Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht

Vom liberalen Republikaner zum Gegner der Weimarer Republik

Im Rahmen der Veranstaltung "Historische Tage 2018", 14.02.2018

Hjalmar Schacht gehörte zu den interessantesten und widersprüchlichsten Führungspersönlichkeiten der Weimarer Republik. Sein politischer Wandel vom Republikaner zum Gegner der parlamentarischen Demokratie zeigt sich in den folgenden Daten. Anfang 1919 war Schacht einer der Gründer der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). 1932 gehörte Schacht zu den prominentesten Unterstützern Hitlers, die nicht der NSDAP angehörten.

Wie lässt sich Schachts Weg von der liberalen Mitte an den äußersten rechten Rand des politischen Spektrums erklären? Wieso verriet Schacht die Weimarer Republik, der er bis 1930 loyal diente? War Schachts Rechtsruck vom politischen Liberalismus zur antiparlamentarischen Rechten vielleicht sogar symptomatisch für das politische Versagen der deutschen Wirtschaftselite?

 

I.

 

Der 1877 geborene Schacht wuchs während des Kaiserreichs im liberal geprägten Hamburger Wirtschaftsbürgertum auf. Seit 1902 gehörte Schacht der Gruppe der sogenannten Jungliberalen in der Nationalliberalen Partei an. Es wäre jedoch falsch, Schacht in der Zeit des Kaiserreichs rechts von der politischen Mitte zu verorten. Vom nationalliberalen Mainstream unterschieden sich die Jungliberalen nicht nur durch die Befürwortung des Freihandels. Im Unterschied zu den Nationalliberalen und in Übereinstimmung mit der liberalen Fortschritts­partei strebten sie die Überwindung des undemo­kratischen Dreiklassen­wahlrechts an.

Als der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November 1918 die Republik proklamierte, war der 41 Jahre alte Schacht bereits ein geachtetes Mitglied des Berliner Wirtschaftsbürgertums. Seit 1916 war er Vorstandsmitglied der Nationalbank AG, die zu den großen Geschäfts­banken des Reiches gehörte. Seit Kriegsbeginn gehörte Schacht dem liberalen “Deutschen Club von 1914” an, wo sich ein breites Spektrum der wirtschaftlichen und politischen Elite traf, das von gemäßigten Nationalliberalen bis zu Repräsentanten des rechten Flügels der SPD reichte. In den Revolutionstagen des November 1918 ging von diesem Kreis die Initiative zur Gründung einer liberalen Partei aus, die sich vollkommen mit der Idee des liberalen republikanischen Staates identifizierte: Die Deutsche Demokratischen Partei (DDP).

Schacht unterzeichnete im November 1918 den Gründungsaufruf der DDP, obwohl er nicht alle ihre Positionen teilte. Im Unterschied zu den Liberalen lehnte er aus weltanschaulicher Überzeugung einen grundsätz­lichen Bruch mit der monarchischen Ordnung ab und gehörte damit in das Lager der gemäßigt konservativen “Vernunftrepublikaner”. Eigentlich wäre seine Mitgliedschaft in der zwischen Rechtsliberalismus und gemäßigtem Konservatismus changierenden Deutschen Volkspartei eines Gustav Stresemann folgerichtig gewesen. Dennoch blieb Schacht bis 1926 DDP-Mitglied.

Weshalb blieb Schacht Mitglied einer Partei, die seinen politischen Überzeugungen nicht wirklich entsprach? Schacht hoffte vergeblich auf die parteipolitische Fusion des Linksliberalismus und des Rechtsliberalismus als Gegengewicht zur Sozialdemokratie. Der scharfe Analytiker Schacht hielt die in der DVP aufgegangenen Nationalliberalen wegen ihrer vorbehaltlosen Unterstützung der Kriegspolitik für politisch gescheitert und diskreditiert. Schacht ging zu der vermeintlich stärkeren DDP, von der er sich mehr Erfolg bei der Verwirklichung einer stabilen parlamenta­rischen Demokratie mit einer liberalen Wirtschaftsordnung versprach.

Im Januar 1919 bemühte sich Schacht vergeblich um einen sicheren Listenplatz für die Wahl zur Nationalversammlung. Seine gescheiterten Bemühungen um ein Reichstagsmandat sollten sich im Jahr 1923 jedoch auszahlen, als er für das Amt des Reichsbankpräsidenten ins Spiel gebracht wurde. Schacht genoss den strategischen Vorteil, in der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht als Politiker wahrgenommen zu werden. Wenn überhaupt war der öffentlich kaum exponierte Schacht einer größeren Öffentlichkeit bis 1923 nur als Banker bekannt. Sein politisches Ehrenamt als Vorstandsmitglied der DDP blieb in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

Schachts Aufstieg vom Banker zum Reichsbankpräsidenten wurde durch die Hyperinflation des Jahres 1923 möglich. Der amtierende Reichsbank­präsident Havenstein war schwerkrank und mit der Sanierung der wertlos und funktionslos gewordenen Mark völlig überfordert. Als seine kommende Ablösung im August 1923 nicht mehr zu verheimlichen war, brachte die Berliner Presse zum ersten Mal Schacht als möglichen neuen Reichsbankpräsidenten ins Spiel.

Reichskanzler Gustav Stresemann (DVP) beauftragte Schacht am 8. November 1923 mit der Aufgabe, die Hyperinflation zu beenden. Schacht verdankte seine Ernennung zum Reichsbankpräsidenten keiner besonderen notenbankpolitischen Expertise, sondern seinem Ruf als loyaler Anhänger der republikanischen Ordnung. Sein härtester Konkurent Karl Helfferich genoss zwar das Vertrauen der führenden Bankiers und des Direktoriums der Reichsbank. Aus der Sicht Stresemanns und des Reichs­präsidenten Friedrich Ebert (SPD) war Helfferich wegen seiner anti-republika­nischen Einstellung jedoch politisch untragbar. Schacht wurde nach Eberts und Stresemanns energischer Fürsprache vom Kabinett und mit der Zustimmung der SPD-regierten und der zentrumsregierten Länder in das Amt des Reichsbankpräsidenten gewählt. Für die Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP war Schacht der politisch ideale Kandidat.

Es gelang Schacht tatsächlich, die völlig entwertete und als Zahlungsmittel unbrauchbare Mark durch die stabile Rentenmark zu ersetzen und damit die Hyperinflation zu beenden. Das Konzept für die Währungsreform stammte jedoch nicht von ihm, sondern vom sozialdemokratischen Finanzexperten Rudolf Hilferding und vom parteilosen Finanzminister Hans Luther. Es gelang Schacht sogar, einen Kredit der Bank of England einzuwerben und mit Hilfe der englischen Notenbank innerhalb eines Jahres die goldgedeckte Reichsmark einzuführen. Aus der erfolgreichen Sanierung der Währung ging Schacht mit dem Nimbus des “Retters der Mark” heraus, der sein Prestige in der Öffentlichkeit maßgeblich bestimmte und von dem auch die DDP profitieren konnte.

Die Wiedereinführung der Golddeckung verschaffte Schacht hohes Ansehen in der Öffentlichkeit. Dieser Schritt gelang Schacht vor allem dank seiner ausgezeichneten Beziehungen in die Londoner City und zum britischen Notenbankpräsidenten Montagu Norman. Doch während die DDP in den beiden Reichstagswahlkämpfen des Jahres 1924 mit dem Ansehen ihres Parteimitglieds Schacht warb, entfremdete sich Schacht immer mehr vom politischen Liberalismus.

 

II.

 

1926 trat Schacht aus der DDP aus. Laut seiner 1953 veröffentlichten Autobiographie handelte er aus Protest gegen die Zustimmung der DDP zur Enteignung der deutschen Fürstenhäuser. Die angestrebte, jedoch nach einem Volksentscheid gescheiterte Fürstenenteignung war jedoch nur der Anlass und nicht der Grund für seine schrittweise Entfremdung vom politischen Liberalismus.

Die Gründe für seine Entfremdung vom politischen Liberalismus sind in seinem technokratischen Politikverständnis zu suchen. Das Kabinett war nicht bereit, der finanzwirtschaftlichen Expertise des Notenbankers Schacht grundsätzlich Vorrang vor sozialpolitischen und infrastruktur­politischen Zielen einzuräumen. Schacht geriet mit der Reichsregierung über die Höhe und den Zweck der deutschen Auslandsverschuldung in Streit. Da die Hyperinflation den größten Teil der Geldvermögen vernichtet hatte, waren das Reich, die Länder und die Gemeinden auf Kapitalzufuhr aus dem Ausland angewiesen. Der Rückgriff des Staates auf ausländische Kredite erhöhte jedoch die Auslandsverschul­dung, belastete die Zahlungsbilanz und drohte, die Industrie vom knappen und umkämpften Kreditmarkt zu verdrängen.

Aus der Sicht der Städte und der Länder waren Auslandskredite für die Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur dringend erforderlich. Großstädte wie Berlin, Köln und Hamburg investierten großzügig in den Wohnungsbau, den Nahverkehr, in Gesundheitseinrichtungen und in Messegelände und verbesserten damit die Lebensbedingungen und die Zukunftsfähigkeit der Städte. Während die Kommunalverwaltungen die Kreditaufnahme als produktive Zukunftsinvestitionen priesen, lehnte sie Schacht als vermeintlich unproduktive Fehlverwendungen von knappem Kapital ab. Schacht forderte, dass Auslandskredite nur für “lebenswichtige, wirklich produktive Zwecke”, also vorrangig für industrielle Investitionen in moderne Produktionsanlagen aufgenommen werden sollten. Kommunale Auslandskredite erhöhten zweifellos das Wohlstandsniveau, doch kostete Ihre Rückzahlung Devisen, ohne der Zahlungsbilanz des Reiches zusätzliche Devisen einzubringen. Schacht verlangte deshalb ein Vetorecht der Reichsbank gegen Auslandsanleihen der Länder und Gemeinden, das ihm die Reichsregierung jedoch verweigerte.

Schacht geriet ab 1925 wegen seiner strikten Stabilitätspolitik in einen Dauerkonflikt mit der Reichsregierung. Schacht verbat sich jede Kritik an der strengen Geldpolitik der Reichsbank und forderte von der Reichsregierung einen entschiedenen haushaltspolitischen Sparkurs. Schacht war mit seinem Beharren auf die Autonomie der Reichsbank politisch wie ökonomisch im Recht, aber überschritt mit der Kritik an der Haushaltspolitik der Regierung die Kompetenzen seines Amts. Mit seiner Kritik an der Haushaltspolitik des Reiches vertiefte sich die Entfremdung von seinen Parteifreunden in der DDP zusehends. Sein Parteiaustritt im Jahr 1926 war die folgerichtige Konsequenz aus diesem Entfremdungs­prozess. Mit seiner Kritik an den zu hohen Staatsausgaben für Soziales stellte er die wohlfahrtsstaatliche Ordnung der Weimarer Republik in Frage, auf der die Koalition der Mitte und der gemäßigten Linken aus Zentrum, DDP und SPD maßgeblich beruhte.

Für seine zunehmende Entfernung von der liberalen Mitte gab es nicht nur politische, sondern auch persönliche Gründe. Sein Mangel an Selbstkritik und seine von sich selbst eingenommene Haltung verstärkten seine Neigung, sich als einen unfehlbaren und unverstandenen Experten zu sehen, der gegen den Unverstand seiner Umwelt kämpfen musste. Schacht neigte dazu, seine gelegentlich überzogene Härte in kontroversen Diskussionen mit positiver Standfestigkeit in der Sache zu verwechseln und mit dem ihm sachlich gerechtfertigt erscheinenden Sarkasmus seine Gesprächspartner zu verletzen. Sein einstiger Förderer Gustav Stresemann reagierte auf Schachts selbstherrliche Kritik an der Ausgabenpolitik der Reichsregierung zunehmend erbost und lehnte es seit 1927 ab, Schacht weiterhin bei Kabinetts­sitzungen zu konsultieren.

Ungeachtet ihrer haushaltspolitischen Diffferenzen war sich Schacht mir der Reichsregierung in einem wichtigen Punkt weiterhin einig: Die Senkung der Reparationen genoss aus den folgenden Gründen eine hohe politische Priorität. Zum einen war die jährliche Schuldenlast von 2,5 Milliarden Reichsmark aus dem Dawes-Plan auf Dauer für das Deutsche Reich zu hoch. Zum anderen erhoffte sich die Reichsregierung durch den Abzug der französischen Besatzungstruppen und die Aufhebung der alliierten Kontrollen über Reichsbank und Reichsbahn eine innenpolitische Stabilisierung durch den politischen Prestigegewinn, der mit der Wiedergewinnung der vollen politischen Souveränität verbunden war.

 

III.

 

Angesichts seines hohen Ansehens unter amerikanischen, britischen und französischen Bankern hatte die Reichsregierung 1928 keine andere Wahl, als Schacht mit der Verhandlungsführung über eine Revision der alliierten Reparations­politik zu beauftragen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Schacht bereits den oppositionellen Deutschnationalen angenähert, die eine unrealistisch hohe Senkung der Reparationen forderten. Schacht weckte bei der rechts­gerichteten Opposition überhöhte Erwartungen in eine deutliche Senkung der Reparationslast. Der politische Druck von rechts kam Schacht gelegen, um die Verhandlungen bei einem schlechten Ergebnis für Deutschland platzen zu lassen. Schacht begann, sich aus der Loyalitätsverpflichtung seines Amtes gegenüber der Reichsregierung zu lösen und der rechtsgerichteten Opposition in die Hände zu spielen.

Schacht nahm das Amt des Verhandlungsführers auch aus einem innenpolitischen Grund an. Die enge Wechselbeziehung zwischen Reparationen und Staatsausgaben versprach ihm größeren Einfluss auf die Haushaltspolitik des Reiches. Der Konflikt mit dem sozialdemo­kratischen Finanzminister Rudolf Hilferding war damit vorprogrammiert. Schacht wollte nicht weniger als ein Vetorecht über den Reichshaushalt durchsetzen.

Wie zu erwarten waren die alliierten Reparationsgläubiger nicht zu der von Deutschland erhofften größeren Senkung der Reparationen bereit. Nur der Verzicht der USA auf eine Rückzahlung der französischen Kriegsschulden hätte einen Verzicht Frankreichs auf deutsche Reparationen ermöglicht. Der amerikanische Kongress und die amerikanische Öffentlichkeit handelten jedoch nach dem Prinzip “America First” und hielten an dem seit 1919 verfolgten isolationalistischen Kurs fest. Bei den Reparationsverhandlungen in Paris konnte Schacht daher nicht mehr als eine Senkung der jährlichen Reparationslast auf 1,85 Mrd. Reichsmark durchsetzen – weniger, als die Reichsregierung und als die deutsche Öffentlichkeit erhofft hatten.

Schacht versuchte, die Verantwortung für das schlechte Verhandlungs­­ergebnis bei der Reichsregierung abzuladen. In einem Brief warf Schacht dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller zu Unrecht vor, er habe sich bereits vor Konferenzbeginn gegenüber dem alliierten Reparationsagenten Parker Gilbert mit einem schlechten Ergebnis einverstanden erklärt. Der bereits schwerkranke Außenminister Stresemann war über Schachts Vorwürfe so empört, dass er eine Untersuchung gegen sich selbst beantragte. Stresemann soll über Schacht gesagt haben: “Das einzige, was an Schacht sauber ist, ist sein Kragen”. In der Öffentlichkeit verteidigte Schacht aus Einsicht in die strukturelle Unbeweg­lichkeit der alliierten Siegermächte noch immer das Ergebnis der Reparationsverhandlungen. Als die Deutschnationalen und die NSDAP im September 1929 ein Volksbegehren gegen den sogenannten “Young-Plan” ankündigten, unterschrieb er einen Aufruf prominenter Demokraten, der sich gegen das Volksbegehren richtete.

Dennoch entfremdete sich Schacht immer mehr der Regierung der Großen Koalition. Ende 1929 nutzte er die akute finanzielle Notlage des Reichshaushalts aus, um sich ein Vetorecht gegen den Reichshaushalt zu sichern. Schacht drohte, den Kredit einer amerikanischen Bank an das Deutsche Reich in letzter Minute platzen zu lassen, wenn der sozialdemokratische Finanzminister Rudolf Hilferding nicht eine Sondersteuer zur Haushaltsdeckung akzeptieren würde. Angesichts der schweren Konjunkturkrise war eine solche Sondersteuer konjunktur­politisches Gift und kontraproduktiv. Hilferding musste dieses Junktim notgedrungen akzeptieren und trat im Dezember 1929 unter Protest zurück. Schacht gefiel sich in der Rolle des vermeintlich partei­ungebundenen, aber immer stärker Partei nehmenden Anwalts haushaltspolitischer Solidität.

Schacht schlug sich damit auf die Seite des Koalitionspartners DVP, der die beginnende Weltwirtschaftskrise für den Abbau des Weimarer Sozialstaats nutzen wollte und ein Auseinanderbrechen der Großen Koalition über haushaltspolitische und sozialpolitische Konflikte bewusst riskierte. Unter dem Einfluss der großen Wirtschaftsverbände wie der Eisen- und Stahlindustrie und des Ruhrbergbaus bewegte sich die DVP nach Stresemanns Tod im Jahr 1929 zunehmend nach rechts. Die von ihr geforderte Senkung der Leistungen für Arbeitslose war die politische Sollbruchstelle, an der die letzte parlamentarische Mehrheits­regierung der Weimarer Republik im Frühjahr 1930 auseinanderbrach.

 

IV.

 

Zu Beginn des Jahres 1930 rückte Schacht vom Young-Plan ab, den er selbst mitverhandelt hatte. Schacht schlug sich nun auf die Seite der deutschnationalen Young-Plan-Gegner und stieß damit auch dem DVP-Außenminister Julius Curtius vor den Kopf, der dem verstorbenen Stresemann nachgefolgt war. Am 6. März 1930 erklärte Schacht – zunächst noch hinter verschlossenen Türen – seinen Rücktritt als Reichsbankpräsident.

Es spricht viel für die Hypothese, dass der Young-Plan eher der Anlass als der Grund seines Rücktritts war. Schachts ablehnende Haltung gegenüber dem Young-Plan war symptomatisch für den zunehmenden außenpolitischen Revisionismus im konservativen Lager. Schacht hatte die Brücke zum liberalkonservativen und uneingeschränkt prorepublika­nischen Lager bewusst eingerissen.

War Schacht ein politischer Opportunist, der den politischen Rechtsruck kommen sah und sich auf die stärkere Seite schlug? Auf den ersten Blick erscheint diese Annahme schlüssig. Auf den zweiten Blick ist sie aber widersprüchlich. Schacht trat auf dem Höhepunkt seiner Macht gegenüber der Reichsregierung zurück. Wegen der starken Spannungen innerhalb der Reichsregierung hätte Schacht durchaus mit ihrem baldigen Ende und der Ernennung eines entschieden konservativen Reichskanzlers rechnen können, der seinen politischen Vorstellungen näher stand. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik des neuen Reichskanzlers Heinrich Brüning (Zentrum) wäre (und war) ihm zweifellos sympathischer und kam seinen Vorstellungen einer konsequenten Stabilitätspolitik nahe.

An Schachts großem Einfluss im deutschen, im europäischen und im transatlantischen Finanzwesen kam die Reichs­regierung auch nach seinem Rücktritt nicht vorbei. Finanziell konnte er sich den Amtsverzicht gut leisten. Bei seinem Abschied handelte er eine Abfindung von drei Jahresgehältern aus, die sich auf insgesamt 600.000 RM belief. Bei dem damals üblichen Zinssatz von sieben Prozent brachte ihm die Abfindung jährliche Zinserträge von 42.000 Reichsmark ein – und damit mehr als das Gehalt des Reichskanzlers, ohne dass er seine Abfindung antasten musste.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt genoss Schacht das Privileg, sich überall öffentlich zu Wort melden zu können. Bereits 1930 nutzte er dieses Privileg auf einer langen Vortragsreise in den USA ausgiebig aus und meldete sich ab 1931 auch innerhalb Deutschlands zunehmend offensiver zu Wort. Am 3. Oktober 1930 sprach er in einer öffentlichen Rede vor der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer in New York von einer baldigen Einstellung der deutschen Reparationszahlungen und schädigte damit die bereits eingeschränkte Kreditwürdigkeit Deutschlands erheblich. Schacht wusste, dass bereits der Wahlerfolg der NSDAP bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 die Kreditwürdigkeit des deutschen Staates und auch der deutschen Wirtschaft beschädigt und zu umfangreichen Geldabflüssen ausländischer Anleger geführt hatte. Der liberale Reichs­finanz­minister Hermann Dietrich sah sich zu einer Distanzierung von Schachts Äußerungen gezwungen. Andererseits kam Schachts offenherzig vorgetragene These von der baldigen Einstellung der Reparations­zahlungen Reichskanzler Heinrich Brüning durchaus entgegen, der Deutschlands Unfähigkeit zur Erfüllung der allliierten Reparations­forderungen auch um den Preis eines schweren Schadens für die deutsche Wirtschaft beweisen wollte. Für Brüning wie für Schacht hatte das Ende der Reparationen erste Priorität.

Seine Kritik an der Reparationspolitik war seit dem März 1931 auch der deutschen Öffentlichkeit bekannt. Schacht veröffentlichte im deutsch­nationalen Gerhard Stalling-Verlag sein Buch “Das Ende der Reparationen”, das sich bis zum Jahresende 1931 gleich 30.000 mal verkaufte. Für diesen Verkaufserfolg war neben seiner ungebrochenen Prominenz auch seine heftige Kritik an der Reparationspolitik der Reichsregierung verant­wortlich. Schachts einseitige Darstellung der Young-Plan-Verhandlungen zu Lasten der früheren Regierung Müller war auch für die Regierung Brüning sehr brisant. Brüning sah sich genötigt, eine kritische Gegendarstellung in Auftrag zu geben. Das große Presseecho half Schacht, seine Kritik an der Reparationspolitik in weiten Kreisen der Öffentlichkeit zu verbreiten.

Schacht stärkte mit seiner Kritik an der Regierung Brüning vor allem die radikale Rechte. Mit seiner Behauptung, dass Stresemann bewusst nicht die Unterstützung der “Nationalen Opposition” in der Reparationsfrage gesucht habe, biederte er sich offen bei den Deutschnationalen an, die Schachts Buch bejubelten. Doch blieb der Beifall nicht auf die Deutschnationalen beschränkt. Im Juni 1931 wies die NSDAP-Reichsleitung die nationalsozialistische Presse an, Schacht künftig schonend zu behandeln und auf die bisherigen polemischen Angriffe gegen den “Freimaurer” und “Kapitalisten” Schacht zu verzichten.

Für Schacht war die mögliche Perspektive einer Koalition aus Nationalsozialisten und Deutschnationalen keine Schreckensvision, sondern eine positive Zukunftsperspektive. Bereits Ende 1930 teilte er einem angesehenen amerikanischen Banker seinen Eindruck mit, dass die Regierung abgewirtschaftet habe und durch eine Koalition aus DNVP und NSDAP ersetzt werde.

Im Dezember 1930 erklärte Schacht in einer Rede vor dem Wirtschaftsrat der Bayerischen Volkspartei den anwesenden mittel­ständischen Unternehmern aus Bayern: “Richtig ist, dass man auf Dauer nicht gegen 20% der Wähler regieren kann, die in der letzten Reichstagswahl (…) einen lebendigen Protest gegen die innere und äußere Einschnürung unseres Lebensraumes (…) zum Ausdruck bringen wollten”.

Diese Äußerungen waren unschwer als ein Plädoyer für eine Regierungsbeteiligung der NSDAP zu verstehen, die bei der letzten Reichstagswahl fast 20% der Stimmen erhalten hatte. Seine Annäherung an die NSDAP ging im Januar 1931 schon deutlich weiter. Bei einer privaten Einladung im Hause Hermann Görungs begegnete er zum ersten Mal Hitler. Folgt man Schachts 1953 publizierten und keinesfalls plump apologetischen Memoiren, war er von Hitlers Persönlichkeit und seinen Äußerungen zur Reparationsfrage und zur Wirtschaftspolitik recht angetan, ja beeindruckt. Für die Ehrlichkeit seiner Memoiren in diesem Punkt gibt es einen authentischen Beleg. Die Tagebücher des ebenfalls anwesenden Joseph Goebbels bestätigen, dass Schacht positiv auf Hitlers ausgedehnte Ausführungen reagierte.

Die schwere Bankenkrise im Juli 1931 schien Schachts düstere Prophezeihungen zu bestätigen. Der Beinahe-Konkurs der vier größten deutschen Banken (Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank und Danat-Bank) bestätigte eindrucksvoll Schachts Kritik an der zu hohen Auslands­verschuldung. Schacht berücksichtigte dabei jedoch nicht, dass schwere strukturelle Mängel im Bankmanagement und die fehlende Zusammenarbeit der europäischen Zentralbanken die Banken­krise maßgeblich verursacht und fahrlässig verschärft hatten. Der Kapitalabzug ausländischer Anleger, die eine mögliche Machtübernahme der NSDAP befürchteten, hatte die beschränkten Handlungsspielräume der Reichsbank zusätzlich eingeengt.

Hans Luther, Schachts Nachfolger im Amt des Reichsbankpräsidenten, war in seinem Amt gescheitert. Brüning bot Schacht das Amt eines Kommissars für Währungs- und Bankenfragen an. Schacht lehnte dieses Angebot nicht nur wegen der ungeklärten Kompetenzen dieses Amtes ab. Mit seiner Forderung nach einem einseitigen Moratorium für Auslands­schulden stieß er auf Brünings Widerspruch, der eine Lösung auf dem Verhandlungsweg anstrebte. Eine so sehr von sich selbst überzeugte Persönlichkeit wie Schacht wäre nur dann in den Dienst des Reiches zurückgekehrt, wenn man ihm das Amt des Reichsbankpräsidenten zu seinen politischen Vorbedingungen angeboten hätte.

 

V.

 

Schacht wurde auch von den Deutschnationalen umworben. Die Reichstags­fraktion der Deutschnationalen lud ihn im Spätsommer 1931 ein, auf der gemeinsamen Kundgebung der DNVP, des Stahlhelms und der SA in Bad Harzburg über Wirtschaftspolitik zu sprechen. Schacht nahm diese Einladung dankbar an. Er wusste, dass sich diese Massenkundgebung der sogenannten “nationalen Verbände” gegen das politische System der Weimarer Republik und nicht nur gegen die Regierung Brüning richtete. Obwohl sich Schacht in seiner Rede auf finanzwirtschaftliche Fragen beschränkte und das politische System der Weimarer Republik noch nicht offen in Frage stellte, beschädigten seine Äußerungen die Glaubwürdigkeit der Reichs­regierung und schadeten dem finanziellen wie dem politischen Kredit des Reiches. Mit seiner Rede auf dem “Harzburger Treffen” wurde Schacht nicht nur zum Akteur auf der politischen Bühne, sondern auch zu einem Politikum für die Reichsregierung.

Schacht genoss es, von Hitler und den Deutschnationalen umworben zu werden. Hitler und Göring bemühten sich um ein seriöses Image der NSDAP in wirtschaftsbürgerlichen Kreisen und konnten von der informellen Zusammenarbeit mit Schacht nur profitieren. Schacht war bis zur Reichspräsidentenwahl im Frühjahr 1932 noch unentschlossen, ob er sich den Nationalsozialisten anschließen sollte. Gegen die NSDAP sprachen die unausgegorenen und widersprüchlichen wirtschaftspolitischen Positionen, die von der unternehmensfreundlichen Einstellung Görings bis zu den pseudosozialistischen Vorstellungen des NSDAP-Reichsorganisationsleiters Gregor Strasser und den wirren geldpolitischen Vorstellungen des selbsternannten nationalsozialistischen Chefökonomen Gottfried Feder reichten.

Schacht hielt die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der National­sozialisten durch seine Kontakte zu Göring und zu Hitler in seinem Sinne für beeinflussbar. Angesichts seiner direkten Verbindungen zu Hitler und Göring hatte er es nicht nötig, für seine Auffassungen in den Zirkeln von nationalsozialistischen Mittelständlern (Keppler-Kreis) zu werben. Im Sommer 1932 bemühte sich Schacht mit Erfolg, Hitler vom Verzicht auf ein detailliertes Wirtschaftsprogramm zu überzeugen. Schacht erreichte damit sein Ziel, die pseudosozialistischen Versatzstücke aus den Wahlpro­grammen der NSDAP zu verdrängen. Auf diesem Weg verschwanden Forderungen wie die Sozialisierung der Großbanken, die dem Ansehen der NSDAP in wirtschaftsbürgerlichen Kreisen und dem Streben nach einem seriöseren Image schadeten.

Hitler dachte Schacht schon vor der Machtübernahme eine führende Rolle als Wirtschaftspolitiker zu. Seit August 1932 war Schacht in den Entwürfen für Kabinettslisten für das Amt des Reichsbankpräsidenten vorgesehen. In der Öffentlichkeit agierte Schacht als Unterstützer der NSDAP jedoch zurückhaltend. Schachts Parteinahme für die NSDAP war im Sommer 1932 in der Wirtschaftselite noch eine Ausnahme und keinesfalls die Regel. Der große Teil der Wirtschaftselite sparte nicht mit Vorschuss­lorbeeren für den unternehmer­freundlichen Kurs der Regierung von Papen, der Brüning im Mai 1932 gefolgt war. Die Regierung von Papen verfolgte ganz im Interesse der Wirtschaftsverbände das Ziel, die arbeitsrechtliche Verbindlichkeit von Tarifverträgen aufzuheben und den Abbau des Sozialstaates voranzu­treiben. Weite Teile des Unternehmerlagers hatten diese Ziele seit 1929 verfolgt und waren daher von der Politik der Regierung von Papen sehr angetan.

Wegen der unternehmensfreundlichen Wende der Präsidialkabinette von Papen und von Schleicher war Schachts diskretes Werben für Hitler in Unternehmerkreisen bis zum Februar 1933 noch wenig erfolgreich. Die politisch durchsetzungskräftige und einflussreiche Schwerindustrie befür­wor­tete zwar eine autoritäre Präsidialregierung und eine weitgehende Ausschaltung des Reichstags aus der Gesetzgebung, aber noch nicht die Kanzlerschaft Hitlers.

Während ein großer Teil der Wirtschaftselite erst im Februar 1933 zur NSDAP überschwenkte, vollzog Schacht die Annäherung an die NSDAP bereits im Sommer 1932. Seiner einstmals liberalen und republikanischen Einstellungen zum Trotz wirkte Schacht hinter den Kulissen als ein Wegbereiter der nationalsozialistischen Machtübernahme. Schacht sammelte im November 1932 – mit jedoch bescheidenem Erfolg – bei Unternehmern Unterschriften für eine Petition an Reichspräsident von Hindenburg, Hitler zum Kanzler zu ernennen. Schon zwei Wochen nach der letzten Reichstagswahl am 5. März 1933 wurde Schacht von Hitler für sein Engagement belohnt. Am 18. März 1933 erhielt Schacht auf Hitlers Druck das Amt des Reichsbankpräsidenten. Der Generalrat der Reichsbank, der Schacht zum Reichsbankpräsidenten wählte, handelte auf Druck der nationalsozialistisch geführten Regierung, aber nicht gegen seine Überzeugung. Die sieben Bankiers im Generalrat der Reichsbank schätzten Schacht auch weiterhin wegen seiner Expertise und seiner Tatkraft in Banken- und Währungsfragen und hätten ihn auch unter einer demokratischen Regierung gewählt.

Hitler zeigte Schacht seine Wertschätzung, indem er ihn zusätzlich zu seinen gesetzlichen Kompetenzen als Hüter der Währung mit General­vollmachten für die Regulierung und die Neuordnung des deutschen Bankenwesens ausstattete. Auf der eher symbolischen als materiellen Ebene erlaubte Hitler Schacht sogar, sein Jahresgehalt selbst festlegen zu dürfen, das normalerweise vom Generalrat der Reichsbank festgelegt wurde. Schacht erhielt durch die bankenpolitischen Generalvollmachten eine Machtfülle, die er in der Weimarer Republik nie besessen hatte. Diese Aufwertung seines Amtes führte den zur Selbstüberschätzung neigenden Schacht zu der irrtümlichen Einschätzung, ein Vetorecht in allen finanzwirtschaftlichen Fragen zu besitzen und Hitler nötigenfalls auch den Geldhahn zudrehen zu können. 1937 sollte Schacht jedoch erkennen, dass er sich in seinem positiven Urteil über Hitler getäuscht hatte und Hitler ihn zunehmend wie einen lästigen Bedenkenträger behandelte.

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