Die Münchner Residenz. 70 Jahre des Wiederaufbaus

Münchner Kulturbauten in der Nachrkiegszeiten

As part of the event "Munich Cultural Buildings: Destruction and Revival", 09.05.2019

Introduction

 

Es muss im Jahr 2002 gewesen sein. Ich suchte Materialien für einen kleinen Vortrag. Bei der Suche musste ich feststellen, dass es zwar einen Residenzführer gab, Aufsätze von Experten, aber keinen großen umfassenden Band zu unserer Residenz. Das durfte doch nicht wahr sein! Die Münchner Residenz nimmt europaweit einen herausragenden Platz ein; vier Jahrhunderte war sie der Wohn- und Regierungssitz der Fürsten und politisches Zentrum des Landes. Dieser komplexe Bau, Schritt für Schritt entstanden, zeigt alle Stufen der Baustile dieser Jahrhunderte: Renaissance, Barock und Rokoko, Klassizismus. Das Ausmaß, die Vielfalt und die Pracht der Anlage demonstrieren den Rang der Bauherren, ihre politische Bedeutung und ihren Kunstsinn. Ich zitierte Otto Meitinger: „Die besondere bau- und kunstgeschichtliche Bedeutung der Münchner Residenz liegt darin, dass sie, anders als die meisten europäischen Fürstenhöfe, nicht nach einem vorgegebenen Plan in einer Stilepoche gebaut wurde, sondern im Laufe von fast fünf Jahrhunderten durch die Bautätigkeit einer langen Reihe regierender Wittelsbacher Herzöge, Kurfürsten und Könige allmählich gewachsen ist.“

Und für diesen Gebäudekomplex im Herzen der Stadt München gab es keinen großen Pracht-band, kein richtig dickes, schönes Buch!

Das wollte ich ändern und gab einen entsprechenden Auftrag. Nach einem Jahr wurde mir ein wunderbarer Entwurf vorgelegt. Mit der Darstellung des stufenweisen Aufbaus war den Autoren Johannes Erichsen, Sabine Heym, Hermann Neumann, Amanda Ramm, Gerd Schatz sehr gelungen. Aber ich war nicht zufrieden. Denn die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg war textlich erwähnt, aber nicht entsprechend ihrer Dramatik bildlich dargestellt.

So durchkämmten die Autoren Bildarchive und wurden umfassend fündig. Mit Bildern nicht nur aus der Schlösserverwaltung, sondern vor allem vom staatlichen Bauamt dokumentierten sie bis ins Detail das Werk des Bombenkrieges.

So wuchs eine Text- und Bilddokumentation heran, die durch Gegenüberstellung von schwarz/weiß Bildern der Zerstörung und der farbigen Abbildung der renovierten Räume das Wunder des Wiedererstehens der Residenz beeindruckend dokumentiert.

 

Die Bombenangriffe

 

Die Münchner Residenz ist nicht, wie man das bei anderen Bauwerken feststellen kann, in einer Nacht zerstört worden. Es war eine Vielzahl von Angriffen. Relevant für die Zerstörung der Residenz sind insgesamt zehn Fliegerangriffe.

  • Ein erster datiert erstaunlich früh: Am 9. November 1940 bereits. Es gab einen Einschlag im Hof der Residenz und Beschädigungen der Südwestecke und der Residenzfassade.
  • Am 10. März 1943 Bomben auf den Ostflügel der Residenz und den Nordflügel des Marstalls.
  • Am 3. Oktober 1943 Zerstörung des südwestlichen Dachbodens des Königsbaus und starke Beschädigung des Kaisersaals und der Kaisertreppe durch eine Sprengbombe.
  • Am 18. März 1944 erste Zerstörungen der Allerheiligen-Hofkirche und des Marstallgebäudes, weitere Beschädigungen in der Residenz.
  • Am 5. April 1944 starke Beschädigung des Maximilianstrakts.
  • In der Nacht vom 24. auf 25. April 1944 der bislang schwerste Luftangriff auf die Residenz; wiederum Beschädigung des Maximilianstrakts und Beschädigung des Antiquariums.
  • Am 16. Juli 1944: eine Sprengbombe trifft entscheidend die Mitte des Antiquariums und zerstört die Kurfürstenzimmer.
  • Am 7. Dezember 1944 Restzerstörung des Nationaltheaters, nachdem das Bühnenhaus bereits am 2. März 1943 total zerbombt wurde.
  • Am 25. Februar 1945 elf Treffer;
  • am 21. April 1945 der letzte Treffer in der Residenz.

 

Der Wiederaufbau

 

Experten haben 1945 vorausgesagt, dass der Wiederaufbau, sollte er wirklich durchsetzbar sein, bis zu 50 Jahre dauern würde. Diese Experten haben sich geirrt: Der Wiederaufbau der Residenz dauert bis heute an und er geschah und er geschieht in mehreren Phasen:

Begonnen hat der Wiederaufbau der Residenz bereits zu Kriegszeiten, 1944 bis Mai 1945. Das klingt paradox, ist aber nach-vollziehbar. Zum einen wurden während der Kriegszeit nicht nur Aufräumarbeiten getätigt, sondern alles wertvolle Inventar aus der Residenz entfernt: Möbel, Leuchter, Gemälde. Hermann Neumann schreibt, dass die Herren Hertwig, Esterer, Thoma und nicht zuletzt Tino Walz unablässig tätig waren, „um die Bergung des Kunstgutes zu organisieren, die Ablichtung bedrohter Schmuckformen zu leiten, zu zeichnen und zu messen und, was nicht allzu fest verankert ist, oft kurz vor dem Fall der Bomben aus dem Haus zu schleppen.“

Dass noch während des Krieges die Residenz nicht nur ausgeräumt, sondern zeichnerisch und fotografisch akribisch dokumentiert werden konnte, überrascht. War das nicht Defätismus, demonstrierter Mangel an Zuversicht mit Blick auf den „Endsieg“? Erstaunlicherweise wurde da tatsächlich nichts an der Gestapo vorbeigemacht, sondern auch aufgrund von Anweisungen „von oben“.

Die Preziosen aus der Schatzkammer wurden zunächst in Neuschwanstein verwahrt. Da dort jedoch auch eine Fülle von gestohlenem Kunstgut der Nazis gelagert wurde, brachte Tino Walz die Gegenstände in einer abenteuerlichen Fahrt in einem Personenwagen, der auf dem Dach hoch beladen war, an den Tegernsee. Eine eigene, abenteuerliche Geschichte. Man kann mit Recht vermuten, dass der Wiederaufbau der Residenz nicht in Angriff genommen worden wäre, wären nicht so viele Kunstwerke durch Auslagerung erhalten geblieben oder zumindest dokumentiert worden.

Die ersten Jahre nach dem Krieg waren auch bestimmt von einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Tradition und Neuerung. Diese Auseinandersetzung zwischen Neueren und Traditionalisten war bei den Bauwerken Residenz und Oper besonders heftig. Da ging es nicht nur um Kunstgeschichte und Stilfragen, sondern auch um politische Auseinandersetzungen. Sollte man diejenigen Bauten, die von nicht-demokratischen Herrschaftssystemen, von Herzögen, Kurfürsten und Königen hochgezogen wurden, wiedererstellen, wenn doch nach zwei entsetzlichen Weltkriegen endlich eine Zukunft mit neuer, demokratischer und bürgerlicher Gesellschaft aufgebaut werden sollte. Jede Mark für die Wiederauferstehung der alten Pracht wurde damals umgerechnet in Arbeiterwohnungen, Schulen und Straßen. Die Auseinandersetzung nach 1945 war nicht nur ästhetischer Streit, sondern auch ideologische Auseinandersetzung. Daraus entwickelt sich auch das, was der Generalkonservator dargelegt hat: Eine Auseinandersetzung darüber, was Denkmalschutz sein soll.

Genau ein Jahr vor Kriegsende, am 8. Mai 1944, hatte Professor Rudolf Esterer die „Bauleitung Residenz“ gegründet, die direkt dem Finanzministerium unterstellt wurde. Diese Bauleitung organisierte die zweite Phase der Aufbauarbeiten. Schon in den ersten Wochen nach Kriegsende begannen intensive Aufräumarbeiten, vor allem im Grottenhof. Dort konnte am  28. August 1945, also keine vier Monate nach der Kapitulation, das erste Grottenhofkonzert stattfinden, dem weitere Konzerte nachfolgen sollten.

Diese Konzerte waren nicht nur Ausdruck des Friedenswillens der Bürger, Zeichen der Normalisierung, sondern dies war auch ein Signal für das Verständnis von Politik, Verwaltung und  Bürgerschaft, wie man mit der Residenz in Zukunft umgehen wollte. Dort, wo Jahrhunderte die Exklusivität der Regierenden ihren Platz hatte, von wo aus die Bürger regiert und beherrscht wurden, okkupierten die Bürger Münchens ab 1945 auf ihre Art den gesamten Komplex – und zwar vom ersten Moment an.

Kurze Zeit später fand ein zweiter Akt solch bürgerlicher Besitznahme statt in der Residenz: Am 6. Mai 1946 wurde das Brunnenhoftheater eingeweiht, das in den ersten Jahren nach dem Krieg an erheblicher Bedeutung gewann. Es hatte dort seinen Platz, wo heute der überglaste Comité-Hof ist und Herzog Albrecht V. im 16. Jahrhundert ein Ballhaus errichtet hatte. An den ersten Intendanten des Brunnenhof-Theaters, Paul Verhoeven, erinnert am Rande des Comité-Hofes heute eine Büste.

Diese Besitznahme einer Residenz durch Einrichtung einer demokratischen Bürgergesellschaft setzte sich später umfassend fort: Durch den Einzug der Akademie der Wissenschaften im Nordosten, durch die Akademie der Schönen Künste im Obergeschoß des Königsbaus und – vorübergehend – durch die Ansiedlung der Max-Planck-Gesellschaft im Konzertsaaltrakt gegenüber der Theatinerkirche. Die umfassende Wandlung der Nutzung der Residenz, die Besitznahme fürstlicher Räume durch die Republik, vollzog sich nicht nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nach dem revolutionären Umsturz, sondern fand umfassend erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt.

In der zweiten Hälfte der 50er Jahre kam die große „Dachaktion“, in der dann endlich alle Bautrakte gesichert wurden.  Allein im Jahr 1957 wurde in der Residenz sechsmal Richtfest gefeiert. Das letzte davon fand im Januar 1960 für das Dach über dem Hofgartentrakt statt.

 

Größere Baumaßnahmen

 

Wenn man von der „Dachaktion“ absieht, fand die erste wirklich große Baumaßnahme in der Residenz Anfang der 50-er Jahre statt. Auch sie diente der kulturellen Nutzung der Bürgergesellschaft. Esterer ließ den Thronsaal des klassizistischen Festsaalbaus am Hofgarten zwischen 1951 und 1953 umbauen. Der Bayerische Rundfunk hatte Druck ausgeübt; er brauchte einen Saal für seine Konzerte und seine Orchester. Der Bayerische Rundfunk hat dazu auch 2,5 Millionen DM für die Umbaukosten zur Verfügung gestellt, damals ein großer Betrag, der für die Umgestaltung auch ausreichte. Die Herkules-Gobelins aus dem 16. Jahrhundert, die in Antwerpen gewirkt worden und eigentlich für das Schloss Dachau vorgesehen waren, kamen in diesen neuen Saal und gaben ihm den neuen Namen Herkulessaal. Mit der Umgestaltung des Thronsaales in den Herkulessaal begann die zweite Phase des Wiederaufbaues der Residenz.

An diesem Umbau ist übrigens die Freundschaft zwischen Tino Walz und Professor Esterer zerbrochen: Esterer war der Pragmatiker, Walz eher doktrinärer Denkmalschützer, der wollte, dass geschichtsgetreu wiederherstellt wird, ganz im Sinne Dehios. Ich kann nicht umhin, heute Esterer für seine Entscheidung zu loben, die es ermöglichte, dass der Herkulessaal bereits im März 1953 eröffnet werden konnte.

Für den weiteren Aufbau in dieser Zeit war dann Otto Meitinger zuständig, der 1953 als „junger Kerl“, wie er selber sagte, Residenzbauchef wurde. In Erzählungen meinte er immer, dass er nur deshalb mit  diesem Posten betraut wurde, da man annahm, dass in den 50er und auch noch in den 60er Jahren ohnehin in der Residenz nicht viel passieren könne aufgrund der harten Konkurrenz mit den Bauten, die für die Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft zwingend waren. Diese Einschätzung sollte sich jedoch als falsch erweisen und zwar durch eine termingetriebene Weiterentwicklung.

 

Termingetriebene Weiterentwicklung

 

Der erste bedeutende Termin für den Baufortschritt war die 800-Jahr-Feier der Landeshaupt-stadt München im Jahr 1958. Der Freistaat Bayern wollte das Nationaltheater termingerecht zur 800-Jahr-Feier wiederherstellen, diesen Bau gewissermaßen den Bürgern Münchens zum Jubiläumsgeschenk machen. Doch ab dem ersten Halbjahr 1956 war klar, dass dies terminlich nicht möglich war, obwohl auch im Jahr 1957 noch an der Ruine des Nationaltheaters ein großes Transparent hing mit der Aufschrift: „Das Nationaltheater muss bis zur 800-Jahr-Feier der Stadt München wieder aufgebaut werden.“

Otto Meitinger erzählt, dass erst Mitte 1956 an die Residenzbauleitung völlig überraschend die Frage gerichtet wurde, ob der Wiederaufbau des alten Residenztheaters bis zur 800-Jahr-Feier der Stadt München im Juni 1958 möglich wäre. Viele haben gesagt: „Das ist völlig unmöglich!“ Die Residenzbauverwaltung war gleichwohl mutig und sagte zu, das Cuvilliés-Theater termingerecht wieder herzustellen. Dies war zumindest aus zwei Gründen sehr ambitioniert:

Zum einen hatte sich an der Stelle des alten Cuvilliés-Theaters bereits ein neues etabliert: das Residenztheater. Das Staatsschauspiel hatte sehr deutlich „ein vielseitig bespielbares, modernes Schauspielhaus gefordert“ und sich gegenüber dem Denkmalschutz durchgesetzt. Schon 1951 war dieses neue Theater fertig.

Zum anderen war die Logenverkleidung des Cuvilliés-Theaters zwar gerettet worden durch Auslagerung. Der Zustand der Holzteile – vielfach von der Größe einer Fünf-Mark-Münze – war aber von sehr unterschiedlichem Zustand: Diejenige Hälfte, die im Obinger Pfarrheim deponiert worden war, war trocken; die im Keller der Befreiungshalle Kelheim gelagerten Stücke waren feucht und noch mehr zerstückelt. Beide Sammlungsteile mussten unterschiedlich bearbeitet werden. Die Residenzbauverwaltung entschied, das Theater in den sogenannten Apothekerstock ein-zusetzen, der innen völlig ausgebrannt war. Der Vorteil dieses Baukomplexes der Residenz für die Umpflanzungsidee war, dass das hohe Bühnenhaus in die Hülle der Außenfassade passte.

Diese Umsetzung des Cuvilliés-Theaters ist in zweifacher Hinsicht ein geradezu sensationeller Vorgang des Wiederaufbaus der Residenz.

  • Zum einen wurde die Umsetzung des Cuvilliés-Theaters terminlich rechtzeitig fertig. Am 14. Juni 1958, dem Stadtgründungstag, konnte dort eine großartige Figaro-Aufführung bewundert werden.
  • Zum anderen kostete dieser „Neubau“ nur fünf Millionen DM! Zum Vergleich: Die Grundrenovierung des Cuvilliés-Theaters, die im Jahr 2008 abgeschlossen werden konnte – und auf die ich noch eingehen werde – kostete 25 Millionen Euro. Dieser Vergleich zeigt, dass der Versuch, die Gesamtkosten des Wiederaufbaus der Residenz zu taxieren, nur durch zeitorientierte Wertanpassung annähernd gelingen kann. 2,5 Millionen 1953 für den Herkulessaal, 5 Millionen 1958 für das Cuvilliés-Theater: Das ist mit späteren Kostenniveaus überhaupt nicht zu vergleichenmn

 

Die 60er Jahre

 

Tino Walz hat den Fortgang der Ausbaumaßnahmen von 1960 bis zum Jahr 1985 in einem persönlichen Register notiert. Demnach waren auch die 60er Jahre zunächst bestimmt von bedeutenden Terminen: Zum Eucharistischen Weltkongress fand im Jahr 1960 in der Residenz die Ausstellung „Eucharistia“ statt. Dafür mussten eine Reihe von Räumen gereinigt und erneuert werden. Ein nächster besonderer Termin war der Besuch von Charles de Gaulle in München. De Gaulle nächtigte im Königsbau; auch hierfür mussten größere Renovierungsarbeiten vorangetrieben werden. Bedeutsam ist in den 60er Jahren auch der Ausbau der Räumlichkeiten für die Max-Planck-Gesellschaft in drei Stufen: 1961, 1964 und 1968, sowie die Verlegung des spanischen Kulturinstitutes in den Torbau am Kronprinz-Rupprecht-Hof.

Zum Stichwort Max-Planck-Gesellschaft mache ich einen kurzen Zeitsprung nach vorne: Die Zentrale der Max-Planck-Gesellschaft war in der Residenz zwar angemessen und repräsentativ untergeberacht, hatte aber viel zu wenig Räume. Nach der Wiedervereinigung  gab es starke Bestrebungen, diese Zentrale in die Neuen Bundesländer zu verlegen: Man brauchte dort dringend Institutionen, die sich in den ziemlich heruntergekommenen ostdeutschen Städten etablieren konnten. Der Freistaat Bayern wehrte diesen Abzug dadurch ab, dass er das Gelände direkt neben der Staatskanzlei – einmal benannt als „Marstallplatz- Nord“ – kostenlos für einen Bau zur Verfügung stellte. Dieser Art von Bestechung konnte die Max-Planck-Gesellschaft nicht wiederstehen.

Die Räume der Max-Planck-Gesellschaft wurden, nach einer Zwischennutzung durch die Oper, wieder von einer Akademie genutzt: der acatech, der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften. Dem damaligen Vorsitzenden von acatech, dem BMW-Manager Milberg, stellte ich im Jahr 1999 die frei gewordenen Räume der Max-Planck-Gesellschaft zur Verfügung – bis diese, zehn Jahre später, auch acatech zu eng wurden. Heute residiert diese Akademie am Karolinenplatz. Eine eigene Geschichte der Stadtentwicklung.

 

Die 70er Jahre

 

Ab den 70er Jahren kam der Ausbau der Residenz große Schritte voran: 1970 wurde die heimatlose ägyptische Sammlung im Hofgartentrakt etabliert. Im gleichen Jahr starteten zwei Maßnahmen: Zum einen wurde die Ruine der Allerheiligen-Hofkirche wenigstens gesichert und die Pfälzer Weinprobierstuben kamen in den Viersäulensaal. 1972 bekam die Bayerische Akademie der Schönen Künste die ehemaligen Blumensäle des Königsbaus und des Residenzmuseums wurden nach und nach renoviert: Trierzimmer, Grüne Galerie, Schlachtensaal im Königsbau, die Wiederherstellung der Deckenmalerei im schwarzen Saal.

Die Zeit 1980 bis 1990 war dagegen gekennzeichnet für eine relativ langsamere Gangart des Ausbaus und das vor allem aus zwei Gründen.

Man wollte, erstens, qualitativ beste Restaurationsarbeit leisten – und die dauerte und war teuer. Das extremste Beispiel langer Bemühungen um ein Kunstwerk war die Wiederherstellung des Miniaturen-Kabinetts. 15 Jahre lang wurde an dieser kleinen roten Rokokokammer gearbeitet; erst im Jahr 2001 konnte ich sie wieder zugänglich machen. Die Restauratoren könnten ein Buch schreiben alleine über diese Maßnahme.

Das zweite war der permanente Kampf mit anderen Bauprojekten der Schlösserverwaltung. Natürlich gab es auch innerhalb der Schlösserverwaltung das Ringen um Prioritäten; auch außerhalb Münchens mussten Ruinen beseitigt, Räume erneuert und Dächer repariert, kaputte Burgen wieder zugängig gemacht werden. Und die Gesamtheit der Schlösserverwaltungs-bauten stand ihrerseits in Konkurrenz mit einer Vielzahl von anderen Maßnahmen, die gerade in den Jahren  bis 1990 unter der Überschrift „ zukunftsfähige Infrastruktur“ zwingend waren.

Auf diese Weise ist erklärlich, dass der Kaisersaal mit Vierschimmelsaal und Kaisertreppe sowie der Max-Joseph-Saal erst 1985 an die Reihe kamen. Mit Kaisersaal und Max-Joseph-Saal sind diejenigen Räume wiederhergestellt worden, die heute am intensivsten genutzt werden: Neujahrsempfang des Ministerpräsidenten, Konzerte, festliche Veranstaltungen, Tagungen. Dass diese Säle der Residenz erst 40 Jahre nach Kriegsende wieder in altem und zum Teil neuem Glanz erstanden sind, zeigt die Schwierigkeit des Wiederaufbaus.

 

Zwei Fälle aus der Spätzeit

 

Auch um die Jahrtausendwende war die Wiederherstellung der Residenz noch nicht abgeschlossen. Aus den Maßnahmen im neuen Jahrtausend will ich zwei herausgreifen: Die Wiedernutzbarmachung der Allerheiligen-Hofkirche sowie die Brandsicherung und Grundrenovierung des Cuvilliés-Theaters.

Es gibt keinen Teil der Residenz, der nach dem Krieg so heftig umstritten war, wie die Aller-heiligen-Hofkirche. Der von Ludwig I. nach dem Beispiel der Cappella Palatina errichtete Kirchenraum war völlig zerstört und gestattete in den 50er Jahren nur die Einlagerung von Bühnenmaterial. Dafür musste die Schlösserverwaltung jedoch das Ordinariat der Katholischen Kirche um Erlaubnis fragen, denn es handelte sich nach der damaligen Interpretation eindeutig um einen Kirchenraum.

Schon im Jahr 1954 begann die Debatte um die architektonische Qualität des Klenze-Baus, eine Debatte, die vor dem Krieg schon von einigen besonders Klugen angezündet worden war. Auch ein Gutachten  der Bauabteilung der Schlösserverwaltung vom 22. November 1954 stellte fest, dass die Allerheiligen-Hofkirche das „schwächste Werk“ von Klenze sei. Derartige Beurteilungen förderten die Bereitschaft, die trostlose Ruine völlig zu beseitigen. Was keine architektonische Qualität besitzt, muss nicht gerettet werden!

Im Oktober 1963 kam ein weiteres Papier der Schlösserverwaltung, in dem es schlicht und einfach hieß: „Der Bauzustand ist so schlecht, dass ein Wiederaufbau der vorhandenen Reste nicht mehr möglich ist. Es wäre demnach gegebenenfalls erforderlich, die Ruine vollkommen abzutragen, neu zu fundamentieren und dann aufzubauen. Das würde bedeuten, dass der Kirchenbau Klenzes, der an sich eine Kopie war, abermals kopiert würde…das wäre denkmal-pflegerisch nicht zu verantworten.“ Diese Auffassung wurde übrigens vom Vorgänger von Professor Pfeil, Generalkonservator  Dr. Kreisel, geteilt.

Daraufhin kam im Jahr 1963 die Politik ins Spiel. Auf eine Anfrage der FDP-Landtagsabgeordneten Hildegard Hamm-Brücher antwortete der damalige Finanzminister Eberhard.  Vor allem verwies der Minister auf ein Gutachten der Akademie der Schönen Künste vom 22. Oktober 1963. Dieses Gutachten zeichneten nicht nur der Präsident, Emil Preetorius, sondern fast sämtliche große Architekten der damaligen Zeit: Hermann Kaspar, Josef Wiedemann, Franz Hart, Rudolf Esterer, Toni Stadler, Karl Knappe. Sie haben in ihrem Gutachten in kaum überbietbarer Arroganz festgestellt, dass die Ruine der Allerheiligen-Hofkirche an der alten Stelle nicht wieder aufgebaut werden darf. „Soweit die Dinge heute liegen, ist der Platz der Kirchenruine für neue Konzeptionen weit wertvoller als für den Neubau einer Kopie. Vor diesem Hintergrund lehnte das Plenum des Bayerischen Landtages am 19. Dezember 1963 ab, Haushaltsmittel für den Wiederaufbau der Allerheiligen-Hofkirche bereitzustellen. Das Ende der Allerheiligen-Hofkirche!

Doch es gab einen Mann der Schlösserverwaltung, der das weniger gut fand: Toni Beil, der Nachfolger von Otto Meitinger im Residenzbauamt. Beil ließ den Beschluss des Landtages in aller Ruhe in der Schublade liegen und wartete und wartete. Das Warten wurde belohnt. Da kam ein Politiker, den wir heute mit Recht den Vater des bayerischen Denkmalschutzgesetzes nennen, Erich Schosser, der als frisch gewählter Landtagsabgeordneter einen Antrag mit Datum vom 28 April 1967 stellte mit dem Wortlaut: „Die Allerheiligen-Hofkirche in München wird in einen zunächst baulich gesicherten Zustand versetzt.“ In einer abendlichen, kuriosen Plenumssitzung des Bayerischen Landtages, wurde diesem Antrag mit knapper Mehrheit zugestimmt. Dadurch war die Kirche zunächst gerettet.

Daraufhin gab es aber lange Jahre des Stillstands, da die Verantwortung für die Allerheiligen-Hofkirche bei der Katholischen Kirche lag. 1970/1971 brachte Hans Döllgast ein leicht anmutendes Holzdach über den Kirchraum an, aber außer einigen seltsamen Ausstellungen fand in der Kirche nicht viel statt. Seitens des erzbischöflichen Ordinariats wurde auf die ausdrückliche Zusicherung des Staates Wert gelegt, dass das Kirchenschiff der Nutzung durch die katholische Kirche vorbehalten bleibt. Dies nutzte insbesondere Monsignore Gerhard Ott, der Künstlerseelsorger der Erzdiözese, zu manchen Aktivitäten – und zu öffentlichen Ausfällen gegenüber dem Staat. Es gab ein langes Hin und Her zwischen Staat und Kirche, es wurden immer neue Vertragsentwürfe gemacht, Gespräche geführt, öffentlich gestritten.

Das Ringen um einen Vertrag mit konkreten Festlegungen für die Nutzung wurde aber plötzlich ebenso irrelevant wie die Öffentlichkeitsarbeit von Monsignore Ott. Im Ordinariat wies ein junger Jurist, Dr. Lorenz Wolf, in einem Vermerk vom 4. Oktober 1999 an Kardinal Wetter unmissverständlich darauf hin, dass die Kirche auf der Basis der falschen Rechtinterpretation kämpfe. Seine Rechtsauffassung war die des Finanzministeriums: Die Allerheiligen-Hofkirche war durch die totale Zerstörung in ihrem Charakter als Kirche untergegangen, folglich war die vollständige Zuständigkeit für einen Wiederaufbau beim Freistaat Bayern. Der junge Jurist ist heute Leiter des Katholischen Büros und Vorsitzender des Rundfunkrates…

Zur Absegnung dieser nunmehr gleichen Rechtsauffassung fand am 9. März 2000 ein Treffen von Kardinal Wetter mit Ministerpräsident Stoiber in der Staatskanzlei statt. Wesentliches Ergebnis des Gespräches war ein Briefaustausch, in dem festgestellt wird, dass der Freistaat Bayern in Zukunft die alleinige Verantwortung für die ehemalige Kirche trägt und den Raum nur zu solchen Veranstaltungen nutzen wird, bei denen berücksichtigt ist, dass der Raum ehemals eine Kirche war.

Nach diesen Klarstellungen konnte ich im Jahr 2000 einen europaweiten Architektenwettbewerb ausschreiben, den im August 2000 das Architekturbüro Guggenbichler & Netzer gewann. Das Architektenehepaar schreibt rückblickend: „So mussten alle Eingriffe mit größtmöglicher gestalterischer Zurückhaltung, aber dennoch deutlich ablesbar in zeitgenössischer Formsprache erfolgen; die Wirkung des Klenze-Rohbaus sollte gesteigert werden und das neue Eingefügte klar erkennbar bleiben.“

Wer heute die Allerheiligen-Hofkirche betritt, ist beeindruckt von der klaren, souverän ruhigen Architektur Klenzes. Dieser heutige Zustand widerlegt in beeindruckender Weise die Auffassung der Architekturklasse der Akademie der Schönen Künste aus dem Jahr 1963. Ich meine: Eine schöne Widerlegung durch die Praxis des Wiederaufbaus.

Noch eine Randbemerkung hinzu: Dass im Zuge der Wiederaufbaumaßnahmen der Allerheiligen-Hofkirche auch der Kabinettsgarten, zwischen Apothekerstock und Kirche gelegen – durch die Planung von Peter Kluska gelungen ist, können wir insbesondere bei lauen Sommerabenden nach einer Veranstaltung genießen. Fritz Koenig’s Flora III ist die Seele dieses wunderbar ruhigen Raumes inmitten der hektischen Innenstadt.

 

Die zweite Auferstehung des Cuvilliés-Theaters

 

Otto Meitinger hatte mit einer außergewöhnlich engagierten Mannschaft das Cuvilliés-Theater in knapp zwei Jahren in den Apothekerstock gepflanzt. Und das zwischen einer Zeit, in der es noch vielfach an technisch einwandfreiem Material mangelte. So stellten wir Ende 2000 fest, dass die gesamte Stromversorgung des Hauses im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich war. Die sofortige Abschaltung des bestehenden Stromkreises war die Konsequenz. In diesem Zusammengang erstellte das Hochbauamt München I eine Liste mit den notwendigen Reparaturmaßnahmen. Die intensive Nutzung des Kleinods seit dem Jahr 1958 hatte alle Bereiche des Hauses sehr stark in Anspruch genommen. Kleinere Reparaturen reichten nicht mehr.

Das war nun in einer Zeit, in der es allen Gebietskörperschaften in Deutschland finanziell miserabel ging: Die Steuerschätzungen in den Jahren ab 2000, achtmal in Folge, waren immer schlechter geworden. Eine Kaskade des Steuerverfalls. Deshalb erteilte das Finanzministerium der Bayerischen Schlösserverwaltung  am 27. Mai 2003 den Auftrag, eine Klärung herbeizuführen, ob ich zitiere „ein baulich-restauratorisch sinnvolles Sanierungspaket gebildet werden kann, das die Dimension einer Generalsanierung unterschreitet. Mit dieser Vorgabe wurde das Hochbauamt München I tätig. Behördenleiter Kurt Bachmann legte am 11. Dezember 2003 ein Papier vor, in dem sechs Sanierungsvarianten festgehalten wurden mit Kosten zwischen 100 000 und 22 Millionen Euro.

In miserablen finanziellen Zeiten eine schwierige Entscheidungssituation. Meine Haushaltsabteilung war natürlich für eine der billigen Varianten. Sollte man, so die damalige Auffassung, die teuerste Variante mit 22 Millionen wählen, würde das, wir schrieben das Jahr 2000, eine Fertigstellung erst im Jahr 2015 bedeuten. 15 Jahre herumbasteln im Cuvlliés-Theater und 15 Jahre Schließung? Das war nicht zu akzeptieren. Ich wollte, wenn schon, die 22-Millionen-Variante, die auch die Staatsoper bevorzugte!

In dieser Situation lag die Überlegung nahe, die Bürger Bayerns an der unmittelbaren Finanzierung zu beteiligen. Deshalb gründete ich das Comitee Cuvilliés. Unter der Schirm-herrschaft von Herzog Franz von Bayern und dem Vorsitz von Roland Berger taten sich Dirk Ippen, Otto Meitinger, der erst kürzlich verstorbene Hubert Mennacher, Heribert Närger von der Siemens Kunststiftung, Dieter Rampl von der Hypo Vereinsbank, Dieter Soltmann und ich zusammen. Paragraph 2 dieser Satzung schrieb vor: „Zweck des Vereins ist die Förderung der Wiederherstellung und Erhaltung des Cuvilliés-Theaters und anderer Baudenkmäler im Freistaat Bayern.“

Schon bei der ersten Zusammenkunft legten Roland Berger und Dirk Ippen spontan je 100.000 Euro auf den Tisch; „um ein Zeichen zu setzen“, wie sie meinten. Unterstützt wurden in der folgenden Zeit die Bemühungen des Vereins durch ein großes Kuratorium und durch viele Unterstützer aus dem Kulturbereich. Der Verein setzte sich, entsprechend dem Beispiel der Pinakothek der Moderne, das Ziel, 10 Prozent der Bausumme, also 2,2 Millionen an Spenden einzuwerben. Durch eine Vielzahl von Spenden, aber vor allem auch durch das Engagement der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung mit dem großartigen Heribert Näger, die alleine 1,85 Millionen leistete, stellte dieser Bürgerverein nicht lediglich 2,2 Millionen, sondern letztlich 5 Millionen zur Verfügung. Dieser große Erfolg machte es möglich, eine Idee der Bauleute der Schlösserverwaltung und des Hochbauamtes zu realisieren, den achteckigen Vorraum des Cuvilliés-Theaters zu überglasen. Kostenpunkt 1,5 Millionen. Aus Dankbarkeit beschloss der Freistaat diesen wunderbaren Raum Comitee Hof zu nennen.

Dies ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Wiederaufbauarbeit auch massiv unterstützt werden kann von Institutionen der Bürgerschaft. Ein Beispiel hierfür ist in München der Erfolg der „Freunde des Nationaltheaters“, ein weiteres die am 2. März 1994 gegründete „Stiftung Pinakothek der Moderne“, die das 10-Prozent-Ziel für privates finanzielles Engagement beispielhaft vorexerziert hat. Und in diese Reihe gehört das Comitee Cuvilliés. So konnte das Cuvilliés-Theater am 14. Juni 2008 mit einem Staatsakt wiedereröffnet werden. Eine zweite Wiedergeburt des zweifellos schönsten Rokokotheaters der Welt.

Der Wiederaufbau der Allerheiligen-Hofkirche, Grunderneuerung des Cuvilliés-Theaters: dies waren nicht, wie wir ursprünglich meinten, die Schlusspunkte des Wiederaufbaus der Residenz. Der Abschluss der Renovierungen der klassizistischen Räume im Königsbau im letzten Jahr und die laufende Instandsetzung der Gelben Treppe in diesem Königsbau von Ludwig I. belegen, dass für einen großen Komplex wie die Residenz das Gleiche gilt, wie für große gotische Dome. Man braucht dort „Dombau-Hütten“. In der Residenz braucht man eine „Residenzbau-Hütte“ und das ist die Bauabteilung der Schlösserverwaltung.  Über diese Hütten-Arbeit wird nunmehr Hermann Neumann berichten.

Current events on the topic: History

Heinrich-Böll-Stiftung Berlin / Wikimedia Commons
Vom Großen und Ganzen
Der Podcast der Katholischen Akademie in Bayern und der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“
Friday, 25.04. - Wednesday, 31.12.2025
Supply chains, dependencies and responsibility
Tuesday, 29.04.2025
Zukunftsverantwortung für Gesellschaft, Politik und Land-Wirtschaft
Tuesday, 13.05.2025
Zeichnungen von Alf Lechner (1925-2017) anlässlich seines 100. Geburtstags
Monday, 19.05.2025
Eine Denkwerkstatt
Monday, 26.05.2025
BR Astrid Ackermann
How can music change a life?
Bernhard Neuhoff in conversation with Sir Simon Rattle
Tuesday, 27.05.2025
EBEN European Business Ethics Network Annual Conference 2025
Thursday, 29.05. - Saturday, 31.05.2025
happymore/shutterstock
Wenn das Wachstum endet
Neue Perspektiven für Religion, Wirtschaft und Gesellschaftlichkeit
Tuesday, 01.07.2025