Rückfragen an Martin Luther

Akademiegespräch zum Thema "Herrschaft, Gewalt, Krieg"

Nach der Kriegsniederlage des Jahres 1945 setzte die Aufarbeitung der NS-Herrschaft in der Gesellschaft und in den Kirchen eher zögerlich ein. Zu sehr war man mit Fragen des eigenen Überlebens beschäftigt, zu sehr fühlte man sich als Opfer und gedemütigt. Erst vorsichtig klang die Frage eines eigenen Versagens im katholischen Bischofswort von August 1945 und im Stuttgarter Schuldbekenntnis des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland drei Monate später an. Im Raum blieb aber die Frage nach den tieferliegenden Ursachen, die zu Anpassung und Kooperation und zur Minderung der Widerstandsbereitschaft geführt haben. Was die evangelische Kirche angeht, so war unter ihren Getauften bei den Wahlen bis 1933 die Stimmenzahl für den Nationalsozialismus signifikant höher als in den katholischen Territorien. Schuld schien die mentale und institutionelle Staatsnähe zu haben, da dort die Landesherren seit alters her das landesherrliche Kirchenregiment ausgeübt hatten. Hinzu kam die Identifikation mit dem preußisch und auch protestantisch dominierten Kaiserreich und seinen auch militärischen Traditionen. Deshalb hatte man die Niederlage von 1918 im Protestantismus vielfach als besonders bitter empfunden und war in der Folge anfällig für das völkische Denken gewesen. Zur Weimarer Republik nahm man vielfach ein distanziertes Verhältnis ein.

Die Diskussion um diese Zusammenhänge hat sich innerprotestantisch mit einer Debatte verbunden, die bereits nach dem Ersten Weltkrieg angehoben hat. Sie hängt mit der historischen Spaltung in eine wittenbergisch-lutherische und in eine schweizerisch-reformierte Strömung des Protestantismus zusammen. Reformierte Theologen wie Karl Barth warfen dem Luthertum vor, dass es zu staatskonform, zu obrigkeitsloyal sei. Dies habe seine Ursache in der Theologie Martin Luthers. Luther habe eine Lehre entwickelt, die den Anspruch der christlichen Ethik, der ethischen Verkündigung Jesu Christi, zu Unrecht limitiere: die Zwei-Reiche-Lehre. Neben dem Reich Christi gebe es bei Martin Luther ein zweites Reich, den Staat mit seinen Gesetzmäßigkeiten und Normen. Er sei somit eigengesetzlich. Das Luthertum habe somit darauf verzichtet, den Staat christlich zu normieren. Folge sei Obrigkeitshörigkeit und blinder Staatsgehorsam gewesen, auch noch bis 1945. Um diese Geschichtssicht beurteilen zu können, ist zunächst einmal Luthers Sicht auf den Staat und sein Verhältnis zum Evangelium zu rekonstruieren, ebenso dessen Beurteilung von staatlicher physischer Gewalt etwa im Krieg.

 

Luthers Lehre von den beiden Regimentern

 

Anfang der 1520er Jahre war Martin Luther zu einer bislang einzigartigen Popularität gelangt. Der Buchdruck hatte seine Lehre auf bislang analogielose Weise im ganzen deutschen Sprachraum bekannt gemacht. Nur einige Territorien ergriffen scharfe Gegenmaßnahmen, obwohl viele vorsichtig-ablehnend blieben. Neben Bayern war es vor allem Brandenburg und das Albertinische Sachsen mit Dresden als Hauptstadt, die strikt das Wormser Edikt durchführten. Luthers Übersetzung des Neuen Testaments wurde verboten, aufgegriffene Exemplare wurden verbrannt. Durfte die Obrigkeit dies? Musste man ihr hier Gefolgschaft leisten? Luther hatte in seiner Schrift „An den Christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ im Jahr 1520 angekündigt, sich mit der Frage nach der weltlichen Obrigkeit noch grundsätzlicher beschäftigen zu wollen. Im Jahre 1522 hatte ein bedeutender Rechtsgelehrter, der Bambergische Rat Johann Freiherr von Schwarzenberg, der 1507 die Bambergische Halsgerichtsordnung redigiert hatte, Luther ein heute verlorenes Buch über verschiedene Glaubensfragen zugeschickt. Dieser war ganz damit einverstanden, nur in einem Punkt ganz und gar nicht, nämlich „Von weltlichem Schwert, wie das mit dem Evangelio übereinkäme“. Hierüber, so erfahren wir, wolle Luther „ein Buchlin sonderlich aus lassen gehen“. Wenige Monate später, im März 1523, erschien dann Luthers Schrift „Von der weltlichen Obrigkeit“.

Diese zerfällt in drei Teile. „Aufs erste müssen wir das weltliche Recht und Schwert gut begründen, dass nicht jemand daran zweifle, es sei durch Gottes Willen und Ordnung in der Welt“, und zwar von Anfang an. In Gottes Auftrag führt die weltliche Obrigkeit das Schwert, das heißt, sie übt Gewalt aus, „auctoritas“, aber auch „violentia“, körperliche Zwangsgewalt, bis hin zu Strafe und Verteidigungskrieg, um dem Bösen zu wehren. Wer Menschenblut vergießt, der soll durch das Schwert umkommen. Anders aber doch die Verkündigung Jesu: „Ihr habt gehört, dass da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel. Sondern wenn dir jemand einen Streich gibt auf deine rechte Backe, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem lasse auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt eine Meile, so gehe mit ihm zwei“ (Mt 5,38-41).

Steht beides in Widerspruch? Luther lehnt eine Zweiteilung ab, nach der es zwei Ethiken gebe: eine für die normalen Christen, in der Böses vergolten wird und der Staat die Durchsetzung des Rechts mit Zwang und Gewalt vollzieht; die andere für die Vollkommenen, die Ordensleute, die als einzige nach der Bergpredigt leben sollen. Denn kein Christ ist vollkommen aufgrund besonderer Werke oder in einem besonderen Stand. Umgekehrt ist jeder Christ vollkommen, weil im Vertrauensglauben an das Evangelium, der Botschaft von Christus, wir dessen Vollkommenheit geschenkt bekommen. Aber kann die Bergpredigt, die ethische Verkündigung Jesu, wirklich umgesetzt werden, oder wäre das eine weltfremde Utopie, die Aggressionen geradezu einladen würde?

Über jeden Menschen, so Luther, lastet nun der Fluch der Todesgewissheit, der verzweifelten Angst um sich selbst als Wurzel aller egoistischen Selbstbehauptung, aller Ungerechtigkeit und Aggressivität gegenüber dem Nächsten. Es ist für Luther der Fluch Adams, der auf allen Menschen lastet. Gott spricht zu ihm im Gesetz: Er stellt ihm das Ideal, die Norm vor Augen, zentriert im Gebot, Gott über alles zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Als Gesetzgeber überführt Gott den Menschen, deckt seine Ungerechtigkeit auf. Er will ihn zur Verzweiflung an sich selbst führen, weil er sich selbst, durch eigene Gerechtigkeit und Gutheit, nicht aus dieser egoistischen Selbstzentrierung befreien kann. Als Gesetzgeber treibt Gott den Menschen dazu, dass er seine Erlösung nicht aus sich selbst, sondern anderswo suchen muss. Dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben, sondern dem Ungerechten. Das Gesetz hat aber nicht nur die Aufgabe zu überführen, zu entlarven, sondern auch eine zweite Funktion: Es muss dem Bösen wehren, sonst würde, so Luther, „eines das andere fressen“.

Wer aber an Christus glaubt, glaubt, dass er für ihn gestorben ist, erhält im Glauben dessen Gerechtigkeit. Er glaubt dem Evangelium, in dem Gott zu uns ebenfalls spricht: Nicht aufgrund eigener Werke, sondern allein durch die Werke Christi, die Gnade, also durch eine fremde Gerechtigkeit, sind wir vor Gott gerecht. Diese Erkenntnis gibt uns nach Luther die Gewissheit, dass wir, obwohl uns Gott als Gesetzgeber verurteilt, in Christus doch gezeigt hat, dass er uns annimmt, erlöst, dass wir in ihm geborgen sind, und zwar so, dass weder Tod, noch Krankheit, noch Unheil uns im Letzten etwas anhaben können. Aus dieser Freude heraus wollen wir von selbst Christus nachfolgen, nach seinem Beispiel leben. Wie Christus nach dem Gesetz der Bergpredigt gelebt hat, so bemühen sich auch die wahren Christen, freiwillig, von sich aus. Nicht, dass das Erfüllen dieses Gesetzes Christi heilsentscheidend ist, das ist das Vertrauen und die in ihm geschenkte Gerechtigkeit Christi. Dennoch bemüht sich der wahre Christ von sich aus, Christus nachzufolgen, Böses mit Gutem zu vergelten. Solche Christen „bedürfen für sich selbst keines Gesetzes noch Rechts“.

„Wenn nun jemand die Welt“, so Luther, „nach dem Evangelium regieren und alles weltliche Recht und Schwert aufheben und vorgeben wollte, sie wären alle getauft und Christen, unter welchen das Evangelium kein Recht noch Schwert haben will, (bei denen es) auch nicht nötig ist: Lieber, rate, was würde der machen? Er würde den wilden, bösen Tieren die Bande und Ketten auflösen, dass sie jedermann zerrissen und zerbissen, und daneben vorgäben, es wären feine, zahme, kirre Tierlein. … So würden die Bösen unter dem christlichen Namen die evangelische Freiheit missbrauchen, ihre Büberei treiben … Ja freilich ists wahr, dass Christen um ihrer selbst willen keinem Recht noch Schwert untertan sind, noch seiner bedürfe; aber siehe zu und mach die Welt zuvor voll rechter Christen, ehe du sie christlich und evangelisch regierst. Das wirst du aber nimmermehr tun, denn die Welt und die Menge sind und bleiben Unchristen, ob sie gleich alle getauft (sind) und Christen heißen.“ „Deshalb muss man diese beiden Regimente mit Fleiß voneinander scheiden und beides bleiben lassen: eines, das fromm macht, das andere, das äußerlich Frieden schaffe und bösen Werken wehret.“

Christus hat „kein Schwert geführt, hat auch in seinem Reich keines eingesetzt. Denn er ist ein König unter Christen und regiert ohne Gesetz allein durch seinen heiligen Geist.“ Bei ihm werden, wie der Prophet Jesaja vorhergesagt habe, „Schwerter zu Pflugscharen“ (Jes 2,4). Da jeder Christ aber in der Welt mit Bösen, mit potentiellen Gewalttätern zusammen lebt, ist auch die weltliche Gewalt weiter von Nöten, die im Auftrag Gottes dem Unrecht wehrt, Unschuldige schützen soll, die also das Schwert in Gottes Namen führt. Sie ist nötig, da es immer Unrecht gibt oder geben kann, da die Welt niemals nur aus echten Christen bestehe. Wie soll sich aber der Christ zu ihr verhalten? So wie sich der Christ selbst nicht zu verteidigen braucht und des Schwertes nicht bedarf, so sicher braucht er es, um den Nächsten zu schützen, Unschuldige, die ihm anvertraut sind. So fungiert die weltliche Gewalt in Gottes Auftrag und tut ein gutes Werk und der Christ soll ihr dienen. Für sich selbst, so Luther, bedürfe er dieser gar nicht. Aber er soll dem Nächsten dienen, den er ja lieben soll, und das Schwert agiert im Dienst an dem Nächsten.

Luther spricht den Christen an: „Denn es ist ein Werk, dessen du (zwar) nicht bedarfst, das aber aller Welt und deinem Nächsten ganz von Nutzen und nötig ist. Du solltest, wenn du sähest, dass es am Henker, Büttel, Richter, Herrn oder Fürsten mangelte, und du dich geschickt fändest, dich dazu erbieten und dich darum bewerben, auf dass ja die notwendige Gewalt nicht verachtet und matt würde oder unterginge. Denn die Welt kann und vermag ihrer nicht zu entraten …. In Bezug auf dich und das Deine hältst du dich nach dem Evangelium und leidest Unrecht als ein rechter Christ; in Bezug auf den andern und das Seine hältst du dich nach der Liebe und leidest kein Unrecht gegen deinen Nächsten: welches (alles) das Evangelium nicht verbietet, ja vielmehr an anderer Stelle gebietet.“

Das Schwert, die Gewalt, ist so nach Luther ein besonderer Gottesdienst aus Liebe zum Nächsten, die der Christ schätzen soll, wie er auch die Ehe oder seinen Beruf schätzen soll. Für sich selbst soll sich der Christ nicht rächen, aber für die anderen soll er das Böse strafen, um diese zu Schützen und die Übergriffe des Bösen abzuwehren.

Dies ist Luthers berühmte Lehre von den beiden Regimentern in ihrer klassischen Formulierung. Teil II und Teil III seiner Schrift von 1523 beschäftigen sich nun zum einen mit der Frage, wie weit sich die Gehorsamspflicht gegenüber der weltlichen Obrigkeit erstreckt, dann damit, wie ein weltlicher Machthaber sich verhalten soll. Für die erste Frage ist folgende Unterscheidung zentral: Der Christ will im heiligen Geist seinem Herrn innerlich und ganz nachfolgen; der Anspruch des weltlichen Regiments hingegen erstreckt sich nicht auf das Innere, nicht auf die Überzeugung, sondern schützt den äußeren Menschen, „Leib und Gut und was äußerlich auf Erden ist. Denn über die Seele“, so Luther, „kann und will Gott niemand regieren lassen als sich selbst allein.“ Wo also das weltliche Regiment der Seele Gesetze geben will, verdirbt man sie. Jede Gewalt soll ja nur da handeln, wo sie die Dinge beurteilen kann. Deshalb ist es für Luther Unrecht, wenn weltliche Fürsten sein Neues Testament verbieten und beschlagnahmen. Die Kirche soll dem Glaubensirrtum entgegen treten und nicht die weltlichen Fürsten, da es um eine innere Bekehrung und Überzeugung aus Einsicht gehe und nicht um einen mit Gewalt erzwungenen Glauben. Die Kirche und ihre Amtsträger sollen aber nicht mit dem Schwert, sondern allein mit Gottes Wort regieren. Später, 1530 in der Auslegung von Psalm 82, erklärte Luther aber selbst, die Obrigkeit habe das Wort Gottes zu schützen und dürfe keine falsche Rotten aufkommen lassen.

Die Grenze des Gehorsamsanspruchs des weltlichen Schwerts ist in der Obrigkeitsschrift von 1523 dann erreicht, wenn es auf den inneren Menschen, seine Überzeugungen und sein Gewissen ausgreifen will. Luther war dabei gegenüber den Fürsten durchaus kritisch. Kaum einer derselben lebe gerecht. Es sei für Fürsten zwar nicht unmöglich, ein Christ zu sein, aber selten und mühsam. Sie lassen sich lieber schmeicheln. Anstatt selbstlos dem Wohl der Untertanen dienen zu wollen gehe es nur um Machtausbau und das eigene Vergnügen. So hat auch Luther immer wieder damit gerechnet, dass ungerechte Befehle von Fürsten ausgehen. Mancher von ihnen folgt etwa seinen „Räten und Eisenfressern, die ihn hetzen und aufreizen, Krieg anzufangen“. Dabei ist der Fürst „ein gar schlechter Christ, der um eines Schlosses willen das Land in Gefahr bringt. Gewaltanwendung ist nämlich nur zur Vermeidung eines größeren Unrechts erlaubt. Wo diese zu noch größerem Unrecht führt, ist sie verboten. Einem Fürsten nun, der unrecht hat, ist das Volk nicht schuldig zu folgen: „Denn gegen das Recht gebührt niemand zu tun; sondern man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Solange die Untertanen nicht wissen, ob ein Befehl gerecht oder ungerecht ist und solange sie dies nicht ohne weiteres in Erfahrung bringen können, sollen sie ihm folgen. Anders, wo er eine offensichtlich ungerechte Anordnung erlässt. Hier ist für Luther passiver Widerstand geboten. Aktiven Widerstand und Umsturz hingegen lehnt er ab. Beide führen regelmäßig zu einem größeren Übel als dem, das sie beseitigen möchte.

 

Luther und der Krieg gegen die Bauern und Türken

 

Mit dem konkreten Problem der Gehorsamspflicht und Erhebung gegen die Fürsten war Luther dann zwei Jahre später konfrontiert: Die Bauern hatten Luther und die Flugschriften anderer Vertreter der frühen reformatorischen Bewegung rezipiert und mit ihren Anliegen verbunden. Am weitesten verbreitet als Forderungskatalog waren die in Memmingen verfassten Zwölf Artikel, in denen kirchliche Forderungen wie die freie Pfarrerwahl sich mit der Berufung auf das alte Recht gegen ausgreifende Ansprüche der Obrigkeit verbanden. In ihnen wurden aus dem Evangelium weitreichende Ansprüche abgeleitet, grundherrschaftliche Abhängigkeiten abzuschütteln. Im April 1525 verfasste Luther seine „Ermahnung zum Frieden“, die seine Fürstenkritik fortführte: Nicht seine Deutung des Evangeliums sei schuld an der Erhebung der Bauern, sondern die ungerechte, bedrückende Herrschaftsausübung durch die Fürsten habe eine Mitschuld. Deshalb würden diese von Gott durch die Bauern gestraft. Freilich dürfen die Untergebenen, die Bauern, keine Selbstjustiz üben. Luther warnte vor Aufruhr. Das Evangelium dürfe nicht für weltliche Zwecke missbraucht werden.

Als der Aufstand aber auf Thüringen übergriff und dort mit Thomas Müntzer einen theologisch versierten Anführer erhalten hatte, wurde Luther schärfer: Im Mai erschien seine Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“. Die Bauern erheben sich gegen die rechtmäßige Obrigkeit und versuchen ihr Plündern und Rauben mit Hilfe des Evangeliums zu rechtfertigen. Alle haben die Pflicht, diese Rebellion zu unterdrücken: „Darum soll hie zuschmeißen, würgen und stechen heimlich oder öffentlich, wer da kann, und gedenken, dass nicht giftigeres, schädlicheres, teuflischeres sein kann, den ein aufrührerischer Mensch, gleich als wenn man einen tollen Hund totschlagen muss, schlägst du nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir.“

Dennoch hoffte Luther noch auf eine vertragliche Lösung. Er ermahnte die Bauern, zu Frieden und Gehorsam zurückzukehren. Auf das fürstliche Strafgericht hatten Luthers Ausführungen keinen Einfluss, dafür kamen sie ohnehin bereits zu spät. Trotzdem hat Luthers hartes Urteil über die Bauern schon Zeitgenossen irritiert. Seit dem Pietismus hat man hierin immer wieder eine beginnende Verhärtung und Erstarrung Luthers gesehen und den jungen Luther gegen den alten hochgehalten. Genau genommen ist seine Haltung aber die Anwendung seiner Lehre von den zwei Regimentern, die er bereits 1523 entfaltet hatte. Er selbst schrieb im Sommer 1525 „Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern“, wo dies so ausführte.

Nach der Schlacht von Frankenhausen bat der Anführer der kursächsischen Reiterei, Assa von Kram, Luther um eine Schrift, ob Kriegsleute, Soldaten, die getötet haben und töten, dennoch auch „in seligem Stand“ sein können. Luther legte seine Antwort Ende des Jahres 1526 vor. Bereits in seiner Obrigkeitsschrift hatte Luther erklärt, dass, wenn das weltliche Schwert von Gott ist, auch alle Mittel, die dieses gebrauchen muss und damit auch der Kriegsdienst im Auftrag Gottes seien. Nun bedachte er den Beruf des Soldaten in einem größeren Zusammenhang: Er könne eigentlich nur dann gut ausgeübt werden, wenn man ihn mit gutem Gewissen ausübe. Krieg könne berechtigt sein als „kleiner, kurzer Unfriede, der einem ewigen, unermesslichen Unfrieden wehrt“. Er könne so, trotz der Gewalt, ein Dienst der Liebe im Auftrag Gottes sein. Ein Krieg der Untertanen gegen die eigene Obrigkeit sei abzulehnen. Auch ein Tyrannenmord sei nicht erlaubt, auch wenn man einen wahnsinnig gewordenen Herrscher absetzen dürfe. Obrigkeit ändern und Obrigkeit bessern sind zwei Dinge und besser ist es, von der Obrigkeit Unrecht zu leiden, als als Untertan Unrecht zu tun. Gegen Gleichgestellte war Krieg hingegen erlaubt, aber nur als Verteidigungskrieg und mit dem Ziel, den Frieden zu wahren oder wieder herzustellen und Land und Leute zu schützen. Auch Krieg gegen Besoldung zu führen war für Luther erlaubt, solange dies nicht einer unangemessenen Bereicherung diente. Werde aber ein Krieg als Unrechtskrieg erkannt, so dürfe unter keinen Umständen teilgenommen werden, auch wenn die Rechtsvermutung zunächst einmal für die eigene Obrigkeit spreche.

An dieser Stelle noch zu Luthers Haltung zu den Türken: Das Osmanische Reich hatte 1529 beinahe Wien eingenommen und zur Zeit Luthers seine größte Ausdehnung. Flugschriften streuten Gerüchte über die besondere Grausamkeit der Türken. Meist sah man in ihrem Vordringen eine Strafe Gottes für die Sünden der Christenheit. Nur Minderheiten, so die Mehrzahl der Täufer, lehnten Gewaltanwendung gegen die Türken grundsätzlich ab. Luther hatte 1518, lange vor dem türkischen Sieg über das ungarische Heer bei Mohács, in seiner Resolution zur fünften Ablassthese erklärt: „Jetzt freilich träumen die meisten und gerade die größten in der Kirche von nichts anderem als von Kriegen gegen die Türken. Sie wollen nämlich nicht gegen die Ungerechtigkeit kämpfen, sondern gegen die Rute der Ungerechtigkeit, und wollen sich damit Gott widersetzen, der da sagt, dass er durch diese Rute unsere Ungerechtigkeiten heimsucht, weil wir sie selber nicht heimsuchen.“

Entstellt ging diese Aussage Luthers in die von Rom verurteilten Thesen ein. Erst 1529 setzte sich Luther aber mit den Türkenkriegen in einem kleinen Buch, „Vom Kriege wider die Türken“, auseinander: Zwar sei der Türke die Rute Gottes. Er habe aber nicht das Recht, andere Länder anzugreifen und sei zugleich der Diener des Teufels. Er müsse von den Christen mit Buße und Gebet, von der weltlichen Obrigkeit aber mit dem Schwert bekämpft werden. Einen Kreuzzug, einen Glaubenskrieg lehnte er ab. Die Christen sollen durch Gebet und die weltliche Obrigkeit aufgrund ihres weltlichen Amtes gegen die Osmanen kämpfen. Die Religion der Türken hebe die Grundordnungen (Kirche, Staat, Ehe/Haus) auf, den Christusglauben, die weltliche Herrschaft, da die Macht der Osmanen auf Raub und Mord beruhe, dazu die Ehe durch die Propagierung der Vielweiberei.

Wenig später, nach der Belagerung Wiens, erschien Luthers „Heerpredigt wider die Türken“ (1529). Türken und Papsttum seien beide antichristliche Mächte der Endzeit. Allegorisch werden die vier Tiere der Vision in Dan 7 ausgelegt. Einen Türken zu töten heiße, einen Feind und Lästerer Christi zu strafen. Wer im Verteidigungskrieg falle, sei ein Märtyrer, der im Gehorsam gegen Gottes Gebot sterbe. Gerade der strenge Lebenswandel und die Frömmigkeit der Türken übten dabei auf die Christen Anziehungskraft aus, so Luther. Seine Kenntnisse über den Koran bezieht Luther im Wesentlichen aus der mittelalterlichen lateinischen Übersetzung und der christlichen Kontroversliteratur. Entscheidend ist für ihn die Ablehnung des Glaubens an Christus. Dadurch müsse der Islam versuchen, das falsche Vertrauen auf die eigenen guten Werke zu propagieren. Als die Türken weitere Erfolg erzielten und bis auf einen kleinen westlichen Teil ganz Ungarn erobert hatten, veröffentlichte er 1541 die „Vermahnung zum Gebet wider die Türken“. Auch die Haltung gegenüber den Türken ist bei Luther von jenen Prinzipien geprägt, die er in seiner Schrift „Von der weltlichen Obrigkeit“ entwickelt hat: die Trennung der beiden Regimenter und das Recht des weltlichen Schwerts, Krieg zu führen, zum Erhalt des Friedens und der öffentlichen Ordnung, ohne dass dieser Krieg doch ein christlicher Glaubenskrieg wäre.

 

Die Wirkungsgeschichte von Luthers Lehre von den zwei Regimentern

 

Hat Luthers Zwei-Reiche-Lehre jene unheilvolle Wirkungsgeschichte gehabt, die Ausbildung des preußischen Obrigkeitsstaates und eines unheilvollen Untertanengehorsams? Der Vorwurf wird vor allem mit dem Schweizer Theologen Karl Barth in Verbindung gebracht: In einem während des Zweiten Weltkriegs gehaltenen Vortrag erklärte er: „Der deutsche Volk leidet an der Erbschaft des größten christlichen Deutschen, an dem Irrtum Martin Luthers hinsichtlich des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium, von weltlicher und geistlicher Ordnung und Macht, durch den sein natürliches Heidentum nicht sowohl begrenzt und beschränkt, als vielmehr ideologisch verklärt, bestätigt und bestärkt worden ist.“ Luthers Zwei-Reiche-Lehre habe die Geltung des Evangeliums auf einen geistlichen Bereich beschränkt, anstatt das Gesetz der Königsherrschaft Gottes über alle Lebensbereiche zu proklamieren. So erst sei der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus kirchlich ein Platz eingeräumt worden.

Hier ist aber erst einmal zu fragen, ob sich Luthers Position von derjenigen der anderen Reformatoren, besonders von der reformiert-schweizerischen Tradition, so grundlegend unterscheidet. Melanchthon hatte im 28. Artikel der „Confessio Augustana“ ähnlich wie Luther gelehrt: „Darum soll man die zwei Regimente, das geistliche und das weltliche, nicht ineinander mengen und werfen. Denn die geistliche Gewalt hat ihren Befehl, das Evangelium zu predigen und die Sakramente zu reichen, sie soll auch nicht in ein fremdes Amt fallen, soll nicht Könige einsetzen und absetzen, soll das weltliche Gesetz und den Gehorsam gegenüber der Oberkeit nicht aufheben und zerrütten, soll weltlicher Gewalt nicht Gesetze vorschreiben darüber, wie das öffentliche Leben zu regeln sei, wie denn auch Christus selbst gesagt hat: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. … Diesergestalt unterscheiden die Unseren beide Regimente und Gewaltämter, und heißen sie beide als die höchsten Gaben Gottes auf Erden in Ehren halten.“ In Artikel 16 heißt es zudem: „Von Polizei und weltlichem Regiment wird gelehrt, dass alle Obrigkeit in der Welt, geordnetes Regiment und Gesetze gute Ordnung, von Gott geschaffen und eingesetzt sind, und dass Christen ohne Sünde im Obrigkeits-, Fürsten- und Richteramt sein mögen, nach kaiserlichen und anderen üblichen Rechten Urteil und Recht zu sprechen, Übeltäter mit dem Schwert zu bestrafen, rechtmäßige Kriege zu führen, zu streiten, zu kaufen und zu verkaufen, aufgelegte Eide zu tun, Eigentum zu haben, ehelich zu sein.“

In der späten Überarbeitung seines Hauptwerks, der „Loci communes“, wird der weltlichen Obrigkeit aber die Pflicht und das Recht zugeschrieben, falsche und ungläubige Meinungen zu verbieten. Nur sie hat ja die Macht, effektiv gegen Irrlehrer vorzugehen. Der Staat wache so über beide Gesetzestafeln, die Gottesverehrung und die Nächstenliebe. Gegenüber Luther, der vom Fall des ungerechten Fürsten ausgeht und diesen warnt, in die Kirche hinein zu regieren, ist Melanchthons Sorge nun stärker, dass kirchliche Ansprüche dem Staat gegenüber übergriffig würden. Freilich hat auch bei ihm die Gehorsamspflicht gegen den Staat Grenzen: Im Konfliktfall mit göttlichen Ordnungen müsse man Gott mehr gehorchen als dem Menschen. Auch er unterscheidet: Die Welt, irdische Dinge, müssen nach dem Naturrecht regiert werden. Nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 hatten nur die weltlichen Fürsten das „Ius reformandi“ und damit die Entscheidungsbefugnis, ob das römisch-katholische oder das Augsburger Bekenntnis in ihrem Territorium galt. Die Tendenz ging im Reformationszeitalter meist zum landesherrlichen Kirchenregiment und damit zur Kontrolle der weltlichen Obrigkeit auch über die Kirche. Eine Stoßrichtung dagegen, die es bei Luther noch gab, trat in den Hintergrund, auch wenn gerade führende Theologen der lutherischen Orthodoxie unter Berufung auf Luther dagegen zu opponieren suchten.

Zwingli hatte eine eher monistische Konzeption vertreten. Die menschliche Gerechtigkeit müsse von der göttlichen bestimmt werden. Alle Lebensbereiche, das gesamte Gemeinwesen – Zwingli hatte den Stadtstaat Zürich vor Augen – müssen sich nach dem einen göttlichen Gesetz richten. Steht die Obrigkeit dazu im Widerspruch, so ist dagegen auch aktiver Widerstand Pflicht. Im Vergleich hierzu hat Calvin in Genf stärker die Scheidung zwischen weltlicher Obrigkeit und Kirche und so stärker die kirchliche Unabhängigkeit betont. Dennoch entwickelt er im berühmten Schlusskapitel IV,20 seiner „Institutio religionis christianae“ doch eine von Luther unterschiedene Konzeption: Auch er unterscheidet das äußerliche, bürgerliche Regiment vom inneren, das dem Heil der Seelen dient. Dennoch bestehe zwischen beiden Regimentern kein Gegensatz: Die weltliche Obrigkeit könne Gehorsam verlangen, doch habe sie „Dienerin der göttlichen Gerechtigkeit“ und „Werkzeug der göttlichen Wahrheit zu sein“. Sie habe für die Einhaltung der beiden Tafeln des Gesetzes zu sorgen. Hierzu müsse sie bisweilen Gewalt anwenden und Kriege führen. Die Untertanen haben ihr Ehrfurcht und Gehorsam entgegen zu bringen. Allerdings darf dieser Gehorsam niemals zum Ungehorsam gegenüber Gott werden. Ein aktives Widerstandrecht hat Calvin dem Einzelnen zwar nicht zugebilligt, wohl aber für untergeordnete Obrigkeiten: Er hatte hier vor allem die französische Unterdrückung des Protestantismus vor Augen.

Luther wäre missverstanden, wollte man einen Gegensatz zwischen beiden Regimentern bei ihm finden. Beide üben ihr Amt im Auftrag Gottes aus und der Christ dient dem Gemeinwesen, wenn er für die anderen eine Funktion im weltlichen Regiment übernimmt. Dennoch war der junge Luther skeptisch gegenüber den weltlichen Machthabern, ob diese wirklich selbstlos den ihnen Anvertrauten dienen. Das weltliche Regiment steht unter ethischen Normen und wird bei ihm daran gemessen, aber diese sind Normen der philosophischen Gerechtigkeit und nicht die Bergpredigt. Die reformierte Tradition neigt hingegen dazu, die ethischen Regierungsnormen aus dem Evangelium selbst abzuleiten, muss sich dann aber die Frage stellen lassen, ob dies nur um den Preis einer erheblichen Abschwächung überhaupt möglich ist. Ein zweiter, damit faktisch, aber nicht unbedingt notwendig zusammenhängender Unterschied ist, dass Luther bei ungerechtem Regierungshandeln von einem passiven Widerstandsrecht ausgeht, während in der reformierten Tradition teilweise auch die Lehre eines aktiven Rechts auf Widerstand, also auf Umsturz, entwickelt wurde.

In den lutherisch geprägten Territorien hat das landesherrliche Kirchenregiment dann faktisch zu einer intensiven staatlichen Kontrolle und Aufsicht über die Kirche geführt. Dies wurde dadurch begünstigt, dass schon bei Luther selbst die Lehre von den Zwei Regimentern in späterer Zeit keine große Rolle spielte. Er unterschied meist drei Stände, Ehe und Haus, Staat (und Gemeinwesen) und Kirche. Alle drei von Gott eingesetzten Stände begründen Gehorsamspflichten. Diese Lehre war im späteren Luthertum häufig eng mit der ständischen Gesellschaftsordnung verknüpft, sozusagen deren Spiegel. Die Berufung auf die Kirche als eigener Stand hatte das Potential zu einem antiabsolutistischen, traditionalen Kontrapart im Luthertum. Anders sah das kurz vor dem Ersten Weltkrieg Ernst Troeltsch in seinem Werk „Die Soziallehren der Kirchen“: Das Luthertum habe einen passiven Obrigkeitsgehorsam gegen jede Form von Staatsautorität entwickelt. Wie angedeutet ist dies nicht ganz korrekt: Die lutherischen Geistlichen hatten sich gar nicht in striktem Obrigkeitsgehorsam den jeweiligen Verhältnissen angepasst, sondern eben nur der ganz traditionellen, die gegen Modernisierung und Absolutismus verteidigt und oft auch dogmatisch überhöht wurde. Die lutherische Theologie besann sich hiergegen auf den frühen Luther und arbeitete dessen nun als Zwei-Reiche-Lehre betitelte Verhältnisbestimmung heraus, zumal die Revolutionen von 1918 das landesherrliche Kirchenregiment hinwegfegten und ein Vakuum hinterließen. So war die Zwei-Reiche-Lehre in der Weimarer Zeit ebenso umstritten wie hochaktuell und wurde zu einem Kristallisationspunkt der Luther-Renaissance, um dessen Relevanz für die Gegenwart zu demonstrieren.

Der Gegensatz zwischen reformierter und lutherischer Ethik schien sich dann im Dritten Reich mit unterschiedlichen Optionen im protestantischen Kirchenkampf zu verbinden. Gegen die Gleichschaltung der evangelischen Landeskirchen durch eine nationalsozialistisch geprägte Reichskirche mit einem Reichsbischof hatte sich Ende Mai 1934 in Barmen eine Bekenntnissynode versammelt, die eine vor allem von Karl Barth verfasste Erklärung verabschiedete, die zwar in These 5 Staat und Kirche unterschied, die aber in These 1 formulierte: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“

Der bayerische Landesbischof Hans Meiser, wie seine Erlanger Theologen streng lutherisch, wollte zwar noch Hermann Sasse zu den Beratungen schicken, um das Gewicht dieser Tradition zu stärken. Doch dieser konnte wegen Krankheit nicht teilnehmen. Zwei Wochen nach der Synode wollten deshalb die Erlanger Theologen Paul Althaus und Werner Elert in Ansbach lutherische Anliegen aktualisieren: Sie wollten die lutherische Bipolarität betonen, dass Gott zu uns zweifach, in Gesetz und Evangelium, rede. Das Gesetz binde an den Stand, an den man von Gott berufen worden sei „und verpflichtet uns auf die natürlichen Ordnungen, denen wir unterworfen sind, wie Familie, Volk, Rasse (d.h. Blutszusammenhang)“. Auch binde der Wille Gottes uns an den jeweiligen historischen Augenblick.

Die Forschung hat aber doch inzwischen gezeigt, dass man zu kurz springt, wenn man einfach eine widerstandsbereite Bekennende Kirche von staatsloyalen Lutheranern unterscheidet. Denn auf der einen Seite vertraten die Mitglieder der Barmener Bekenntnissynode ein ganz unterschiedliches, meist nationalkonservatives Spektrum. Auch Nationalsozialisten waren darunter. Nur eine kleine Minderheit war sensibel für die bereits angelaufene Judendiskriminierung und Verfolgung. Umgekehrt leistete auch die Bayerische Landeskirche erheblichen Widerstand gegen die Gleichschaltung in der Reichskirche und hatte damit auch Erfolg, gerade um das traditionelle lutherische Bekenntnis zu bewahren. Lange Zeit war die Aufarbeitung des Verhaltens der evangelischen Kirche im Dritten Reich einseitig aus der Perspektive der Bekennenden Kirche geprägt. Während dieser zu Unrecht tendenziell ein geschlossener Widerstandsgeist zugeschrieben wurde, wurden die Widerstandspotentiale anderer kirchlicher Gruppierungen unterschätzt.

Nach dem Krieg spaltete so die Zwei Reiche-Lehre die Lager: ein konservativ-lutherisches, eher den Unionsparteien nahestehendes und ein durch das SPD-Mitglied Barth und die Bekennende Kirche geprägtes anderes, dass diese Lehre für eine zu kritiklose Obrigkeitsnähe des Luthertums verantwortlich machte. Neufundierungen waren in der Nachkriegsgesellschaft zu leisten, sodass ab 1950 die Zwei-Reiche-Lehre zu einem äußerst umstrittenen Theorem wird, dem die Befürworter noch erhebliche Gegenwartsrelevanz zuschrieben. Danach orientierte sich die Evangelische Kirche zunehmend neu. Luther mochte man akzeptabel deuten können. Brauchbare Impulse für die Gegenwart schienen in diesem Punkt kaum mehr von ihm auszugehen.

 

Fazit

 

Die Zwei-Regimenter-Lehre Luthers wurde also zu Unrecht beschuldigt, die Hauptursache zu sein an einer zu großen Staatsnähe des Luthertums. Sie war ja eher ein antiabsolutistischer Stimulus. Natürlich dachte bereits Luther den einzelnen Christen als Untertan des weltlichen Regiments. Gedanken an partizipativer Mitbestimmung lagen ihm noch fern. Das Luthertum verteidigte dann die traditionelle, dogmatisch nun überhöhte Lebenswelt selbst gegen den Staat, wenn dieser als Modernisierer auftrat. Ethisch zu verantworten hatte sich die staatliche Gewalt auch nach dem Luthertum, nur waren es die Gerechtigkeitsforderungen des Naturrechts und nicht die ethische Verkündigung des Reiches Gottes durch Jesus, die hierfür den Maßstab geben sollte. Risiken der politischen Fehleinschätzung boten auch der Anspruch, dass das Evangelium das Gesetz für alles staatliche Handeln abgeben sollte und der damit implizierte Auftrag des Staats.

Die große Chance in Luthers Zwei-Regimenter-Lehre liegt wohl darin, den Wahrheitsgehalt der Bergpredigt ernst nehmen zu können und zugleich nicht den fatalen Versuch unternehmen zu müssen, aus ihr ein staatliches, unerfüllbares und damit abgeschwächt-verfälschtes Gesetz aus ihr zu machen.

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Herzlichen Dank für diese besonders liebenswürdige Begrüßung mit unvollständiger Verlesung meines „Vorstrafenregisters“. Ich bedanke mich sehr für die Einladung, die ich gerne angenommen habe, zumal sie die Gelegenheit bietet, mit Ihnen über ein Thema nachzudenken, das ganz sicher nicht neu ist, aber ebenso sicher nicht überholt ist, und mit dem ich mich selber seit sicher…
Am 11. März 2025 fand das 113. Akademiegespräch mit Offizierinnen und Offizieren aus Bundeswehrstandorten in Süddeutschland statt, an dem mehr als 150 Soldatinnen und Soldaten teilnahmen. Ausgehend von seinem Buch Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt sprach der Theologe und Soziologe Prof. Dr. Jan Loffeld zum Thema Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt. Gibt es einen Wunsch des…

Aktuelle Veranstaltungen zum Thema: Gesellschaft | Wirtschaft | Politik

Shutterstock/Jose HERNANDEZ Camera 51
Ein russischer Aufruf gegen den Krieg in der Ukraine
Akademiegespräch am Mittag mit Prof. Dr. Kristina Stoeckl und Dr. Johannes Oeldemann
Mittwoch, 14.01.2026
Ordo-socialis-Preis 2025 an Sylvie Goulard
Dienstag, 27.01.2026
Ministerie van Buitenlandse Zaken/Wikimedia Commons
Menschenrechte verteidigen
… nach dem Seitenwechsel der USA
Mittwoch, 28.01.2026