Zum Thema „Schöpfung“ bieten die ursprünglichen Paulusbriefe ein vergleichsweise komplexes und facettenreiches Bild. Die verschiedenen – und im Folgenden kurz angedeuteten – Gesichtspunkte aber sind von einer gemeinsamen Grundüberzeugung geprägt: Diese Schöpfung wird enden und einer – in der Auferweckung Jesu schon angebrochenen – neuen Schöpfung weichen. Der Blick auf das Ende bestimmt die paulinische Wahrnehmung der Schöpfung. Das Thema „Schöpfung“ ist durch und durch von der Eschatologie durchdrungen.
Die Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis
Paulus geht davon aus, dass sich Gott in den geschaffenen Dingen – zumindest partiell – erkennen lässt. Die Schöpfung ist ein Fingerzeig Gottes und ein Wegweiser zu ihm. Kein Mensch kann sich also entschuldigen. Auch die Heiden, die vom Bund Gottes mit Israel nichts hörten und nichts wissen, können zum Glauben an Gott finden. Entsprechend scharf klingen die Sätze am Beginn des Römerbriefs, mit denen Paulus solch „blinden Heiden“ das Zorngericht Gottes androht: „Sie haben ja vor Augen, was von Gott erkannt werden kann; Gott selbst hat es ihnen vor Augen geführt. Denn was von ihm unsichtbar ist, seine unvergängliche Kraft und Gottheit, wird seit der Erschaffung der Welt mit der Vernunft an seinen Werken wahrgenommen; es bleibt ihnen also keine Entschuldigung. Denn obwohl sie Gott erkannten, haben sie ihm nicht die Ehre gegeben, die Gott gebührt, noch ihm Dank gesagt, sondern sie verfielen mit ihren Gedanken dem Nichtigen, und ihr unverständiges Herz verfinsterte sich“ (Röm 1,19-21).
Die theologische Deutung der Welt und Wirklichkeit, der Natur und Schöpfung ist für Paulus keine intellektuelle Spitzenleistung. Ganz selbstverständlich offenbart sich Gott – auch dem oberflächlichen Betrachter – in der Schöpfung. Nicht die schwierige Erkenntnis, sondern die bewusste Verweigerung ist der Grund für das gottlose Tun der Heiden.
Für Philo von Alexandrien gestaltet sich die Erkenntnis Gottes aus den geschaffenen Dingen wesentlich schwieriger. Er ist der Überzeugung: „Den Vater und Lenker aller Dinge zu erkennen und zu erfassen, ist gewiss schwierig.“ Für Paulus dagegen scheint das leicht möglich zu sein. Darum dient ihm die Missachtung der – seiner Meinung nach offensichtlichen – natürlichen Gotteserkenntnis als Anklagegrund. Die Schöpfung lässt keine andere Erklärung zu: Im Hintergrund der Welt und Wirklichkeit steht ein weiser und absichtsvoll handelnder Schöpfer.
Eine der Vergänglichkeit unterworfene Schöpfung
Auch für Paulus ist die Schöpfung noch nicht am Ziel. Der Mensch seufzt und leidet. Paulus hat das am eigenen Leib erfahren. Er spricht von ertragenen Leiden (2 Kor 11,23-30), von eigener Krankheit, von einem Stachel im Fleisch (2 Kor 12,7), von Mühsal und Strapazen. Mit dem Menschen (2 Kor 5,2) klagt und stöhnt aber auch die gesamte Schöpfung: „Denn in sehnsüchtigem Verlangen wartet die Schöpfung auf das Offenbarwerden der Söhne und Töchter Gottes. Wurde die Schöpfung doch der Nichtigkeit unterworfen, nicht weil sie es wollte, sondern weil er, der sie unterworfen hat, es wollte – nicht aber ohne die Hoffnung, dass auch die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werde zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt, bis zum heutigen Tag. Doch nicht nur das; nein, auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe empfangen haben, auch wir seufzen miteinander und warten auf unsere Anerkennung als Söhne und Töchter, auf die Erlösung unseres Leibes“ (Röm 8,19-23).
Die ganze Schöpfung seufzt. Auch die nicht-menschliche Schöpfung ist in Erwartung und bedarf der Befreiung und Erlösung. Das 4. Esrabuch erklärt das Leiden der gesamten Schöpfung unter Rückgriff auf die Urerzählung der Genesis: „Als Adam meine Gebote übertrat, wurde das Geschaffene gerichtet“ (4 Esra 7,11). Mensch und Tier, belebte und unbelebte Natur, Adam und alles Geschaffene sind durch ein Geschick miteinander verbunden. Die ganze Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen.
Die Auferweckung Jesu als Schöpfungshandeln
Inmitten der Erlösungsbedürftigkeit der gesamten Schöpfung begreift Paulus die Auferweckung Jesu als Schöpfungshandeln Gottes. In Röm 4,17 wird Gott als derjenige beschrieben, „der die Toten lebendig macht und was nicht ist, ins Dasein ruft“. Als „Parallelismus membrorum“ gelesen, erklären und erschließen sich die Aussagen wechselseitig. Die Auferweckung wird als eine „creatio ex nihilo“ verstanden, als ein entschiedener Schöpfungsakt Gottes. Christus ist der Erste einer neuen Schöpfung, der Erstling der Entschlafenen. Seine Auferweckung ist der Anfang einer neuen Schöpfung, die nicht länger der Vergänglichkeit unterworfen ist.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Geist. „So steht es geschrieben: Der erste Mensch, Adam, wurde ein lebendiges Wesen, der letzte Adam wurde Leben spendender Geist“ (1 Kor 15,45). Damit drückt Paulus – im Kontext der Frage nach der Wirklichkeit und Leiblichkeit des neuen Lebens – die Andersartigkeit der Auferstehung aus. Paulus unterscheidet zwischen einem „natürlichen Leib“ und einem „geistigen Leib“ (1 Kor 15,44), der ganz vom Schöpfergeist Gottes bestimmt und beseelt ist. Wer diesen Geist Gottes in sich trägt, ist letztlich schon der Vergänglichkeit entrissen und ist Teil der neuen Schöpfung: „Wenn aber der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt“ (Röm 8,11).
Christus als Mittler einer neuen Schöpfung
Bezeichnend ist, dass Christus das Prädikat des Schöpfers zugesprochen wird. Er wurde – wie es in 1 Kor 15,45 heißt – „Leben spendender Geist“. Deutlich tritt hier die – für Paulus so charakteristische – partizipatorische Dimension der Christologie zutage. Durch die Verbundenheit mit Christus wird auch der Christ eine „neue Schöpfung“. In Christus erhält der Glaubende „schon jetzt“ Anteil an jener Endzeit, die „noch“ aussteht, die aber in der Auferweckung Christi schon aufgeleuchtet ist.
Auf die Verbindung mit Christus kommt alles an. Die Taufe versteht Paulus als eine Eingliederung in den Leib Christi. Der Christ wird hineingenommen in Leben, Tod und Auferweckung Jesu. Paulus trägt das Todesleiden Jesu an seinem Leib. Er stirbt mit ihm und hofft – durch ihn – aus dem Tod errettet zu werden: „Wir wurden also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt worden ist, auch wir in der Wirklichkeit eines neuen Lebens unseren Weg gehen. Wenn wir nämlich mit der Gleichheit seines Todes aufs Engste verwachsen sind, dann werden wir es gewiss auch mit dem seiner Auferstehung sein“ (Röm 6,4-5).
Die Verbundenheit mit Christus endet nicht im Tod, sondern erreicht dort vielmehr den alles entscheidenden Punkt. Wer mit Christus im Leben regelrecht verwachsen ist, erfährt im Tod, was er erfuhr und fortan schenkt: die Errettung aus diesem vergänglichen Äon.
Verwandlung, nicht Vernichtung
Das Kommende versteht Paulus nicht als eine Annullierung oder einfache Vernichtung des Bisherigen, sondern als eine tiefgreifende Verwandlung. Paulus erwartet keine zweite Welt. Von manchen eschatologischen Linien jüdischer Theologie her hätte sich dieser Gedanke durchaus angeboten. Das 4. Esrabuch geht von zwei verschiedenen und radikal voneinander getrennten Welten aus: „Der Höchste hat nicht eine Welt geschaffen, sondern zwei“ (4 Esra 7,50). Um die eine Welt von der anderen Welt deutlich zu unterscheiden, wurde sogar eine markante Zäsur zwischen dem Ende dieser und dem Anbruch der kommenden Welt angenommen: „Die Welt wird in das einstige Schweigen sieben Tage lang zurückkehren, wie es im Uranfang war, sodass niemand übrigbleibt. Nach sieben Tagen aber wird die Welt, die noch nicht wach ist, erweckt werden, und das Vergängliche wird sterben“ (4 Esra 7,30-31).
Für Paulus wird diese Welt aber nicht einfach ersetzt oder ausgetauscht. Die Schöpfung soll verwandelt werden. Die Sohnschaft, die schon jetzt das Selbstverständnis der Christen bestimmt, wird freigelegt und offenbar. In aller notwendigen Diskontinuität wahrt Paulus somit ein gutes Stück Kontinuität. Die Christen sind – durch die Verbundenheit mit Christus und durch den Geist, der in ihnen lebt – bereits eine neue Schöpfung (2 Kor 5,17). Für die Endzeit erwartet Paulus das Hervortreten dieser Sohnschaft in aller Deutlichkeit und Herrlichkeit: „Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn“ (2 Kor 3,18).
Das Offenbarwerden dieser einstigen Wirklichkeit, die im Glauben schon jetzt angenommen wird, ist der Fluchtpunkt aller christlichen Hoffnung: „Ich bin nämlich überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zur Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (Röm 8,18). Die gesamte Schöpfung wartet auf diesen Moment, denn auch sie „soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21).
Ein Leben zwischen „schon“ und „noch nicht“
Die neue Schöpfung ist für Paulus weit mehr als nur ein abstrakter Glaubenssatz. Die Hoffnung auf das Kommende verändert vielmehr das eigene Selbstverständnis, die Sicht von Welt und Leben und die Gestaltung der alltäglichen Glaubenspraxis. Ein Christ lebt zwischen „schon“ und „noch nicht“, zwischen einer im Glauben bereits erfahrbaren Verbundenheit mit Christus und einer – die Leiden dieser Zeit überwindenden – Vollendung einst. Die Aussicht auf das Kommende lässt Paulus die Mühsal des Lebens ertragen und geduldig ausharren: „Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld“ (Röm 8,25).
Aus der Erwartung der Zukunft und dem Bewusstsein, in Christus bereits eine neue Schöpfung zu sein, leitet Paulus neue Verhaltensmaßstäbe ab. Zu erinnern wäre hier etwa an die – oft vergessene – Einleitung des Philipperhymnus: „Habt diese Gesinnung in euch, die auch in Christus Jesus ist“ (Phil 2,5). Seine Lebensbewegung der Erniedrigung und endzeitlichen Erhöhung zu Gott ist Modell und Maßstab für die Gemeinde. Die Zugehörigkeit zu Christus bedingt ein neues Sozialgefüge, das – im Gegensatz zum Denken dieser Welt – von der neuen Schöpfung inspiriert ist: „Denn es gilt weder die Beschneidung etwas noch das Unbeschnittensein, sondern: neue Schöpfung“ (Gal 6,15).
Der Kolosserbrief zieht daraus – quasi in den Fußspuren des Paulus – konkret praktische Konsequenzen: „Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und habt den neuen Menschen angezogen, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen. Da gibt es dann nicht mehr Griechen und Juden, Beschnittene und Unbeschnittene, Barbaren, Skythen, Sklaven, Freie, sondern Christus ist alles und in allen“ (Kol 3,9-11). So soll und mag die Gemeinde zu einem Wegweiser für jene Welt werden, die alle Gebrochenheit und Mühsal dieser Erdenzeit beendet und in den Schatten stellt.