Wie soll man beten?

Beispiele aus der Kunst veranschaulichen den sichtbaren Ausdruck des Gebets

Im Rahmen der Veranstaltung "Vom Sinn des Betens", 17.02.2025

Mönch am Meer (1808/1810), Caspar David Friedrich / Wikimedia Commons, Public Domain

Romano Guardini gehörte zu den großen Figuren des religiösen Lebens in Deutschland im 20. Jahrhundert. Kaum zu überschätzen war seine Wirkung als öffentliche Person, als Prediger, als Seelsorger und Publizist. Doch kam die öffentliche Wirkung des charismatischen Theologen nicht von ungefähr: Vielen Studierenden verhalf er zu Orientierung, gerade in der Nachkriegszeit, einer Zeit des Neuanfangs und vielfältiger Hilflosigkeit und Aporie. Ihnen blieb vor allem der Universitätsprediger Guardini aus den Sonntagsgottesdiensten in St. Ludwig in Erinnerung. Guardini war auch und nicht zuletzt eine Leitfigur der vor allem von jungen Katholiken begeistert aufgenommenen Liturgischen Bewegung. Die auf Burg Rothenfels gefeierten Gottesdienste hatten eine lange anhaltende Strahlkraft und nahmen Vieles vorweg, was Jahrzehnte später durch das II. Vatikanische Konzil erst möglich wurde. Schon seit seinen frühen Jahren beschäftigte er sich in mehreren Texten mit der Liturgie, ihrem Sinn, ihrer Form, ihrem Gehalt (Vom Geist der Liturgie, 1918 oder Von heiligen Zeichen, 1920). Sie fanden weite Verbreitung, wurden oft gedruckt und von Vielen gelesen. Im Unterschied zu der ein Jahrzehnt später erschienenen Mess-
erklärung
im Geiste der liturgischen Erneuerung, verfasst von dem österreichischen Liturgiker Pius Parsch, der eine Erklärung der Messfeier aus ihrer Geschichte heraus bot, bemühte sich Guardini um eine offenere Darstellung, es ging ihm, wie er in seinem Text Von heiligen Zeichen schrieb, nicht „um vergangene Wirklichkeit, sondern um gegenwärtige, die immer aufs neue geschieht; um Menschenwirklichkeit in Gestalt und Handlung. Die aber bringt man nicht nahe, indem man sagt: Sie ist damals entstanden, und hat sich so und so entwickelt. Auch nicht, indem man ihr irgendwelche Lehrgedanken unterlegt. Sondern indem man hilft, an der leibhaftigen Gestalt das Innere abzulesen … am irdischen Vorgang das Geistlich-Verborgene … Es gilt also vor allem, jenen lebendigen Akt zu lernen, mit dem der glaubende Mensch die ,sichtbaren Zeichen unsichtbarer Gnade‘ auffasst, empfängt, vollzieht.“

In einem 1923 erstmals publizierten, programmatischen Text mit dem Titel Liturgische Bildung schrieb er, der Mensch müsse wieder „symbolfähig“ werden. Er habe sein musisches Können verlernt, das zeige sich unter anderem am Verlust der Bildhaftigkeit seiner Sprache, dem Verlust einer ausdrucksvollen Körperhaltung, der Unfähigkeit zu Spiel und Tanz. Verloren gehe das Geformtsein der Körperlichkeit durch den Geist und das Offenbar-Werden des Geistes im Körper … lebendige Liturgie werde abstrakt, formelhaft, schematisch, rituell. Das Körperhafte der Religion, das Körperhafte von Kult, Ritus, Symbol werde immer weniger verstanden … Was hier vom Gläubigen in der Liturgie gesagt wird, trifft auf alle Situationen des Betens zu, ob es sich nun um die Teilhabe und Mitfeier der gemeinschaftlichen Liturgie handelt oder um das private Gebet der oder des einzelnen. Vielleicht ist es bezeichnend für die allgemeine Gültigkeit und gleichzeitig die individuelle Offenheit, dass es bis heute keine eindeutige, alle Momente einschließende Begriffsbestimmung des Gebets gibt, auch wenn Einigkeit darüber besteht, dass es zu den unerlässlichen Vollzügen des christlichen Lebens gehört.

Da es nur schwer begrifflich zu fassen ist, was Gebet bedeutet, liegt die Frage nahe, wie man in der bildenden Kunst versuchte anschaulich zu machen, was man eigentlich nicht zeigen kann, den innerlichen Akt des Gebets nämlich. Was man jedoch zeigen konnte, war der körperliche Ausdruck des Betens; um es mit Guardini zu sagen, die Verleiblichung der Innerlichkeit. Dies betraf Körperhaltung und Gesten, die das Beten begleiten. Mit solchen Ausdrucksgebärden sind besondere Verhaltensweisen angesprochen, bei denen entweder der ganze Körper einbezogen ist (Stehen, Gehen, Sitzen, Knien, Sich Verneigen, Sich Niederwerfen) oder für Teile des Körpers, vor allem Kopf und Hände. Es gibt zahlreiche Werke in den Bildkünsten, die Betende zeigen, also Gläubige, die zu Gott oder den Heiligen beten und damit in eine aktive Beziehung zu Gott treten. Die Kunst liefert zahllose Beispiele dafür, die nicht nur erzählerisch von solchen Geschehnissen Zeugnis geben und auch belegen, wie dieser Vorgang in unterschiedlichen Zeiten verwirklicht wurde, sondern sollte gewiss auch durch Beispiele demonstrieren, auf welche Weise dies geschehen konnte und geschehen kann und liefert damit auch – wenngleich immer zeitbedingte – Antworten auf die Frage, wie man beten kann, wie man beten soll.

I.

Aus der Antike ist der sogenannte Orantengestus bekannt – die Bezeichnung geht auf das lateinische Wort orare für Beten zurück –, eine Körperhaltung, bei welcher die oder der Betende die flachen Hände erhebt, zum Himmel streckt und damit seiner Anrufung der Gottheit, seiner Bitte, seinem Gotteslob, sinnenfälligen, sichtbaren Ausdruck verleiht. Es ist dies ein aus vielen antiken Kulturen bekannter Gebetsgestus, den viele griechische und römische Kunstwerke bezeugen. Dieser im Stehen ausgeübte Gestus war der häufigste und allgemein verbreitete Gebetsgestus, der im Christentum übernommen wurde und gebräuchlich blieb. Dies belegen viele Darstellungen aus der Frühzeit des Christentums wie die christliche Beterin im Orantengestus in der Katakombe der Priszilla in Rom, aus der Zeit zwischen dem 2. und dem 4. Jahrhundert, und Noah in der Arche. Auch der biblische Patriarch hat seine Hände erhoben, während er seinen Lobpreis Gottes spricht. Erst recht mehren sich die Zeugnisse dafür in der christlichen Kunst nach der staatlichen Anerkennung des Christentums im römischen Reich unter Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert. Wie langlebig der Brauch war, das private Gebet mit dieser Gebärde zu begleiten, zeigen Darstellungen Mariens und verschiedener Heiliger bis ins 11. Jahrhundert. Für Maria behielt man dies in der Kunst der östlichen Kirchen auch später bei. Dieser Gestus blieb allgemein bis ins 11. Jahrhundert gebräuchlich, danach nur als Gebetshaltung des Priesters bei der Messfeier.

Doch sind die Hände nur ein Teil der beim Gebet üblichen Körperhaltung. Man betete seit der Antike im Stehen, die Griechen entblößten dazu das Haupt, während die Römer das Haupt bedeckten. Auch im Christentum war das Stehen die übliche Körperhaltung, ein Gestühl in den Kirchen, wie wir es heute kennen, in dem man knien oder gar sitzen kann, gab es erst seit dem späten Mittelalter, vorher gab es allenfalls eine Bank für die Gebrechlichen, Kranken und Alten, die das lange Stehen nicht hätten durchhalten können. In der Antike und im ersten Jahrtausend der Kirchengeschichte ist kaum vom kniefälligen Beten die Rede, allerdings kam es gelegentlich als besondere Unterwerfungsgeste in antiker und nachantiker Zeit vor. Gleiches gilt von Verbeugung, Kniebeuge und Prostratio, dem Sich Niederwerfen, bei dem der ganze Körper einbezogen ist. Beides wird auf alttestamentliche Gebräuche zurückgeführt wie etwas auf Ps 95,6 (Kommt lasst uns niederfallen, uns vor ihm verneigen, lasst uns niederknien vor dem Herrn, unserm Schöpfer). Kniebeuge und Prostratio (griech. Pros-
kynese
) waren in der monastischen Liturgie im Mittelalter häufig – bei den Mönchen nannte man dies humiliatio (von humiliare – sich erniedrigen) und zeigte beides auch in Psalterhandschriften, die ja von Mönchen ausgestaltet und benutzt wurden: als Beispiel für David, der das Knie beugt, eine Darstellung aus dem Stuttgarter Psalter, einer karolingischen Handschrift aus der Zeit um 820/830, und als Bild für die humiliatio Davids eine Darstellung im sogenannten Hamilton-Psalter, einem von Benediktinern in der Gegend von Florenz im späten 12. Jahrhundert ausgestatteten Codex. Diese Gebetshaltung, die prostratio, ist in der heutigen Liturgie selten geworden (man kennt sie noch in der Karfreitagsliturgie, bei der Priester- und Bischofsweihe oder bei der Benediktion von Äbten). Sich niederzuwerfen war im Mittelalter aber auch aus dem profanen öffentlichen Raum bekannt als Huldigungsgestus im byzantinischen Hofzeremoniell oder im lateinischen Westen als ein aussagekräftiges Zeichen bei der Deditio, der symbolischen Unterwerfung des Unterlegenen bei der Beendigung von Konflikten.

II.

Es gibt aus dem frühen Mittelalter kaum Bildbeispiele und nur wenige schriftliche Zeugnisse über Gebetshaltungen und Gebetsgesten. So weiß man, dass im Frühjahr 836 Abt Lupus von Ferrières sich an den Hof Kaiser Karls des Großen wandte und sich erkundigte, wie man es mit dem Gebrauch von Bildern halten solle. Ihm antwortete einer der wichtigsten Gelehrten des Hofs, Eginhard oder Einhard, der spätere Biograph des Kaisers, und unterschied präzise zwischen Verehrung, Anbetung und Gebet. Das Gebet (oratio) richte sich an den unsichtbaren Gott, es ruft und fleht ihn an, wobei man Geist und Stimme gebrauche, nicht aber der Körpergesten bedürfe. Anbetung und Verehrung seien auf etwas Sichtbares und unmittelbar Anwesendes gerichtet. Mit einschlägigen Zitaten belegte Einhard dieses officium corporis, die Indienstnahme des Körpers beim Neigen des Kopfes, dem Verbeugen oder Sich Niederwerfen des ganzen Körpers, dem Ausstrecken der Arme und Öffnen der Hände. Als sich der Bulgarenherrscher Boris taufen ließ, fragten die Kleriker 864/865 bei Papst Nikolaus I. in Rom an, welche Gebetsgesten erlaubt seien und welche nicht. Die Griechen hätten behauptetet, dass wer in der Kirche stehe und seine Hände nicht vor der Brust gekreuzt habe, eine schwere Sünde begehe. Der Papst antwortete 866, wer diese Haltung einnehme, zeige damit an, dass seine Hände gebunden seien und er sich dem Willen Gottes unterwerfe. Doch seien solche Bekundungen der Demut von Ort zu Ort verschieden.

Im lateinischen Westen wurden seit dem 11. Jahrhundert zwei Gebetsgebärden üblich, die fortan für das individuelle Gebet charakteristisch sein sollten. Der oder die Betende faltet die Hände, in der Regel mit den aufeinandergelegten Handflächen, und lässt sich für das Gebet auf beide Knie nieder. Die Darstellungen zeigen beide Varianten: die bei der intensiven Anrufung Gottes flehentlich erhobenen Arme mit gefalteten Händen wie bei dem Schweizer Ritter, der um Nachsicht für seine Sünden bittet. Man sieht diesen intensivierten Gestus auch bei dem Verbrecher, der in seiner Not Zuflucht beim Gekreuzigten findet, eine Szene aus der Legende des hl. Giovanni Gualberto, dem Gründer der Vallombrosaner, einer benediktinischen Ordensreform um 1200. Häufiger ist die gewöhnliche Form, der Normalzustand sozusagen, bei dem die gefalteten Hände eng vor der Brust mit an diese angelegten Armen gehalten werden; eine Haltung, die es auch erlaubte, sie für einen längeren Zeitraum einzunehmen, wie es das spätmittelalterliche Fresko mit dem Stifterpaar aus der Familie der Spanheimer, damals Herzöge von Kärnten, in der Abteikirche der Benediktiner von St. Paul im Lavanttal zeigt.

Die Handgeste wurde – darüber ist man sich in der Forschung mittlerweile einig – aus dem weltlichen Huldigungszeremoniell übernommen. Nach frühen Belegen schon aus dem 7. Jahrhundert war dies im Hochmittelalter, im Zusammenhang mit dem entwickelten Feudalwesen, ein wichtiges, öffentliches Zeichen für die rechtsverbindliche und verpflichtende Beziehung zwischen dem huldigenden Vasallen und dem Lehensherrn, wie es eine der Zeichnungen in einer Rechtshandschrift mit dem Text des Sachsenspiegel aus dem 14. Jahrhundert demonstriert. Der vor dem Lehensherrn kniende Vasall präsentiert dem sitzenden Lehensherrn, hier dem König, seine zusammengelegten Hände, die jener mit seinen eigenen Händen umfasst. Man nennt diesen Vorgang immixtio manuum, Vermischung der Hände. Im Unterschied zur Rechtsgebärde gehen die gefalteten Hände der Betenden scheinbar ins Leere, spiegeln als symbolisches Zeichen ein neues Verständnis der Beziehung zwischen Gläubigen und Gott, durchaus analog der hierarchischen Beziehung zwischen Lehensherrn und Vasall, nun aber auch Ausdruck der hoffnungsvollen Zuversicht auf die Hilfe des Herrn, dem man sich erkennbar unterordnet. Dazu gehören auch der Kniefall und das Knien, das im 12. Jahrhundert für besondere Situationen immer öfter erwähnt wird. Im 13. Jahrhundert wurde das Knien auch zu einer in der Messe üblichen Haltung, seit dieser Zeit gibt es genauer differenzierte Regelungen, wann die Gläubigen während der Eucharistiefeier stehen oder knien sollen. Seit dieser Zeit wird immer öfter das Stehen beim Gebet als Indiz für religiöse Lauheit gedeutet, als Mangel an Bereitschaft, sich Gott unterordnen, angemessen allenfalls für diejenigen, die am Kirchenportal stehenbleiben und nicht dem Altar nähertreten wollen. In einer französischen Handschrift, einem Traktat über die Messe aus dem frühen 14. Jahrhundert, sind die verschiedenen Abläufe der Messe, wie sie damals gefeiert wurde, und einiger der darin betrachteten theologischen und geistlichen Inhalte wiedergegeben. Das erste Bild zeigt die während des Sündenbekenntnisses (Confiteor) des Priesters und der Antwort darauf kniende Gemeinde, die mit deutlich erhobenen gefalteten Händen ins Kyrie einstimmt. Die Bitte um Gottes Vergebung entspricht der Sehnsucht der Patriarchen und ihrer Befreiung durch diesen. Der Kyrie-Ruf in der Messe fußt auf der heilsgeschichtlichen Gewissheit, dass Christus Mensch geworden ist, im freiwilligen Selbstopfer am Kreuz den Erlösungstod auf sich nahm und in der Auferstehung den Tod überwunden hat. Während des Sanctus stehen die Gläubigen, sie knien nieder, wenn der Canon missae beginnt. Die Glocke ertönt und der Priester erhebt die Hostie. Während des Agnus Dei bricht der Priester die Hostie, die Gläubigen verharren im Gebet, beim dritten Agnus kommt der Hl. Geist auf die Gläubigen herab. Während die Gemeinde immer noch kniet, folgt der Kommuniongesang Nunc dimittis, während der Priester den Kelch reinigt und vor dem Schlussevangelium (den Segen am Ende der Messe gab es nur in der Pontifikalmesse von Bischöfen und Äbten) den knienden Gläubigen die Kommunion reicht. Diese Bildfolge illustriert das durch Haltung und Handgebärden unterstützte, gemeinschaftliche Verhalten der Gläubigen während der Messe.

An dieser Praxis änderte sich in den folgenden Jahrhunderten kaum etwas. Da das Knien zur Normalhaltung der Gläubigen geworden war, wurden im 14. Jahrhundert allmählich Gestühle üblich, ebenso Chorgestühle für die Kleriker wie Kniebänke für die Laien, wie man es bei den Stiftern des von Friedrich Herlin gemalten Hochaltarretabels der Pfarrkirche St. Georg in Nördlingen (1462) sehen kann. Oft richteten sich vermögende Familien solche Gestühle ein. Da die meisten Gläubigen die lateinische Liturgie nicht verstehen konnten, wurde es außerdem üblich, während der Messe volkssprachliche Andachten zu verrichten, in er bekanntesten Form den Rosenkranz. Freier konnten sich die Gläubigen außerhalb des Gottesdienstes benehmen, so etwa am Ziel ihrer Wallfahrt bei der Verehrung von Reliquien und dem fürbittenden Gebet beim jeweiligen Heiligen, dessen Fürsprache man dort erbat. Auch dafür zwei Beispiele. Man sieht die Verehrung zweier Heiligengräber; hier ging es um Gebet, aber auch um Berührung, Ausdruck einer für das Spätmittelalter charakteristischen stark verdinglichten, körperlichen Frömmigkeit, die sich im späten 14. und 15. Jahrhundert in Phänomenen religiöser Erregung bis zu Schwärmertum und einer breiten populären Mystik äußerte. Begeisterte Volksmassen ließen sich von charismatischen Predigern mitreißen (Verbrennen von Luxusgegenständen und Spielgeräten). Doch war dies auch ein individuelles Phänomen, so weiß man, dass die Mutter des Dominikaners Heinrich Seuses, regelmäßig beim Kanon der Messe bei der Vorstellung der Schmerzen Christi während der Passion in Tränen ausbrach. Dies entsprach einer ebenfalls zeittypischen Bemühung um Innerlichkeit. Das vermehrte private Gebet wurde unterstützt durch Hilfsmittel wie den Rosenkranz, der als populärstes Laiengebet das individuelle Gebetsleben der Gläubigen bis in die Moderne bestimmte.

III.

Doch hatten sich bereits seit dem 12. Jahrhundert mehrere Theologen Gedanken gemacht, welche Körperhaltungen und Gesten für das Gebet bzw. bestimmte Gebetsformen geeignet sein könnten. Ein französischer Theologe, vielleicht der Pariser Lehrer Petrus Cantor, kurz vor 1200, beschrieb ausführlich, die – wie der Verfasser es nannte, Werkzeuge des Betenden, der durch seine Körpergebärden seine Ergebenheit gegenüber Gott beweist. Der Verfasser unterscheidet sieben Arten des Betens und liefert biblische Belege dafür und oft auch Begründungen, in welchen Situationen bzw. mit welchem Anliegen die Gesten und Haltungen bevorzugt anzuwenden seien: Er nennt das Emporheben der Hände, die Arme vor der Brust ausgebreitet wie Christus am Kreuz, mit gefalteten Händen auf Gesichtshöhe, Knien mit gefalteteten Händen, die Prostration mit gefalteten Händen, die tiefe Verneigung des Oberkörpers und Knien mit gebeugtem Oberkörper und gefalteten Händen. Die gefalteten Hände etwa empfahl er, wenn das Gebet eine Bitte enthält (Deus propitius esto). Streng ist der Verfasser mit der nach seiner Meinung fehlerhaften und deswegen ungenügenden Ausführung: Knien darf man auf keinen Fall auf einer erhöhten Auflage, einem Stein oder Brett, der Abstand zwischen den Knien und Fußspitzen muss der gleiche sein, sonst ist das Gebet „erschwindelt“. Dass der Text gleichermaßen an Laien und Kleriker gerichtet war, zeigen die verschiedenen Abschriften, die einmal die Ausführung durch Laien, vielleicht die Mitglieder einer Bruderschaft in Venedig, zeigen und das andere Mal durch Mönche. Seit dem 13. Jahrhundert wurde Seelsorge und Gebetspraxis der Laien immer öfter zum Thema theologischer Erörterungen. Ein bedeutender Liturgiker, der Erzbischof Wilhelm Durandus von Mende, mahnte, die Kleriker hätten darauf zu achten, dass die Gläubigen, wenn der Name Jesu oder Mariens genannt werde, den Kopf wenigstens zu neigen hätten oder das Knie beugen. Der Kniefall oder die Kniebeuge wird auch vor der geweihten Hostie angeordnet. Der Dichter Robert de Blois erinnerte die Damen des Adels in einer Schrift über das Benehmen von Damen daran, sie hätten sich bei der Verkündigung des Evangeliums und bei der Elevation der Hostie in der Messe mit gesenktem Haupt und gefalteten Händen zu erheben, anschließend niederzuknien und für die Christenheit zu beten. Sitzenbleiben dürften sie, wenn sie krank oder schwanger seien.

Daneben gab es eine Handbuchliteratur für Mönche. Schon der General der Dominikaner, Humbert de Romans, hatte nach der Mitte des 13. Jahrhunderts in seinem Kommentar zu den Statuten seines Ordens über die verschiedenen Verneigungen ein ganzes Kapitel geschrieben und war dabei ausführlich auf die unterschiedlich tiefen Neigungen des Kopfs und Kniebeugen bis zum Sich-Niederwerfen mit dem ganzen Körper eingegangen. Bekannter war ein kleiner Text, den ein anonymer Dominikaner zwischen 1280 und 1288 verfasste unter dem Titel De modo orandi corporaliter sancti Dominici (Über die Art des hl. Dominikus mit dem Körper zu beten). Bekannt wurde das Buch auch deshalb, weil man es lange Zeit für ein Werk des Ordensgründers Dominikus hielt. Der Autor verband die verschiedenen, Dominikus zugeschriebenen Gebetsformen mit Psalmzitaten und berief sich auf Augustinus, demzufolge zwischen den Bewegungen des Körpers und der Seele eine Wechselwirkung bestehe. Den Text illustrieren Darstellungen des Dominikus bei der Ausübung der verschiedenen Gebetsformen. Bei den Dominikanern waren Text und Bilder durch Abschriften bekannt und wurden auch Vorbilder für die Fresken, mit denen der Dominikaner Fra Angelico in den 1440er Jahren die Zellen der Novizen im Kloster von San Marco in Florenz schmückte und an das den Mönchen vor Augen gestellte Vorbild ihres Ordensgründers und seine besondere Christusfrömmigkeit erinnerte. Die Szenen beziehen sich auf die Verehrung des Gekreuzigten, Reflex der starken Betonung der ­Passionsfrömmigkeit und christozentrischen Theologie der Zeit. Beispiel dafür ist auch die italienische Tafel mit drei Heiligen vom Anfang des 15. Jahrhunderts – dem hl. Benedikt in der weißen Kukulle der Kamaldulenser, dem hl. Romuald, dem Gründer dieser benediktinischen Reformbewegung, und dem hl. Franziskus, dem mit den Stigmata des Gekreuzigten ausgezeichneten Ordensgründer der Franziskaner. Alle drei zeigen unterschiedliche Gebetshaltungen, Romuald das für Mönche typische Verbergen der Hände in den Ärmeln des Chorhemds, der Kukulle.

Gerade im Spätmittelalter wurden die Werke der Frömmigkeit, geistliche und caritative Stiftungen u. ä., in einem heute kaum mehr vorstellbaren Maß gesteigert. Diese kumulative Frömmigkeit, die in einem eigentümlichen Gegensatz steht zu den sozialen Verwerfungen der Zeit, zu den Kriegen, Kontrollverlusten und Normverletzungen aller Art, gerade bei den Herrschenden und Vermögenden, hat verschiedene Gründe. Fremd wirkt heute die damals unangefochtene, selbstverständliche Durchdringung von Weltlichem und Religiösem. Bis in die Neuzeit hinein waren Religion und Gesellschaft eine den Alltag bestimmende, lebensweltliche Einheit. Stark betont wurde die Eschatologie. Die einzelnen Gläubigen wussten sich in der Spannung zwischen der eigenen Sündhaftigkeit und der Vollendung im Jenseits. Man war sich eines neuen Lebens nach dem Tod gewiss, dem die Auferstehung des Leibes vorausgehen musste. Voraussetzung für die Umstände dieser neuen endzeitlichen Existenz war die strenge und gerechte Beurteilung des irdischen Lebens durch Gott als Richter und die Zuweisung eines Aufenthaltsorts für die Ewigkeit, Himmel oder Hölle, zugeteilt und bemessen nach erworbenen Verdiensten oder begangenen Verfehlungen. Die Hoffnung auf das fürbittende Gebet, das die Leiden der armen Seelen zu lindern vermöchte, die Hoffnung auf die Fürsprache der Heiligen, aber auch auf die Wirkung guter Werke stellvertretend zum Nutzen anderer, verfestigten solche ökonomisierenden Vorstellungen.

Hinzu kam, dass seit dem Hochmittelalter die Sorge um die memoria/mittelhochdt. gedechtnus, Erinnerung, zu den Grundanliegen gehörte. Dies betraf nicht nur das individuelle Erinnern, sondern auch und erst recht die stetige, institutionalisierte Erinnerung in Liturgie und Geschichte. Die memoria in der Liturgie, aber auch im privaten Gebet, sorgte durch fürbittendes Gebet und durch die auch den Verstorbenen zugutekommenden Früchte des Messopfers für Erinnerung mit einer erhofften, auf Zukunft ausgreifenden Wirkung. Zahlreiche Retabel und Epitaphien belegen solche Stiftungen von begüterten Familien, die sich im Gebet darstellen lassen, so wie etwa auch Politiker wie Nicolas Rolin, Jurist und Kanzler Philipps des Guten, des Herzogs von Burgund, und zugleich einer der reichsten und mächtigsten Männer seiner Zeit. Im Gestus des Beters sieht man ihn auf einem von ihm gestifteten Altargemälde vor der Madonna knien, ebenso zusammen mit seiner dritten adeligen Ehefrau auf der Außenseite des Retabels von Rogier van der Weyden für die Kapelle des von ihm gestifteten Hospitals in Beaune. Die gefalteten Hände waren kennzeichnend für einen Grabmaltypus, der den Verstorbenen kniend und mit dem Blick auf den Tabernakel und damit in „Ewiger Anbetung“ zeigt. Beispiele dafür gibt es viele, etwa das Grabmal eines Nepolitaner Erzbischofs aus dem Haus Carafa, das Grabmal des französischen Königspaars aus dem frühen 16. Jahrhundert oder das des französischen Ministers und Kardinals Dubois aus dem 18. Jahrhundert. Seit dem Konzil von Trient galt das Knien der Gläubigen als die gewöhnliche Haltung des Gläubigen in der Kirche. Dass dies durchaus nicht immer als selbstverständlich empfunden wurde, zeigt der Bericht eines römischen Emissärs, der die französischen Benediktinerklöster in den 1580er Jahren visitierte und davon berichtete, dass die Mönche in der Abtei Fleury weiterhin auch an der Messe stehend teilnähmen, und ihm zur Auskunft gegeben hätten, dass sie einen seit Jahrhunderten üblichen Brauch nicht aufgeben wollten.

IV.

Die Darstellungen von Heiligen zeigen diese in der Neuzeit meistens stark affektbetont und nur selten in einer gewöhnlichen Gebetshaltung, ähnlich wie besondere Devotionsfiguren, deren stark empfundene Frömmigkeit auch durch die Körperhaltung ausgedrückt werden sollte. Dies wurde erst im 19. Jahrhundert anders.

Ein berühmtes Beispiel für die Darstellung Betender aus dieser Zeit ist das Gemälde von Wilhelm Leibl von 1881, das drei Frauen unterschiedlichen Alters, ganz offenbar Bauersfrauen, bei ihrer privaten Andacht in einer Kirche zeigte. Man weiß, dass Leibl diese Szene in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berbling (Bad Aibling) skizzierte und schließlich in einem Ölgemälde verewigte, das später ins Hamburger Museum kam. Ob der Künstler sie als gläubige Zeuginnen zeigen wollte, die – den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend – an einem Gottesdienst teilnehmen, sich währenddessen aber ihrer privaten Andacht widmen, ist unklar. Die beiden anderen Frauen beten, nehmen dabei ein Buch zu Hilfe. Die jüngere Frau benutzt ein neueres Gebetbuch, die alte Frau in der Mitte hat ein Buch aufgeschlagen, das man als späten Druck eines weitverbreiteten und seit 1689 oft aufgelegten Erbauungsbuchs identifiziert hat. Die alte Frau verrichtet Gebete, die der Verfasser, der Kapuziner Martin von Cochem in seinem Buch Himmelsschlüssel den Gläubigen am Aschermittwoch anempfahl. Unklar ist, ob die ganz rechts platzierte Frau sitzt oder kniet. In jedem Fall hat sie ihre Hände mit verschränkten Fingern gefaltet und hält einen Rosenkranz und hat den Blick erhoben, in andächtiger Konzentration, wie es scheint. Mit ineinander verschränkten Fingern zu beten, ist ein bis heute allgemein üblicher Gestus, in dem nicht nur Vincent van Gogh eine alte Frau zeichnete, sondern etwa auch Egon Schiele seinen Künstlerfreund, den später bekannten, in Salzburg tätigen Anton Faistauer, der als junger Mann Geistlicher werden wollte und zeitlebens ein tiefgläubiger Katholik war. Als Beispiel eines sich im Gebet der Fürsprache Mariens versichernden Gläubigen stellte man in dieser Haltung 1931 auch den im Jahr zuvor seliggesprochenen Bruder Konrad in der Altöttinger Gnadenkapelle dar. In der Zeit nach dem Tridentinischen Konzil gab es eine stark verinnerlichte Privatfrömmigkeit, Themen und Praktiken spätmittelalterlicher Religiosität wurden neubelebt und führten zu einer stark subjektiven Gebetspraxis, die das Beten mit den flach aneinandergelegten Handflächen eher als priesterlichen Gestus der Kleriker oder ganz besonderen Situationen vorbehielt:

Ich breche an dieser Stelle ab, nicht zuletzt auch deswegen, weil es in der klassischen Moderne, erst recht in der Gegenwartskunst, kaum Bilder des Betens gibt. Dies gründet wohl darin, dass in der Zeit nach dem II. Vatikanum auch die Verbindlichkeit geprägter Formen, wie sie für das individuelle Beten einst vorgegeben oder empfohlen waren, nicht mehr besteht, sondern an deren Stelle eine neue Freiheit trat, auch die Freiheit zur unmittelbaren Anrede Gottes, die in den eigenen Worten längst gebräuchlich geworden ist. In der katechetischen Literatur – vom Holländischen Erwachsenenkatechismus von 1966 bis zum Katholischen Erwachsenenkatechismus von 1985 suchte man, der aus diesen neuen Freiheiten oftmals resultierenden Aporie mit entsprechenden ausführlichen Erklärungen zu antworten auf die Frage: Beten – wie geht das? wird betont, eine formalistische Gebetspraxis im äußerlichen Aufsagen von Gebetsformeln sei letztlich wertlos. Man empfiehlt vielmehr das reflektierte subjektive und individuelle Beten, für das es keine Rezepte und Techniken gebe, weil es eben etwas höchst Persönliches und deshalb etwas äußerst Vielfältiges sei. Doch ist das nicht mehr das Gebiet der Kunstgeschichte. Die Ausgangsfrage war, welche Antworten die Bildkünste auf die Frage geben, wie man beten soll. Mit aller gebotenen Vorsicht und ohne die Geschichtlichkeit und die daraus folgenden Bedingtheiten der in den historischen Bildbelegen dokumentierten Gebetspraxis leugnen zu können, spiegeln sie doch eine breitgespannte Palette von Versuchen dem nahezukommen, was eingangs in den Aussagen Guardinis zur Liturgie angedeutet war: Die Bildbelege bieten ganz unterschiedliche Formen von Körperlichkeit in einer lebendigen Auseinandersetzung mit dem Glauben, sei es im gemeinschaftlichen Gebet in der Liturgie, sei es im privaten Gebet der einzelnen Gläubigen. Doch die Diskussion über moderne Formen des Betens ist nicht mehr Teil einer
historischen oder kunsthistorischen Betrachtung.

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