Witwen und Jungfrauen: selbstbewusst und engagiert für die Gemeinden

Im Rahmen der Veranstaltung "Frauen in kirchlichen Ämtern", 15.10.2020

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Frauen spielten in den ersten christlichen Gemeinden eine sehr viel größere Rolle, als man gemeinhin annimmt. Frauen waren ein wichtiger Teil der Gemeinden und engagierten sich dort in vielerlei Hinsicht. Als „Amt“, das auch Frauen innehaben konnten, etablierte sich das Diakonat. Allerdings erwähnen die Texte auch immer wieder „Witwen“ und „Jungfrauen“ als besondere Gruppen in den Gemeinden, die vor und neben den Diakoninnen besonders aktiv gewesen zu sein scheinen. Woher kamen all diese Witwen und Jungfrauen und womit beschäftigten sie sich in den ersten Gemeinden? […]

Zu einem christlichen Verhaltensideal gehört die Nächstenliebe als zentrales Gebot, das aus dem Judentum übernommen wurde und sich vor allem in der Sorge um die Armen, Kranken und Hilfsbedürftigen konkretisierte. Zu diesen zählten in der antiken Gesellschaft vor allem Witwen und Waisen. […] Das Gros unverheirateter Frauen der Zeit war der Armut ausgesetzt (vgl. Lk 21,1–3) und damit auf eine Versorgung durch die biologische Familie oder die sich als Familie verstehende christliche Gemeinschaft angewiesen. Die frühen Christen und Christinnen sahen sich hier also besonders in der Pflicht. […]

Die Versorgung der Witwen geschah nicht ohne Gegenleistung: Als Aufgabe der Witwen wurde ein möglichst immerwährendes häusliches Gebet festgelegt, sie sollten jedoch weder verkündigen noch anderweitig mit Gemeindemitgliedern kommunizieren. Ganz offenbar war mit der Versorgung durch die Gemeinde also eine – wenn auch enge – Aufgabenzuschreibung in der Gemeinde verbunden, die die Witwen als direktes Sprachrohr zu Gott sah, ihre Kommunikationsmöglichkeiten mit anderen Christinnen und Christen jedoch beschnitt. […]

Der Witwenstand hat sich ganz offensichtlich aus der zunehmenden Präsenz alleinstehender und damit in aller Regel auf Versorgung angewiesener Frauen in den Gemeinden entwickelt, die Aktivitäten entfalteten, die in den Augen der Amtsträger jedoch bald über das tolerierbare Maß hinausgingen. Die Einschränkung der Tätigkeit der Witwen auf den häuslichen Bereich und ihre explizite Unterstellung unter Bischöfe und Diakone entspricht antiken, patriarchalischen Strukturen, zeugt jedoch andererseits auch für die Präsenz und Aktivität dieser Frauen. Den Regularien lässt sich daher entnehmen, dass die Präsenz und die Wirksamkeit der Witwen in den ersten christlichen Jahrhunderten sehr viel stärker war, als heute noch aus den Quellen zu erkennen ist. […]

Zum Stand der Witwen konnte auch eine weitere Gruppe unverheirateter Frauen gehören, die sog. Jungfrauen. […] Weibliche und männliche Asketen glaubten, durch die asketische Lebensweise dem Königreich Gottes näher zu sein. Sie lebten bereits im irdischen Leben so, wie es eigentlich erst für das kommende Königreich vorgesehen war. […]

Hatten die Jungfrauen, ebenso wie die Witwen, besondere Aufgaben in den Gemeinden? Wie die Witwen mit der Aufgabe des Gebets betraut waren, wird in antiken Texten als besondere Gabe der Jungfrauen die Prophetie genannt (s. etwa bereits Apg 21,9), also die Gabe göttlich inspirierter Rede. Daneben erwähnt die Kirchenordnung Traditio Apostolica als den Witwen ähnliche Aufgaben der Jungfrauen das Gebet, Fasten und den Psalmengesang. Auch die Jungfrau wird nicht ordiniert (12), sondern allein ihr Entschluss, ein entsprechendes Leben zu führen, macht sie zur Jungfrau und damit zum Mitglied einer ebenfalls stetig wachsenden Gruppe in den Gemeinden. […]

Wie für die Witwen gilt: Jungfrauen waren eine ebenfalls stetig wachsende Gruppe in den Gemeinden. Ebenso wie die Witwen zeichneten sie sich durch Spiritualität und eine besondere kommunikative Nähe zu Gott aus, ebenso wie diese wurden sie jedoch nicht ordiniert und waren der Kritik ausgesetzt. Im Fall der Jungfrauen bezog sich diese auf gelegentlich auftretenden Hochmut oder gar den Abfall vom enthaltsamen Leben. […]

Im Unterschied zu den anderen kirchlichen Ämtern bezeichnen „Witwen“ und „Jungfrauen“ ursprünglich eine Lebensform, aber keine innerkirchliche Funktion. Als mit dieser Lebensform essenziell verbundene Gabe wurde die besondere Kommunikationsfähigkeit mit Gott angesehen, die sich in Gebet oder Prophetie äußern konnte.

Die antiken Texte machen deutlich, dass die als „Witwen“ und „Jungfrauen“ bezeichneten Frauen in den Anfängen der christlichen Kirche besonders aktiv und selbstbewusst agierten. Im Rahmen einer sich stetig entwickelnden Thematisierung der idealen christlichen Lebensweise wurden Witwen- und Jungfrauenstand als sichtbare asketische Lebensformen im gemeindlichen Kontext der sogenannten Großkirche einerseits zu Vorbildern, andererseits jedoch auch zum besonderen Spielball der Auseinandersetzungen. Der Grund hierfür liegt zum einen im innerchristlichen Streit um die ideale Lebensform, die Großkirche und sogenannte häretische Gruppen jeweils für sich beanspruchten, zum anderen im Bemühen um Abgrenzung auch gegenüber nicht christlichen asketischen Lebensformen (wie etwa den Vestalischen Jungfrauen in Rom).

Es ist daher nicht erstaunlich, dass Witwen- und Jungfrauenstand sukzessive in die monastischen Gemeinschaften eingingen, die sich einer besonderen asketischen Lebensführung verschrieben. Für Frauen war nur das Diakoninnen-Amt in den großkirchlichen Gemeinden von dauerhaftem Bestand. Es stellte Frauen – allerdings nur auf einer bestimmten untergeordneten Ebene – funktional mit Männern gleich.

Resümee: Wir können an den Gruppen der Witwen und Jungfrauen erkennen, wie sich in den ersten christlichen Jahrhunderten gerade Frauen, die nicht durch eheliche und familiäre Verpflichtungen gebunden waren, dem Gemeindeleben in besonderer Weise widmen konnten und dies auch in vielfältiger Hinsicht taten. Sie waren dabei nicht stumm und leise, sondern zeichneten sich zum einen durch Spiritualität und eine besondere kommunikative Nähe zu Gott aus, wie es die mit ihnen verbundenen Aktivitäten von Gebet und Prophetie deutlich machen. Zum anderen aber kommunizierten diese Gruppen durchaus mit anderen Christinnen in der Gemeinde, lehrten und tauften gelegentlich sogar und waren seelsorgerisch tätig. Auch scheinen sie zunehmend liturgische Kompetenzen gefordert zu haben, die ihnen allerdings nicht zugestanden wurden.

Die Reglementierungen der Kirchenordnungen, die die Aktivitäten dieser Frauen möglichst auf die Kommunikation mit Gott beschränken wollten, und die expliziten Hinweise der Kirchenordnung zur Nicht-Ordination dieser Frauen lassen im Umkehrschluss die Folgerung zu, dass bereits die antiken Christinnen Ebenbürtigkeit mit ihren Glaubensbrüdern in den gemeindlichen Funktionen für die aus ihrem christlichen Glauben entspringende Konsequenz gehalten haben. Das Phänomen des reglementierenden Umgangs mit den Aktivitäten dieser Frauen ist in den Kontext der gesellschaftlichen Strukturen der Zeit einzuordnen und muss daher in keiner Weise im Kontext sich verändernder gesellschaftlicher Strukturen fortgeschrieben werden.

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