Warum ich als Benediktinerin Europäerin bin

Tagung der Bayerischen Benediktinerakademie

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Das historische Argument

 

Als Benediktiner/in bin ich eigentlich „geborene“ Europäerin. Das hat seinen historischen Grund: Mit dem Namen Benedikt von Nursia verbindet sich eine unvergleichbare und nachhaltige Wirkungsgeschichte, die seit mehr als 1500 Jahren aktuell ist; die bis heute andauert und weltweit verbreitet ist. Die Entwicklung der Benediktiner ist über viele Jahrhunderte identisch mit der europäischen Kultur- und Zivilisationsgeschichte, mit ihrer Kirchen- und Politikgeschichte. Die Benediktusregel bzw. die Benediktiner gehören zu den european players. Ihr Verfasser hat nicht geahnt, dass Pius XII. ihn zum Vater Europas erklären und Paul VI. ihn am 24. Oktober 1964 in Montecassino zum Patron Europas ernennen würde. Bei dieser Proklamation hob Paul VI. besonders die Einigung der Völker, die auf dem gemeinsamen christlichen Glauben gründet, hervor. Das Grundwasser Europas ist benediktinisch imprägniert.

Seine Regel aus der Mitte des 6. Jh. hat die Wurzeln Europas mitgeprägt und seine Klöster haben das christliche Abendland geformt. Sie entsteht und breitet sich aus in einer Übergangszeit aus den spätantiken Räumen und Kulturen hin zu dem, was wir als Frühmittelalter bezeichnen, ehe das karolingische Reich sich festigt. Es ist die Zeit, in der die gentilen Stämme sich längst positioniert und etabliert haben. Benedikt hat eine Wirkungsgeschichte angestoßen, die sich durch die Jahrhunderte liest wie eine unendliche Entwicklung von Kultur und Bildung, von Spiritualität, Fürsorge und Gottesfrieden – teilt aber auch den europäischen Verfall und Untergang, wandelt sich in Reformen, die neue Orden hervorbringen. Europaweit ist seine Geltung, dann weltweit. Seine Regel ist ganz unpolitisch und wird doch eines der einflussreichsten Dokumente des Abendlandes.

Wenn man sich die Ausbreitung der Benediktusregel anschaut, zeigt sich ihr europäisches Format. Die Mönchsregel aus Mittelitalien vom Montecassino hat sehr früh den Weg nach Norden gefunden: Auch wenn die Sendung des Augustinus nach Angelsachsen durch Gregor d. Gr. nicht mit der RB erfolgte, gelangt sie schon zu Beginn des 7. Jh. zur Alleingültigkeit, wird zur Lebensnorm von Großklöstern, die die kirchlichen und kulturellen Zentren des Landes darstellen. Über ihre Wanderwege wissen wir aber zu wenig.

In Verbindung zunächst mit anderen Regeln, vorab der columbanischen Gesetzgebung, „erobert“ sie in Gallien ein Kloster nach dem anderen. Im Jahr 624 wird sie als Regel im Kloster Alta Ripa eingeführt. Schon vor 620 muss sie aber in Luxeuil, der Hochburg des irischen Mönchtums auf dem Festland, bekannt gewesen sein. Donatus, Bischof von Besançon, selbst Mönch von Luxeuil, übernimmt 625 für seine Klostergründung in seiner Nonnenregel den größten Anteil aus der RB. Und 742 wird sie mit der Unterschrift des Bonifatius auf der ersten Austrasischen Synode, dem Concilium Germanicum, für alle Mönchs- und Nonnenklöster als verbindlich eingeführt.

Von England kommt der Benediktiner Winfrid-Bonifatius (672/73-754) mit seinen Gefährten nicht nur zur Missionierung auf den Kontinent, sondern auch zur Neu-Evangelisierung. Die Abteien, die er gründet, leben nach der Benediktusregel. Die Frauen, die mit ihm kommen, wie z. B. Lioba, sind hochgebildet und prägen in ihren Klöstern das geistige, kulturelle und zivilisatorische Gesicht ihrer Zeit mit.

Wenige Jahrzehnte später erlangt sie auf der Synode von Aachen (817) durch Ludwig d. Frommen endgültig für das gesamte Karolingerreich alleinige Verbindlichkeit. Und Karl der Große betreibt seine Erweiterungspolitik immer weiter nach Osten hin, indem er als Stoßtrupps Benediktiner-Klöster gründet. Schon vorher breitet sie sich in Italien aus und erobert dann das ganze europäische Festland: von Portugal bis in das Baltikum, vom Atlantik bis weit in den mittel- und osteuropäischen Raum hinein. Mönchtum in Europa wird für Jahrhunderte identisch mit Benediktinertum.

Der abendländische Raum ist durchzogen von einem Netz der Abteien, die Stätten monastisch-geistlichen Lebens sind, Basis der Evangelisation und Zentren kultureller, ökonomischer und zivilisatorischer Tätigkeit. Es ist das Europa einer noch ungeteilten Christenheit – und damit ist die Benediktusregel als Zeugnis nicht nur vorkonfessionell, sondern überkonfessionell. Benedikt ist auch einer der Väter der getrennten Christen. Damit ist zugleich ein Aspekt europäischer Ökumene eröffnet, wenn heute Gemeinschaften in den Kirchen der Reformation die Benediktusregel mit in ihre Lebensgestaltung einbeziehen, wie das der Fall ist z. B. in Frankreich, Schweden, England und Deutschland.

Von all dem steht nichts in der Benediktusregel. Aber es bewährt sich hier ein Prinzip, das Benedikt konsequent vertritt: die Wahrnehmung für sich wandelnde Gegebenheiten, die Berücksichtigung der sich verändernden Orts- und Zeitverhältnisse und die Flexibilität, darauf zu reagieren. Der konstruktive und kritische Umgang mit der Gegenwart, wie Benedikt ihn vorsieht, stellt eine Herausforderung an das benediktinische Mönchtum gerade heute dar, ist aber zugleich die Zukunftsfrage jeder Gesellschaft. Dabei ergibt sich die Frage nach dem Bleibenden und Unaufgebbaren ebenso wie nach der notwendigen Anpassung. Die Benediktusregel hat Qualitäten, die nichts mit kleinformatigen Regulierungen zu tun haben.

 

Die persönliche Erfahrung

 

Allerdings gibt es noch eine zweite Linie, eine ganz persönliche: In meinem monastischen Leben bin ich viel und vielseitig in Europa herumgekommen. Natürlich nicht irgendwo und zu welchen Zwecken auch immer, sondern stets im Zusammenhang mit der Benediktusregel und als Benediktinerin.

Immer war ich in den Abteien, Klöstern oder Gemeinschaften, die nach der Benediktusregel leben, zu Gast. Dabei spielte die Nationalität keine Rolle: Ob wir mit der Regelkommission in Österreich, in der Schweiz, in Südtirol oder Deutschland waren, wurden wir nicht als Deutsche, Schweizer, Österreicher oder Südtiroler wahrgenommen, sondern als Mitglieder einer großen benediktinisch-europäischen Familie – ähnlich wie im Adel, wo jeder irgendwie mit jedem verwandt ist, und sei es auch noch so weitläufig. Wenigstens jedenfalls vom Montecassino her.

Auch wenn ich zu Studientagen oder Werkwochen, Vorträgen oder ähnlichem eingeladen wurde, ging es nie um die Nationalität. Die Orte verteilen sich über Italien (Rom und Bozen), die Schweiz, Österreich und Tschechien, Schweden, Deutschland und Bayern. Auch die monastische Patenschaft, die unser Kloster für die Mitschwestern am Omberg in Schweden übernommen hat, ist Teil einer solchen europäischen Initiative.

Eine ähnlich intensive europäische Erfahrung ist durch die IBS-Kurse oder Noviziatskurse in Salzburg gewachsen. Mitschwestern und Mitbrüder, Oblaten/innen und interessierte Laien aus vielen europäischen Staaten sind schon in Salzburg gewesen: aus Schweden und Dänemark, aus den Niederlanden und Polen, aus der Schweiz, Österreich und Südtirol, aus Tschechien und Rumänien, und über die Missionsbenediktiner auch Mitbrüder und Mitschwestern aus afrikanischen Ländern.

Damit sind wir schon bei den Benediktinern als global players angekommen. Es stellt sich immer die Erfahrung einer großen benediktinischen Familie ein, weil dieselbe Spiritualität die Basis ist, und weil das Vokabular, mit dem wir uns verständigen, zumindest nachvollziehbar ist. Das Empfinden der Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit ist ein prägendes Element und ist völlig unabhängig von der betreffenden Nationalität.

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