Schon der Goethe-Freund Carl Friedrich Zelter hielt Johann Sebastian Bachs h-moll-Messe für das wahrscheinlich größte musikalische Kunstwerk, das die Welt gesehen hat. Über zwei Jahrzehnte hin arbeitete der Komponist immer wieder an dieser jeden gottesdienstlichen Rahmen sprengenden Vertonung der unveränderlichen Liturgie-Texte für Solisten, Chor und Orchester. Erst gegen Ende seines Lebens stellte er die einzelnen Teile zusammen.
Im Zentrum der Missa steht das zuletzt entstandene Symbolum Nicenum, das große Glaubensbekenntnis, in dem Bach das Äußerste an künstlerischer Gestaltungskraft im Verein mit geistiger Konzentration und symbolischer Aussagekraft aufgeboten hat, wie der Musikwissenschaftler und Theologe Walter Blankenburg in seiner Einführung schreibt.
Das beginnt schon mit der symmetrischen Gesamtanlage des Credo, die Ton- und Taktarten der einzelnen Teile spiegeln sich um die Achse des Crucifixus-Chors – das Kreuz in der Mitte, eine theologische Aussage ! Bereits im ersten Chor verwendet Bach ein gregorianisches Credo-Motiv und will so auf die Überlieferung des Glaubens hinweisen. Dazu kommt die barocke Zahlen-Symbolik: Er formt aus dem siebensilbigen Text eine siebenstimmige Fuge, deren erstem Einsatz ein Kontrapunkt von sieben Tönen gegenübertritt. Die Zahl Sieben steht für die Vollkommenheit der Schöpfung in sieben Tagen. Und die Liste solcher musikalischen Text-Ausdeutungen ist schier unerschöpflich.
Zwar muss man all das nicht wissen, geschweige denn hören, aber es steckt in der Musik, die einen auch unmittelbar packt, etwa beim Jubel über Ostern oder bei den unglaublich kühnen Harmonien der Erwartung unserer Auferstehung. Bachs Kompositionsweise ist kein Glasperlenspiel, sondern sie will die Geheimnisse von Schöpfung und Erlösung in ihrer ganzen Tiefe ausdeuten und so über das Irdische hinaus auf das Göttliche verweisen, ja es abbilden.