Evolution, Kosmogenese und Schöpfung – wagen wir die Synthese?

Im Rahmen der Veranstaltung "Naturverständnisse", 14.02.2020

I.

 

Kann und darf man als gläubiger Christ die Ergebnisse der Naturwissenschaft bezüglich Kosmogenese und Evolutionsbiologie akzeptieren? Oder umgekehrt: Ist es überhaupt möglich, als Naturwissenschaftler, sei es Physiker, Chemiker oder Biologe, noch an so etwas wie an eine Schöpfung eines alten Herrn mit Rauschebart in sieben Tagen zu glauben? Ganz bösartig formuliert: Kann man in dieser Frage zugleich katholisch, ehrlich und intelligent sein?

Nicht wenige Theologen sehen die Schöpfung, den Kosmos als erstes Buch göttlicher Offenbarung. Wenn dem so ist, dann können und dürfen wir Gott in den (Natur-)Gesetzen erkennen, die wir über diese Schöpfung verstehen gelernt haben. Für falsch halte ich es hingegen, Ihn dort zu suchen, wo wir (noch?) nichts verstehen – einen Lückenbüßergott wollen wir nämlich nicht haben.

Braucht es denn die Synthese von Naturwissenschaft und Theologie überhaupt? Oder sollte man, wie manche meinen, Einflusssphären und Kompetenzen sauber abstecken und sich möglichst nicht in die Quere kommen? Während selbst Päpste (z.B. Johannes Paul II 1996) zugestehen, dass „die Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese“ sei, wird insbesondere von christlichen Philosophen die Urknalltheorie als Mythos bezeichnet, und die Darwinische Evolution als widerlegt dargestellt. Zugleich sprechen die New Atheists von  Gotteshypothese und von Schöpfungslüge. Unser Ich allerdings fordert die Synthese vehement, ist es doch mit gleich drei fundamentalen oder im Sinn eines „entweder-oder“ konfrontiert:

 

  • Ist dieser Kosmos das Produkt einer Schritt für Schritt abgelaufenen Evolution, oder eine ins Sein gerufene Schöpfung einer personalen Allmacht, die wir Christen als Gott bezeichnen. Sind wir bloß nackte Affen oder dürfen wir uns tatsächlich als Ebenbilder Gottes bezeichnen?

 

  • Wird dieser Kosmos von Naturgesetzen gesteuert, oder „weht der Odem Gottes über die Wasser“? Bin Ich bloß eine Gehirnfunktion oder aber bin Ich mit Geist und Seele ausgestattet und habe die grundsätzliche Potenz zum ewigen Leben?

 

  • Ist dieser Kosmos und damit auch Ich das Ergebnis eines Zufalls, letztlich ohne Sinn und Zweck, oder ist dies alles Teil eines mir zwar nicht verständlichen, trotzdem aber perfekten Planes?

 

Die evangelische Kirche war schon seit dem 18. Jahrhunderts angetreten, die Bibel nicht als direktes (und damit völlig unantastbares) Gotteswort zu begreifen, wie dies bis heute im Islam der Fall ist, sondern als Menschenwort über Gott historisch-kritisch zu interpretieren. Im Katholizismus hat sich diese Grundeinstellung zum „Wort Gottes“ zwar mit dem II. Vatikanischen Konzil offiziell durchgesetzt, aber noch immer endet jede Lesung eines katholischen Gottesdienstes mit der Formel „Wort des lebendigen Gottes“ und nicht „Wort über den lebendigen Gott“, wie dies in LUMEN GENTIUM zum Ausdruck gebracht wurde.

Zumindest in den Theologischen Fakultäten der großen christlichen Kirchen, aber noch lange nicht quer durch den gesamten Klerus und schon gar nicht bei so genannten Evangelikalen, besteht heutzutage weitgehender Konsens, dass die beiden (!) Schöpfungserzählung des Buches Genesis (die Priester-Erzählung Gen 1,1-2,4 und die Jahwisten-Erzählung Gen 2,5-2,25) keine Tatsachenberichte darstellen. Leider ist auch in der neuesten Einheitsübersetzung wiederum von „Schöpfungsberichten“ und nicht von „Schöpfungserzählungen“ zu Rede. Entscheidend für einen synthetischen Ansatz von Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft erscheint mir vor allem der Johannesprolog, der in Griechisch verfasst ist, wo alles aus dem Logos entsprungen ist, was nur schlecht und missverständlich mit dem deutschen Begriff Wort übersetzt wird: Es gibt nur eine Ursache bzw. Urkraft für das Werden der Welt, Gott durchdringt diese Urkraft, geht aber zugleich darüber hinaus.

Der Johannesprolog nach der aktuellen Einheitsübersetzung (2016) etwas modifiziert: Der mit Wort schlecht übersetzte original griechische Begriff Logos wird parallel mit mehreren Möglichkeiten aus der altgriechischen Philosophie übersetzt. Der Text (Joh 1,1-3) liest sich dann so:

 

LOGOS kann u.a. heißen:

1 Im Anfang war LOGOS,                                           Weltseele

und LOGOS war bei Gott,                                          Urgrund

und LOGOS war Gott.                                                Erstursache

2 Dieses war im Anfang bei Gott.                              Urkraft

3 Alles ist durch LOGOS geworden,             Grundprinzip

und ohne es wurde nichts,                                        Allnatur

was geworden ist.                                                     Basismacht

 

II.

 

Auch auf Seiten der Naturwissenschaften gab und gibt es Fortschritte spezieller und grundlegender Natur.

Zunächst: Naturwissenschaftlicher Zufall, Indetermination, welcher Art auch immer, ist einerseits ein tausendfach bestätigtes Naturgesetz der Quantenphysik, welches auf vielfältigste Art und Weise auch direkt makroskopisch, d.h. in unserer unmittelbar erfahrbaren Alltagswelt wirksam sein kann. Als Beispiele mögen Würfel, Halbleiter, die Individualität der Schneekristalle sowie Mutation (spontane Genveränderung) und Rekombination (die zufällige Durchmischung der Chromosomen in der Reifeteilung der Keimzellenbildung) dienen.

Allerdings lässt sich jede Indetermination nur in einem naturgesetzlichen Rahmensystem definieren. Das heißt, so sehr es Zufall ist, welche Würfelzahl kommt, so sehr bestimmt die kubische Würfelgeometrie, dass es keine 7 sein kann und dass alle sechs Seiten gleiche Wahrscheinlichkeit haben. Zufällige Freiheitsgrade in strikten Regelsystemen durchziehen alle Existenzebenen des Kosmos: Uranatome zerfallen nach prinzipiell nicht vorbestimmter Zeit in exakt vorhersehbare Spaltprodukte. Schneekristalle sind seit Anbeginn der Welt einzigartig, aber stets sechsstrahlig. Es ist unbestimmt, wie die nächste Mutation des Grippevirus aussehen wird, aber ein Grippevirus wird es sein. Es ist ein Teil unserer Individualität, dass es grundsätzlich nicht vorherbestimmt ist, wie genau ein gerade gezeugter Mensch aussehen wird und welche Begabungen vorliegen werden, sicher aber wird dieser Mensch Eltern und Großeltern ähnlich sein.

Entscheidend ist dabei, nicht in den Monod´schen Fehlschluss zu verfallen. Der Nobelpreisträger für Medizin hatte 1970 folgende viel diskutierte These aufgestellt: Weil das gesamte Weltgeschehen im Grunde zufällig ist, ist diese Welt und damit auch der Mensch sinnlos, da eben nicht geplant. Während die Prämisse, die schon in den frühen Jahren der Quantenphysik am Beginn des 20. Jahrhunderts konstatiert wurde, in der vergangenen 120 Jahren gegen viele Widerstände vielfach bestätigt wurde, ist der Schluss daraus mehr als fragwürdig: Wenn wirklich alles nicht vorherbestimmt ist, dann gilt das eben auch für die Sinnfindung. Das resultiert dann aber eben nicht in Sinnlosigkeit – ein determinierter Zustand – sondern in Sinnoffenheit, d.h. Sinnfindung ist möglich aber nicht garantiert.

Ein weiteres naturwissenschaftliches Phänomen mag ein zusätzliches Indiz liefern: Über die  Emergenz (Fulguration bei Konrad Lorenz), das Auftauchen völliger neuer Systemeigenschaften, ist in den vergangenen Jahrzehnten intensiv geforscht und nachgedacht worden. Emergenzen gibt es auf allen Ebenen: Durch Kernfusionen entstanden und entstehen neue Elemente mit prinzipiell neuen Eigenschaften. Nach dem Urknall gab es zunächst nur Wasserstoff, dann Helium, dann alle übrigen Elemente bis zum Eisen, Elemente mit höheren Ordnungszahlen bedürfen zur Entstehung einer Supernova, d.h. entstanden sehr viel später. Gibt es mehrere Elemente, entstehen durch chemische Reaktionen neue Moleküle, für die Gleiches gilt. Bei jeder Befruchtung, ob Pilz, Pflanze, Tier oder Mensch, entsteht etwas prinzipiell Neues, und ein Liebespaar ist mehr als bloß zwei Personen.

Als Individuum durchlaufen wir in unserer Entwicklung gleich eine ganze Kaskade solcher Emergenzen: Erst mit der Einnistung in die Gebärmutterwand mehrere Tage nach der Befruchtung ist die Möglichkeit von Mehrlingen ausgeschlossen, d.h. die Individualität festgelegt, davor können aus der befruchteten Eizelle zufällig (!) auch zwei oder mehr Menschen (mit geteilter Seele?) werden. Drei Wochen nach Zeugung gibt es den ersten Herzschlag, nach weiteren drei Wochen den ersten Gehirnstrom, dessen Ausbleiben der deutsche Gesetzgeber als Ende des Mensch-Seins definiert.

Nach ca. einem Jahr kommt es zum Selbstbewusstsein, und mit 13-15 Jahren kommt mit der Geschlechtsreife ein weiterer, grundsätzlich neuer Faktor der Entwicklung hinzu. Es gibt wenig Zweifel, dass alle Emergenzen rein naturgesetzlich ablaufen, aber ebenso wenig Zweifel, dass prinzipiell neue Eigenschaften auftauchen. Es ist dabei faktisch unrichtig, dies vom Ergebnis her zu denken (z.B. Wasserstoff als Teil von Wasser) bzw. zu erklären: Sauerstoff und damit Wasser entsteht im Kosmos mehrere hundert Millionen Jahre später als Wasserstoff, Eier gab es bereits sehr viel früher als Hühner, und das Lernen ist erheblich älter als die Menschheit. Nein, der Befund lautet: Naturgesetze sind schöpferisch, können prinzipiell Neues entstehen lassen.

Und zuletzt: es gibt zunehmende Hinweise aus Theoretischer und Astrophysik, dass alle vier physikalischen Grundkräfte des Kosmos (Elektromagnetismus, starke und schwache Kernkraft, Schwerkraft bzw. Gravitation) sich unter den Bedingungen der allerersten Augenblicke (d.h. 10-43 bis 10-30 Sekunden!) des Kosmos vermutlich als eine Grundkraft auftraten. Für drei der vier Kräfte ist dies aktuell bereits als Grand Unified Theory (GUT) nachgewiesen, der Einbezug der Gravitation steht noch aus. Ein solcher Kosmos im „Urkraftzustand“ verhielt sich dabei wie ein einzelnes Elementar-Quant (z.B. ein Elektron, ein Neutrino) und hatte daher Wahrscheinlichkeitscharakter, d.h. seine Existenz-Werdung war zwar nicht sicher, aber rein naturgesetzlich möglich. Wenn man die johanneische Theologie aber ernst nimmt, ist nichts Anderes zu erwarten: alles ist durch den Logos entstanden, der von Gott durchdrungen ist. Es ist daher grundsätzlich kein Angriff auf den Glauben, wenn die Naturwissenschaften auch den Beginn dieses Kosmos und seine Entfaltung rein naturgesetzlich erklären – eine wahre Allmacht muss diese Naturgesetzlichkeit umfassen.

 

III.

 

Jede anzustrebende Synthese zwischen Naturwissenschaft und Glaube muss Credo-Charakter haben, d.h. sie kann (mich, Sie) überzeugen, muss aber nicht geglaubt bzw. akzeptiert werden. Es gibt keinen neuen Gottesbeweis, bestenfalls Indizien, aber immerhin keinen Widerspruch mehr zwischen Grundannahmen des christlichen Schöpfungsglaubens und Grundaussagen der Naturwissenschaften. Ich sehe zunächst Übereinstimmung zwischen dem unum deum und einer einzigen Urkraft der Physiker – also kein Ying-Yang in der Schöpfung, sondern nur ein Logos. Wir finden in den Naturgesetzen auf allen Existenzebenen schöpferische Eigenschaften, die als Indiz dienen können. Ich stelle des Weiteren fest, dass diese Schöpfung in allen Ebenen Freiheitsgrade zeigt, dass sie (so wie wir selbst) eben nicht vorherbestimmt ist, sondern sich ihre Grenzen und Rahmenbedingungen dynamisch selbst zunächst zufällig festlegen, an der Festlegung aber festhalten und damit Komplexität und Ordnung aufbauen. Und welchen Liebesbeweis könnte denn eine liebende Allmächtigkeit der geliebten Schöpfung und den daraus hervor gegangenen denkenden Wesen geben, wenn nicht die Freiheit? Gerade auf den christlichen Erlösungsglauben fokussiert: Sünde setzt stets freien Willen voraus, und freier Wille bedarf einer freien Welt, will man nicht in ein Ödipus-Szenario fallen. Mit anderen Worten: Indetermination bzw. Zufall ist nicht der Feind des christlichen Glaubens, sondern als grundsätzliches Freiheitsprinzip der Schöpfung geradezu seine Voraussetzung.

Diese dem Kosmos und damit uns gewährte Freiheit hat das Leid, die Katastrophe und das (stets personale) Böse als notwendige Konsequenz, denn selbst Gott kann keinen quadratischen Kreis formen und keinen Stein schaffen, den er nicht aufzuheben vermag. Erst durch Logos geschaffene, in der Evolution gewordene Wesen, die vom Baum der Erkenntnis gegessen haben und aus dem Paradies des Nicht-Wissens vertrieben wurden, haben die Chance, diese unsere Welt ein klein bisschen besser, menschlicher zu machen – wir sollten diese Chance ergreifen.

So lösen sich die drei eingangs erwähnten oder synthetisch auf, denn man kann in der Tat katholisch, ehrlich und intelligent sein: (1) Evolution, die gesamte Kosmologie ist der Modus der Schöpfung und lässt sich auf eine und nur eine Urkraft zurückführen, die sich mit dem johanneischen Logos gleichsetzen lässt. (2) Eine Allmächtigkeit muss die Naturgesetze umfassen: Wenn dies so ist, dann erklären die Naturwissenschaften Gott herein in diese Welt und nicht hinaus, wie nicht selten unterstellt wird. Dann (und nur dann) gibt es wirklich einen Jahwe (ich bin da), einen stets gegenwärtigen Logos. (3) Zufall ist ohne naturgesetzliche Rahmenbedingungen nicht denkbar, der Plan der Schöpfung im Großen wie im Kleinen ist aber nicht vorherbestimmt, das Buch unseres Schicksals wird von uns alleine geschrieben.

Der Kosmos hat Freiheit und ist nicht in Kismet, Schicksal, Bestimmung oder Vorsehung gefangen. Wer immer sich dieser Freiheit, die ein mögliches Scheitern (Christen nennen es Sünde und Schuld) implizit umfasst, auch bewusst ist, der trägt auch Verantwortung. Die Frage ist nicht „Was ist der (vorgegebene) Sinn meines Lebens?“, sondern „Wie soll ich leben, damit mein Leben einen Sinn bekommt?“ Sich dieser Verantwortung zu stellen ist der kategorische Imperativ des Emmanuel Kant, den man sinngemäß so zusammenfassen könnte: „Handle so, dass Dein Handeln als grundlegendes Sittengesetz gelten kann“), die ultimative Aufforderung der Religion ebenso wie der Naturwissenschaften.

Weitere Medien vom Autor / Thema: Theologie | Kirche | Spiritualität

Aktuelle Veranstaltungen zum Thema: Theologie | Kirche | Spiritualität

Heinrich-Böll-Stiftung Berlin / Wikimedia Commons
Vom Großen und Ganzen
Der Podcast der Katholischen Akademie in Bayern und der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“
Freitag, 04.04. - Mittwoch, 31.12.2025
Masmikha/shutterstock
Rohstoffe für die Energiewende
Lieferketten, Abhängigkeiten und Verantwortung
Dienstag, 29.04.2025
Zukunftsverantwortung für Gesellschaft, Politik und Land-Wirtschaft
Dienstag, 13.05.2025
Zeichnungen von Alf Lechner (1925-2017) anlässlich seines 100. Geburtstags
Montag, 19.05.2025
Eine Denkwerkstatt
Montag, 26.05.2025
Bernhard Neuhoff im Gespräch mit Sir Simon Rattle
Dienstag, 27.05.2025
EBEN European Business Ethics Network Annual Conference 2025
Donnerstag, 29.05. - Samstag, 31.05.2025
happymore/shutterstock
Wenn das Wachstum endet
Neue Perspektiven für Religion, Wirtschaft und Gesellschaftlichkeit
Dienstag, 01.07.2025