Der vorliegende Beitrag gibt einen Vortrag wieder, mit dem ich ein Kapitel römischer Petrus-Tradition anspreche und historische Aussagen über den gesellschaftlichen Wert von Denkmälern als eine Grundlage für den Denkmalschutz vorstelle. Wir betrachten hier die Planung für die Erneuerung der alten Peterskirche daraufhin, welche Gedanken auf sie einwirkten. Dazu geben wir die Fixierung auf Westeuropa auf und beziehen die Auseinandersetzung mit dem Nahen Osten ein, die hohe Bedeutung hatte. Wir konzentrieren uns auf die Anfänge der Planung, weil besonders aufschlussreiche Zeugnisse von ihr erhalten sind. Meine ersten Überlegungen zu unserem Thema habe ich 1995 publiziert, meine letzten Forschungen dazu sind gerade auf Italienisch erschienen, und auf Englisch sind sie im Druck.
Die konstantinische Peterskirche
Nachdem Kaiser Konstantin die Schlacht an der Milvischen Brücke im Zeichen des Kreuzes gewonnen hatte (312), stiftete er in Rom die ersten öffentlichen christlichen Kirchen: S. Giovanni in Laterano, die Kathedrale Roms und der Christenheit, und die Peterskirche über dem Ort, an dem Petrus, der erste Papst, sein Martyrium erlitten und seine letzte Ruhestätte gefunden haben soll. Die Gestaltung der beiden Bauten orientierte sich an den Säulenbasiliken in großen Privathäusern, die um ein Querhaus für den Klerus ergänzt wurden. Damit wurde der klassische Typ christlicher Kirchen geprägt. Die Peterskirche entstand außerhalb der Aurelianischen Stadtmauer, auf der dem Stadtzentrum gegenüberliegenden Seite des Tibers. Den Lateranpalast und die Basilika ließ Konstantin am äußersten Rand der Stadt, auf einem Kasernengelände an der Aurelianischen Stadtmauer errichten. Mit der Platzierung am Rand der Stadt nahm er Rücksicht auf die Heiden, die damals noch das Zentrum beherrschten. So war das Pantheon noch bis 609 ein heidnischer Tempel.
Im Jahr 324 verlegte Konstantin seine Residenz an den Bosporus und gründete die erste christliche Metropole, Konstantinopel, das heutige Istanbul, wo er mehrere Kirchen stiftete. Die bedeutendsten sind die kaiserliche Kirche der Hagia Sophia und die Apostelkirche als Grablege für sich und seine Nachfolger. Rom verlor durch den Umzug des Kaisers und die Kriegszüge germanischer Völker im Rahmen der Völkerwanderung, die vor allem den Westteil des Reiches in Mitleidenschaft zogen, seine zentrale Position im Reich.
Umso mehr blühte Konstantinopel auf. Im 6. Jahrhundert eroberte Kaiser Justinian noch einmal westliche Teile des Imperium Romanum, unter anderem auch Italien, zurück. Der Kaiser – er regierte von 527 bis 563 – erneuerte auch die beiden Hauptkirchen Konstantins in Konstantinopel. Justinians Hagia Sophia galt sowohl im Orient als auch im Okzident allgemein als schönster Bau der Welt. Um sie rankte sich sogar die Legende, sie sei wie Salomos Tempel durch göttliche Weisheit konzipiert worden. Es wurde in der Renaissance zu einem Topos, einen neuen Bau zu rühmen, indem man ihn mit der Hagia Sophia wie mit Salomos Tempel verglich.
Restaurierung und Erweiterung der Peterskirche unter Nikolaus V.
Gegen Ende des Mittelalters, 1309 bis 1377, residierte der Papst und mit ihm die Kurie im französischen Avignon an der Rhône und nach der versuchten Rückkehr des Papsttums nach Rom brach 1378 ein Schisma zwischen den in Avignon und den in Rom gewählten Päpsten aus, das erst im Jahr 1417 ein Ende fand und der Sitz des Papstes wieder unbestritten in Rom verortet wurde. Darüber hinaus belasteten Streitigkeiten zwischen Konzilen und Päpsten weitere Jahrzehnte die Kirche. In dieser Zeit verlor die Stadt Rom massiv an religiöser und politischer Anziehungskraft und war auch finanzielle in einer sehr schwierigen Lage. Viele Kirchen verwahrlosten und verfielen. Von der antiken Millionenstadt blieben nur rund zehntausend Einwohner übrig. Zum Vergleich: Die größten Städte Italiens hatten damals an die hunderttausend Einwohner.
Die ab 1378 in Rom residierenden Päpste verlegten ihre Residenz aus dem alten Lateranpalast in den auch außerhalb der Kernstadt gelegenen Vatikan, weil diese Anlage durch mittelalterliche Mauern und die Engelsburg gesichert war. Auch kümmerten sich die römischen Päpste, sobald sie konnten, um die Wiederherstellung der Kirchen. Zuerst wurde S. Giovanni in Laterano von Martin V., reg. 1417–31, und seinem Nachfolger Eugen IV. (1431–1447) umfassend restauriert. Die Substanz der konstantinischen Basilika war im Lauf des Mittelalters durch mehrere Brände, Erdbeben, Kriegseinwirkungen und durch eine Ausweitung der Chorpartie stark dezimiert worden. Die Säulen im Langhaus waren in einem so maroden Zustand, dass sie durch gemauerte Arkaden ersetzt werden mussten, die Wände darüber wurden prächtig geschmückt. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde die Patriarchalbasilika in der zu dieser Zeit bewohnten Gegend Roms, gewissermaßen die Volksbasilika, S. Maria Maggiore, mit neuen Dächern und Einwölbungen der Seitenschiffe hergerichtet, auch um die Langhauswände abzustützen.
Der Nachfolger Eugens IV., Nikolaus V. (reg. 1447–55), nahm sich seit dem Jubeljahr 1450 – das ausgerufene Heilige Jahr sorgte für einen Aufschwung der Stadt durch den Zustrom vieler Pilger – endlich der Peterskirche an. Die Basilika war heruntergekommen und tektonisch gefährdet, der Obergaden neigte sich um ca. eineinhalb Meter. Nikolaus V. sah zwei Maßnahmen vor: Sanierung und Erweiterung. Er wollte das Langhaus tektonisch sichern – mit Gewölben in den Seitenschiffen – und auch ausschmücken. Das alte Querhaus und die Apsis wollte er abbrechen und an seiner Stelle ein ungefähr doppelt so großes neues Querhaus und einen tiefen Chor anlegen. Der Hochaltar über dem Ort, der als Begräbnisstätte Petri galt, sollte das Zentrum der neuen Vierung einnehmen, der Thron des Papstes sollte erhöht am Ende des neuen Chors stehen, sodass er vom weiten sichtbar war.
Obwohl das Projekt Nikolaus‘ V. unabdingbar war und Vorläufer in der Erweiterung der Chorpartie zweier anderer Patriarchalbasiliken hatte, stieß es auf heftige Kritik. Kritische Stimmen forderten, die alte Basilika unversehrt zu bewahren, denn sie habe „allein schon durch ihr Alter die ruchlosesten Seelen zu Gott gerufen“, so Andrea Guarna, 1517. Leon Battista Alberti schrieb zu Baudenkmälern wie Kirchen, das Alter verleihe ihnen nicht weniger Autorität, als der Schmuck ihnen Würde verleihe. Die alte Peterskirche war zudem als Wahrzeichen erhaltenswert: Konstantin hatte sie über dem Zirkus errichtet, in dem Nero die Christen hinrichten ließ, auch Petrus selbst soll dort gekreuzigt worden sein. Der Zirkus zeugte von der Sonderstellung der ewigen Stadt als erstem Ort der frühchristlichen Bekenner und bestätigte damit Roms Primat über alle anderen Bistümer.
Der Humanist Maffeo Vegio stellte die Errichtung der Peterskirche über dem Zirkus des Nero als Symbol für die Überlegenheit des Christentums über das Heidentum hin. Er schrieb: „Wo einst die gottlosen und schändlichen Imperatoren ungeheuerliche Grausamkeiten begangen hätten, um ihre wahnsinnige Wollust zu befriedigen, erscheine jetzt der reine Geist des Christentums. An die Stelle von Prunksucht, Vergnügungssucht, Lüsternheit, Verschwendung, Jähzorn, Hochmut und Hass seien Bescheidenheit, Genügsamkeit, Scham, Sparsamkeit,
Mäßigkeit und Liebe getreten“.
Der Obelisk im Zentrum des Zirkus war über die Zeiten hinweg als einziger der vielen Obelisken im antiken Rom an seiner ursprünglichen Stelle aufrecht stehen geblieben, anscheinend weil er ein Mahnmal für den Zirkus als Martyrienstätte bildete. Papst Nikolaus V. und seine Nachfolger nahmen sich immer wieder vor, ihn auf den Platz vor der Peterskirche zu versetzen. Erst Sixtus V. realisierte aber diesen Gedanken im Jahr 1586 und wies in Inschriften ausdrücklich darauf hin, dass der Obelisk ein Zeichen für den Sieg des Christentums über den Unglauben sei. Gian Lorenzo Bernini legte dann den Vorplatz der Peterskirche in der Form eines Zirkus an, dessen Kolonnaden von unzähligen Statuen der frühen Märtyrer bekrönt sind.
Überdies wurde die politische Situation als Argument gegen das Projekt Nikolaus‘ V. ins Feld geführt. Jetzt stand nicht mehr das Exil von Avignon und das Schisma im Zentrum der Gefährdung der Kirche, sondern die Osmanen-Gefahr. Die Osmanen hatten bis zum 14. Jahrhunderts fast das gesamte Gebiet des ehemalige Oströmischen Reichs erobert. Sie drangen dann sogar bis nach Ungarn vor und unternahmen erste Anläufe, ihr Reich weiter nach Westen auszudehnen. Konstantinopel war seit dem späten 14. Jahrhundert von osmanischem Herrschaftsgebiet eingeschlossen. 1453 eroberte Sultan Mehmed II., der Eroberer, wie er sich seitdem nannte, Konstantinopel.
Die Osmanen, so proklamierten sie, wollten das Römische Reich nicht vernichten, sondern fortsetzen. Die Sultane verstanden sich als Nachfolger der römischen Kaiser, und zwar nicht nur der oströmischen Kaiser, sondern der Kaiser des gesamten Imperium Romanum. Als solche beanspruchten sie auch Mittel- und Westeuropa als ihren Besitz. Sultan Mehmed II. setzte nach der Eroberung von Konstantinopel sogar wie einst die Kaiser den neuen Patriarchen der Ostkirche ein. Die Osmanen waren tolerant in Glaubensfragen. Konstantinopel behielt seinen alten Namen (türkisch: „Konstantiniyye“). Papst Pius II. (reg. 1458–64) klagte, mit der Eroberung Konstantinopels sei dem Abendland eines seiner beiden Augen ausgerissen worden. Zudem löste das Ereignis die Furcht aus, dass auch das andere Auge des Abendlands, Rom, erobert werde. Seitdem riefen die Päpste immer wieder zum Kreuzzug gegen die Osmanen auf.
Der Florentiner Giovanni Francesco Poggio Bracciolini polemisierte dagegen, dass Nikolaus V. das Geld der Kirche für Bauunternehmungen statt zur Abwehr der Osmanen ausgab, denn er fürchtete, die Osmanen würden, wenn sie weiterhin siegten wie bisher, bald auch Italien erobern. Der franziskanische Prediger Johannes Capistranus wetterte: „In diesem Augenblick höchster Not für den Glauben scheint mir wahrhaftig, es wäre Petrus lieber und Gott willkommener, wenn sie das Geld, das sie für den Schmuck der Late-
ranbasilika und der Peterskirche zusammentragen, für den Schutz der christlichen Religion ausgeben würden …“.
Nikolaus V. verteidigte sein Projekt gegen die Opposition, indem er darauf hinwies, welche Wirkung Monumente entfalten können. Der Humanist Giannozzo Manetti verfertigte zwei Jahre nach der Eroberung von Konstantinopel eine Verteidigungsschrift des Papstes. Um im Bewusstsein des Volkes feste und unverbrüchliche Überzeugungen zu schaffen, müsse etwas vorhanden sein, das zum Auge spreche. Ein Glaube, der nur durch Dogmen untermauert sei, werde stets schwächlich und wankend bleiben. Die Erfahrung lehre nämlich, dass große und dauerhafte Bauten, gewissermaßen immerwährende Monumente, die wie von Gott gebaut wirkten, bei den Betrachtern die Devotion festigen würden. Zudem würden großartige Bauten bewirken, die Achtung der ganzen Welt vor der Institution der Kirche zu stärken. Dadurch werde die Kirche vor inneren Feinden und Angriffen von außen geschützt. Deshalb habe er, Nikolaus V., Rom so geschmückt und befestigt, wie es der Verehrung der Stadt durch die ganze Christenheit und ihrer göttlichen Bestimmung als Residenz der Päpste entspreche.
Obwohl die päpstliche Seite plausible Argumente für ihre Bautätigkeit anführte, nutzte das zunächst wenig: Nikolaus V. schaffte es nur, die Fundamente für die Erweiterung der Peterskirche zu legen und Mauern in Mannshöhe darüber hochzuführen. Aber ein halbes Jahrhundert lang wagten die nachfolgenden Päpste kaum noch, Hand an den Weiterbau anzulegen.
Völliger Neubau unter Julius II.
Erst der energische Papst Julius II. (reg. 1503–1513) nahm sich wieder der Sache an: Gleich nach seiner Wahl begann er, die Papstresidenz mit dem Cortile del Belvedere zu erweitern; im Frühjahr 1505 beschloss er, das Projekt Nikolaus‘ V. zu vollenden. Er wollte im neuen Chor das monumentale Grabmal aufstellen, das Michelangelo für ihn anfertigen sollte. Im Herbst des gleichen Jahres änderte er plötzlich seine Absicht. Das Grabmal rückte in den Hintergrund. Auf einmal sollte die gesamte Peterskirche durch einen Neubau ersetzt werden, und dieser Neubau sollte das großartigste Gotteshaus der Welt werden. Ein enger Vertrauter des Papstes, der Kardinal Egidio da Viterbo, verkündete in einer Ansprache über das Goldene Zeitalter, es werde nichts im ganzen Universum geben, das schöner, großartiger, herausragender, spektakulärer, bewundernswerter sei als das Projekt Julius‘ II. Er stellte das Projekt dem Neubau von Salomos Tempel an die Seite und verwies darauf, dass Gott bei Julius II. wie bei Salomo hinter der Entscheidung zum Neubau
gestanden habe.
Es gab gute Gründe dafür, sich auf Gott für das neue Projekt zu berufen. Wenn schon die bloße Restaurierung und Erweiterung der Peterskirche unter Nikolaus V. auf heftigen Widerstand gestoßen war, dann kann man sich denken, welche Empörung erst der Plan auslöste, die ganze konstantinische Basilika durch einen Neubau zu ersetzen. Es wird berichtet, Leute aus fast allen Gesellschaftsschichten, namentlich aber viele Kardinäle seien dagegen eingeschritten. Der päpstliche Sekretär Paolo Cortesi konterte: „Man tut so, als wäre die Peterskirche mutwillig in Flammen gesetzt“ (1510).
Trotz aller Opposition wurde sogleich mit der Planung für den Neubau begonnen. Die Zerstörung der konstantinischen Basilika wurde sogar mit großer Hast vorangetrieben. Die Rechtfertigung des Abbruchs der konstantinischen Basilika, setzte am gleichen Punkt an wie diejenige von Nikolaus V.: Der Bau müsse seiner Würde als prominentestes aller Heiligtümer angemessen sein. Nur wurde jetzt die letzte Konsequenz daraus gezogen: Die alte Basilika müsse deshalb vollständig ersetzt werden, weil sie ihrer Würde nicht mehr angemessen sei, so Paolo Cortesi. Sie war zu bescheiden, genügsam und sparsam, um mit Maffeo Vegio zu sprechen.
Der Florentiner Kaufmann Giovanni Rucellai hatte bei seinem Rombesuch im Jubeljahr 1450 notiert, die Patriarchalbasiliken einschließlich der Peterskirche reichten nur an die Hauptkirchen der Bettelorden in Florenz heran; keine erreiche die Größe des Florentiner Doms. Der Historiograf Julius’ II., Sigismondo de’ Conti, begründete die Notwendigkeit eines Neubaus der Peterskirche damit, dass die bestehende Basilika geringen künstlerischen Wert habe. Sie sei in der Zeit entstanden, als der Abstieg des Römischen Reichs schon im Gang war und keine einigermaßen elegante Architektur mehr bekannt gewesen sei.
Raffael rief in einem Memorandum Papst Leo X., den Nachfolger Julius’ II., dazu auf, die römischen Monumente vor der Zerstörung zu bewahren, denn sie würden Zeugnis ablegen von jenen göttlichen Geistern, deren Erinnerung die Menschen bis jetzt zur Tugend anspornen würden.
Die konstantinische Peterskirche war ja auch kein spektakulärer Bau. Das Langhaus bestand nur aus einigen parallelen Mauerzügen mit Holzdecken und Reihen von Säulen, die sämtlich aus älteren Bauten zusammengesammelt waren. Die Peterskirche war in erster Linie als Wahrzeichen für den Sieg des Christentums erhaltenswert. Niemand dachte daran, den Triumphbogen des Konstantin wegen der schlechten Qualität seiner Plastiken abzubrechen, denn auch er war ein Wahrzeichen. Im Gegenteil: Bei den vielen Prozessionen in Rom spielte er eine Rolle. Kaiser Karl V. zog nach dem Sieg über die Osmanen bei Tunis durch den Konstantinsbogen in Rom ein. Die Konstantinsbasilika am Forum Romanum fand so große Bewunderung, dass allgemein die Überzeug herrschte, der Bau sei identisch mit dem Friedenstempel des Vespasian, den Plinius als einen der schönsten Bauten der Welt gepriesen hat. Man datierte sie aus propagandistischen Gründen also fast dreihundert Jahre vor Konstantin.
Alles in allem wirken die genannten Argumente für den Abbruch der alten Peterskirche wenig plausibel. Es stellt sich die Frage, wieso sie jetzt auf einmal in den Vordergrund traten. Was veranlasste den unvermittelten Gesinnungswandel Julius‘ II. trotz des massiven Widerstands? Meine Antwort: Die politische Situation hatte sich erneut gewandelt. Wieder rücken die Osmanen ins Blickfeld. Es bestanden weiterhin enge Verbindungen zwischen Orient und Okzident, auch zwischen Rom und Konstantinopel, nicht nur kriegerische, sondern auch geschäftliche, religiöse und freundschaftliche. Sultan Bayezid II., genannt der Fromme, der Nachfolger Mehmeds des Eroberers, schenkte dem Papst 1492 sogar die Heilige Lanze, die anschließend in einem der Vierungspfeiler der Peterskirche aufbewahrt wurde. So standen diesmal also nicht die wachsende Macht und die militärischen Erfolge der Osmanen im Vordergrund, sondern deren überragende kulturellen Leistungen, waren der Hintergrund der neuartigen Ost-West-Beziehungen.
Denn als Konstantinopel in die Hände der Osmanen fiel, war die Stadt in einem ähnlich jämmerlichen Zustand wie Rom nach der Rückkehr der Päpste aus Avignon. Die Sultane erneuerten Konstantinopel wie die Päpste Rom wieder stärkten. Die Sultane begannen damit unmittelbar nach der Eroberung und so blühte Konstantinopel rascher als Rom wieder auf. Mehmed der Eroberer krönte die Besitzergreifung der östlichen Metropole des Römischen Reichs mit der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee. Dieser Akt stand im Zentrum der Klagen über die Eroberung von Konstantinopel und wurde als Schändung angeprangert. Die Hagia Sophia wurde zum Symbol für die Hoffnung auf die Rückeroberung von Konstantinopel.
Mehmed der Eroberer und Bayezid der Fromme errichteten zwei neue großartige Moscheen, die mit Hospizen, Schulen und anderen vorbildlichen Einrichtungen für die öffentliche Wohlfahrt verbunden waren. Mehmed baute seine Moschee an der Stelle der Apostelkirche. Er zerstörte die seit langem in Ruinen liegende Kirche und die Gräber der Kaiser und errichtete dort sein eigenes Grabmal. Die um die Kirche herum gelegenen Verwaltungs- und Wohnbauten sowie die Bäder ersetzte er durch Einrichtungen für die öffentliche Wohlfahrt und Bildung. Die Moschee
Bayezids des Frommen ist ein wahrhaft großartiger Bau. Sie wurde nach dem Vorbild der Hagia Sophia gestaltet und weist viele typische Bauelemente ihres Vorbild auf: die Disposition mit dem großen kubischen Raum im Zentrum, die zentrale Kuppel, die den ganzen Bau beherrscht, und die vorn und hinten anschließenden komplexen Exedren mit ihren Kalotten, die so hoch wie der zentrale Raum sind. 1506 wurde diese Moschee eingeweiht. Die alte römische Peterskirche sah gegen die Moschee Bayezids des Frommen geradezu kläglich aus.
Ende 1505 begann nun die Planung für den Neubau der Peterskirche. Der Anlass war anscheinend die Vollendung der Moschee in Konstantinopel. Wenn Julius II. mit der Peterskirche den großartigsten Bau der Welt schaffen wollte, dann musste er die Hagia Sophia und die Moschee Bayezids des Frommen übertreffen. Die Moschee Bayezids des Frommen entstand in nur fünf Jahren – so lange hatte Nikolaus V. gebraucht, um die Fundamente für die Erweiterung der Peterskirche zu legen. Die Hast, mit der Julius II. den Neubau vorantrieb, wirkt so, als hätte er auch mit der Ausführung seines Neubaus nicht hinter den Osmanen zurückstehen wollen.
Die ersten Pläne für den Neubau der Peterskirche
Es gibt keine weiteren zeitgenössischen Kommentare neben der vollmundigen Erklärung, dass der großartigste Bau der Welt entstehen sollte. Für eine präzisere Beurteilung sind wir auf eine eingehende Betrachtung der Form und deren kunsthistorische Einordnung angewiesen. Ich bündele das auf die wesentlichen Elemente.
Es wurden zwei Alternativen vorgelegt. Anscheinend waren gewisse Bedingungen vorgegeben, denn beide Entwürfe haben annähernd gleiche Maße und beide liefern keinen Anhaltspunkt, welche Dimensionen der Neubau haben soll und wo er stehen soll. Es gibt keinen Maßstab, keinen formalen Bezug zum bestehenden Bau, keine Ortsbezeichnung, nicht einmal der Ort, an dem man glaubte, dass Petrus begraben sei, ist markiert.
Einer der Pläne stammt vom päpstlichen Architekten Donato Bramante, der 1499 nach Rom kam, nachdem er in Mailand Karriere gemacht hatte, und soeben begonnen hatte, den Papstpalast zu erweitern. Bramante hat nur die Hälfte seines Projekts gezeichnet, weil die andere Hälfte ohnehin exakt gleich aussehen sollte. Das war eine gängige Praxis in mittelalterlichen Rissen. Der andere Plan stammt von dem Veroneser Architekten Fra Giocondo, der für die Republik Venedig sowie die Könige von Neapel und Frankreich tätig war. Wieso zog der Papst einen fremden Architekten heran statt einen seiner Vertrauten, beispielsweise Giuliano da Sangallo, der in Mittelitalien berühmt war und sich als sein treuer Gefolgsmann erwiesen hatte?
Der Papst konnte wählen zwischen dem von Bramante präsentierten Zentralbau, wie es einem Ideal der Renaissance oder der Hagia Sophia und der Moschee Bayezids des Frommen entsprach, und der von Fra Giocondo vorgeschlagenen Kirche mit Langhaus, wie es der konstantinischen Peterskirche und den meisten Pfarr- und Pilgerkirchen entsprach. Beide Pläne fallen völlig aus allem heraus, was in Rom und Mittelitalien üblich war. Ihnen liegen Bautypen zugrunde, die im östlichen Teil des Imperium Romanum verbreitet waren und gelegentlich im Bereich der Republik Venedig aufgenommen wurden, weil die Republik Venedig besonders mit Ostrom (Byzanz) verbunden war.
Bramante schlug eine Kreuzkuppeldisposition vor. Dieser Bautyp kam in der byzantinischen Architektur auf und verbreitete sich vom Osten nach Venedig. In Venedig wurde er zu Beginn der Renaissance zum nationalen Bautyp der Republik. Damals entstanden dort sechs Kreuzkuppelkirchen – ihr Urbild war die Kirche von S. Giacomo di Rialto. Fra Giocondo hingegen schlug einen der Kreuzkuppelkirche verwandten Kirchentyp vor, der unter Justinian im Oströmischen Reich aufkam und ebenfalls in Venedig Nachfolge fand, in S. Marco, damals die Kirche des Dogen. Beide Architekten kannten sicher Venedig; Konstantinopel hatten sie nicht selbst besucht, aber sie könnten in der Sforza-Bibliothek in Pesaro die Zeichnungen der byzantinischen Bauten gesehen haben, die der Humanist Ciriaco d‘Ancona während seiner Reisen zu den antiken Stätten in Griechenland und im Nahen Osten angefertigt hatte.
Wieso fand man in Rom, dass die byzantinischen oder von Byzanz abgeleiteten Bautypen in Venedig der Peterskirche angemessen seien? Diese Frage lässt sich nur beantworten, indem man sich vergegenwärtigt, dass der Stil von Bauten nicht nur durch den zeitlichen Ablauf bestimmt wurde, sondern auch andere Faktoren auf ihn einwirkten.
Die Gestaltung von Bauten richtete sich oft auch nach lokalen Bindungen. Davon sprechen zeitgenössische Quellen: Die deutsche Bruderschaft und der König von Frankreich bauten in Rom für ihre Landsleute Kirchen ausdrücklich in deutscher bzw. französischer Art. Die beiden Kirchen folgen nur innen dem nationalen Stil, außen sind sie an das angepasst, was in Rom üblich war. So differenziert wurden lokale Baustile berücksichtigt. Die beiden Pläne für den Neubau der Peterskirche ließen hingegen die lokale römische Bindung vollständig außer Acht.
Denn man konnte über Bauformen auch politische Inhalte ausdrücken: Die Republik Venedig machte die byzantinische Kreuzkuppelkirche zu ihrem nationalen Bautyp, um zu demonstrieren, dass sie staatsrechtlich zum östlichen Teil des Imperium Romanum gehörte. Sie profitierte von der politischen Unabhängigkeit vom Westen, und wusste dies geschickt ausnutzen, manchmal zum Leidwesen der Päpste. Aus diesem Grund beanspruchte die Republik Venedig sogar Sonderrechte in der römischen Kirche.
Der Großfürst Iwan III. von Moskau beauftragte den italienischen Architekten Aristotele Fioravanti, die Uspenskij-Kathedrale in seiner Residenz im Kreml nach dem Vorbild der mittelalterlichen Uspenskij-Kathedrale von Vladimir zu bauen, um zu demonstrieren, dass der alte Sitz des Metropoliten der Russen von Vladimir nach Moskau übergegangen war. Die Kathedrale von Vladimir ist eine Kreuzkuppelkirche und der russische Metropolit unterstand dem Patriarchen der Ost-Kirche in Konstantinopel, wo die Kreuzkuppelkirche seit dem hohen Mittelalter der herrschen-
de Bautyp war.
Die Architektur der Osmanen hatte die gleiche Aussagekraft. Seit der Eroberung von Konstantinopel zeichneten sich die Moscheen der Sultane durch die Rezeption der Hagia Sophia aus und verwiesen damit auf den Anspruch der Sultane, Nachfolger der römischen Kaiser zu sein. Die Moscheen hoher Würdenträger rezipierten auch byzantinische Vorbilder, aber nur weniger prominente.
Wenn Julius II. für die Peterskirche gegen die römische Tradition byzantinische Bautypen wählte, so ist das nicht nur formal von Belang, sondern enthält eine politische Aussage. Julius II beabsichtigte den Blick auf Konstantinopel zu lenken.
Bramantes Plan
Der Papst wählte Bramantes Plan als Modell für den Neubau der Peterskirche. Er wurde auf der Gründungsmedaille der neuen Peterskirche in der Außenansicht dargestellt. Seine Merkmale sind die riesige, den ganzen Bau beherrschende Kuppel, darunter die Kalotten der Kreuzarme, die Nebenkuppeln in den vier Ecken, die vier Ecktürme sowie die kleine Eingangsfront statt einer großen Fassade. Das feierliche Motiv der zentralen Kuppel zwischen vier kleinen Eckkuppeln gab es in der westlichen Architektur nicht, auch nicht in Venedig – dort treten die Kuppeln über den Eckräumen der Kreuzkuppelkirchen außen nicht in Erscheinung; in der byzantinischen Architektur war das Motiv dagegen weit verbreitet. Hier bestätigt sich: Byzanz lieferte eher als Venedig das Vorbild für Bramantes Projekt.
Auf der Caradosso-Medaille ist die Kuppel, im Verhältnis zur gesamten Breite des Baus, weit größer als die Vierung in Bramantes Plan dargestellt. Das ist bisher kaum zur Kenntnis genommen worden, aber die Vergrößerung der Kuppel lässt sich nicht als Anpassung an die Fläche der Medaille abtun, im Gegenteil, die Kirche passt so schlechter in die Fläche als eine richtige Darstellung. Die Türme ragen in die Inschrift. Aus dieser und anderen Beobachtungen im Detail ergibt sich: Die Größe der Kuppel ist absichtlich in der Gründungsmedaille übertrieben. Eine so große Kuppel in Form einer Halbkugel, wie sie in der Gründungsmedaille dargestellt ist, war damals aus bautechnischen Gründen gar nicht realisierbar, zumindest nicht im Westen.
Es gab keine Kirche im Abendland, die Bramantes Projekt, so wie es auf der Gründungsmedaille dargestellt ist, ähnlich gewesen wäre. Dagegen gleicht die Darstellung, ausgenommen die Türme, im Wesentlichen der Moschee Bayezids des Frommen. Die Übereinstimmung ist so wichtig, dass ich die sich gleichenden Elemente hier im Einzelnen aufliste:
- die gewaltige Kuppel, die es in dieser Größe im Abendland nicht gab,
- darunter der Tambour,
- darunter die Kalotte der frontalen Exedra,
- auf beiden Seiten neben der frontalen Exedra kleine Kuppeln ohne Tambour,
- unten statt einer Fassade, wie sie im Abendland üblich war, nur ein niedriger Vorbau.
Die Hagia Sophia war das Vorbild für die Moschee Bayezids des Frommen, aber sie unterscheidet sich in diversen einzelnen Elementen: die Kuppel ist beträchtlich flacher, sie hat keinen Tambour und die kleinen Nebenkuppeln fehlen.
Aber da Bramante die Hagia Sophia nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, war er auf Abbildungen angewiesen, um sich ein Bild von der Hagia Sophia zu machen, und diese Abbildungen hatten natürlich nicht die gleiche Präzision wie heutige Fotografien.
Die genaueste Zeichnung der Hagia Sophia aus der Renaissance ist in dem prächtigen Pergamentband mit Antikenzeichnungen überliefert, den Giuliano da Sangallo hinterlassen hat. Sie entstand wohl um die gleiche Zeit wie die ersten Pläne für den Neubau der Peterskirche oder kurz vorher, aber sie geht auf eine Vorlage von Ciriaco d‘Ancona zurück. Die Zeichnung weicht deutlich vom realen Baubestand: Die zentrale Kuppel ist halbkugelförmig statt so flach wie das Original, ihr ist ein Tambour angefügt, den es nicht gibt, neben der Kalotte der frontalen Exedra erscheinen kleine Kuppeln, als wäre die Hagia Sophia eine Kreuzkuppelkirche byzantinischen Typs, aber auch diese Kuppeln gibt es nicht an der Hagia Sophia. Bramante wird die Abweichungen kaum erkannt haben.
Die Gründungsmedaille demonstriert, dass Bramante seinen Plan für den Neubau der Peterskirche dem Plan der Hagia Sophia und dem der Moschee Bayezids, so wie diese ihm zugänglich war, weitgehend angeglichen hat. Das unterstreicht besonders die unrealistische Übertreibung der Größe der Kuppel. Die enorme Größe der Kuppel wurde von jeher als das wesentliche Element der Hagia Sophia herausgestellt, und die Moscheen der Sultane konkurrierten darin mit ihr. Bramantes Projekt überbot die Hagia Sophia und die Moschee Bayezids des Frommen noch darin, dass es den Grundriss im Sinn der Renaissance regulierte und das feierliche Motiv der vier Ecktürme anfügte, das Filarete im Entwurf der Kathedrale einer utopischen Stadt als architektonisches Ideal kreiert hatte.
Fra Giocondos Plan
Fra Giocondo orientierte sich bei seinem Vorschlag für den Neubau der Peterskirche offenbar an S. Marco in Venedig Das zeigen besonders die Reihen von überkuppelten Räumen im Langhaus und Querhaus, die aus mehreren Pfeilern zusammengesetzten Stützen zwischen ihnen und der ungewöhnliche Umgang um das Langhaus. Fra Giocondo als der gelehrteste Architekturtheoretiker seiner Zeit war sicher nicht so naiv, die Kirche des Dogen als Vorbild für die Kirche des Papstes zu empfehlen. Hinter der Ähnlichkeit seines Plans mit S. Marco stand wohl eher die Absicht, auf die Apostelkirche von Konstantinopel zu verweisen. Denn durch eine schriftliche Quelle war Zeitgenossen bekannt, dass S. Marco nach dem Vorbild der Apostelkirche in Konstantinopel gebaut wurde. Die Beschreibungen der Apostelkirche von Prokop und Eusebius sind nicht genau genug, um diese Angabe zu präzisieren, aber Ciriaco d‘Ancona konnte die Apostelkirche noch vor ihrer Zerstörung sehen und brachte sicher Zeichnungen von ihr ebenso wie von der Hagia Sophia nach Italien.
Wie im Einzelnen die Apostelkirche in Konstantinopel aussah, ist heute nicht bekannt, weil Ciriacos Studien in der Sforza-Bibliothek 1514 verbrannt sind. Die Byzantinisten nehmen jedoch einhellig an, dass sie S. Marco glich. Da Fra Giocondo im Umkreis von Venedig lebte und wirkte, kannte er sich besser als römische Architekten in venezianischer und byzantinischer Architektur aus. Ich denke, Julius II. hat Fra Giocondo um seine Meinung zum Neubau gebeten, gerade weil er besser als mittelitalienische Architekten wie Giuliano da Sangallo mit venezianischer und byzantinischer Architektur vertraut war.
Die Peterskirche und die Apostelkirche in Konstantinopel haben gemein, dass sie beide Apostelkirchen waren; in St. Peter wurden, wie man damals glaubte, ein Teil der Gebeine der beiden Apostelfürsten aufbewahrt. Die nächste große Apostelkirche, die gebaut wurde, S. Giustina in Padua, in der die Gebeine der Evangelisten Matthäus und Lukas aufbewahrt werden, gleicht auffällig Fra Giocondos Plan. S. Giustina vermittelt ansatzweise eine Vorstellung davon, wie Fra Giocondos Plan für die Peterskirche im Aufriss ungefähr aussehen sollte.
Schlussbemerkungen
Die erste Planung für einen Neubau der Peterskirche unter Julius II. war geprägt vom Gedanken an Konstantinopel, die alte Hauptstadt des Imperium Romanum, die von den Osmanen erobert worden war und in einem Kreuzzug wiedergewonnen werden sollte. Die Vorbilder für die eingereichten Pläne waren die beiden Hauptkirchen von Konstantinopel: die Kirche des Kaisers, die Hagia Sophia, die Mehmed der Eroberer zur Moschee umgewidmet hatte; und die Grabeskirche der Kaiser, die Apostelkirche, die Mehmed zerstört und durch seine eigene Moschee ersetzt hatte. Der Neubau der Peterskirche sollte die Moschee Bayezids des Frommen übertreffen, die moderne islamische Paraphrase der Hagia Sophia.
Das war die Absicht, die auf der Gründungsmedaille öffentlich zur Schau gestellt wurde. Aber Bramantes Modell war ebenso wie Fra Giocondos Vorschlag mehr als Symbol für den Neubau denn als Leitlinie für ihn gemeint. Daher konnten beide Pläne darauf verzichten zu markieren, wie das Verhältnis zur konstantinischen Basilika sein sollte. Der Bezug auf Konstantinopel war anscheinend in erster Linie als Rechtfertigung für den umstrittenen Neubau gemeint, für den Bau war er am Ende doch zu exzentrisch. Bramante hatte eine noch ausgefallenere Idee. Um das Mäzenatentum Julius‘ II. hervorzuheben, wollte er die Peterskirche mitsamt dem Grab Petri verschieben, wird berichtet, sodass ihn der Papst daran erinnern musste, dass nicht das Grab Petri in der neuen Kirche, sondern die neue Kirche über dem Grab Petri errichtet werden solle.
Auf Bramantes Plan ist lakonisch notiert: „Pianta di Sto. pietro di mano di bramante che non ebbe effetto“ (Plan für St. Peter von Bramante, der keine Auswirkung hatte). Von der ersten Vision blieb am Ende nur die Absicht übrig, über dem Grab Petri ähnlich wie beim Florentiner Dom eine großartig zum Oktogon ausgeweitete Vierung mit Kuppel zu schaffen. Im Übrigen stand keineswegs fest, was wirklich geschehen sollte. Die beiden päpstlichen Zeremonienmeister berichten von der Grundsteinlegung: der eine, auf dem Stein stehe, die Peterskirche werde neu gebaut, der andere, auf dem Stein stehe, die Peterskirche werde restauriert. Anfangs überlegte man tatsächlich, das Langhaus der konstantinischen Basilika in den Neubau einzubeziehen, wie Nikolaus V. gewollt hatte. Die Chorpartie sollte prominenten den Herkulestempel in Mailand nachahmen, den die Christen zur Kirche gemacht und dem Heiligen Laurentius geweiht hatten.
Das glaubte man, realiter war der Bau von vornherein als christliche Kirche bestimmt. S. Lorenzo konnte geeigneter als das Pantheon scheinen, dem Sieg des Christentums über das Heidentum Ausdruck zu verleihen, weil seine Disposition der Bautradition christlicher Kirchen näherkam. Zudem konnten Säulen-Umgänge wie in S. Lorenzo die Arkaden des konstantinischen Langhauses weiterführen, wenn es sich ergeben hätte, dass es erhalten werden sollte. Schließlich wurde der Chor Nikolaus‘ V. ausgeführt, nur stilistisch verändert und im Innern angepasst an die Säulenumgänge, die an den Querarmen ausgeführt werden sollten. Der Gedanke an eine Kreuzkuppelkirche wurde aufgegeben.
Die Unsicherheit hielt fast ein Jahrhundert an. Statt den Bau zügig voranzutreiben schuf Antonio da Sangallo ein riesiges und enorm teures Holzmodell für ein neues Projekt. Die äußerliche Präsentation war anscheinend wieder wichtiger als die Ausführung. Als Michelangelo die Bauleitung übernahm, kanzelte er Antonios Modell als „gotisch“ ab. Er brach viel von dem ab, was bereits begonnen war und errichtete statt einer Basilika einen auf die wesentlichen Elemente reduzierten Zentralbau. Er griff das feierliche Motiv der Hauptkuppel zwischen kleineren Eckkuppeln wieder auf, obwohl er dabeiblieb, den Innenraum ohne Kreuzkuppeldisposition auszurichten.
Durch Michelangelo nahm der Bau endlich Gestalt an. Das Langhaus der konstantinischen Basilika blieb bis 1605 bestehen, dann wurde es für den Bau eines neuen Langhauses abgebrochen, das an Michelangelos Zentralbau angefügt wurde. Am Ende entstand also doch eine Basilika. Die Kuppel über dem Grab Petri, einst als Höhepunkt des Baus konzipiert, verschwindet weitgehend hinter der neuen pompösen Fassade.