Einleitung
Zeitenwende – dieser Titel des Guardini-Tages 2023 zum 100-jährigen Jubiläum der Antrittsvorlesung Romano Guardinis in Berlin ist für sich genommen neutral. Wenden können zum Guten oder zum Schlechten geschehen oder auch hin zu etwas, das weder besser noch schlechter, sondern nur anders ist als das derzeit Vorhandene. Im vorliegenden Kontext allerdings beschreiben Politiker mit dem Begriff die Situation, in die der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine die Welt versetzt hat. Erweiterte Bedeutung gewinnt er derzeit auch im Blick auf die sich unaufhaltsam verschärfende Klimakrise, rechtspopulistische Attacken auf bisher stabil geglaubte Demokratien, schmerzliche Pandemie-Erfahrungen mit den Leistungsgrenzen unserer Gesundheitssysteme, wachsende, durch Hunger und Krieg verursachte Migrationsbewegungen sowie inzwischen auch die Angst vor einem Flächenbrand im Nahen Osten. Zeitenwende, so scheint es, bedeutet zurzeit vor allem Desillusionierung, Verlust von Optimismus und das erschrockene Bewusstsein, dass die Zeit knapp wird, um uns grundsätzlich neu aufzustellen und zukünftigen Generationen noch eine bewohnbare Welt zu hinterlassen.
Im Folgenden erörtere ich, welche Bedeutung Hoffnung in einer solchen Zeit haben kann. Ich werde das Phänomen der Hoffnung philosophisch näher beleuchten und insbesondere den Unterschied zwischen Hoffnung und Optimismus analysieren. Kann Hoffnung bleiben, auch wenn Optimismus geht?
Mit diesem Thema verbunden ist die Frage, welche Rolle Hoffnung, auch und gerade in Krisenzeiten, für unser Handeln spielt. Hier liegt eine der ältesten und schärfsten Kontroversen philosophischer Hoffnungstheorien. Viele zeitgenössische Autoren sprechen der Hoffnung konative, handlungsleitende Kraft zu (s. etwa Pettit 2004, Meirav 2009, Chignell 2023). Andererseits gibt es eine einflussreiche Tradition, die Hoffnung vor allem als Hemmschuh des Handelns und gefährliche Verführerin zu illegitimer Flucht aus der Gegenwart sieht. Hoffnung, so ein traditioneller Einwand, vertröstet uns auf die Zukunft und leistet Passivität und Fatalismus Vorschub. Wer hofft, legt die Hände in den Schoß und überlässt es anderen, aktiv auf das Hier und Jetzt Einfluss zu nehmen, deshalb ist Hoffnung ein Übel. So jedenfalls der Vorwurf. Nietzsche etwa, einer der wortgewaltigsten Hoffnungshasser, greift an einer oft zitierten Stelle in Menschliches, Allzumenschliches jenen berühmten Mythos Hesiods auf, mit dem dieser die anthropologische Rolle der Hoffnung (elpis) in der Figur der Pandora illustriert. Hoffnung, so Nietzsche, sei nicht etwa ein Gut, sondern das größte Übel, das der Menschheit je widerfahren sei:
„[D]a schlug Pandora nach Zeus’ Willen den Deckel zu. Für immer hat der Mensch nun das Glücksfaß im Hause und meint Wunder, was für einen Schatz er in ihm habe; … denn er weiß nicht, daß jenes Faß, welches Pandora brachte, das Faß der Übel war, und hält das zurückgebliebene Übel für das größte Glücksgut – es ist die Hoffnung. … [S]ie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert“ (Nietzsche 1878, Nr. 71, Berliner Ausgabe, S. 79 f.).
Nietzsches Kritik reiht sich ein in eine lange Tradition der Hoffnungskritik. Platon nennt Hoffnung im Timaios kritisch „verführerisch“, und Aristoteles zufolge tritt sie hauptsächlich bei der unerfahrenen Jugend auf, weil für sie (und nur für sie) „die Zukunft noch lang und die Vergangenheit kurz ist“ (Rhetorik, 110–11). Seneca sieht Hoffnung (spes) eng mit der Furcht verschwistert und hält beide für „Regungen eines schwankenden Gemüts“, das sich beunruhigt durch den Blick in die Zukunft:
„Die wichtigste Ursache von beiden [Hoffnung und Furcht] aber liegt darin, dass wir uns nicht in die Gegenwart schicken, sondern unsere Gedanken voreilig in die Ferne schweifen lassen. Daher kommt es, dass das Vermögen der Vorausschau, dieses größte Gut des beschränkten Menschentums, sich zum Übel verkehrt“ (Seneca, Epistulae, 5.7–5.8).
In der Philosophie der frühen Neuzeit stößt Pascal in dasselbe Horn, wenn er sagt, mit der Hoffnung versuchten wir – unvernünftigerweise –, die Zukunft vorwegzunehmen, „als wollten wir ihren Gang beschleunigen“:
„So leben wir nie, sondern hoffen zu leben, und so ist es unvermeidlich, dass wir in der Bereitschaft, glücklich zu sein, es niemals sind“ (Pascal, Pensèes, 47–172).
Im 20. Jahrhundert nennt Albert Camus in Der Mythos des Sisyphos (Essay 1, Das Absurde und der Selbstmord), Hoffnung, speziell die Hoffnung auf ein anderes Leben, eine „Betrügerei jener, die nicht für das Leben leben“ („tricherie de ceux qui vivent non pour la vie elle-même“, Camus 2022/1965, S. 20). Und Günther Anders fordert unumwunden,
„Hoffnung […] zu vermeiden. Denn durch Hoffnung wird niemand agieren. Jeder Hoffende überläßt das Besserwerden einer anderen Instanz“ (Anders 1987, 151f.).
Der Vorwurf ist keineswegs auf stoische, nihilistische oder existenzialphilosophische Traditionen beschränkt. Victoria McGeer etwa, Vertreterin der jüngeren anglo-amerikanischen Philosophie, sagt ebenfalls, Hoffnung trete offenbar in Situationen auf, in denen gelte:
„[O]ur own agency is irrelevant to the occurrence of the hoped-for end. We hope for something that could not be in any way affected by our efforts to bring it about, e.g., we hope that the weather will improve, we hope that our friend’s test results will be good, we hope that no one was injured in yesterday’s fire, and so on” (McGeer 2008, S. 244).
Die Liste von Hoffnungsanalysen dieses Tenors könnte lang fortgesetzt werden. Nennen wir den Kerneinwand von Hoffnungskritiken, die sich auf die angebliche handlungshemmende Kraft der Hoffnung stützen, kurz den Passivitätseinwand: Hoffnung, so die Idee, ist deshalb (moralisch) schlecht, weil sie ihre Träger:innen zum Untätigsein verdammt. Im Folgenden werde ich diesen Einwand ein Stück weit analysieren und zurückweisen. Genauer gesagt, wird er sich als allgemeiner Einwand gegen die Hoffnung als verfehlt erweisen. Bestimmte Hoffnungen laden in der Tat nicht zu Handlungen ein, die auf sie bauen: Wer ein Lotterielos gekauft hat, hofft, den Hauptgewinn gezogen zu haben, aber wird davon Abstand nehmen, allein aufgrund dieser Hoffnung einen Kredit für seine Traumimmobilie aufzunehmen. Nach dem Loskauf gibt es nichts mehr, was wir tun könnten, um das Erhoffte herbeizuführen. Spezifische Handlungsmotivationen fehlen, die Hoffnung bleibt. Hoffnungen, soviel ist weitgehend unkontrovers, beinhalten Wünsche.
Doch obwohl Wünsche einer verbreiteten, der handlungsbasierten Wunschanalyse zufolge grundsätzlich handlungsmotivierend sind, haben sie als Bestandteile von Hoffnung offenbar oft keine konative Kraft. Dies scheinen Verfechter des Passivitätseinwands im Auge zu haben. Doch, so behaupte ich, sie begehen damit einen Fehlschluss der unzulässigen Verallgemeinerung. Denn was hier für bestimmte Fälle von Hoffnung gelten mag, gilt für andere Fälle nicht. Oft ist Hoffnung sogar eine besonders starke Triebfeder des Handelns. Diese These jedenfalls werde ich im Folgenden ein Stück weit begründen und verteidigen.
Insgesamt ergeben sich damit zunächst vor allem die folgenden drei Fragen:
(i) Die Explikationsfrage: Was ist Hoffnung? Genau worauf bezieht sich der Begriff, und welche Rolle spielt Hoffnung im menschlichen Seelenleben?
(ii) Die axiologische Frage: Hat Hoffnung einen positiven Wert oder ist sie ein Übel? Genauer: Ist Hoffnung zumindest manchmal etwas Gutes, oder ist sie generell eine schlechte Haltung, weil sie uns stets dazu verleitet, sich aus der Verantwortung für die Gegenwart zu stehlen?
(iii) Die praxeologische Frage: Hat Hoffnung eine konative, handlungsleitende Rolle?
Diese Fragen hängen eng zusammen, Antworten auf eine von ihnen haben Implikationen für Antworten auf die anderen. Die Wertfrage steckt Bedingungen für eine Explikation ab: Eine Charakterisierung dessen, was Hoffnung ist, sollte erklären können, was Hoffnung gut und wertvoll macht, wenn sie es denn ist, oder eben, warum sie es nicht ist. Ferner führt die Explikationsfrage auch auf die praxeologische Frage und, wenn diese positiv zu beantworten sein sollte, hat dies Auswirkungen auf die Wertfrage. Vielleicht ist Hoffnung nicht überall dort, wo sie handlungsmotivierende Kraft hat, etwas Gutes. (Der Massenmörder hofft darauf, bald neue Opfer zu finden.) Aber es liegt nahe zu sagen, dass zumindest Hoffnungen dort, wo sie zu guten Handlungen motivieren, auch gute Hoffnungen sind.
Ich beginne mit einer scheinbar paradoxen Empfehlung Romano Guardinis, der zufolge wir – auch und gerade in schlechten Zeiten – „wider die Hoffnung hoffen“ sollten. Hiervon ausgehend skizziere ich den Kern der philosophischen Standardanalyse der Hoffnung, der zufolge Hoffnung eine Wunsch- und eine Überzeugungsbedingung – eine volitive und eine probabilistisch-doxastische Bedingung – erfüllen muss, und erläutere einen wichtigen begrifflichen Unterschied zwischen Hoffnung und Optimismus (Abschnitt 2). Sodann argumentiere ich, dass sowohl Hoffnung als auch Optimismus neben einem Wunsch und einer Wahrscheinlichkeitseinschätzung, dass sich das Erwünschte einstellt, außerdem die Überzeugung voraussetzen, dass das Gewünschte nicht allein aus eigener Kraft erreicht werden kann. Ich schließe mich damit einer Position an, die in der Hoffnungs-Literatur als „Theorie des externen Faktors“ (external factor account) diskutiert wird.
Vertreter des Passivitätseinwands, so meine These, stützen sich implizit auf die Beobachtung, dass das Bewusstsein der Wirksamkeit eines „externen Faktors“ zur Erfüllung der Hoffnung konstitutiv für sie ist; doch sie haben diese Beobachtung missverstanden bzw. rekurrieren auf eine falsche Version der Theorie. Denn es gilt keineswegs, dass Hoffende generell niemals etwas dazu beitragen können, dass das Erwünschte Wirklichkeit wird. Oftmals können wir, trotz Wissens um die Begrenztheit unserer Einflussnahme, die Realisierung des Erhofften sehr wohl direkt oder indirekt befördern und tun dies auch gerade aufgrund der Hoffnung. Folglich ist der Passivitätseinwand, uneingeschränkt, wie er bei vielen Kritikern daherkommt, verfehlt. Anhand einer Fallunterscheidung verschiedener Formen von Hoffnung entwickle ich eine Diagnose des Passivitätseinwands und eine Irrtumstheorie, die erklärt, warum Verfechter des Einwands ihn vertreten. Meine Diagnose lautet, dass sie sich einseitig auf eine bestimmte Art von Beispielen fokussieren, sich den richtigen Blick durch eine einseitige Beispieldiät verstellen und sich daher zu einer vorschnellen Verallgemeinerung hinreißen lassen (Abschnitt 3). Abschließend fasse ich die Ergebnisse meiner Diskussion zusammen und benenne offene Fragen für zukünftige philosophische Forschungen zum Thema Hoffnung (Abschnitt 4).
„Hoffen wider die Hoffnung“, die Wunsch-Überzeugungs-Analyse und der Begriff des Optimismus
Unsere Umgangssprache ist reich an Wendungen, mit denen wir Hoffnungen und unseren Umgang mit ihnen beschreiben. Wir haben Hoffnungen, entwickeln, hegen, nähren oder behalten sie; wir machen oder nehmen sie uns und anderen, schwelgen in ihnen oder verlieren sie, geben sie auf, zerstören, zerschlagen sie, lassen sie sterben, sind ohne oder frei von Hoffnung. Hoffnungen können sicher oder unsicher, unbestimmt, vage, begründet, legitim, schön, groß oder klein, trivial, bedeutsam oder existenziell sein, sie können sich erfüllen oder frustriert werden. Es gibt unvernünftige, leere, falsche, wahnwitzige, eitle, naive, trügende, täuscherische, illegitime, illusionäre und blinde Hoffnungen. Wir sind guter (aber nicht schlechter) Hoffnung, hoffnungsvoll, hoffnungsschwanger, hoffnungstrunken, hoffnungsfroh, reich an Hoffnung oder arm an ihr, hoffnungsverloren, hoffnungslos oder bar jeder Hoffnung. Die Liste der Beispiele könnte lang fortgesetzt werden. Dies ist nicht der Ort, systematisch in linguistische und etymologische Analysen dieser und anderer Beispiele unseres sprachlichen Umgangs mit Hoffnung einzutauchen. Ausgehen möchte ich jedoch von einer Redensart über die Hoffnung, die Guardini in einem Brief verwendet und die in der obigen Aufzählung nicht vorkommt.
Guardini hat sein theologisches Werk unter dem Eindruck von Zeitenwenden entwickelt. Interessant für die vorliegende Fragestellung ist eine Reflexion über die Hoffnung, die er in den 1960er Jahren im Rückblick auf die Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem vermutlich die Schoa und die Weltkriege, anstellt. „Was ist nun das Gute?“, schreibt er 1963 an seinen Freund Josef Weiger:
„Die sittliche Aufgabe? Aus der Kraft der Erlösung heraus aufs neue die Welt ‚bebauen und bewahren‘. Nicht bloß in der Welt ‚seine Pflicht tun‘. […] Vielmehr die Welt in die Verantwortung nehmen. Und im Einvernehmen mit dem Erlöser die Welt aufs neue ‚bebauen und bewahren‘.“
Allerdings, so fährt Guardini fort:
„Fast verzweifelte Aufgabe, nachdem in allem, im Menschen, im Menschenleben und im Menschenwerk die Verstörung sitzt. Hoffen wider die Hoffnung“ (Guardini 1977/1963, 33–34).
Die Wortwahl ist bedeutsam. Die Rede vom neuerlichen Bebauen und Bewahren legt im vorliegenden Kontext nahe, die Diagnose der „verzweifelten Aufgabe“ und der „Verstörung“ genauer zu beschreiben als eine Aufgabe angesichts von Verstörung über Zerstörung. Gleichwohl handelt es sich bei der Rede vom Hoffen wider die Hoffnung, zumindest auf den ersten Blick, um eine widersinnige Empfehlung. Was ist gemeint?
Der Topos vom Hoffen wider die Hoffnung stammt von Paulus, der diese scheinbar paradoxe Haltung Abraham zuschreibt. Abraham, so heißt es im Römerbrief, hat „gegen alle Hoffnung voll Hoffnung“ geglaubt, dass er der Vater vieler Völker werde (Paulus, Röm 4,18, Einheitsübersetzung). Die Paradoxie ist eine scheinbare. Sie löst sich auf, wenn man sich klar macht, dass Paulus und, ihm folgend, auch Guardini, in der Wendung vom „Hoffen wider die Hoffnung“ oder der „Hoffnung gegen alle Hoffnung“ mit einer doppelten Bedeutung des Begriffs spielen.
Zunächst ein Blick auf einige wichtige Unterscheidungen. (i) Eine betrifft die psychische Tätigkeit des Hoffens, oder episodisches Hoffen, im Gegensatz zu Hoffnung im Sinne eines psychischen Zustands. Beides hängt zusammen: Hoffnung als Zustand lässt sich auffassen als Disposition, in geeigneten Situationen in die oft bewusste Tätigkeit episodischen Hoffens einzutreten. Hoffnung als Zustand muss indessen nicht bewusst sein: Auch wenn wir nicht aktuell an das, worauf wir hoffen, denken, bleiben unsere Hoffnungen Bestandteile unseres psychischen Gesamtprofils. (ii) Eine zweite übliche Unterscheidung ist die zwischen spezifischen und basalen Hoffnungen. Spezifische Hoffnungen haben als Inhalte oder intentionale Gegenstände spezifische Sachverhalte (etwa, dass morgen die Sonne scheint); basale Hoffnungen (wie etwa die Hoffnung auf ein gutes Leben) sind inhaltlich unbestimmter. (iii) Drittens wird in der Literatur oft unterschieden zwischen banalen Hoffnungen („Hoffentlich ist mein Lieblingseis in der Eisdiele verfügbar“) und bedeutsamen Hoffnungen („Hoffentlich übersteht mein Freund die OP“).
Dabei ist jedoch zu beachten, dass Banalität und Bedeutsamkeit keine kategorischen, sondern gradierbare Begriffe sind: Hoffnungen können mehr oder weniger banal oder bedeutsam sein. Die Hoffnung, die Modulabschlussprüfung im Hauptstudienfach zu bestehen, ist bedeutsamer als die auf das Lieblingseis, aber weniger bedeutsam als die, dass ein Freund die OP überlebt. (iv) Wichtig ist schließlich auch, viertens, dass Hoffnungen stark oder schwach bzw. auch in diesem Fall: stärker oder schwächer, intensiver oder weniger intensiv sein können. Die Intensität steigt dabei typischerweise proportional mit der Bedeutsamkeit: Je wichtiger die Hoffnung wird, desto stärker wird sie. Kombinationen der obigen Differenzierungen liefern entsprechende Beschreibungen: Wenn jemand bewusst hofft, nach vielen Jahren Studium das Abschlussexamen gut zu bestehen, so ist dies eine episodische, spezifische und relativ bedeutsame Hoffnung, die daher typischerweise auch einigermaßen stark oder intensiv sein wird.
Lässt sich Guardinis Rede vom „Hoffen wider die Hoffnung“ womöglich im Rückgriff auf die Differenzierungen (i) bis (iv) rekonstruieren? Obwohl diese wichtig und angebracht sind, ist dies nicht der Fall. Dem Buchstaben nach ist in Guardinis Empfehlung einmal von episodischem Hoffen und sodann vom Zustand der Hoffnung die Rede. Doch wie oder in welchem Sinne könnte eine Aktivität, in der sich eine bestimmte Disposition aktualisiert, „gegen“ diese Disposition ausgeführt werden? Tatsächlich, so behaupte ich, hätte Guardini seine Aufforderung auch mit den Worten formulieren können: „Hoffen wider das Hoffen!“, „Hoffnung wider die Hoffnung!“ oder „Hoffnung wider das Hoffen!“ Solche Variationen haben, was die vorliegende Paradoxie angeht, allenfalls stilistische Bedeutung und sind inhaltlich irrelevant.
Auch Lesarten, nach denen hier spezifisches, bedeutsames oder starkes Hoffen bzw. das entsprechende Haben von Hoffnung (oder andere Kombinationen) gegen basale, banale oder schwache Hoffnung (oder andere Kombinationen) ausgespielt werden soll, erweisen sich bei genauerem Hinsehen als nicht sinnvoll: Der Kontext von Guardinis Empfehlung macht deutlich, dass es offensichtlich auch nicht um spezifisches Hoffen wider basale Hoffnung, bedeutsames Hoffen wider banale Hoffnung usw. geht. Worum aber geht es dann? Der Schlüssel, so meine These, liegt in einer Unterscheidung zwischen Hoffnung und Optimismus.
Einer traditionellen Analyse des Begriffs der Hoffnung zufolge haben Hoffen bzw. das Haben von Hoffnung eine Wunsch- und eine Überzeugungskomponente. Einige Autoren betrachten diese Bedingungen als notwendig und zugleich hinreichend (Downie 1963, Day 1969), was oft als die orthodoxe Definition oder Standardtheorie von Hoffnung bezeichnet wird (z. B. Meirav 2009, Martin 2013, Rioux 2021, Blöser und Stahl 2022). Andere bezeichnen diejenigen Ansätze als Standardtheorie, die diese Bedingungen lediglich als notwendige Bedingungen auszeichnen (z. B. Chignell 2023, S. 48), oder sehen in ihnen den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ verschiedener Hoffnungstheorien (Pettit 2004, S. 154). Aus inhaltlichen Gründen, die unten deutlich werden, werde ich zunächst mit dieser moderateren Variante arbeiten, die Wunsch und Überzeugung zusammen nicht bereits als hinreichende Bedingungen für Hoffnung betrachtet. Ihr zufolge gilt:
Hoffnung: Ein Subjekt S hofft nur dann, dass p, wenn
(i) S wünscht, dass p (volitive Bedingung), und
(ii) es für möglich, aber nicht sicher hält, dass p (doxastische Bedingung).
Betrachten wir zunächst die doxastische Bedingung (ii). Diese lässt sich probabilistisch beschreiben: Wer hofft, schreibt demnach dem Eintreten des Erhofften eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu, die jedoch weder minimal noch maximal ist (also weder bei 0 noch bei 1 liegt), sondern deren Wert sich zwischen diesen Extremen befindet. Etwas technischer gesprochen, ist Hoffnung eine Haltung, deren doxastische Komponente einen graduellen oder partiellen Glauben erfordert. Oft glauben wir nicht kategorisch, dass etwas Bestimmtes der Fall oder nicht der Fall ist: Wir glauben z. B. in einem gewissen Maße oder zu einem gewissen Grad, dass morgen die Sonne scheinen wird, wir den Anschlusszug noch bekommen oder die Bergtour noch vor dem Gewitter beenden werden. Alltagssprachlich weisen wir auf solche Einschätzungen hin, indem wir etwa sagen, dass wir etwas für „möglich“ oder „recht wahrscheinlich“ halten, „relativ fest“, „stark“ oder aber auch „eher nicht“ oder „kaum“ glauben, dass es eintritt; wir sagen, dass wir in einer Sache „nicht sicher“ oder aber „ziemlich sicher“, „sehr gewiss“ sind, usw. Ich glaube, dass Berlin die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschlands ist und dass Mexiko City mehr Einwohner hat als Mumbai. Diesen letztgenannten Sachverhalt glaube ich jedoch deutlich weniger fest als den über Berlin, bei dem ich mir sicher bin.
In der formalen Erkenntnistheorie werden gradierte doxastische Zustände oder partielle Glaubenszustände standardmäßig als sogenannte credences modelliert und als Wahrscheinlichkeitszuschreibungen repräsentiert, die prinzipiell jeden Wert von 0 bis 1 annehmen können. Einer credence von 0 bzgl. eines Sachverhalts p entspricht die sichere Annahme oder maximal feste Überzeugung, dass p nicht der Fall (und nicht-p der Fall) ist; einer credence von 1 entspricht die sichere Annahme oder maximal feste Überzeugung, dass p der Fall ist. Glaubenszustände zwischen diesen Extremen repräsentieren (mehr oder weniger große) epistemische Unsicherheit des Subjekts bzgl. p oder nicht-p. Es sei betont, dass Credence-Theoretiker dies als Modell verwenden und nicht behaupten, dass wir unsere Alltagsüberzeugungen stets in präzisen Wahrscheinlichkeitswerten oder -intervallen angeben könnten oder dass der alltagssprachlichen Rede vom Vermuten, Glauben, (mehr oder weniger) Überzeugtsein usw. stets exakte numerische Wahrscheinlichkeitswerte entsprechen, die das Subjekt bewusst kalkulieren würde.
Die Pointe dieser Hinweise für die orthodoxe Analyse des Begriffs der Hoffnung liegt darin, dass demnach Hoffnung (oder hoffen), dass p, eine Einstellung unter epistemischer Unsicherheit mit großem doxastischen Spielraum ist. Sie erfordert einen gradierten Glauben, dessen Wert – die Wahrscheinlichkeitseinschätzung des Subjekts für den erhofften Sachverhalt – lediglich irgendwo zwischen 0 und 1 liegt. Die einzige Restriktion ist, dass der oder die Hoffende das Eintreten des Erhofften weder für ausgeschlossen hält (was einer Wahrscheinlichkeit von 0 entspräche) noch für sicher (was einer Wahrscheinlichkeit von 1 entspräche). Wer etwas sicher für ausgeschlossen hält, hofft nicht mehr darauf, dass es eintritt; und wer sicher ist, dass es eintritt oder bereits eingetreten ist, kann ebenfalls nicht mehr sinnvollerweise hoffen, dass es eintritt. Etwas formaler ausgedrückt, gilt für die in einer Hoffnung, dass p, enthaltene Wahrscheinlichkeitseinschätzung des Subjekts, oder seine credence gegenüber p (cr(p)) somit: 0<cr(p)<1.
Genau hier wird nun ein zentraler Unterschied zu jener Haltung sichtbar, die wir „Optimismus“ nennen. Auch Optimismus gegenüber einem Sachverhalt, so meine These, ist eine Einstellung unter epistemischer Unsicherheit. Wie die Hoffnung beinhaltet auch sie erstens (i) den Wunsch, dass p eintritt (oder eingetreten ist): Wir sind nicht optimistisch im Hinblick auf Dinge, von denen wir wünschen, sie mögen ausbleiben. Zweitens (ii) beinhaltet Optimismus auch einen gradierten Glauben mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeitseinschätzung dafür, dass p eintritt (oder eingetreten ist). Anders als bei der Hoffnung aber ist man bzgl. eines Sachverhalts p nur dann optimistisch, wenn man eher glaubt, dass p eintritt (oder eingetreten ist), als dass dies nicht der Fall ist.
Der probabilistische Spielraum ist hier kleiner als bei Hoffnung. Abkürzend können wir dies auch ausdrücken, indem wir sagen, dass die Haltung des Optimismus einen „positiven Glauben“ an das Erwünschte involviert. Ich kann auf der Bergtour hoffen, das Tal noch vor dem Gewitter zu erreichen, auch wenn ich dies für unwahrscheinlich halte; optimistisch dagegen, das Tal noch rechtzeitig zu erreichen, bin ich nur dann, wenn ich dies für wahrscheinlich halte. Da Optimismus gleichwohl keine maximale Sicherheit, sondern auch Zweifel daran beinhaltet, dass der betreffende Sachverhalt eintritt, bleibt die für ihn konstitutive Wahrscheinlichkeitseinschätzung indessen ebenfalls unter 1. Für die für Optimismus konstitutive credence gilt somit 0,5<cr(p)<1.
Da die Summe der Wahrscheinlichkeiten für einen Sachverhalt p und sein Komplement non-p 1 beträgt, gilt für eine rationales Subjekt, wenn es eine credence größer als 0,5 für p hat, dass seine credence für non-p kleiner als 0,5 ist (cr(p)>0,5 und cr(~p)<0,5). Entsprechend können wir die Haltung des Optimismus in einem ersten Schritt auch wie folgt charakterisieren:
Optimismus: S ist optimistisch bzgl. des Eintretens von p nur dann, wenn
(i) S wünscht, dass p (volitive Bedingung), und
(ii) es für wahrscheinlicher hält, dass p, als dass nicht-p (doxastische Bedingung).
Halten wir es beispielsweise nur im Grade 0,1 (oder in einem Grad, der einem Intervall entspricht, dessen oberer Grenzwert <0,5 ist) für wahrscheinlich, dass morgen die Sonne scheinen wird, dann sind wir nicht optimistisch, sondern pessimistisch bzgl. dieses Sachverhalts, und je näher wir an 0 rücken, desto pessimistischer werden wir. Wenn wir einen Sachverhalt „eher optimistisch (als pessimistisch)“ beurteilen, dann liegt die Wahrscheinlichkeitseinschätzung über 0,5, aber noch nicht nahe an 1; ist man „ziemlich optimistisch“, dann liegt sie näher an 1; sind wir „sehr optimistisch“, dann liegt sie nahe an 1. Man beachte wieder, dass all dies nicht besagen soll, dass sich alltägliche Wahrscheinlichkeitseinschätzungen oder Haltungen, die wir als optimistisch oder pessimistisch beschreiben, stets in exakten numerischen Werten ausdrücken lassen, sondern dass es sich um ein Modell handelt, mit dem wir Haltungen wie Optimismus (oder Zuversicht) und Hoffnung für rationale Akteure repräsentieren können.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich nun zunächst die folgende Auflösung der scheinbar paradoxen Rede vom Hoffen (oder der Hoffnung) wider die Hoffnung. Das erste Vorkommnis des Begriffs, so meine These, legt die orthodoxe Analyse oder Standardauffassung zugrunde, der zufolge Hoffnung bzw. Hoffen keinen positiven Glauben an den erhofften Sachverhalt erfordert, d. h. keinen Glauben, der dem Sachverhalt eine Wahrscheinlichkeit größer als 0,5 zuschreibt. Beim zweiten Vorkommnis indessen, in der Phrase „wider die Hoffnung“, ist nicht von Hoffnung im „orthodoxen“ Sinne die Rede. Vielmehr wird „Hoffnung“ hier, aus rhetorischen Gründen, für jene Haltung verwendet, die ich als Optimismus beschrieben habe, und damit für eine Haltung, die dem erwünschten Sachverhalt eine Wahrscheinlichkeit >0,5 zuschreibt. „Wider die Hoffnung“ heißt hier: „wider das, was wir optimistischerweise erwarten können“ oder „gegen etwas, bei dem wir eine Haltung von Optimismus einnehmen“.
Obwohl dies nicht der orthodoxen Verwendung entspricht, verwenden wir den Begriff der Hoffnung bisweilen in diesem, eigentlich Optimismus denotierenden Sinne. Denken wir beispielsweise an die Notärztin oder den Rettungssanitäter, die einen Patienten behandeln, von dem sie wissen, dass die Chancen, ihn zu retten, gering sind. Sie mögen ihr Handeln mit den Worten (oder Gedanken) kommentieren: „Ich habe wenig Hoffnung, aber wir versuchen es!“, „Auch wenn es gegen alle Hoffnung ist, wir tun unser Bestes!“ Die Sprecher würden damit etwas Verständliches und Sinnvolles äußern, jedoch nicht zum Ausdruck bringen, dass sie gegen ihren Wunsch handeln, der Patient möge überleben. Diesen Wunsch (so darf man im Normalfall unterstellen) haben sie. Da sie es nicht für völlig ausgeschlossen halten, dass er überlebt, erfüllen sie auch die doxastische Komponente von Hoffnung im klassischen Sinn. Was sie sagen und durch ihre Handlungen zeigen, ist somit dieses: Auch wenn sie wünschen und sehr wohl im klassischen, orthodoxen Sinne hoffen, dass der Patient überlebt, halten sie dies für unwahrscheinlich und sind in dieser Frage somit eher pessimistisch als optimistisch.
Man beachte, dass dieser Analyse zufolge sich die Haltungen der Hoffnung und des Optimismus keineswegs ausschließen. Denn in der probabilistischen Bandbreite von Hoffnung (mit einer credence 0<cr(p)<1) ist die von Optimismus (mit einer credence 0,5<cr(p)<1) enthalten. Dieses Ergebnis ist erwünscht und von unserer Alltagssprache gedeckt. Wir sagen (z. B. am Tag vor der Gipfelbesteigung): „Ich hoffe, dass morgen gutes Wetter sein wird – und bin auch optimistisch, dass es so sein wird!“ Wir trösten den Kranken mit Worten wie: „Ich hoffe, dass Du es bald überstanden haben wirst, und bin auch optimistisch, dass es so sein wird!“
Solche Aussagen wären pleonastisch, weil die zweite Teilaussage der ersten nichts hinzufügen würde, wenn nicht Optimismus eine andere, höhere credence fordern würde als Hoffnung. Zugelassen sind somit auch, was man (in größerem oder geringerem Maße) „optimistische Hoffnungen“ nennen kann: Liegt die doxastische Komponente im Bereich des „positiven“ Glaubens, d. h., ist die involvierte credence cr(p)>0,5, dann ist die Hoffnung optimistisch. Entscheidend ist, dass eine Haltung jedoch nicht optimistisch sein muss, um eine Hoffnung zu sein.
Als Zwischenergebnis halten wir fest, dass sich aufgrund dieser Eigenschaften von Hoffnung das scheinbare Paradox in Paulus und Guardinis Rede vom „Hoffen wider die Hoffnung“ auflöst. Trotz des „verstörten“ Einhegens von Optimismus auf dem Boden der Tatsachen, meint Guardini, dürfen wir, auch und gerade in Krisenzeiten, hoffen (auf „das Gute“, die Bewältigung der Krisen, usw.). Denn Hoffnung ist nicht Optimismus. Abraham mag nicht optimistisch gewesen sein, dass er als Hundertjähriger noch Kinder mit seiner neunzigjährigen Frau Sara bekommen würde; aber er hoffte es, aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz. Guardini mag nicht optimistisch gewesen sein, dass es gelingen würde, die Welt langfristig weiterhin so „zu bebauen und zu bewahren“, dass sie ein (auch und besonders im Sinne christlicher Werte) lebenswerter Ort für kommende Generationen sein würde. Aber er hoffte es, aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz. Denn Hoffnung ist probabilistisch toleranter als Optimismus. Guardinis Empfehlung – ausgesprochen unter dem Eindruck von „Zeitenwenden“ – lässt sich paraphrasieren mit den Worten: „Lasst uns hoffen, auch wenn es kaum gute Gründe gibt, optimistisch zu sein.“ Ob Hoffnung, wie das Sprichwort sagt, stets zuletzt stirbt, sei dahingestellt. Doch wenn meine Analyse richtig ist, dann stirbt sie jedenfalls deutlich später als Optimismus.
Eine Drei-Faktor-Analyse und Hoffnung als Handlungsgrund
Kehren wir vor diesem Hintergrund zurück zu den skizzierten Hoffnungskritiken. Inwieweit sind sie angebracht? Ist Hoffnung ein Übel, weil sie zu Passivität, Flucht aus der Gegenwart und dem Abschieben von Verantwortung auf andere verleitet? Tatsächlich, so behaupte ich, liegen die Dinge anders. Nicht nur behindert Hoffnung unser Handeln nicht; entgegen den Unkenrufen vieler Hoffnungskritiker sind zumindest bestimmte Hoffnungen wichtige Triebfedern des Handelns. Obwohl einige Hoffnungsapologeten dies entgegen dem Passivitätseinwand bisweilen geltend machen, fehlt bei ihnen meist eine ausführlichere Auseinandersetzung mit besagter Hoffnungskritik. Dies ist jedoch eine wichtige Frage, wenn man Hoffnung verstehen will: Was motiviert die Kritiker zu ihrem Passivitätseinwand? Im vorliegenden Abschnitt schlage ich eine Diagnose vor. Diese erfordert einige weitere Differenzierungen. Werfen wir dazu einleitend wieder einen Blick auf Guardinis Haltung zum Thema, die bei ihm zwar eher implizit durchscheint, sich bei genauerem Hinsehen jedoch relativ klar aus seinen theologisch inspirierten Andeutungen erschließt.
Auch Guardini lehnt den Passivitätseinwand ab. Im obigen Zitat etwa verweist er auf das Potenzial von Hoffnung, Neues zu schaffen. Die „sittliche Aufgabe“, so haben wir ferner gehört, bestehe darin, („aus der Kraft der Erlösung heraus“) nicht nur in der Welt seine Plicht zu tun, sondern „die Welt in die Verantwortung zu nehmen“. Auch diese Stelle ist zunächst einigermaßen dunkel. Man nimmt jemanden oder etwas für etwas in die Verantwortung, was üblicherweise bedeutet, dem Verantwortungssubjekt bestimmte Sachverhalte oder Ereignisse moralisch zuzurechnen, es für die Konsequenzen in die Pflicht zu nehmen, usw. Wie aber kann man „die Welt“ in diesem Sinne in die Verantwortung nehmen?
Sinnvoll erscheint hier meines Erachtens die folgende, sprachlich zunächst weniger nahe liegende, jedoch inhaltlich verständlichere Deutung: Guardinis Mahnung kann gelesen werden als die Aufforderung, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern Verantwortung zu übernehmen, auch für Dinge, die über den unmittelbaren Bereich unserer privaten Lebenswelt hinausgehen. So gelesen, sieht Guardini die „sittliche Aufgabe“ darin, auch und gerade in Krisenzeiten „die Welt“ in den eigenen Verantwortungsbereich mit aufzunehmen und handelnd in den Gang der Dinge einzugreifen. Mit „Welt“ dürfte er sich dabei auf Ereignisse und Zustände z. B. politischer und sozialer Art beziehen; doch hierüber weiter zu spekulieren, erübrigt sich im vorliegenden Kontext. Klar zu sein scheint, dass Guardini, so verstanden, mit seinem Appell, hoffend aktiv zu werden und Neues zu schaffen, dem allgemeinen Passivitätseinwand widerspricht.
Guardini belässt es bei diesen Andeutungen, ohne sie näher zu begründen und auch ohne zu erklären, warum Hoffnungskritiker mit dem Passivitätseinwand falsch liegen. Diese Frage gilt es nun zu klären. Genau wo liegen jene Hoffnungskritiker, die Hoffnung aufgrund des Passivitätseinwands ablehnen, falsch, wenn sie denn falsch liegen, und was könnte sie zu ihrer Fehleinschätzung verleitet haben?
Der Standardanalyse zufolge muss der Zustand der Hoffnung eine volitive und eine doxastische Bedingung erfüllen. Wie erwähnt, oszillieren die Hinweise in der Literatur auf die Standardtheorie oder die orthodoxe Analyse zwischen Deutungen, die diese Bedingungen als bloß notwendige rekonstruieren (z. B. Chignell 2023), und solchen, die sie als notwendige und hinreichende Bedingungen präsentieren (z. B. Downie 1963, Day 1969, Meirav 2009). Ich hatte die Bedingungen zunächst als notwendige interpretiert. Sind sie womöglich zusammen auch hinreichend?
Gegen diese Auffassung spricht verschiedenes. Das folgende Gegenbeispiel von Bovens (1999), entnommen aus dem Film The Shawshank Redemption, ist in der Literatur in den letzten Jahrzehnten immer wieder diskutiert worden: Zwei Gefangene, Andy und Red, wünschen sich, zu entkommen, und schätzen auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies gelingen könnte, annähernd gleich ein; doch der eine hofft, während der andere verzweifelt. Ein anderes Beispiel stammt von Adrienne Martin (2013): Zwei schwer kranke Patienten, Bess und Alan, nehmen an einem Testprogramm für ein neues Medikament teil, von dem ihnen mitgeteilt wird, dass die Wirkungschance bei 1 % liegt. Beide glauben dieser medizinisch gut begründeten Prognose, und beide wünschen sich, die Krankheit mit Hilfe der Medikamentierung erfolgreich zu bekämpfen. Alan aber bleibt verzweifelt; Bess dagegen hofft. Wären die volitive und die doxastische Komponente nicht nur notwendige, sondern zusammen auch bereits hinreichende Bedingungen für Hoffnung, dann würden beide hoffen (denn ex hypothesi haben sie die gleichen Wünsche bzgl. ihrer Krankheit und teilen dieselbe probabilistische Prognose). Doch nur Bess hofft, während Alan verzweifelt. Da sich Hoffnung und Verzweiflung ausschließen, so das Argument, zeigen solche Beispiele, dass Hoffnung nicht einfach eine Kombination aus Wunsch und Überzeugung ist.
Diese Beobachtung hat zahlreiche Reaktionen provoziert, von denen ich an dieser Stelle eine besonders einflussreiche aufgreife, die für die vorliegende Fragestellung von zentraler Bedeutung ist. Die Hoffnung, dass p, geht neben (i) dem Wunsch und (ii) dem Für-möglich-aber-nicht-sicher-Halten, dass p, wesentlich auch (iii) mit dem Bewusstsein einher, dass die Realisierung des Gewünschten die eigenen Möglichkeiten übersteigt und von einem als „gut“ oder kooperativ angesehenen „externen Faktor“ abhängt. Andernfalls müssten wir in den relevanten Situationen nicht hoffen, sondern könnten erwarten, planen, uns fest darauf einstellen, dass das Erwünschte eintritt, wenn wir nur selbst die richtigen Schritte einleiten. Claudia Blöser (2022) spricht in diesem Zusammenhang vom Bewusstsein von etwas „Unverfügbarem“, Victoria McGeer von einer „begrenzten Handlungsfähigkeit“ in Bezug auf das Erwünschte (limits to our agential powers, 2008, S. 245). An anderer Stelle schreibt sie:
„We hope for something that could not be in any way affected by our efforts to bring it about” (McGeer 2004, S. 103).
Zentral ist dieser Aspekt insbesondere auch für religiöse, speziell auch die christliche Hoffnung auf Erlösung und Versöhnung. Josef Pieper (1997/1935) etwa verweist in diesem Zusammenhang auf das „Geschenk der Hoffnung“ als einer christlichen Tugend, die Demut beinhalte und das Bewusstsein, Kreatur zu sein. Zur Hoffnung gehöre das Bewusstsein, das „Entscheidende auf keine Weise selber tun“ zu können. Sehr einflussreich in der neueren philosophischen Diskussion ist die Analyse Ariel Meiravs (2009), der in kritischer Auseinandersetzung mit der Standardanalyse argumentiert, dass Hoffnung keineswegs beliebige Wünsche, sondern nur solche Wünsche involviere, die die Annahme eines als positiv betrachteten „externen Faktors“ voraussetzen, dem man zutraue, den Gang der Dinge positiv zu beeinflussen:
„When I hope for a prospect, I desire it while viewing it as beyond the reach of my causal or epistemic powers. … If I say I hope, I imply such inability” (Meirav 2009, 228).
„What does determine [whether one hopes for or despairs of a prospect] (in combination with desire and probability assignment) is one’s attitude to a relevant external factor: If one views the external factor as good, then one hopes for the prospect. If one views it as not good, then one despairs of it” (Meirav 2009, 230).
Andere Autoren haben in diesem Zusammenhang auch auf die „positive Phänomenologie“ der Hoffnung hingewiesen (Kwong 2022, S. 313).
Jener „externe Faktor“ kann unterschiedlicher Natur sein und vom Hoffnungssubjekt unterschiedlich repräsentiert werden. Als Beispiele nennt Meirav andere Personen oder Gruppen von Personen, Institutionen, „das Schicksal“ oder Entitäten, die in supranaturaler oder religiöser Weise konzeptualisiert werden (ibid.). Hinzuzufügen wäre, dass auch Kombinationen aus verschiedenen solcher Faktoren zur Erfüllung von Erwünschtem nötig sein können. Die erhoffte Genesung einer Patientin mag von guten Ärztinnen, guten Pflegern usw., aber auch vom Zufall abhängen. Zu beachten ist ferner, dass nicht alles, was dem Hoffnungssubjekt im umgangsprachlichen Sinne „extern“ ist, außerhalb seiner Kontrolle liegen muss. Die Genehmigung meines Forschungsprojekts hängt von externen Faktoren wie insbesondere der Zustimmung anderer Personen ab, doch wenn ich diese durch Bestechung erreichen könnte, dann handelte es sich zwar um externe Faktoren, aber nicht um welche, die außerhalb meiner kausalen Kontrolle liegen.
Diese Überlegungen legen zunächst die folgende, erweiterte Charakterisierung von Hoffnung nahe. Ich nenne sie die Drei-Faktor-Analyse:
Hoffnung*: S hofft nur dann, dass p, wenn
(i) S wünscht, dass p (volitive Bedingung),
(ii) es für möglich, aber nicht sicher hält, dass p (doxastische Bedingung), und
(iii) glaubt, dass, falls p eintritt, dies von kooperativen externen Faktoren abhängt, die außerhalb von S’s Kontrolle liegen (Kooperationsbedingung).
Die Rede von „kooperieren“ ist dabei in einem weiten Sinne so zu verstehen, dass sie nicht voraussetzt, dass es sich um intentionale Kooperation seitens anderer Personen handelt. Auch der natürliche Verlauf der Dinge, die Welt, „das Schicksal“ usw. können in diesem Sinne mit dem hoffenden Subjekt „kooperieren“, wenn sie die Realisierung des Erhofften befördern.
Diese Analyse erlaubt nun eine plausible Erklärung des Passivitätseinwands: Seine Vertreter stützen sich offenbar auf Bedingung (iii), die These des externen Faktors. Hoffnung, so meinen die Kritiker, hält uns deshalb davon ab, „selbst zu agieren“, weil sie die Umsetzung des Erwünschten notgedrungen in fremde Hände legt. Andernfalls wäre es keine Hoffnung. Hoffende müssen – aus begrifflichen Gründen – das Erhoffte aus dem eigenen Verantwortungsbereich auslagern, womit nur das bange Abwarten bleibt, ob die relevanten externen Faktoren sich tatsächlich kooperativ zeigen und die Zukunft das Erhoffte bringen wird oder nicht. Auf diese Weise bleibt Hoffenden nichts anderes übrig als sich auf andere Kräfte statt auf sich selbst zu verlassen und ihre Gedanken, mit Seneca gesprochen, „in die Ferne schweifen zu lassen“.
Bei genauerem Hinsehen wird jedoch schnell klar, dass dieser Einwand auf einem eklatanten Missverständnis der Rolle des externen Faktors beruht, der zur Realisierung von Hoffnungen erforderlich ist. Tatsächlich ist die obige Formulierung der Bedingung (iii) an einer entscheidenden Stelle unscharf und potenziell missverständlich, und es ist zu vermuten, dass genau dieses Missverständnis Hoffnungskritiker zu ihrem verfehlten Passivitätseinwand verleitet. Bedingung (iii) besagt in der vorliegenden Formulierung, dass das Eintreten von Erhofftem von kooperierenden externen Faktoren abhängt. Das lässt jedoch offen, ob der Erfolg stets ausschließlich oder generell lediglich auch von solchen Faktoren abhängt. Hoffnungskritiker der beschriebenen Couleur optieren für die erstgenannte Lesart. Doch genau damit liegen sie falsch. Denn zumindest in vielen Fällen setzt Hoffnung auch den Glauben und das Wissen darum voraus, dass – neben „kooperierenden externen Faktoren“ – eigene Handlungen notwendig sind, um das Erhoffte zu erreichen.
Diese These lässt sich durch einfache Beispiele illustrieren. Wenn Erwin Lindemann darauf hofft, mindestens einmal im Leben einen größeren Lottogewinn zu machen, dann weiß er zwar, dass es insofern außerhalb seiner Macht liegt, dies zu bewerkstelligen, als er durch nichts, was er tut, einen solchen Gewinn sicherstellen kann. Gleichwohl weiß er auch, dass er nur dann gewinnen kann, wenn er selbst bestimmte Dinge tut. Er muss z. B. ein Lotterie-Ticket kaufen, es bei der Ziehung der Gewinnzahlen mit diesen abgleichen, usw. Auch wenn all dies nicht garantiert, dass er gewinnt, sondern andere Faktoren mitspielen müssen, und auch wenn die Chancen trotz Ticketerwerbs minimal bleiben, wird Erwin sicher nicht gewinnen, ohne ein Ticket zu kaufen. Oder angenommen, mit einem Beispiel Meiravs illustriert, es liegt eine schwere Prüfung vor mir. Ich weiß, dass die mir zur Verfügung stehende Vorbereitungszeit, gegeben meine physischen und intellektuellen Kapazitäten, nicht ausreicht um sicherzustellen, dass ich die Prüfung bestehen werde. Mein Erfolg wird teilweise von der Auswahl der Fragen, ggf. Ermessensspielräumen der Prüfer abhängen, usw. Aber eben nur teilweise. Ich weiß auch, dass, wenn ich z. B. überhaupt nicht zur Prüfung erscheinen werde, ich sie sicher nicht bestehen werde. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig verlängern.
Meirav selbst betont diesen Punkt und sagt, dass eine Externe-Faktor-Analyse nicht bedeute, „that one takes oneself to lack all causal influence over the realization of the relevant prospect. In saying that I hope to succeed in the exam, I am only implying that even if I do my best, this will not guarantee success. I am not denying that my success will depend on my action” (Meirav 2009, S. 229).
Ähnlich äußert sich auch Blöser:
„Die für Hoffnung charakteristische epistemische Unsicherheit kann dadurch erklärt werden, dass sie sich auf Zustände bezieht, die die hoffende Person für unverfügbar, d. h. ihr Wissen und ihre Kontrolle übersteigend, hält … Im Fall des Examens hoffen wir auf das Bestehen, gerade weil wir die Auswahl der Prüfungsfragen nicht kontrollieren können. Genau genommen … können wir … sagen, dass wir auf etwas hoffen, das wir teilweise unter Kontrolle haben – nämlich insofern es die eigene Kontrolle übersteigt“
(Blöser 2022, S. 30f.).
Ein Problem dieser Hinweise ist indessen, dass sie eine verfehlte Verallgemeinerung in der anderen Richtung nahelegen. Blösers Formulierung liest sich so, als ob Hoffnung sich stets auf etwas beziehe, dessen Eintreten wir wenigstens zum Teil kontrollieren können. Doch das ist ebenfalls falsch. Richtig ist eine Fallunterscheidung zwischen solchen Hoffnungen, zu deren Realisierung wir teilweise beitragen können, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. Wenn es auf der Hand läge, dass alle Arten von Hoffnung so geartet sind, dass das Subjekt ihre Realisierung befördern kann, warum verfallen dann Hoffnungskritiker seit der Stoa auf den Passivitätseinwand? Eine gute Theorie der Hoffnung benötigt an dieser Stelle auch eine Irrtumstheorie, die erklärt, warum Hoffnungskritiker den Passivitätseinwand propagieren, und eine solche Theorie, so meine These, liefert die betreffende Fallunterscheidung.
Wenn Erwin auf den Lottogewinn hofft, dann gibt es, nachdem er das Los gekauft hat, (unter normalen Bedingungen) nichts, was er noch tun kann, um die Erfüllung seiner Hoffnung weiter zu befördern. Und anders als im Falle der Hoffnung auf das Bestehen des Examens gibt es, wenn ich darauf hoffe, dass morgen hier die Sonne scheinen wird, (unter üblichen Bedingungen) nichts, was ich tun könnte, um die Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses zu erhöhen. Betrachten wir auch ein theologisches Beispiel: Der paulinisch-augustinischen Tradition zufolge gilt, dass Gläubige, wenn sie auf Erlösung hoffen, selbst nichts tun können, um das Heil zu erlangen, sondern dass dies allein von der Gnade Gottes abhängt. Gerade deshalb, so wird betont, muss das persönliche Heil notwendigerweise Gegenstand von Hoffnung sein.
Diese Betrachtungen legen die folgende Irrtumstheorie nahe: Der Passivitätseinwand nährt sich von der Fokussierung auf Beispiele der letztgenannten Art, verliert dabei jedoch andere Fälle von Hoffnung, wie die zuvor beschriebenen, aus dem Auge. Der Kritiker begeht damit den Fehlschluss der vorschnellen Verallgemeinerung. Mit einem Topos Wittgensteins gesprochen: Protagonisten des Passivitätseinwands unterziehen sich offenbar einseitiger Beispieldiät. Zugestanden, es gibt Fälle von Hoffnung, in denen das Subjekt selbst wenig oder gar nichts tun kann, um das Erhoffte zu erreichen. Aber es gibt viele andere Fälle, in denen Hoffnung sehr wohl eigenes Handeln sinnvoll oder gar notwendig macht, um das Erhoffte zu erreichen.
Angesichts dieser Beobachtungen gilt es, die obige Formulierung in Bedingung (iii) nachzuschärfen. Richtig ist, dass die Realisierung von Erhofftem immer auch, aber eben nicht immer nur von externen Faktoren abhängt. Die folgende, verbesserte Charakterisierung der in dieser Hinsicht zunächst unscharfen Formulierung von Bedingung (iii) in Hoffnung* macht dies klar:
Hoffnung**: S hofft nur dann, dass p, wenn
(i) S wünscht, dass p (volitive Bedingung),
(ii) es für möglich, aber nicht sicher hält, dass p (doxastische Bedingung), und
(iii) glaubt, dass, falls p eintritt, dies zumindest auch von kooperativen externen Faktoren abhängt, die außerhalb von S’s Kontrolle liegen (Kooperationsbedingung).
„Zumindest auch“ heißt hier: entweder gänzlich oder aber nur teilweise. Diese Formulierung deckt die verschiedenartigen Beispiele ab, aber postuliert nicht fälschlicherweise, dass die Erfüllung von Hoffnung immer ausschließlich von anderen Kräften oder Mächten abhängt.
Man beachte, dass Bedingung (iii) in der vorliegenden Fassung auch für Optimismus gilt. Auch wer optimistisch ist, wünscht sich etwas, von dem er glaubt, es nicht allein aus eigener Kraft erreichen zu können. Wenn ich optimistisch – und damit nur zuversichtlich, aber nicht sicher – bin, das Examen zu bestehen, dann glaube ich, dass dies mindestens zum Teil von Faktoren abhängt, die ich nicht kontrollieren kann. Wir können somit Bedingung (iii) auch zu unserer Charakterisierung von Optimismus hinzuzufügen:
Optimismus*: S ist optimistisch bzgl. des Eintretens von p nur dann, wenn
(i) S wünscht, dass p (volitive Bedingung), und
(ii) es für wahrscheinlicher hält, dass p, als dass nicht-p (doxastische Bedingung).
(iii) glaubt, dass, falls p eintritt, dies zumindest auch von kooperativen externen Faktoren abhängt, die außerhalb von S’s Kontrolle liegen (Kooperationsbedingung).
Der Unterschied zu Hoffnung liegt dabei nicht in Bedingung (iii) und auch nicht in Bedingung (i), sondern nach wie vor in (ii).
Weitere Differenzierungen drängen sich auf, die ich hier aus Raumgründen jedoch nur noch skizzieren kann. Bei einigen Hoffnungen (wie im Falle der Hoffnung auf den Lotteriegewinn) sind eigene Handlungen (wie das Kaufen des Loses) zwar notwendige Bedingungen dafür, dass die Hoffnung erfüllt wird; aber sie machen diese Erfüllung, die in höchstem Maße unwahrscheinlich bleibt, nur minimal wahrscheinlicher. In anderen Fällen (wie etwa der guten Vorbereitung auf das Examen) mag das eigene Handeln die Realisierung des Erhofften wahrscheinlicher machen als das Gegenteil: Es mag diese Wahrscheinlichkeit über die 50%-Grenze oder sogar einen höheren Schwellenwert schieben. In vielen Fällen wird die Erfolgswahrscheinlichkeit auch gesteigert, indem man handelnd auf besagten „externen Faktor“ Einfluss nimmt, selbst wenn dieser sich der vollständigen Kontrolle entzieht.
Wichtig ist schließlich auch, dass das Haben von Hoffnungen auch zu Handeln inspirieren kann, das keinen oder keinen unmittelbaren Einfluss auf die Realisierung des Erhofften hat, wohl aber auf andere Momente im psychischen Gesamtprofil des oder der Hoffenden. In wichtigen Dingen zu hoffen statt zu verzweifeln, kann z. B. insgesamt zu einem positiveren Lebensgefühl beitragen und damit helfen, sich insgesamt nicht passiv-resignativ, sondern aktiv und lebenszugewandt zu verhalten.
Quintessenz
Die vorliegenden Überlegungen über Hoffnung haben interpretative, begriffsanalytische und diagnostische Aspekte. Diagnostisch sind sie bzgl. eines verbreiteten, aber laut meiner These verfehlten Einwands gegen die Hoffnung. Ich habe ihn den „Passivitätseinwand“ genannt und im Blick auf verschiedene Autoren unterschiedlicher, teils bis in die Antike zurückreichender Traditionen so gedeutet, dass er im Kern die Hoffnung verdächtigt, ihre Träger zu Fatalismus und Passivität zu verleiten und keine Verantwortung für das Hier und Jetzt zu übernehmen. Ich habe zunächst einen wichtigen Unterschied zwischen Hoffnung und Optimismus erläutert und vor dieser Folie Guardinis in Anspielung an Paulus vorgetragenes, scheinbar paradoxes Diktum vom Hoffen wider die Hoffnung diskutiert (dies war der interpretative Teil). Die Paradoxie verschwindet, wenn man Guardinis Aufforderung so liest, dass sie Hoffen oder Hoffnung auch angesichts von (zu Recht) fehlendem Optimismus empfiehlt, und sich klar macht, dass der probabilistische Spielraum von Hoffnung größer ist als der von Optimismus. Genau deshalb kann Hoffnung auch und gerade dann angebracht sein, wenn Optimismus schwindet.
Zur Hoffnung auf etwas gehört aber außer dem Wunsch und dem Für-möglich-aber-nicht-sicher-Halten, dass es eintritt (oder eingetreten ist), auch das Bewusstsein oder die Überzeugung, dass sein Eintreten von „externen Faktoren“ abhängt, die jenseits der eigenen Kontrolle liegen (soweit die vorgeschlagenen Begriffsanalyse). Dies legt eine Diagnose des Passivitätseinwands nahe, nach der seine Vertreter – verleitet durch einseitige Beispieldiät – einen Fehlschluss der vorschnellen Verallgemeinerung begehen. Eine einfache, aber entscheidende Differenzierung, die ich in diesem Kontext vorschlage und die im Streit um die Natur und psychologische Rolle von Hoffnung bis auf wenige Ausnahmen (McGeer 2004, 2008) übergangen wurde, ist die zwischen Hoffnungen, deren Erfüllung sich unserem Zutun gänzlich entzieht, und Hoffnungen, deren Erfüllung zwar nicht allein von uns abhängt, von denen wir aber berechtigterweise glauben oder sogar wissen, dass wir – in größerem oder geringerem Maße – zu ihrer Realisierung beitragen können.
Zumindest solche Hoffnungen machen nicht passiv, sondern wirken im Gegenteil typischerweise handlungsmotivierend. Was also verleitet Verfechter des Passivitätseinwands zu ihrem Fehlschluss? Ich schlage eine Irrtumstheorie vor, der zufolge sie die Rolle jenes externen Faktors durch einseitige Fokussierung auf bestimmte Typen von Hoffnung fälschlich als exklusive Determinante der Realisierung des Erhofften ansehen. Insgesamt schlage ich sowohl für Hoffnung als auch für Optimismus eine Dreifaktor-Analyse vor, der zufolge für beide Haltungen Wünsche, bestimmte Wahrscheinlichkeitseinschätzungen und das Bewusstsein der Abhängigkeit des Erhofften von einem externen Faktor konstitutiv sind. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden liegt in der Wahrscheinlichkeitseinschätzung.
Damit sind einige Aspekte von Hoffnung geklärt und eine Reihe von Fragen beantwortet. Andere Fragen drängen sich auf, können hier jedoch aus Raumgründen nur noch angeschnitten werden. Eine wichtige lautet, ob die vorgeschlagene Liste der notwendigen Bedingungen für Hoffnung vollständig ist und ob, wenn sie es ist, die genannten Bedingungen zusammen auch hinreichend für Hoffnung sind. Es gibt gute Gründe, hier wenig optimistisch zu sein. Erinnern wir uns daran, dass Meirav und andere den „guten externen Faktor“ ins Spiel gebracht hatten, um Hoffnung von Verzweiflung abzugrenzen.
Bei genauerem Hinsehen aber scheint sich zu zeigen, dass die in diesem Kontext vorgeschlagene Kooperationsbedingung („S glaubt, dass, falls p eintritt, dies zumindest auch von kooperativen externen Faktoren abhängt, die außerhalb von S’s Kontrolle liegen“) auch für die Haltung der Verzweiflung gilt! Auch der verzweifelte Gefangene oder die verzweifelte Kranke hoffen, dass, falls die erhoffte Flucht oder die Genesung gelingen, dies von „guten“, „kooperierenden“ Faktoren abhängt, die sie nicht kontrollieren können. Wenn es also richtig ist, dass Verzweiflung Hoffnung ausschließt und dass sie neben dem Bewusstsein der Abhängigkeit von kooperativen externen Faktoren außerdem auch dieselben Wünsche und dieselben Wahrscheinlichkeitseinschätzungen wie eine entsprechende Hoffnung enthalten kann, dann sind die Bedingungen (i) bis (iii) zur Charakterisierung von Hoffnung zusammen nicht hinreichend. Sie grenzen Hoffnung nicht von Verzweiflung ab.
An dieser Stelle bleiben mindestens zwei Optionen. Entweder wir setzen die Suche nach weiteren notwendigen Bedingungen fort, die zusammen mit den anderen auch hinreichend sein könnten, um Hoffnung von anderen Einstellungen abzugrenzen. Oder wir stellen in Frage, ob Verzweiflung tatsächlich in jedem Fall von Hoffnung verschieden ist. Womöglich ist sie es nicht, entgegen einer weit verbreiteten These in der Hoffnungsliteratur. Unsere Alltagssprache jedenfalls legt Überschneidungen nahe: So reden wir etwa von „verzweifelten Hoffnungen“ und meinen damit offenbar Hoffnungen, die bedeutsam sind, doch bei denen wir ob der gleichzeitigen Unwahrscheinlichkeit ihrer Erfüllung verzweifeln. Solche Beobachtungen legen nahe, dass sich Hoffnung und Verzweiflung keineswegs ausschließen.
Falls sich dies bei näherer Betrachtung bestätigen sollte, böte sich eine deutlich veränderte dialektische Situation als sie in großen Teilen der gegenwärtigen philosophischen Hoffnungsliteratur vorausgesetzt wird. Wenn, wie ich argumentiert habe, Hoffnung sich auch mit Optimismus überschneidet, dann lautet eine zentrale Frage nicht, wie sich Hoffnung von Verzweiflung, sondern vielmehr, wie sich verzweifelte von optimistischer Hoffnung abgrenzen lässt. Ich bin optimistisch, dass das hier entwickelte Instrumentarium eine solche Abgrenzung ermöglicht, und hoffe, dies zu anderen Gelegenheiten ausführlicher diskutieren zu können.
Warum schlug Pandora im letzten Moment den Deckel über der Hoffnung zu, als die Übel unwiederbringlich aus dem Fass entwichen waren und unter den Menschen zu wüten begannen? Nietzsche meint, weil die Hoffnung das größte aller Übel sei, Pandora ihren Fehler einsah und die Menschheit zumindest vor diesem einen Übel noch bewahren wollte. Ich habe argumentiert, dass Hoffnung kein Übel ist, weil sie das Potenzial hat, uns zum Handeln und zum Weitermachen zu motivieren, auch wenn Optimismus schwindet. Vielleicht glaubte Pandora, dass Hoffnung allein es draußen mit den Übeln kaum aufnehmen könne, es aber auch nicht ohne sie gehe und wir daher gut daran tun, sie als Schatz im Hause menschlichen Seelenlebens zu schützen und zu hegen.