War Petrus feige? Er ist davongelaufen wie alle (männlichen) Jünger. Er hat seinen Freund aus Angst verleugnet, und diesen Verrat sofort bitterlich bereut. Er hat sich nicht das Leben genommen wie Judas, den seine Reue nicht vor der Verzweiflung bewahrt hat. Jesus hat für ihn gebetet, dass sein Glaube nicht erlischt; deshalb konnte er, als er sich bekehrt hatte, seine Brüder stärken, so berichtet es Lukas (Lk 22,31f).

 

I.

 

Die Nähe zwischen Judas und Petrus wird im Johannesevangelium noch deutlicher. Johannes formt die Figuren der Passionsgeschichte zu Jüngermodellen, die zeigen, wie man sich zum Tod Jesu verhalten kann. Petrus steht zwischen dem dämonisierten Judas und zwei anderen Gestalten, die Jesus in fast überirdischer Gleichgesinntheit folgen: dem Lieblingsjünger und Maria, die Jesus die Füße salbt. Petrus wehrt die Fußwaschung Jesu so energisch ab (Joh 13,8), wie Judas sich gegen die Salbung der Füße durch Maria in Betanien wehrt (Joh 12,5). Ihm kommt in der johanneischen Personenkonstellation die Funktion zu, den Kampf des Menschen gegen die Zumutung einer Offenbarung Gottes, wie sie sich in Jesu Tod zeigt, auszuagieren. Seine Konflikte mit Jesus sind Reaktionen auf den „Skandal“ oder eigentlich den Zusammenbruch des Gottesbildes, den er dadurch erleidet. Die wortlose Ebene des Einverständnisses mit dem Willen Gottes, die Maria und der Lieblingsjünger leben, wird von Petrus immer wieder in Kampf und Korrektur errungen. Dadurch wird er eine wichtige Identifikationsfigur für den Leser in der von Johannes dargestellten letzten Dramatik in der Auseinandersetzung mit dem Tod Jesu zwischen Hingabe und Verrat. Denn die bedrängende und erschreckende Möglichkeit der Verweigerung bleibt durch die Figur des Judas unerklärlich, aber unleugbar präsent. Judas übernimmt den dunklen Hintergrund der Abwehrkämpfe des Petrus, während dieser die je neu errungene Hoffnungsperspektive im Blick auf die Möglichkeit der Verweigerung vertritt.

Bei Johannes ist Petrus der Jünger, der dem Diener des Hohenpriesters, von dem Johannes sogar den Namen weiß, das Ohr abschlägt (Joh 18,10f, vgl. Lk 22,50), worauf er von Jesus zurechtgewiesen wird. Jesus will keine Draufgänger, die in den Heldentod rennen. Es geht nicht um Feigheit, sondern um recht verstandene Stärke, die aus dem Wissen um die eigene Schwachheit kommt. Im Markusevangelium will Petrus den Tod Jesu bereits in Galiläa verhindern und wird von Jesus als „Satan“ bezeichnet (Mk 8,33). Doch muss man sich im Klaren sein, dass es vor Ostern unmöglich war, das Kreuz zu verstehen. Petrus war vor Ostern im Recht, wenn er diese Ankündigung Jesu zurückwies. Die Zurechtweisung Jesu richtet sich deshalb an die Christen nach Ostern, denen gesagt wird, dass Jüngerschaft bedeutet, hinter Jesus herzugehen und nicht, ihm voranzustürmen.

Die Evangelisten haben, je auf ihre Weise, die Erinnerung an den historischen Petrus zu Modellen von Jüngerschaft und Führung in der Christengemeinde ausgearbeitet und wichtige Erkenntnisse narrativ dargestellt: Treue ist Gnade (Lk 22,31f); Stärke kommt aus durchlittener Schwäche (Mk 14,26-31. 66-72); ohne die Erfahrung des Erbarmens kein Hirtenauftrag (Joh 21,15-19); das Kreuz ist ohne die Ostererfahrung eine nicht zu überstehende Glaubensprüfung (Mk 8,31-33); Jesus ist kein Held, sondern der Heiland (Joh 18,10f).

 

II.

 

Wenn man hinter diese Botschaft historisch zurückfragt, wird jedoch eine weitere wichtige Information sichtbar: Die Jünger Jesu waren keine Fanatiker, die bedenkenlos das eigene und vor allem fremdes Leben für ihre Ziele aufs Spiel setzten. Sie hatten Angst vor dem Tod wie jeder Mensch, der nicht ideologisch verblendet ist. Man stelle sich vor, Petrus hätte, mutig und entschlossen, die Anhängerschaft Jesu zusammengetrommelt und versucht, vor Pilatus in Stimmung zu bringen. Was wäre geschehen, wenn nicht nur er das Schwert gezogen hätte, sondern auch Mitläufer und politische Extremisten, aufgehetzte Pilger und religiöse Hooligans? Wenn es im Hof des Pilatus zum Blutbad gekommen wäre (vgl. Lk 13,1)? Wir hätten einen mutigen Petrus, aber wie viele unschuldige Opfer, die keine Märtyrer gewesen wären? So gesehen ist es nicht selbstverständlich, dass die Hinrichtung Jesu im pilgervollen Jerusalem ohne weiteres Blutvergießen von Statten ging. Petrus war wie die andern ein gelähmter und ohnmächtiger Zeuge dieses Geschehens, dessen Bedeutung ihm erst vom Auferstandenen erschlossen werden konnte.

Anfang Oktober besuchte ich die Peterskirche und sah die großen Grabmäler der Barockpäpste. Im Rucksack hatte ich ein Exemplar des „Spiegel“ mit dem Coverbild des öffentlich gedemütigten Papstes Franziskus. Wer ähnelt dem Felsenmann mehr?

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