kubanischen Führung als das Ende der Politik des Revolutionsexports interpretiert. Neben der festen Einbindung in den Sowjetblock bildeten die schrittweise Annäherung an den Westen und die Solidarität mit der Dritten Welt die Hauptbestandteile kubanischer Außenpolitik. Offensichtlichen Erfolgen wie der Intensivierung der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Westen (Anerkennung durch eine Reihe von Staaten, Lockerung der US-Blockade) standen auch Schwierigkeiten gegenüber, die vor allem aus dem militärischen Engagement Kubas in Afrika resultierten. In Verfolgung der „Politik der Solidarisierung mit den Ländern der Dritten Welt“ beteiligte sich Kuba nämlich 1975/76 mit ca. 20.000 Soldaten und Militärberatern am Angolakrieg auf Seiten der Befreiungsorganisation MPLA. Zwei Jahre später beteiligten sich kubanische Truppen auf äthiopischer Seite auch am Kampf um das Ogadengebiet, und auch in den Folgejahren wurde die Linie des „proletarischen Internationalismus“ mit Unterstützung der Befreiungsbewegungen, vor allem in Afrika, fortgesetzt.
Lässt sich in der wirtschafts- und bündnispolitischen Ausrichtung ein hoher Grad an Flexibilität feststellen, so war auch die grundsätzlich kirchenfeindliche Haltung der Revolution zur Kirche zu Pragmatismus bereit, vor allem nachdem die Befreiungstheologie ab den 1960er Jahren ein Zusammengehen sozialistischer und christlicher Werte zu ermöglichen schien. Schließlich reisten zwei Päpste nach Kuba, und die Neuausrichtung der Kirchenpolitik integrierte die revolutionäre Botschaft des Evangeliums in das sozialistische Weltbild der Revolution. Verschlagen-pragmatisch verhielt sich Castro auch 1980, als Tausende von Kubanern vom Hafen Mariel aus die Flucht in die USA antraten, was der máximo lider nicht nur zuließ, sondern durch zahlreiche Begnadigungen die Gefängnistore öffnete und somit viele Gewaltverbrecher und Betrüger an den verhassten kapitalistischen Nachbarn loswurde.
Wirtschaftspolitik und -entwicklung
Die ersten Agrarreformen führten de facto zur Ausschaltung der ländlichen Mittelschicht. Die weiter bestehenden kleinen Privatparzellen wurden im Laufe der Zeit immer mehr in das sozialistische Wirtschaftssystem integriert: Sie waren von staatlichen Krediten abhängig, der Staat erhielt das Handelsmonopol für Agrarprodukte, seit 1967 musste sich der Anbau landwirtschaftlicher Güter unter den nationalen Produktionsplan im Austausch gegen staatliche Sozialleistungen unterordnen. Castros Mitstreiter Ernesto „Che“ Guevara unternahm 1960 in seiner Eigenschaft als Präsident der Nationalbank (1959-1961) die ersten Vorstöße zur zentralen Planung der Volkswirtschaft. Im gleichen Jahr erfolgte die Verstaatlichung der ausländischen Betriebe und parallel dazu die Sozialisierung aller größeren kubanischen Firmen der Textil-, Tabak-, Zement-, Eisen- und anderer Industrien sowie aller Banken, Waren- und Lagerhäuser. Das private Eigentum an städtischen Mietshäusern wurde beseitigt, die fortlaufenden Mietzahlungen der Bewohner wurden im „Stadtreformgesetz“ in Beiträge für einen Mietkauf umgewandelt.
Im Laufe der folgenden Jahre entfernte sich das ökonomische System des Landes durch Einführung der Planwirtschaft nach dem Vorbild des Realsozialismus östlicher Prägung immer mehr von der Marktwirtschaft; auch die Gesellschaftsordnung entfernte sich stets weiter vom westlich-liberalen Modell, indem Oppositionsparteien und Versammlungsfreiheit abgeschafft sowie die unabhängige Presse an den Rand gedrängt wurden. Die neuen Eigentumsverhältnisse, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, die Einebnung der Einkommensstruktur und die Umgestaltung des Erziehungs- und Gesundheitswesens veränderten zunehmend die soziale Lage der Bevölkerung. Die Alphabetisierungskampagne von 1961 beseitigte binnen kürzester Frist weitgehend den Analphabetismus auf der Insel.
Das US-Wirtschaftsembargo (1960/1962) stellte die Insel vor schwerste Versorgungsprobleme und zwang das Land kurzfristig zur Suche neuer Absatzmärkte. Die UdSSR begann als Haupthandelspartner eine ähnlich dominierende Rolle zu spielen wie zuvor die USA. Die Exportabhängigkeit der Gesamtwirtschaft blieb ungeschmälert. Da die Einfuhren zunahmen, stieg das Handelsdefizit an; die Exportlücke wurde durch sowjetische Kredite finanziert, wodurch die Auslandsverschuldung stieg. Der im kubanisch-sowjetischen Handelsabkommen von 1963 vereinbarte Zuckerpreis lag während der gesamten Zuckerplan-Periode (1965-1970) beträchtlich über dem schwankenden Weltmarktniveau. Fast während der gesamten sechziger Jahre exportierte Kuba knapp 50 % aller Güter in die Sowjetunion und importierte mehr als 50 % von dort. Seit 1965 bemühte sich die Insel um die Wiederbelebung des Handels mit den westlichen Nationen, seit Beginn der siebziger Jahre nahm der Handelsaustausch mit nichtsozialistischen Ländern wieder erheblich zu.
Wirtschaftspolitisch erhielt 1961 die Industrialisierung Priorität, bald jedoch gewann der Zuckersektor wieder an Bedeutung. Nach der „Kubakrise“ von 1962 mussten Lebensmittel und Kleidung rationiert werden, was zur Herausbildung eines Schwarzmarktes führte. Nach einer Phase der Improvisation in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre setzte sich das (vor allem von „Che“ Guevara formulierte) Modell der Budgetfinanzierung bei vorrangiger Verwendung moralischer Anreize durch. Dieser Weg führte zur Zentralisierung der Wirtschaftssteuerung, zur Zurückdrängung von Arbeitsnormen und Prämien, zum Abbau von Lohndifferenzierungen, zu umfangreichem Einsatz freiwilliger Arbeit. Nach der „Selbstkritik“ Castros im Juli 1970 setzte auf diesem Gebiet eine Neuausrichtung ein: Verwendung materieller Anreize, Normierung der Arbeitsleistung und Lohndifferenzierungen traten nunmehr immer stärker in den Vordergrund. Nach Überwindung des Tiefstandes von 1970 trat allmählich ein wirtschaftlicher Aufschwung ein. Mit seinem Beitritt zum COMECON schloss Kuba seine wirtschaftspolitischen Experimente weitgehend ab und integrierte sich stärker in das sozialistische Lager. Von großer Bedeutung wurden die zwischen Kuba und der Sowjetunion abgeschlossenen Wirtschaftsabkommen, in denen die UdSSR die Rückzahlung aller von 1960-1972 entstandenen kubanischen Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion bis 1986 aussetzte (nach westlichen Schätzungen waren dies drei Milliarden US-Dollar). Danach sollte die Tilgung zinslos in Naturalform (Zucker- und Nickellieferungen) erfolgen.
Die sowjetische Hilfe an Kuba belief sich in rund dreißig Jahren auf über 65 Milliarden US-Dollar. Wenn auch Fidel Castro grundsätzlich an seinem politischen Motto „Alles in der Revolution, nichts außerhalb der Revolution“ lebenslang festhielt, bewies er bei vielen Entscheidungen eine gehörige Portion Pragmatismus. Als z. B. die sozialistische Welt 1989/90 weitgehend zusammenbrach und die Sowjetunion die Subventionierung Kubas einstellte, sah sich Castro gezwungen, das Land für den Tourismus als Devisenbringer zu öffnen und schließlich den verhassten US-Dollar als Parallelwährung zuzulassen, wenn er auch deutlich die Perestroika Gorbatchows ablehnte und stattdessen die neue und für viele unverständliche Parole „Sozialismus oder Tod“ ausgab. Gerade in jener Phase der zunehmenden Isolierung Kubas, als die „Sonderperiode“ (período especial) die Bevölkerung zunehmendem Sparzwang und großen Entbehrungen aussetzte, bildete sich eine Zweiklassengesellschaft heraus, in der all jene privilegiert wurden, die in irgendeiner Form Zugang zu Devisen hatten. Nach 1993 hatte sich schon ein Zweiwährungssystem mit konvertiblen und nicht-konvertiblen Pesos herausgebildet, das zu einem völlig verzerrten Lohn- und Preisgefüge mit der Folge einer stets ungleicher werdenden Gesellschaft führte. Nach dem Ausbleiben der sowjetischen Unterstützung sank in den 1990er Jahren das kubanische Bruttoinlandprodukt um 30%. Die Wirtschaftsstabilisierung gelang erst wieder als Folge der neuen Unterstützung durch den venezolanischen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, als Hugo Chávez und später Nicolás Maduro viel Erdöl entweder unentgeltlich oder zu Preisen weit unter dem Weltmarktniveau an Kuba abgaben. Im Grunde genommen war Kubas Revolution von Anfang an subventioniert; auf sich selbst gestellt hätte der karibische Sozialismus nicht so lange bestehen können.
Raúl Castro (2006-2018): Beginn einer neuen Revolutionsära?
Als Fidel Castro krankheitsbedingt sich 2006 aus dem politischen Leben Kubas weitgehend zurückzog, übernahm sein bisheriger Stellvertreter und Bruder Raúl die Führung im Lande. Aus heutiger Perspektive sind die bisherigen zwölf Jahre Raúl Castros äußerst ambivalent einzuschätzen. Strukturelle Reformen gab es nur in sehr begrenztem Umfang. Es gelang Raúl zwar ein Rückbau der personalisierten Strukturen, nachdem der Übervater Fidel die vorderste Linie der Politik verlassen hatte, und ein Übergang vom charismatischen Sozialismus Fidels zum bürokratischen Sozialismus neuerer Prägung, was auch zu einer Veränderung der politischen Kultur führte; aber das Kernstück der Reformen, die Wirtschaftsstruktur, erfuhr nur eine begrenzt-graduelle Öffnung hin zum Privatsektor (nachdem es schon in den 1990er Jahren gewisse Zugeständnisse unter Fidel gegeben hatte). Die Zahl der „Arbeiter auf eigene Rechnung“ liegt heute (bei einer Gesamtbevölkerung von rund 11 Millionen) bei unter 600.000 und ist sehr kleinteilig, nahezu ausschließlich auf Dienstleistungen und Tourismus begrenzt. Diese zögerliche Öffnung hin zum Privatsektor, die momentan wieder stagniert, konnte jedoch wegen der anhaltenden Krise und Ineffizienz der Staatsbetriebe keine Wachstumsdynamik entfalten. Zwischen 2009 und 2016 fiel ein Viertel der Arbeitsplätze im Staatssektor weg (das bedeutete eine Verringerung von 4,25 auf 3,25 Millionen Staatsarbeiter). Zugleich hat die Kontrolle in allen Sektoren zugenommen, von einer Ausweitung der ökonomischen oder sozialen Spielräume kann keine Rede sein.
Das Dilemma der wiederholt angekündigten Wirtschaftsreformen besteht darin, dass diese für die Erzielung von Wachstumsdynamik nicht ausreichen, für den Erhalt der proklamierten Egalität in der kubanischen Gesellschaft aber zu weit gehen. Vor allem fehlt es an einer gründlichen Reform des bisherigen Währungs- und Finanzsystems. Das bestehende Zweiwährungssystem mit der Parallelität der Weichwährung „kubanischer Peso“ und des an den US-Dollar gekoppelten „konvertiblen Peso“ stellt einen eklatanten Widerspruch zum proklamierten Gleichheitsideal dar. Das Fazit muss notgedrungen sehr ernüchternd ausfallen. Durch Planungsfehler, mangelnde Investitionen, fehlende Klarheit im Endziel und ungenügende Koordination erfuhr die erstrebte „Aktualisierung des Wirtschaftsmodells“ kaum Fortschritte. Ganz im Gegenteil: Die nur sehr partiellen Veränderungen haben inzwischen zu großen sozialen Ungleichheiten geführt, und diese wiederum unterminieren laufend die Legitimationsgrundlagen von Revolution und Sozialismus kubanischer Prägung.
In den letzten Jahren haben sich die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren wieder zum Schlechteren verändert. So engte etwa das Regime den Spielraum für die politische Opposition wieder ein. Bei den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2017 verhinderte die Regierung auf vielfältige Weise die Teilnahme oppositioneller Kandidaten und war nicht bereit, die Macht auch nur in einer einzigen Kommune abzugeben. Auch die wirtschaftliche Lage hat sich eher verschlechtert. Kuba ist für ausländische Unternehmer nach wie vor ein sehr schwer zu erschließender Markt – trotz der merklichen Änderungen, die es in der Wirtschaft nach der Machtübergabe von Fidel an Raúl Castro (2006) gegeben hat (vom Aufkommen privatbetriebener Restaurants bis hin zu Ansätzen für Investorenschutz durch Schiedsgerichte). Mittlerweile gibt es in Kuba drei Arten von wirtschaftlichen Akteuren: Zum einen können Kubaner in einer begrenzten Zahl von Berufen selbständig arbeiten, die sog. cuentapropistas. Nach neueren Berechnungen gibt es heute in Kuba rund 550.000 offiziell lizenzierte, allerdings stark regulierte Kleinunternehmer (Dienstleistungs- und Taxibetriebe, Restaurants, Privatunterkünfte), die inzwischen 12 % der kubanischen Arbeitnehmer beschäftigen. Damit die soziale Ungleichheit nicht weiter anwächst (Staatsbedienstete verdienen umgerechnet rund 25 Dollar im Monat), werden z. Zt. keine weiteren Genehmigungen für neue Privatbetriebe erteilt. Zum anderen agieren in großen Teilen der Wirtschaft weiterhin Staatsunternehmen, die zumeist vom Militär betrieben werden; zum dritten schließlich hat sich Kuba für große ausländische Unternehmen geöffnet, die auf der Insel – trotz enormer Probleme – Handel treiben und investieren. Seit Jahren hängt der Inselstaat allerdings stark von Öllieferungen und Hilfeleistungen aus dem sozialistisch orientierten Venezuela ab; aber wegen der eigenen enormen Wirtschaftsprobleme Venezuelas steht zu erwarten, dass die ökonomische Situation sich weiter verschlechtern wird, schon gar, nachdem US-Präsident Donald Trump die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Kuba erneuten Restriktionen unterworfen hat.
Seit Jahren ist die Rede von vermeintlichen Schritten hin zu einer wirtschaftlichen und politischen Öffnung Kubas. Am Ende der Regierungszeit von Barack Obama (2016) als US-Präsident standen die Zeichen auf Annäherung an die USA. Nach dem Rückzug Raúl Castros aus dem Amt des Staatspräsidenten steht seit 2018 mit Miguel Díaz-Canel zum ersten Mal ein „Apparatschik“ formal an der Spitze des Staates, der nicht an der Revolution von 1959 teilgenommen hat. Raúl Castro hält allerdings weiterhin die Zügel in Militär, Geheimdienst, Polizei und wichtigen Wirtschaftssektoren in der Hand, da er bis 2021 Vorsitzender der Kommunistischen Partei bleibt. Der Wechsel im Amt des Staatspräsidenten stellt zwar einen Generationenwechsel dar, bedeutet aber keinen weitergehenden Wandel. Ganz im Gegenteil: Der Hashtag des Staates zur Amtsübergabe lautete Somos Continuidad und betonte damit die Kontinuitätsstränge in Staat und Politik. Das Überleben des Regimes ist zum reinen Selbstzweck geworden; zentral für den Machterhalt ist dabei die Geschlossenheit der Eliten, die auf keinen Fall preisgegeben werden soll.
Weitgehende Kontinuität lässt auch die neue Verfassung erkennen, die Kuba sich 2018 gab. Das neue Grundgesetz enthält zwar etliche innovative Änderungen, etwa eine weitere Öffnung zur Marktwirtschaft, die Legalisierung von Privatbesitz oder die Ermöglichung von gleichgeschlechtlichen Ehen; auch das Ziel der Schaffung einer „kommunistischen Gesellschaft“ wurde aus der neuen Verfassung gestrichen. Das „kubanische sozialistische Modell“ aber sollte im Prinzip erhalten bleiben; auch eine weitreichende Liberalisierung des politischen Systems oder der staatsökonomischen Wirtschaftsstruktur erfolgte nicht. Die absolute Macht der Kommunistischen Partei wurde nicht angetastet, sie blieb und ist weiterhin unter der bis 2021 festgeschriebenen Führerschaft von Raúl Castro die einzige legale politische Kraft im Land.
Fazit und Ausblick
Ein Charakteristikum der Revolution von 1959 besteht darin, dass sie die erste soziale Mobilisierung in Lateinamerika war, die siegreich aus dem Kampf gegen die landbesitzenden Oligarchien, den übermächtigen Einfluss der USA und deren autoritäre Marionettenregime hervorging. Die „kubanische Revolution“ wurde jahrzehntelang als Synonym für Kuba und seine Entwicklung nach 1959 benutzt; aber spätestens seit den 1970er Jahren gab es auf der Karibikinsel eine postrevolutionäre Gesellschaft, die eher schlecht als recht ihren Alltag bewältigen konnte. Trotzdem versuchte die kubanische Führung bis 1989, ihr „Modell“ von Revolution und Gesellschaft in Lateinamerika und in Afrika gegen alle Widerstände zu propagieren, selbst mit militärischen Mitteln. Diese Politik führte im Innern des Landes, vor allem aber international, zu massiven Konflikten, insbesondere mit den USA, die schon 1960 eine im Grunde bis heute andauernde Blockade verhängten. Mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus zu Beginn der 1990er Jahre verschärften sich die internationalen, insbesondere die ökonomischen Rahmenbedingungen. Der andauernde Versuch, die Ergebnisse der Revolution zu sichern, führte zur Verfestigung eines zentralistischen und autoritären Herrschaftssystems rund um die historischen Figuren Fidel und Raúl Castro.
Die Gesamtbilanz von 60 Jahren „Revolution“ ist ausgesprochen zwiespältig. Bei aller berechtigten Kritik an Fidel Castro und seinem Regime wird ein nüchterner Rückblick auf seine Ära feststellen müssen, dass es Kuba in jenen Jahrzehnten gelang, das (auch früher schon gute) Bildungs- und Gesundheitssystem deutlich zu verbessern, einen umfassenden Sozialstaat aufzubauen und in den Krisenjahren nach dem Zusammenbruch des Sozialismus den Zusammenhalt des Systems sicherzustellen. Als Vermächtnis des Castrismus kann festgehalten werden, dass er eine zuvor eher unbedeutende Karibikinsel auf die weltpolitische Bühne gehoben und tiefgreifende Transformationen im ökonomischen und sozialen Bereich durchgeführt hat, dass die sozialen Schranken weitgehend gefallen sind, der Index der menschlichen Entwicklung auf einer internationalen Skala (vor allem im Vergleich zu lateinamerikanischen Ländern) hoch anzusetzen ist – die Kindersterblichkeit etwa ist geringer als in den USA – und das kubanische System jahrzehntelang Projektionsfläche für Freund und Feind (außerhalb wie innerhalb des Landes) war.
Die Schlussphase des Castrismus, die zwölf Jahre unter Fidels Bruder Raúl, sind insgesamt kritischer einzuordnen, da die allzu hohen Erwartungen bei weitem nicht erfüllt werden konnten. Grundnahrungsmittel und Benzin sind notorisch knapp geblieben, der bei weitem größte Arbeitgeber ist (bei miserablen Arbeitslöhnen) weiterhin der Staat, in der Landwirtschaft sind wenig Rationalisierungsfortschritte festzustellen, weshalb nach wie vor viele Nahrungsmittel importiert werden müssen. Die jährlich ca. drei Milliarden US-Dollar an Rimessen von den (überwiegend weißen) Emigranten sind eine immer unverzichtbarere Einnahmequelle für das Land und schwemmen achtmal mehr Devisen nach Kuba als durch Tabak- und Zigarettenexport erzielt werden. Da die Finanzsendungen entlang der Familienbande stattfinden, reproduzieren die auch durch Rimessen hervorgerufenen neuen Ungleichheiten viele der vorrevolutionären Hierarchien und bewirken eine Re-Stratifizierung der kubanischen Gesellschaft entlang der Hautfarbe. Eine baldige Besserung steht nicht zu erwarten, zumal US-Präsident Donald Trump die von seinem Vorgänger Obama begonnene Entspannungspolitik zwischen beiden Ländern wieder zurückgenommen und abermals eine aggressive Außenhandelspolitik in Gang gesetzt hat. Von den großen Idealen der Revolution spricht auf Kuba heute kaum noch jemand.
Trotz aller Veränderungen im politischen und ökonomischen Bereich muss festgehalten werden, dass Kuba im Kern eine von der Castro-Familie und dem Militär dominierte Diktatur geblieben ist, in der auch die ökonomische Öffnung immer dann an ihre Grenzen stößt, wenn sie mit dem politisch-ideologischen Fundament des Regimes in Widerspruch gerät. Das Fazit zur heutigen Lage Kubas bleibt somit ambivalent. Die Notwendigkeit von Reformen ist zwar groß, der Veränderungswille der Regierung allerdings nach wie vor gering.