Spurensuche vom Ende her

Schöpfung in der Johannesoffenbarung

Im Rahmen der Veranstaltung "Biblische Tage 2017", 10.04.2017

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Da sitzt er: umgeben von bauchigen Buchrollen. Der Seher Johannes, der Verfasser der letzten Schrift des Neuen Testaments, liest die großen Prophetenbücher des Alten Testaments: Ezechiel, Daniel und Jesaja. Seine Vision findet zwischen Buchrollen statt. Oder anders: Im Lesen geht ihm etwas auf. Die prophetische Literatur des Alten Testaments und sein Christusglaube sind der Stoff, aus dem seine Entdeckungen und Enthüllungen gemacht sind.

Mehr als 580 alttestamentliche Zitate und Anspielungen finden sich in der Johannesoffenbarung. Die Apokalypse ist letztlich die Niederschrift eines intensiven Leseerlebnisses. Für uns heißt das: Wer die Johannesoffenbarung liest, der taucht ein in die alttestamentliche Heilshoffnung. Aber nicht nur das: Der Leser erfährt auch etwas von der dezidiert christlichen Zukunftshoffnung.

Damit sind zwei Gründe genannt, warum wir am Anfang dieser biblischen Tage mit dem Ende beginnen und das letzte Buch der Bibel an den Beginn stellen. Die Johannesoffenbarung bietet beides: einen Rückblick auf die Schöpfungsaussagen des Alten Testaments und eine Zusammenfassung der christlichen Schöpfungshoffnung. Das letzte Buch des Neuen Testaments eignet sich daher als Einführung und stellt ein gehaltvolles Koordinatensystem für die weiteren Themen und Aspekte dieser biblischen Tage parat.

Bei dieser „Spurensuche vom Ende her“ sollen drei Texte aus der Johannesoffenbarung näher in den Blick genommen werden. Wer sie aufmerksam studiert, absolviert einen Grundkurs in „Biblischer Schöpfungstheologie“.

 

Ein Portrait des Schöpfers: Offb 4,1-11

 

„Nach diesem sah ich: Und siehe, eine Tür, geöffnet im Himmel, und die erste Stimme, die ich gehört hatte wie die einer Posaune, die mit mir redete, sprach: Komm hier herauf! Und ich werde dir zeigen, was nach diesem geschehen muss. Sogleich war ich im Geist: Und siehe, ein Thron stand im Himmel, und auf dem Thron saß einer. Und der da saß, war von Ansehen gleich einem Jaspisstein und einem Sarder, und ein Bogen war rings um den Thron, von Ansehen gleich einem Smaragd. Und rings um den Thron sah ich vierundzwanzig Throne, und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste, bekleidet mit weißen Kleidern, und auf ihren Häuptern goldene Siegeskränze. Und aus dem Thron gehen hervor Blitze und Stimmen und Donner; und sieben Feuerfackeln brennen vor dem Thron, welche die sieben Geister Gottes sind. Und vor dem Thron war es wie ein gläsernes Meer, gleich Kristall; und inmitten des Thrones und rings um den Thron vier lebendige Wesen, voller Augen vorn und hinten. Und das erste lebendige Wesen war gleich einem Löwen und das zweite lebendige Wesen gleich einem jungen Stier, und das dritte lebendige Wesen hatte das Angesicht wie das eines Menschen, und das vierte lebendige Wesen war gleich einem fliegenden Adler. Und die vier lebendigen Wesen hatten, eines wie das andere, je sechs Flügel und sind ringsum und inwendig voller Augen, und sie hören Tag und Nacht nicht auf zu sagen: Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott, Allmächtiger, der war und der ist und der kommt! Und wenn die lebendigen Wesen Herrlichkeit und Ehre und Danksagung geben werden dem, der auf dem Thron sitzt, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, so werden die vierundzwanzig Ältesten niederfallen vor dem, der auf dem Thron sitzt, und den anbeten, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt, und werden ihre Siegeskränze niederwerfen vor dem Thron und sagen: Du bist würdig, unser Herr und Gott, die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht zu nehmen, denn du hast alle Dinge erschaffen, und deines Willens wegen waren sie und sind sie erschaffen worden“ (Offb 4,1-11).

Die Vision steht am Beginn des „apokalyptischen Hauptteils“. Nachdem in den ersten drei Kapiteln die Welt der Leser nach allen Regeln der Kunst durchleuchtet wurde, verlässt Johannes nun den festen, irdischen Boden unter seinen Füßen. Es geht nach oben, in den Himmel. Eine Tür wird ihm geöffnet. Eine Stimme ruft: „Komm hier herauf!“

Johannes nimmt die Dinge aus einer anderen Perspektive wahr. Von oben ergeben sich sinnvolle Muster. Ein Plan, eine Heilsgeschichte wird erkennbar. Über aller irdischen Orientierungslosigkeit wölbt sich ein Himmel, der ein Ziel verfolgt.

Der erste Blick des Sehers geht ins Zentrum: in der Mitte ein Thronender. Anders als etwa das Danielbuch (vgl. Dan 7,9) beschreibt Johannes den Thronenden nicht konkret: nicht sein Gewand, nicht sein Alter, nicht seine Haare oder sein Aussehen. Respektvoll heißt es einfach: ein Sitzender, ein Thronender.

Die Thronsaalvision ist durch und durch konzentrisch aufgebaut. Präpositionen bestimmen den Erzählverlauf: um den Thron, aus dem Thron, vor dem Thron, rings um den Thron. Die Mitte bleibt fest. Der Thron markiert das unerschütterliche Zentrum.

Wer dieser Thronende ist, das lässt sich nicht abstrakt sagen, sondern nur – mit tastenden Bildern und Vergleichen – illustrieren. Ein Bogen umgibt den Thron. Dieser Bogen erinnert an die Zeit nach der großen Flut: „Meinen Bogen setze ich in die Wolken, und er sei das Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde“ (Gen 9,13). Das Markenzeichen des Thronenden ist der Bund. Alles, was folgt, muss von diesem Zeichen her verstanden und entschlüsselt werden. Das Geschehen, das vom Thronsaal ausgeht, ist Ausdruck des Bundes, ist die Verwirklichung der Barmherzigkeit und Treue Gottes.

Vor dem Thron ist etwas zu erkennen wie ein „gläsernes Meer“. Der Thron ist nicht unmittelbar zugänglich. Das Meer schafft Distanz und verdeutlicht die Transzendenz. Auch Mose wird in der Erzählung vom brennenden Dornbusch ermahnt: „Der Herr sagte: Komm nicht näher. Leg deine Schuhe ab, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“ (Ex 3,5).

Das Meer darf aber auch als ein bedrohliches Element verstanden werden. Schon der Psalmbeter weiß um „die Fluten des Verderbens“ (Ps 18,5) und die Bedrohung durch „die wilden und wogenden Wasser“ (Ps 124,5). Gerade in der Johannesoffenbarung ist das Meer die Wohnstatt des Bösen: Aus dem Meer steigt das Tier – der diabolische Gegenspieler Gottes – auf (Offb 13,1). Hier aber liegt das Meer ruhig. Die Bedrohung verstummt. Das Böse muss im Angesicht Gottes schweigen.

Rings um den Thron finden sich vier Lebewesen. Auch hier schöpft Johannes aus den großen Thronsaalvisionen des Alten Testaments (vgl. Ez 1,10; 10,14; Dan 7,4). Und doch verändert er die Beschreibung: Jedes Wesen wird (nur) mit einem Lebewesen verbunden. Löwe, Stier, Mensch und Adler umgeben den Thron. Viel spricht dafür, darin die verschiedenen Gattungen der Lebewesen zu erkennen. Sie repräsentieren die belebte Schöpfung: Der Löwe vertritt die Wildtiere, der Stier die Nutztiere und der Adler die Flugtiere. Als Krone der Schöpfung fehlt auch der Mensch nicht. Die Lebewesen verdanken ihre Existenz dem Thronenden. Darum geben sie ihm die Ehre und sind auf ihn ausgerichtet.

Spätestens hier wird deutlich, wer der Thronende ist: Gott, der Schöpfer. Bezeichnend ist der Titel, den die Lebewesen in ihrem Lobpreis gebrauchen. Sie rühmen Gott, den Pantokrator, den Allmächtigen. Zur Entstehungszeit der Johannesapokalypse – am Ende des 1. Jahrhunderts – mag diese Anrede die Erinnerung an verschiedene Herrscher wachrufen: an den Kaiser, die lokale politische Prominenz oder die Kultpriesterschaft Kleinasiens. Gott aber ist der Allbeherrscher! Der Titel klingt kämpferisch. Allein Gott kommt die oberste Ehre zu. Er wird sogar aufgefordert, seine Macht zu nehmen. Anscheinend greifen auch andere Herrschaften nach der Gewalt. Die Welt ist geknechtet. „Die Schöpfung“ – so formuliert Paulus – „ist der Vergänglichkeit unterworfen“ (Röm 8,20). Mit dem Schöpfertum Gottes ist die Hoffnung verbunden, dass diese Schöpfung von allen anderen verderblichen Mächten befreit wird und ein gutes Ende nimmt.

Die erste Vision des apokalyptischen Hauptteils fordert zum Perspektivenwechsel auf. Gott sitzt im Regiment. Die Welt ist nicht Zufall, sondern eine absichtsvolle Schöpfung Gottes. Eine große Hoffnung ist damit verbunden. Alle nachfolgenden Visionen illustrieren diese Hoffnung, die im Schöpfertum Gottes begründet liegt: das Heraufführen einer neuen Schöpfung und den Sieg Gottes über alle zerstörerischen und schöpfungsfeindlichen Mächte und Gewalten (vgl. Offb 11,18).

 

Ein diabolischer Urknall: Offb 12,7-12

 

„Und es entstand ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften mit dem Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel; und sie bekamen nicht die Übermacht, und ihre Stätte wurde nicht mehr im Himmel gefunden. Und es wurde geworfen der große Drache, die alte Schlange, der Teufel und Satan genannt wird, der den ganzen Erdkreis verführt, geworfen wurde er auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm geworfen. Und ich hörte eine laute Stimme im Himmel sagen: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes und die Macht seines Christus gekommen; denn hinabgeworfen ist der Verkläger unserer Brüder, der sie Tag und Nacht vor unserem Gott verklagte. Und sie haben ihn überwunden wegen des Blutes des Lammes und wegen des Wortes ihres Zeugnisses, und sie haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod! Darum seid fröhlich, ihr Himmel, und die ihr in ihnen wohnt! Wehe der Erde und dem Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, dass er nur eine kurze Zeit hat“ (Offb 12,7-12).

Auf den konzentrisch geordneten Thronsaal folgt ein chaotisches Kampfgeschehen. Just in der Mitte der Johannesoffenbarung wird – wie als Herzstück des Ganzen – der Sturz Satans aus dem Himmel beschrieben. Die Vision gießt einen theologischen Wissensvorrat ins Bild und beschreibt, warum die Schöpfung so ist, wie sie ist: gar nicht harmonisch und idyllisch, sondern gebeutelt und geknechtet.

Dem Wortsinn nach meint Diabolos eigentlich „Durcheinanderwerfer“. Der Teufel ist der Störenfried, der Ankläger der Menschen, derjenige, der das gute Verhältnis zwischen Gott und Mensch durcheinander wirft. Man denke etwa nur an die Rahmenhandlung des Ijobbuchs. Als Gott seinen Knecht Ijob lobt, versucht der Satan einen Keil zwischen Gott und Ijob zu treiben: „Ist Ijob ohne Grund gottesfürchtig? (…) Streck nur einmal deine Hand aus und taste alles an, was er hat, er wird dir ins Angesicht fluchen!“ (Ijob 1,9.11) So wird der Satan auch in der Johannesoffenbarung als „Verkläger unserer Brüder, der sie Tag und Nacht vor Gott verklagte“ (Offb 12,10), verstanden.

Aber auch die kosmische Ordnung wirft der Satan durcheinander. Er fegt Gestirne vom Himmel (Offb 12,4). Erde und Meer hören das Wehe (Offb 12,12). Menschen und ganze Reiche führt er in die Abhängigkeit. Der Diabolos stellt die Schöpfungsordnung auf den Kopf. Am Ende der ersten Schöpfungserzählung im Buch Genesis hat es noch geheißen: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“ (Gen 1,31). Auf eine vom Satan bedrängte Schöpfung trifft das nicht mehr zu. Gar nichts ist in Ordnung. Der Mensch lebt jenseits von Eden.

Die Vision in der Mitte der Johannesoffenbarung setzt im Modus des Mythos einen religiösen Wissensvorrat ins Bild. Der Sturz Satans aus dem Himmel erklärt, warum die Welt so ist, wie sie ist. In der Vision verbirgt sich aber auch eine gute Nachricht: Der Drache hat seinen Platz im Himmel unwiederbringlich verloren. Er ist tödlich getroffen. Im Himmel wird dieser fundamentale Sieg bereits gefeiert (Offb 12,12). Die Herrschaft des Satans auf Erden wird auch vorübergehen. Ihm bleibt nur eine kurze Frist. Die Gebrochenheit der Schöpfung wird als Todeszucken des Satans, als ein letztes Aufbäumen des Drachen verstanden. So darf man Hoffnung haben. Das Reich Gottes ist im Kommen.

Johannes ergeht sich nicht in einer billigen Schöpfungsromantik. Ganz im Gegenteil: Die Schöpfung blutet und seufzt und ist der Vergänglichkeit und dem Tod unterworfen. Es bleibt noch viel zu wünschen übrig. Doch über einer düsteren und unwirtlichen Erde öffnet die Apokalypse ein Fenster. Licht scheint herein. Der Sturz des Satans entfacht die Hoffnung auf eine erneuerte und nicht länger bedrängte und belastete Schöpfung.

 

Ein paradiesischer Horizont: Offb 21,1-5

 

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, aus dem Himmel von Gott herabkommen, bereitet wie eine für ihren Mann geschmückte Braut. Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron her sagen: Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein: denn das Erste ist vergangen. Und der, welcher auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu. Und er spricht: Schreibe! Denn diese Worte sind gewiss und wahrhaftig“ (Offb 21,1-5).

Das Alte ist vergangen. Neues kommt. Am Ende beschreibt die Johannesapokalypse eine entscheidende Zäsur. Eine neue Schöpfung ersteht vor den Augen der Leser: „Siehe, ich mache alles neu.“ Es sind die ersten Worte Gottes in der Johannesoffenbarung und die letzten der Heiligen Schrift. Entschieden und machtvoll setzt Gott einen Schlusspunkt, der eigentlich ein neuer Anfang ist. Das Ziel der Heilsgeschichte sind ein neuer Himmel und eine neue Erde.

Zu beachten gilt, dass hier nicht von einer evolutionären Entwicklung die Rede ist. Diese neue Schöpfung wächst nicht schön langsam aus der Erde empor. Die Selbstheilungskräfte der Schöpfung oder die Leistung des Menschen bringen nicht die Erlösung. Die von oben kommende Gottesstadt erteilt vielmehr allen menschlichen „Heilandsprojekten“ eine klare Absage. Letztlich ist die vollendete Schöpfung Tat und Geschenk Gottes.

Lapidar klingt die Formulierung: „Das Meer ist nicht mehr“ (Offb 21,1). Es kann nicht mehr sein, weil es ein Bild für Verderben und Untergang war. So ist in der neuen Schöpfung für dieses Meer kein Platz mehr. An die Stelle des Meeres tritt das Lebenswasser (Offb 21,6; 22,1). Die Elemente sind gereinigt. Der ursprüngliche Schöpfungszustand ist wieder hergestellt.

Wiederholt wird das Adjektiv „neu“ verwendet. Die Rede ist von einem „neuen Himmel“, einer „neuen Erde“ und von der Tatsache, dass Gott alles „neu macht“. Das Wort „neu“ ist in der apokalyptischen Literatur als „heilszeitliches Adjektiv“ zu verstehen und besitzt einen eigenen theologischen Tiefensinn: „καινός (sc. neu) ist der Inbegriff des ganz Anderen, Wunderbaren, das die Endheilszeit bringt. Daher ist neu zielweisendes Leitwort der apokalyptischen Verheißung (…). Neuschöpfung ist das herrliche Ende der Heilsoffenbarung Gottes, das Hochziel urchristlicher Hoffnung, das aus der Heilszukunft schon in die Gegenwart der Christen auf der alten Erde hineinleuchtet, weil sie durch Christus Heilsgegenwart geworden ist“ (J. Behm im „Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament“).

In der Tat: Christus hat – als das geschächtete und aufrecht stehende Lamm – Anteil an dieser neuen Schöpfung. Im Anschluss an die Thronsaalvision empfängt das Lamm aus der Hand Gottes das Siegelbuch (Offb 5,1-14). Das Lamm setzt die entscheidende Phase in Gang und öffnet Siegel um Siegel. Das tödlich verwundete, aber aufrecht stehende Lamm ist Agent der Endzeit. In Tod und Auferweckung Jesu leuchtet die Vollendung der Schöpfung auf. Ostern und Neuschöpfung gehören untrennbar zusammen. Am Ende muss für die gesamte Schöpfung gelten, was Ostern – mit Blick auf die Auferweckung Jesu – schon feiert: „Der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz“ (Offb 21,4).

Die Neuschöpfung beinhaltet damit weit mehr als nur die Beseitigung menschlicher Böswilligkeit. Die Schöpfung leidet nicht nur, weil der Mensch verantwortungslos in ihr und an ihr handelt. Die Neuschöpfung heilt auch jenen Riss, auf den der Mensch keinen Einfluss hat und unter dem er selbst leidet als ein begrenztes und sterbliches Geschöpf. Zur christlichen Heilshoffnung gehört die umfassende Erlösung der Schöpfung: „Als letzter Feind wird der Tod vernichtet“ (1 Kor 15,26). Nicht weniger erwartet der Christ von dieser neuen Schöpfung.

Damit schließt sich ein großer Kreis. In der Beschreibung der himmlischen Gottesstadt (Offb 21-22) greift Johannes auf den Anfang der Bibel zurück. Die Schöpfungserzählungen aus dem Buch Genesis lassen sich als Bauplan und Hoffnungshorizont dieser neuen Schöpfung lesen. Statt der Vertreibung dort, wird nun Gemeinschaft hergestellt und gefeiert. Der Mensch schaut und erkennt Gott von Angesicht zu Angesicht. Dort flossen Paradiesströme. Hier rauscht Lebenswasser. Dort stand der Baum des Lebens. Hier wird dessen Wirkkraft noch potenziert. Im Grunde steht der Baum fortwährend in Blüte, bringt monatlich Frucht und Blätter zur Heilung der Völker hervor.

Am Ende seiner Schrift blickt Johannes auf das, was kommt, was er erwartet und ersehnt. Diese Erde ist nicht Gottes letztes Wort. Tod und Vergehen, Leid und Mühsal hoffen auf eine verwandelte, von Gott erneuerte Schöpfung. Der Christ lebt von dieser Aussicht und streckt sich nach der Befreiung der alten Erde vom Joch der Vergänglichkeit aus.

 

Einsichten und Wegweiser

 

Was ergibt sich nun daraus? Welche Einsichten lassen sich – grundlegend für die biblische Vorstellung von der Schöpfung – aus dem letzten Buch der Bibel gewinnen?

  1. Im Zentrum ein Schöpfer, der Heilsgeschichte schreibt. Das erste Bild des apokalyptischen Hauptteils ist ein eindrückliches Glaubensbekenntnis. Am Anfang steht ein guter, weiser und machtvoller Schöpfergott. Man könnte ja das Gegenteil vermuten: Die Schöpfung sei nur das Werk blinden Zufalls und lediglich eine Laune der Natur. Lässt der Zustand dieser Welt wirklich auf einen planvoll handelnden Schöpfergott schließen? Steht im Hintergrund der Welt und des Weltalls – eingedenk aller Schmerzen, aller Ungerechtigkeit und aller Sinnlosigkeit – wirklich Gott? Sitzt da tatsächlich ein Schöpfer im Regiment?
    Nach dem Tod seiner Frau stellte Clive Staple Lewis sehr eindrücklich diese Frage: Ist da wirklich jemand? Oder wütet nicht nur ein blindes Schicksal, vor dem sich letztlich niemand retten kann? „Aber gehe zu Ihm, wenn du Ihn verzweifelt brauchst, wenn alle andere Hilfe versagt – und was findest du? Eine Tür, vor dir zugeschlagen, und von innen hört es sich an, wie wenn zugeriegelt wird, doppelt zugeriegelt. Danach Stille. Du kannst dich auch gleich fortwenden. Je länger du wartest, desto nachdrücklicher wird diese Stille. In den Fenstern sieht man kein Licht. Mag sein, das Haus ist leer. War es eigentlich je bewohnt?“ (C. S. Lewis, „A Grief Observed“).
    Johannes dagegen steigt hinauf und sieht: Der Himmel ist bewohnt. Einer sitzt im Zentrum. Es wird – so chaotisch es auf Erden auch zugehen mag – regiert. Dieser Gott – auch das betont Johannes – ist kein deistischer Uhrmacher. Er wirft nicht nur das System an und zieht sich dann zurück. Er behält das Heft in der Hand. Er führt die Heilsgeschichte zur Vollendung. Er verfolgt einen Plan: „Siehe, ich mache alles neu“ (Offb 21,5).
  1. Die Schöpfung: Spiegel des Schöpfers. Begreifen aber lässt sich dieser Gott nicht. Johannes hütet sich vor jeder allzu menschlichen, anthropomorphen Beschreibung. Er greift auf Bilder und Vergleiche zurück. Am ehesten noch lässt sich Gott an seinem Schöpfungswerk erahnen: an den Lebewesen, an Blitz und Donner, Regenbogen und Licht. Ob das nicht dem nahe kommt, was man – theologisch – „Gravuren des Schöpfers“ nennen könnte? Die Beobachtung der Natur war schon immer ein aussagekräftiges Medium der Gotteserkenntnis.
  2. Gefallene und gebrochene Schöpfung, kein Minnesang. Dennoch verbietet die Apokalypse jede naive, stürmisch-drängende Naturromantik. Die Schöpfung ist nicht einfach gut. Die Erde leidet und steht in Flammen. Johannes spricht von der „Bedrängnis“ (Offb 1,9; 7,14). Der Schmerzensschrei der Kreatur verklingt auch in der Johannesoffenbarung nicht: „Herr, warum zögerst Du, wie lange noch müssen wir warten?“ (Offb 6,10).
    Die Schöpfung leidet nicht nur, weil der Mensch sie knechtet und ausbeutet. Der Riss geht tiefer. Das Ende der Johannesoffenbarung macht deutlich: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Mühsal und keine Trauer. Schöpfung und Mensch sind von mehr bedroht als einem falschen Umgang mit der Natur. Fressen und gefressen werden, Altern und Krankheit und schließlich die Tatsache des Todes werfen Fragen auf. Das Leid der Welt fordert eine Antwort von Gott. Die Theodizee-Problematik steigt aus den Wunden einer nicht nur schönen, sondern auch hässlichen, grausamen und ungerechten Welt auf.
  3. Schöpfungsverantwortung: weit mehr als Umweltschutz. Mit dem konzentrischen Bild des Thronsaals, dessen Mittelpunkt der Schöpfer ist, gibt Johannes der Schöpfung eine Ordnung und Orientierung. Die Schöpfung hat sich vor den Werten und dem Plan dieses Schöpfers zu verantworten. Schöpfungsverantwortung ist darum mehr als Umweltschutz und die sorgfältige Pflege von Fauna und Flora. Die Apokalypse kennt noch andere Formen der Umweltverschmutzung: das Ausbeuten von Menschen und die Gier nach Profit (Offb 17,4; 18,3.7.11-14), die Unterdrückung von Menschen (Offb 13,7.16-17) und das Anbeten der Geschöpfe statt des Schöpfers (Offb 13,4.15), Lüge, Lästerung und Götzendienst (Offb 13,6; 22,15). All das sind Pervertierungen der Schöpfungsordnung, Dolchstöße in den Rücken einer von Gott anders gedachten und konzipierten Welt.
    Damit spricht Johannes eine deutliche Mahnung aus: Der Glaube an einen Schöpfergott bedingt auch eine veränderte Sicht des Menschen und führt zu einem respektvollen Umgang mit der Schöpfung. Die Thronsaalvision ist der alles entscheidende Beginn des apokalyptischen Hauptteils und das theologische Prisma zur Betrachtung der Schöpfung. Der Blick auf den Schöpfer begründet und strukturiert die Schöpfungsverantwortung des Menschen.
  1. Seufzende Sehnsucht: die Erlösung der Schöpfung. So sehr Johannes seine Leser an die Verantwortung gegenüber dem Schöpfer erinnert, so deutlich macht er zugleich: Das letzte Wort spricht Gott. Die Befreiung der Schöpfung von der Macht des Todes und die Erlösung der leidenden Kreatur sind Gottes Tat und Geschenk. Alles menschliche Bemühen kann diese Welt nicht kurieren. Die Schöpfung seufzt und wartet auf das, was Johannes als großen Heilshorizont über diese gefallene Welt stellt: eine erneuerte, von Gott erlöste und von der Bürde des Todes befreite Schöpfung.

Johannes nutzt zur Beschreibung dieser Heilshoffnung die großen Heilsbilder des Alten Testaments. Diese kommende Welt stellt er seinen Lesern als ihre ureigene Heimat vor Augen: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein“ (Offb 21,3). So weckt die Apokalypse Sehnsucht, die Sehnsucht nach dem Kommenden!

Jakob Taubes soll einmal gesagt haben: „Entschuldigen Sie, aber in einer Welt allein kann ich nicht leben.“ Johannes würde wohl antworten: „Musst Du auch nicht!“ Christen sind immer auch Bürger der himmlischen Gottesstadt. Ein Christ lebt zwischen „schon“ und „noch nicht“, zwischen den Welten, der jetzigen Welt – in die er gestellt ist, die er liebt und an der er leidet – und der kommenden, die er sehnsüchtig erwartet.

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