Begrüßung der Festgäste zur Verleihung des Romano Guardini Preises 2018

I.

 

„Wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“

Dieser Satz aus dem 8. Kapitel des Römerbriefes ist der eine Brennpunkt jener Ellipse urphilosophischer, urtheologischer Wirklichkeitsdeutung, deren anderer Brennpunkt im ersten Kapitel der Bibel so lautet: „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut.“

Beides ist wahr. Sowohl das „Gut sein“ der Schöpfung, die Faszination ihrer Dynamik, auch ihrer Schönheit, genauso wie das „Seufzen“, die Gebrochenheit, die Gefährdung, der Abgrund.

Und wir – Menschen des 20., des 21. Jahrhunderts – stehen nicht nur als Beobachter, viel mehr noch als Handelnde inmitten dieser Ambivalenz, verändern mit fundamentalen Folgen für alle, besonders zukünftige Generationen, die Voraussetzungen des Lebens auf der Erde.

Seit etlichen Jahren hat sich deshalb der innerreligiöse Begriff „Bewahrung der Schöpfung“ eingebürgert. Mir klingt dieses gut gemeinte Wort immer zu allmachtsbetont. Schöpfung ist alles, was es überhaupt gibt, das Weltall ist Schöpfung. Und alles das bewahren zu wollen und zu sollen, grenzt an unreflektierte Hybris.

Da klingt viel nüchterner, und damit wahrer jene „Sorge für das gemeinsame Haus“, wie der Untertitel der Enzyklika Laudato Sí von Papst Franziskus lautet.

 

II.

 

Diskutiert wird, sicher mit Recht, wie sich christliche Theologie zu den Herausforderungen weltweiter Klimapolitik und deren gesellschaftlicher Implikationen stellt. Bei den ethischen Maximen sind wir, die Kirchen, wohl up to date. Gleichwohl müssen wir zugeben, dass sich ein übersteigerter Anthropozentrismus über viele Jahrhunderte hin einseitig negativ auswirkte und die Würde der Schöpfung, der creatura Dei, nicht im Blick hatte.

Doch weit bis ins Mittelalter gab es die Tradition christlicher Ehrfurcht vor der Schöpfung. Der große Augustinus, um nur ein Beispiel zu nennen, spricht von der vierfachen liebenden Ehrfurcht, die der Mensch schulde: „Dem, was über uns ist, dem, was wir sind, dem, was neben uns ist , dem, was unter uns ist“: („Unum, quod supra nos est, alterum, quod nos sumus, tertium, quod iuxta nos est, quartum quod infra nos est“ – De doctrina christiana I, 23, 22).

Umgesetzt wurde dieses theologische Apriori interessanterweise vor allem in der Bildenden Kunst und den Heiligenlegenden.

Blumen auf mittelalterlichen Darstellungen sind mehr als nur Schmuck, sie verweisen zum Beispiel auf die Reinheit Marias oder die Passion Jesu oder dessen Auferstehung. Und bei vielen Heiligenlegenden, in denen Tiere eine Rolle spielen, denken Sie nur an den heiligen Hubertus, ist es ähnlich. Da stehen Tiere für menschliche Grunderfahrungen oder religiöse Wahrheiten.

Letztlich geht es dabei um ein sakramentales Grundverständnis der Wirklichkeit, darum, dass die Würde von allem, was ist, tiefer gründet als nur in seiner direkten, ersten, unserem Zugriff ausgesetzten Dimension.

Ganz ausgeprägt finden Sie dieses Denken im „Physiologus“, dem um 200 nach Christus entstandenen Volksbuch zur Tiersymbolik, dessen Einfluss auf das Denken von Jahrhunderten nur mit der Bibel und der „Legenda Aurea“ der Heiligenlegenden zu vergleichen ist.

 

III.

 

Und so blättere ich heute im „Physiologus“, blicke in die Runde der Anwesenden, freue mich, wie man zu sagen pflegt, „tierisch“ über Ihre Anwesenheit und beginne natürlich beim König der Tiere, beim Löwen. Im „Physiologus“ lese ich: „Wenn der Löwe schlummert in seiner Höhle, so ist´s doch eher ein Wachen; denn geöffnet bleiben seine Augen.“

Als Löwe mit offenen Augen begrüße ich unseren Preisträger Professor Ottmar Edenhofer. Sie rufen mit mächtiger Stimme und gehören zu jenen, die die Klimaproblematik, deren ökologischen Herausforderungen und die weltweiten Konsequenzen mit offenen Augen sehen und uns alle lehren, ebenfalls die Augen offen zu halten.

Wie haben sie es bereits in Ihrer Doktorarbeit formuliert: „I am interested in Weltverbesserung.“ Und offene Augen hatten Sie schon immer, wenn Sie sich als Jugendlicher um die Alten in Ihrer niederbayerischen Heimatgemeinde Gangkofen gekümmert haben, oder als junger Jesuit um die Versehrten des Bosnienkrieges.

Ihre ganze Familie ist mitgekommen, Ihre Ehefrau Annette, der Sohn Jacob, der in England Philosophie studiert, die Tochter Sarah, noch am Gymnasium, die Eltern, der Bruder und mehrere Verwandte aus der niederbayerischen Heimat.

Den Part der Löwin mit offenen Augen spielt heute die Laudatorin, Frau Patricia Espinosa Cantellano, ehemals mexikanische Außenministerin, Generalsekretärin der UN-Klimarahmenkonvention mit Sitz in Bonn. Danke, dass Sie Ihren einzigen freien Tag im ersten Halbjahr 2018 für uns hier investiert haben und mit Ihrem Ehemann Juan Luis Rivera Ferrero gekommen sind.

 

IV.

 

Was der Pelikan dem Mythos nach tut, wissen wir alle: er reißt sich mit seinem Schnabel die Flanke auf, und sein Blut nährt die Jungen. Mit einem Hinweis auf Blut wurde und wird bekanntlich, jüngst erst wieder von Papst Franziskus, die purpurrote Farbe der Gewänder der Kardinäle begründet.

So begrüße ich unter dem Bild des Pelikans die Purpurträger

  • Kardinal Reinhard Marx, der trotz seiner vielen auch internationalen Verpflichtungen zu uns gekommen ist,
  • ebenso herzlich seinen Vorgänger als Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, der erst vor drei Tagen hier in diesem Raum den 90. Geburtstag, sein 65-jähriges Priesterjubiläum und gleichzeitig sein 50-jähriges Bischofsjubiläum gefeiert hat.

Und mit Ihnen beiden alle Vertreter kirchlicher Einrichtungen, Werke, Arbeitsbereiche: Dazu

  • Abtpräses Jeremias aus St. Ottilien stellvertretend für viele weitere Ordensangehörige und Ordensobere;
  • Professor Hans Tremmel, den Vorsitzenden des Diözesanrats der Katholiken in der Münchner Erzdiözese, für alle Laienräte und Verbände.
  • Und die Domkapitulare Gerhard Förch und Wolfgang Klausnitzer aus Bamberg, die mit Dr. Rainer Dvorak aus Würzburg und Professor Sigmund Bonk aus Regensburg dafür stehen, dass wir eine Akademie für ganz Bayern sind.

 

V.

 

Die schönste Geschichte zum heiligen Kevin, dem Gründer des irischen Klosters Gleand da Loch geht so: Der Einsiedler betete eines Nachts mit ausgestreckten Armen und nach oben offenen Händen. Da kam eine Amsel, und legte ihre Eier in eine der Hände wie in ein Nest. Da rührte den Heiligen so sehr, dass er in aller Geduld und Sanftmut verharrte und die Hand weder schließen noch zurückziehen mochte. Ohne Ermüden hielt er sie sorgsam hinaus, bis die Jungen alle ausgebrütet waren.

Bei diesem Bild der Sanftmut und der Geduld sind mir die Vertreter der Ökumene eingefallen:

  • Landesbischof i.R. Johannes Friedrich und seine Gattin Dorothea;
  • die Präsidentin der evangelischen Landessynode, Frau Dr. Annekathrin Preidel mit ihrem Mann
  • und meinen Tutzinger Kollegen, Akademiedirektor Udo Hahn.
  • Für die Orthodoxie heiße ich Erzpriester Apostolos Malamoussis willkommen. Apostolos Malamoussis hat ja bei uns hier in München mit der jährlichen Segnung der Isar die alte orthodoxe Theologie zur Schöpfung bewusst gemacht. Nicht umsonst findet die Wassersegnung am 6. Januar statt, dem Hochfest Epiphanie, der Erscheinung Gottes in seiner Schöpfung.

 

VI.

 

In der südfranzösischen Gegend von Nimes spielt die Geschichte des Einsiedlers Ägidius und der Hirschkuh, „die ihm zu gewissen Stunden reichlich Milch zu seiner Nahrung bot“. Von einer Hundemeute jagender Goten verfolgt, flieht sie zur Höhle des Einsiedlers. Der betet für sie, wird selber von einem Pfeil der Jäger getroffen, als aber der Bischof von Nimes dazukommt, um Verzeihung bittet und Arznei für die Wunde anbietet, weist sie der Einsiedler zurück, denn er denkt an das Schriftwort, dass die Tugend vollendet werde in der Schwachheit.

Die Hirschkuh, die „zu gewissen Stunden reichlich Milch bietet“, kann gut für die Welt der Wissenschaft stehen. Ich begrüße alle anwesenden Professorinnen und Professoren,

  • darunter Prof. Dr. Johannes Wallacher, den Präsidenten der Hochschule für Philosophie SJ, der bereits mehrfach mit unserem Preisträger zusammengearbeitet hat,
  • sowie Professor Nikolaus Korber, der Vizepräsident der Uni Regensburg und Mitglied in unserem Allgemeinen Rat,

Und die milchgebende Hirschkuh kann gut auch die Vertreter der Medien repräsentieren.

 

VII.

 

Interessanterweise gibt es nicht nur aus dem Mittelalter Geschichten mit Tieren und Heiligen, sondern auch aus der Neuzeit.

So wird in den Akten über den heiligen Don Bosco immer wieder von einem großen, grauen Hund berichtet. Don Bosco hat einmal gesagt: „Von Zeit zu Zeit kam mir der Gedanke, der Herkunft dieses Hundes nachzuforschen. Dann aber dachte ich: Ach. Mag er gehören, wem er will. Ich weiß nur das eine, dass mir das Tier in den vielen Gefahren, in denen ich mich befinden habe, ein wahres Werkzeug der Vorsehung gewesen ist.“

Denn mehrmals in den Jahren zwischen 1850 und 1860 soll der Hund Don Bosco bei nächtlichen Gängen von Turin zurück nach Valdocco zum Oratorium mit den Jugendlichen bei Überfällen von Räubern gerettet haben.

Mit der Erinnerung an diesen schützenden Hund in schwieriger gesellschaftlicher und politischer Lage heiße ich willkommen dien hohen Vertreter der Justiz, der Polizei, der staatlichen Verwaltung, der Regierungen, genauso wie des Umweltschutzes oder auch der Wirtschaft.

  • Stellvertretend nur Clemens Börsig, den früheren Aufsichtsrats-Vorsitzenden der Deutschen Bank,
  • Michael Schmidt von der Mercator-Stiftung
  • und Richard Mergner vom BUND Bayern.

 

VIII.

 

Für die Vertreter der Politik scheint mir schon seit jenen Allegorien der Antike, die vom Christentum übernommen wurden, der Elefant zu stehen. Aus dem Jahr 1603 gibt es zum Beispiel einen Text, der dem Elefanten drei Haltungen zuschreibt:

  • Robur, die Stärke wegen seiner mächtigen Gestalt,
  • Mansuetudo, die Milde wegen seiner angeblichen Sanftheit,
  • und Religio, weil – ich zitiere wörtlich – „er mehr als jedes andere Tier fromm ist“.

Wenn das kein Programm bietet gerade in politisch bewegten Zeiten wie den unseren.

Ich heiße willkommen

  • Abgeordnete aller im bayerischen Landtag vertretenden Parteien,
  • den früheren bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein
  • und Botschafterin – neuerdings a.D. – Annette Schavan,
  • und natürlich ganz besonders den bayerischen Umweltminister Dr. Marcel Huber, der gleich das Grußwort der bayerischen Staatsregierung sprechen wird.
  • Dass es heute um ein internationales Thema erster politischer Ordnung geht, beweist darüber hinaus die Anwesenheit zahlreicher General- oder Honorarkonsulen aus Frankreich, Österreich, Portugal, Norwegen, der Slowakei und der Ukraine, aber auch bis aus Brasilien, dem Iran, der Mongolei, Mosambik und Ruanda.

 

IX.

 

Ein zentrales Symbol über viele Jahrhunderte war die Muschel. Der „Physiologus“ weiß, wie die Perle in der Muschel entsteht: bei Sonnenaufgang „trinkt sie den Himmelstau und den Strahl von Sonne, Mond und Sternen“. Die Perle steht damit für die Verbindung von oben und unten, von Himmel und Erde, von Feuer/Licht und Wasser.

Heute nehme ich die Muschel, jenes zentrale Wallfahrtsmotiv des Mittelalters, nicht nur für den Camino de Santiago, und ihre Perle als Signal für unsere Akademieleitung. Denn sie verleiht den Romano Guardini Preis der Katholischen Akademie Bayern, sie verbindet das Drinnen der Akademie mit dem Draußen von Kirche und Gesellschaft:

  • Herzog Franz von Bayern,
  • Domdekan Prälat Dr. Lorenz Wolf,
  • Frau Edda Huther,
  • und Frau Dr. Hildegard Kronawitter.

 

X.

 

Schließlich blicke ich auf Sie alle, bin dankbar, dass Sie da sind. Ich lese Ihnen noch aus einem Brief des Bundespräsidialamtes in Berlin vor: „Der Bundespräsident wünscht Ihnen, allen Gästen und besonders Herrn Prof. Dr. Edenhofer, den er Sie herzlich zu grüßen bittet, eine eindrucksvolle Preisverleihung.“

Dem kann ich mich nur anschließen und wünsche uns allen, dass der Festakt dieses Tages uns wieder bewusst macht, was im 8. Jahrhundert der angelsächsische Theologe Beda Venerabilis so formuliert hat: „Wir verlieren die Herrschaft über die Kreatur, über die Schöpfung, weil wir selber es nicht mehr ernst nehmen mit dem Dienst des Schöpfers.“ (Vita Cuthberti c. 21).

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