Wie Digitalisierung Ressourcen spart

Grundlinien aus Sicht Christlicher Sozialethik

Im Rahmen der Veranstaltung "Innovation auf dem Acker. Wie Digitalisierung Ressourcen spart", 05.06.2018

alamy stock/Citizen of the Planet

Am 23. Mai 2018 hat die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften, das 70seitige Diskussionspapier „Der stumme Frühling. Zur Notwenigkeit eines umweltverträglichen Pflanzenschutzes“ veröffentlicht. Demnach habe der Pestizideinsatz in Deutschland und vielen anderen Ländern einen Punkt erreicht, an dem „wichtige Ökosystemfunktionen und Lebensgrundlagen ernsthaft in Gefahr sind.“ Das in die Schlagzeilen geratene und inzwischen auch im Alltag wahrnehmbare Insektensterben ist nur ein Aspekt davon. Es handele sich um ein „systemisches Problem“. Dies sei durch ein Verbot einzelner Pestizide, wie etwas Glyphosat, nicht in den Griff zu bekommen. Ein generelles Verbot ohne Alternativstrategie sei ebenso wenig ein gangbarer Weg. Die Landwirtschaft in Deutschland und weltweit steckt in einem tiefen Dilemma.

Es gibt jedoch durchaus mögliche Lösungsperspektiven: smart farming, „intelligente Landwirtschaft“. Diese eruiert mit Hilfe von Digitalisierung präzise den jeweiligen Bedarf an Pestiziden, Düngemitteln und Wasser, um die Bewirtschaftung von Feldern bedarfsgerecht umzustellen. So können in erheblichem Maß ökologische Belastungen eingedämmt, Erträge verbessert und zugleich ökonomisch Ressourcen gespart werden. Unter welchen Bedingungen, mit welchen Potenzialen, Hindernissen und Nebenwirkungen diese Hoffnung berichtigt ist, wird kontrovers diskutiert.

Bevor ich mit einigen Sachinformationen und ethischen Diskussionsaspekten in das Thema einführe, erlauben Sie mir eine persönliche Vorbemerkung. Warum beschäftige ich mich als Theologe mit diesem scheinbar so religionsfernen Thema der digitalen Innovation auf dem Acker? Warum ist das ein Thema für die Katholische Akademie? Es ist für mich – kurz gesagt – eine exemplarische Herausforderung praktizierter Schöpfungsverantwortung und christlicher Sozialethik. Innovationen auf dem Acker sind ein Brennpunkt hochkomplexer Umbrüche, Konflikte und Chancen, die grundlegend neue Denkweisen und Kooperationen fordern. Dazu braucht es einen klaren ethischen Kompass sowie die Bereitschaft des offenen Von-einander-Lernens ganz unterschiedlicher Akteure. Nötig ist ein Amalgam aus landwirtschaftlichem, ökologischem und soziokulturellem Wissen sowie politischem und ökonomischem Gestaltungswillen. Global betrachtet stehen wir vor der Herausforderung, die rasant wachsende Menschheit auf der Grundlage einer weltweit dramatisch abnehmenden Verfügbarkeit von fruchtbarem Boden zu ernähren – und dies unter den Bedingungen von Klimawandel, globalem Agrarwettbewerb und technischem Wandel.

Es ist kein Zufall, dass Ernährung und Landwirtschaft eines der Schlüsselthemen der Enzyklika Laudato si’ darstellt. Auch die Deutsche Bischofskonferenz hat sich wiederholt zu den ethischen Hausforderungen zukunftsfähiger Landwirtschaft geäußert, zuletzt zum Aspekt des Bodenschutzes. Schöpfungsverantwortung im Kontext der Landwirtschaft braucht neue Synthesen aus ökonomisch-technischer und ökologischer Sachkenntnis sowie ethischer Vernunft und politischem Gestaltungswillen. Die Kooperation von acatech und der Katholischen Akademie bietet hier ein hervorragendes Lernfeld für die Verknüpfung der Perspektiven von technischer Innovation und einer umfassenden ethisch-kulturellen Einordnung aktueller Entwicklungen.

Schöpfungstheologisch bietet sich dabei die Chance, vergessene Aspekte wiederzuentdecken: Von ihrem biblischen Ursprung her ist die Schöpfungsethik eine Gestaltungsethik, die auf ein Gleichgewicht von „bebauen und behüten“ (Gen 2,15) zielt. Schon im antiken Israel wurde die Idee der Schöpfungsverantwortung, die stark auf den Bereich der Landwirtschaft konzentriert war, in einem erstaunlich hohen Maß mit biologischem und ökologischem Wissen untermauert. So erkennen wir beispielsweise heute, wie sinnvoll das Brachjahr war als Zeit, in der sich der Boden erholen konnte. Die vielen Vorschriften für reines Wasser erweisen sich als hygienische Überlebensstrategien. Jakobs Unterscheidung der schwarzen und weißen Schafe (Gen 30) beruhte auf genauer Beobachtung von Vererbung. Die Schöpfungsberichte verarbeiten in narrativer Form viel von dem damaligen Wissen über Naturzusammenhänge. Analog braucht Schöpfungsverantwortung heute eine Rezeption des zeitgemäßen Wissens, um in fruchtbarer Weise zu gestaltender Verantwortung zu befähigen. Die Leitidee der folgenden Ausführungen ist vor diesem Hintergrund eine Ethik verantworteter Innovation.

 

Teilflächenspezifische Bewirtschaftung durch Digitalisierung

 

Statt des wertenden Begriffs smart farming kann man genauer auch von Präzisionslandwirtschaft (precision farming) sprechen. Gemeint ist eine teilflächenspezifische Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, bei der digitaler Technologien zur Überwachung und Optimierung landwirtschaftlicher Produktionsverfahren eingesetzt werden. Stellvertretend für die wissenschaftliche und fachpolitische Literatur sei auf die – für die folgenden Ausführungen wesentliche – „Studie zur Bewertung wissenschaftlicher und technologischer Optionen – Präzisionslandwirtschaft und die Zukunft der Landwirtschaft in Europa“ (2016) des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments verwiesen. Für Hintergrundrecherchen sowie Publikationshinweise danke ich Herrn Benjamin Nummert von der Geschäftsstelle des Sachverständigenrates Bioökonomie Bayern sowie Herrn Michael Zachmeier, Studienleiter der Katholischen Akademie, der die Kooperation mit acatech sowie auch die mit dem Deutschen Museum in der Reihe „Wissenschaft für jedermann“ betreut.

Mittels dieser Technologien werden intensiv geobiologischen Informationen für ortsgenaue Kartierungen von Bodenzustand, Erträgen und Pflanzenparametern bereitstellt. Anstatt ein ganzes landwirtschaftliches Feld nach dem Gießkannenprinzip mit derselben Menge an Düngemitteln zu behandeln, werden in der Präzisionslandwirtschaft unterschiedliche Gegebenheiten innerhalb eines Feldes gemessen und die Dünge-, Pflanzenschutz-, Bewässerungs- oder Erntestrategien entsprechend angepasst. Dies spart Ressourcen und vermeidet den übermäßigen Einsatz von Chemikalien; es ermöglicht einen wirksameren Einsatz von Stickstoffdünger bei gleichzeitiger Verringerung von Stickstoffrückständen im Boden, da bedarfsgerecht dosierte Düngung und Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln die Auswaschung dieser Stoffe ins Grundwasser massiv verringert.

Analoges gilt für die Bewirtschaftung von Tierbeständen, bei denen mit Hilfe digitaler Informationserfassung und -verarbeitung der spezifische Futtermittel- oder Medikamentenbedarf frühzeitig erfasst und entsprechend geregelt werden kann. Neue IT-Technologien helfen, Äcker, Wälder und Viehbestände effizienter zu bewirtschaften, Schädlinge gezielter zu bekämpfen und das Pflanzenwachstum besser zu kontrollieren. Die Daten dafür liefern Satelliten aus dem Weltall, Drohnen, die über Felder, Wiesen und Waldgebiete fliegen oder Sensoren, die an den landwirtschaftlichen Fahrzeugen angebracht sind. Kleine elektrisch betriebene Schwarmfahrzeuge können relativ autonom ganz unterschiedliche Anbaugebiete bewirtschaften. All dies ermöglicht eine standortspezifische Optimierung von Produktionsprozessen anhand gemessener Daten von Boden, Pflanzen und Wasserversorgung oder von Tieren mittels Sensorik, Elektronik, Informations- und Bildverarbeitung sowie von technischer Automatisierung. Eine Voraussetzung dafür ist die kontinuierlich steigende Rechenleistung und Datenvernetzung der Computer. Strukturell neu ist, dass damit nicht nur Hochtechnologie für Großbetriebe vorangetrieben wird, sondern ebenso eine dezentrale Miniaturisierung von Landwirtschaftsmaschinen im mittelständischen Bereich.

 

Potentiale des smart farming

 

Die Methoden der Präzisionslandwirtschaft versprechen eine gezielte Steigerung der Quantität sowie der Qualität landwirtschaftlicher Erzeugnisse bei gleichzeitiger Senkung der Kosten sowie der Auswirkungen auf die Umwelt. Digitalisierung und damit zur Verfügung stehende Datenmengen ermöglichen nicht nur punktuelle Applikation von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, sondern auch deren Planung, Vorbereitung und Dokumentation. Entsprechende systemisch integrierte Prozess-Managementsysteme befinden sich in der Entwicklung. Diese können Anwendern helfen, die Planung, Durchführung und Dokumentation zu verbessern, indem Wissen, Beratung, Praxis und Maschine miteinander verknüpft werden. Die Digitalisierung kann dazu beitragen, verschiedene Prozesse und Akteure durch vielfältige Informationen miteinander zu verknüpfen. Dazu zählen neben dem Landwirt unter anderem IT-Dienstleister, Landtechnikhersteller und Berater. Je mehr Daten erfasst werden, desto besser die Möglichkeit der Nachverfolgung bei Problemfällen.

Eine visionäre Perspektive bietet das sogenannte vertical farming. Dieses verbindet urban gardening und Intensivlandwirtschaft. Gemüse- und Getreideanbau sowie Fischzucht werden in städtischen Hochhäusern in geschlossenen Kreisläufen mit künstlichem Licht statt Sonne, Steinwolle statt Ackerboden, entsprechend geringem Flächenbedarf, optimierter Nährstoffverwertung und minimierten Transportkosten betrieben. Nach den Plänen des New Yorker Mikrobiologen Dickson Despommier soll so eine 30stöckiges Treibhaus 50.000 Menschen mit Gemüse, Getreide und Fisch ernähren und jährlich 50 Millionen Dollar Gewinn abwerfen. Trotz weltweiter Versuche zu solchen Modellen einer radikal von den bisherigen Formen der Landwirtschaft entkoppelten Form der Lebensmittelerzeugung ist es bisher kaum möglich, die Auswirkungen des vertical farming auf die Ernährungschancen und Agrarmärkte er Zukunft sowie auf die Umwelt und die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen abzuschätzen.

 

Landwirtschaft als Treiber der Digitalisierung

 

Die Landwirtschaft ist bereits deutlich stärker digitalisiert als andere Branchen. So macht die Software und Sensorik bei Landmaschinen inzwischen 30 % der Wertschöpfung aus, während sie in der Autoindustrie lediglich 10% beträgt. Nach Angaben der International Federation of Robotics ordern Landwirte ein Viertel aller Serviceroboter weltweit. Ein mittlerer Betrieb kann mehrere zehntausend Euro pro Jahr durch smart farming sparen, indem er bei gleicher Wirkung weniger Düngemittel und Pestizide kaufen muss. Zugleich können die Erträge deutlich gesteigert werden ohne dabei zusätzlich die Umwelt zu belasten. Selbst viele Biobauern setzten inzwischen auf smart farming. Sie ist ein wichtiges Handlungsfeld der Bioökonomie, deren Potenzial von der Europäischen Kommission auf 1,5 Billionen Euro im Jahr (sic!) geschätzt wird.

Manche sprechen bereits von Landwirtschaft 4.0, also einer neuen Stufe der Agrarrevolution, die durch Digitalisierung ermöglicht werde. Dabei ist die Landwirtschaft nicht nur Anwendungsfeld der technischen Innovationen, sondern selbst ein Schrittmacher und Treiber der digitalen Wirtschaft: Allein in Deutschland floss knapp eine Milliarde Risikokapital im ersten Halbjahr 2017 in junge Unternehmen der Agrartechnologie, so die Angaben bei C. Birnesser, in Smart Farming. Der digitale Bauernhof, in: techtag 13/11/2017. Deutsche Traditionsfirmen wie Claas oder Fendt sind hier ganz vorne mit dabei. Einige Beispiele können den Wandel veranschaulichen:

  • Assistenzsysteme bei Traktoren, die auch bei schlammigem oder abschüssigem Boden sehr genau die Spur halten und damit Ernteverluste minimieren.
  • Kleine Agrar-Roboter auf Rädern, die den schweren Traktor ersetzen und so Bodenverdichtung vermeiden, z.B. BoniRob: Ein vierrädriger Roboter, der übers Feld fährt, mit einer Kamera den Boden scannt, Unkraut erkennt und es gezielt mechanisch, also ohne Pestizide beseitigt.
  • Der Saatroboter „Xaver“ von Fendt, der nur 40 kg wiegt, erstmals im November 2017 auf der Agritechnica in Hannover vorgestellt wurde, elektrobetrieben ist und 70% weniger Energie als ein Traktor für die gleiche Arbeit braucht. Xaver ist aus dem EU-Forschungsprojekt MARS (Mobile Agriculture Robot Swarms), das Fendt in Zusammenarbeit mit der Hochschule Ulm durchgeführt hat, hervorgegangen.
  • Drohnen können Jungtiere z.B. Rehe, die sich in den Feldern versteckt haben, vor der Mahd erkennen und helfen, sie zu schützen.
  • Moderne Melkroboter, die das Euter zuvor reinigen, ermöglichen es, Entzündungen vorzubeugen. Zugleich erheben sie Daten aus der Milch und können auf diese Weise frühzeitig gesundheitliche Probleme der Kuh erkennen.

Diese Entwicklungen, von denen hier nur exemplarisch wenige genannt wurden und die auf eine rege Nachfrage stoßen, zeigen, dass das Bild der traditionsverhafteten Landwirtschaft recht einseitig, ist. Zumindest gibt es gleichzeitig mit der Traditionspflege ein erhebliches Maß an Innovationsbereitschaft und Experimentierfreude in der Landwirtschaft. Die Digitalisierung wandelt das Berufsbild erheblich. Sie führt zu einem pluralen Nebeneinander ganz unterschiedlicher Formen der Bewirtschaftung, der technischen Ausrüstung und der Mentalitäten.

 

Schattenseiten und Risiken des precision farming

 

Jede Entwicklung hat auch ihre Schattenseiten, Risiken und Hindernisse. Wo liegen diese im Bereich des precision farming?

  • Es fordert nicht unerhebliche Investitionen, die mit Risiken für die Bauern verbunden sind. Sie benötigen fundierte Entscheidungsgrundlagen für technische Investitionen sowie die damit verbundenen Entwicklungspfade und neuen Abhängigkeiten.
  • Die Investitionen lohnen sich eher für Groß- oder Mittelstandsbetriebe, was die Verdrängung von Kleinbauern oder Nebenerwerbsbetrieben beschleunigt.
  • Gerade in ländlichen Regionen fehlt es oft noch erheblich an Infrastruktur und Glasfasernetzen mit hinreichend schnellen Internetverbindungen.
  • Es ergeben sich komplexe Anforderungen hinsichtlich von Datenschutz, -sicherheit und ‑hoheit.
  • Landwirte sind in der Regel keine IT-Spezialisten und benötigen viel Zeit, Mühe und Beratung zur Einarbeitung.
  • Die zielgerichtete Erhebung der Daten und die Ausführung der aus ihnen abgeleiteten Bedarfe erfordert Kompetenzen, die das Berufsbild des Landwirtes wandeln und weiter von dem des Bauern mit unmittelbar naturverbundenem Wissen entfernt.
  • Das Versprechen abstrakt berechneter Optimierungspotenziale steht einem grundlegenden Misstrauen gegenüber, das sich aus negativen Erfahrungen mit dem industriellen Leitbild der Agrarproduktion hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf ökologische und soziokulturelle Wirkungszusammenhänge speist.
  • Gerade die Landwirtschaft ist – besonders im Bereich des Umgang mit Tieren – auf ein sicheres und reibungsloses Funktionieren angewiesen und kann sich einen auch nur kurzzeitigen Ausfall von komplexen Systemen, beispielsweise im Bereich der Fütterung in keinem Fall leisten. Man müsste also für den Bedarfsfall rasch auf manuelles Management umstellen können, was als Möglichkeit vorzuhalten recht aufwändig ist.

Aus sozialethischer Sicht ist es wichtig, von Anfang an die vielschichtigen Ambivalenzen der Digitalisierung im Blick zu behalten. Es braucht Augenmaß, um die Chancen zu nutzen, ohne sich von etwas abhängig zu machen, dass am Ende mehr Probleme erzeugt als löst.

 

Nachhaltige Intensivierung: ethische Kriterien und offene Fragen

 

Digitale Innovation auf dem Acker zielt wesentlich auf eine Synthese von Ressourcenschonung bzw. -einsparung und Ertragssteigerung. Ob und wie eine solche „nachhaltige Intensivierung“ (sustainable intensification) gelingen kann, ist umstritten. Als Anregung für die Diskussion skizziere ich im Folgenden thesenartig fünf Kriterien für ein ethisch verantwortbares Konzept von nachhaltiger Intensivierung. Daran sind auch die Entwicklungen digitaler Landwirtschaft zu messen:

  • Vorrang für menschliche Ernährung: Ernährungssicherung für die wachsende Menschheit muss durch eine Steigerung landwirtschaftlicher Produktion sichergestellt werden. Im Konkurrenzfall hat die Nahrungserzeugung Vorrang vor der Erzeugung von Energie und industriell nutzbarer Biomasse auf dem Acker. Nachhaltige Intensivierung darf nicht zu einer Reduktion der Vielfalt in der Ernährung durch Fokussierung auf einige wenige, besonders ertragreiche Pflanzen führen. Um Krisenrobustheit (resilience) zu erhöhen bzw. zu erhalten ist eine Analyse der Auswirkung sich ändernde Produktionsmuster auf Nahrungsmittelverfügbarkeit und den Zugang zu Nahrung, insbesondere in ärmeren Regionen, zu prüfen. Digitale Optimierungsmodelle müssen diese umfassenden Zusammenhänge im Blick behalten und dürfen nicht kurzsichtig auf rein betriebswirtschaftliche Maximierung ausgerichtet sein.
  • Gesamtkonzept ländlicher Entwicklung: Agrarpolitik und Digitalisierung haben massive Auswirkungen auf die Entwicklung ländlicher Regionen. Die digitale Automatisierung vieler Vorgänge kann in Spannung stehen zu dem aus sozialpolitischen Gründen wichtigen Ziel, kleinbäuerliche Strukturen und Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu erhalten oder auszubauen (in der internationalen Fachdebatte ist von „ILUC“: indirect landuse change, die Rede). Bewertungsmaßstab muss ein kontextspezifisches Gesamtkonzept für die ländliche Entwicklung in der jeweiligen Region sein. Für die ländliche Entwicklung ist beispielsweise auch die regionale Produktion und Vermarktung von Nahrungsmitteln ein wichtiger Faktor.
  • Nachhaltige Entwicklung: Angesichts der prekären Lage der weltweiter Ökosystemdienstleistungen kommt es in besonderer Weise auf die Beachtung systemischer Effekte und Gesamtbilanzen hinsichtlich einer global nachhaltigen Entwicklung an. Diese sind oft negativ, wenn beispielsweise für noch so effiziente Plantagen ganze Regenwälder abgeholzt werden, oder wenn im Rahmen von Rapsanbau für Energiegewinnung der Einsatz von Pestiziden massiv steigt, weil die negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit nicht so unmittelbar sichtbar und nachweisbar sind wie beim Lebensmittelanbau. Der Hauptanteil der Produktionssteigerung muss von bestehendem, landwirtschaftlich genutztem Land kommen. Die Landwirtschaft bedarf einer Integration von Ertrags- und Naturschutzzielen, z.B. durch Boden- und Gewässerschutz sowie Maßnahmen zur Erhalt von Biodiversität und sonstigen Ökosystemdienstleistungen. Auf diese Ziele kann und muss die digitale Intensivierung wesentlich ausgerichtet werden.
  • Tierwohl: Intensivierung in der Viehwirtschaft wird häufig mit Produktionsformen zu Lasten des Tierwohls assoziiert. Um dies zu ändern, ist eine Einbettung der Strategien in ethische Leitlinien des Tierwohls und der Tiergesundheit von entscheidender Bedeutung. Schmerzvermeidung ist ein wichtiges, jedoch kein hinreichendes Kriterium des ethisch verantwortlichen Umgangs mit Tieren. Auch die „Würde der Kreaturen“ (Schweizer Verfassung) ist zu berücksichtigen, wie dies vielfältig in der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft praktiziert wurde und wird. Da die rapide weltweite Steigerung der Nachfrage tierischer Produkte nicht nachhaltig zu befriedigen ist, stehen auch die Konsumenten und die Verbraucherverbände in die Mitverantwortung für ein radikales Umsteuern.
  • Transparenz: Nachhaltige Produktionsweise muss kontrollierbar und dokumentierbar sein. Dabei kann auf bestehende Zertifizierungssysteme zurückgegriffen werden. Diese stehen jedoch auf Grund mangelnder allgemein anerkannter, transparenter und praktisch kontrollierbarer Kriterien in der Kritik. Sie müssen verbessert werden, um Vertrauen zurückzugewinnen und nachhaltigkeitsorientierte Nachfrage der Verbraucher zu ermöglichen. Dabei kann die digitale Erfassung von Daten sehr hilfreich sein. Diese sollte über betriebswirtschaftliche und ökologische Analysen hinaus auch strategische Aspekte berücksichtigen, um weitsichtig auf die tiefgreifenden und weltweit vernetzten, jedoch sehr unterschiedlichen Umbrüche der Bioökonomie reagieren zu können.

Eine intelligente und weitsichtige Landnutzung ist eine der wichtigsten Quellen für die Zukunftssicherung der wachsenden Menschheit, die Ende des Jahrhunderts nach UN-Schätzungen 11 Milliarden Menschen umfassen wird. Die Chancen, diese mit einer ausreichenden Menge an hochwertigen Nahrungsmitteln versorgen zu können, sind trotz Klimawandel durchaus gut. Ihre Umsetzung erfordert jedoch eine enorme Anstrengung in Kombination aus ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Weitsicht. Das nötige Wissen ist vorhanden; was fehlt ist vor allem eine neue Qualität der Kooperation zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, Kompetenzbereichen und Ländern. Dies ist eine ethische Aufgabe.

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