Der wechselvolle Weg vom Lusthaus zur Staatskanzlei

Munich cultural buildings in the post-war period

As part of the event "Munich Cultural Buildings: Destruction and Revival", 09.05.2019

Ein Stadtgebilde ist etwas Dynamisches, nichts Statisches. Und doch gibt es im Stadtkern Münchens nur wenige Standorte, die so vielen, vor allem vielartigen Nutzungsänderungen und damit baulichen Veränderungen unterworfen waren wie der Untere Hofgarten.

 

Herzogliches Sommerhaus/Lustschlösschen

 

So zeigen Vogelschau-Stadtpläne des frühen 17. Jahrhunderts östlich der Hangkante, die noch heute den Hofgarten von seinem tiefer gelegenen Teil trennt, einen trapezförmigen Garten. In dessen Nordostecke erhob sich damals ein zweigeschossiges Sommerhaus mit westlich anschließendem Arkadengang und einem Brunnenhaus. Es handelte sich bei dieser Anlage um den von Bayernherzog Albrecht V. in den 1560er Jahren für seine Gemahlin Anna von Österreich geschaffenen „neuen Lustgarten“, den später so benannten Unteren Hofgarten. Der Wandelgang mit den toskanischen Rotmarmorsäulen wurde dann wohl unter Herzog Wilhelm V. im späten 16. Jahrhundert um eine zweite Arkadenreihe aufgestockt. Dieser Gangkomplex hat im Kern alle späteren Umgestaltungen überdauert.

Herzog Maximilian I. ließ die obere Arkadenreihe dann als Nord- und Westeinfassung des bis 1617 angelegten Oberen Hofgartens fortführen. Gleichzeitig erhielt der ältere Untere Hofgarten als neuen Ostabschluss ein Lustschlösschen. Es wurde von zwei Rechteckbauten pavillonartig flankiert, in deren nördliches das Sommerhaus Albrechts V. einbezogen war. Die Ausdehnung, Zentrierung und Symmetrie dieses neuen Baukomplexes sollten Maßstab auch für alle folgenden Bauten an dieser Stelle bis hin zur Staatskanzlei werden. Davor erstreckte sich ein großes querrechteckiges Wasserbecken, in dessen Mitte ein über zwei Dämme oder Brücken zugängliches Inselchen lag. Das sieht man gut auf den Stichen von Michael Wening, die dieser um 1700 anfertigte. Weiter im Osten, an den Stadtbächen, schloss sich ein gewerblicher Bereich mit zwei Mühlen an. Ebenfalls unter Maximilian I. kam das beschriebene, bislang vorstädtische Areal innerhalb der neuen Wallbefestigung Münchens zu liegen.

 

Manufakturen und Kasernen

 

Die Epoche der Aufklärung und des Nützlichkeitsdenkens brachte radikale Veränderungen für den Hofgarten, insbesondere für dessen Ostbereich, mit sich. Zunächst wurde das mittlere und damit stattlichste der drei maximilianischen Gartenhäuser bis 1769 von Karl Albert von Lespilliez zu einer kurfürstlichen Seidenspinnerei umgebaut. An der südlichen Schmalseite des Parterres entstand 1796 zudem das dreiflügelige sogenannte Seidenhaus, eine private Seidenbandweberei. Dieses Seidenhaus wurde 1803 vom Staat zur Nutzung als Artilleriekaserne angemietet und ging 1808 in Militärbesitz über.

Einen neuen, monumentalen Ostabschluss bekam der Hofgarten 1804/07 durch die sogenannte Hofgartenkaserne. Der 189 Meter lange viergeschossige Zweckbau diente dem Infanterie-Leibregiment, den „Leibern“, als Unterkunft. Nach der hierzu 1801 angeordneten Trockenlegung des Hofgartenteiches konnte das Vorfeld dieser Kaserne zu einem Exerzierplatz eingeebnet werden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Hofgartenkaserne – angeblich aufgrund des feuchten Untergrunds – zunehmend zu einer gesundheitlichen Bedrohung Münchens. Als dann in ihr im Sommer 1893 – nicht zum ersten Mal – eine Typhusepidemie ausbrach, an der rund 400 Soldaten erkrankten und 34 sogar starben, wurde umgehend ihre Schließung und die der benachbarten Seidenhauskaserne verfügt.

Zur Verbesserung der in vielerlei Hinsicht unbefriedigenden, ja, unwürdigen Situation an der Hofgartenostseite waren im Verlauf des 19. Jahrhunderts mehrfach Vorschläge gemacht worden. So wollte schon Leo von Klenze das Kasernenareal durch Fortführung der Arkaden an der Ost- und Südseite wieder in den Hofgarten integrieren. Dabei hätte der übermächtige Kasernenkomplex einem wesentlich reduzierten Neubau aus Klenzes Hand weichen sollen. Auch bezog sich eine der drei Standortvarianten des Richard-Wagner-Festspielhauses, das von Gottfried Semper 1866/67 im Auftrag König Ludwigs II. geplant wurde, auf dieses Areal. Nach weiteren konträren Überlegungen zu seiner zukünftigen Nutzung in den 1890er Jahren, so die mögliche Errichtung eines Wagner-Theaters oder eines anderen Kulturbaus entschied sich das Kriegsministerium 1898, das städtebaulich zentral gelegene Gelände doch nicht an „Investoren“, wie man heute sagen würde, zu veräußern, sondern es selbst neu zu bebauen, und zwar mit einem Museum zur Darstellung der Militärgeschichte Bayerns.

 

Bayerisches Armeemuseum

 

Hierzu wurden dort 1899 die beiden inzwischen unbewohnten Kasernen abgebrochen. Bestehen blieben nur die Renaissancearkaden an der Nordseite des Terrains, da sie von Klenze nach 1846 mit dem alten, von ihm umgestalteten Hofgarten-Brunnhaus verbunden und von Eduard Riedel 1865/66 mit dem Gebäude des Kunstvereins überbaut worden waren. Planung und Bauleitung des Armeemuseums hatte Ludwig Mellinger inne, Geheimer Oberbaurat im Kriegsministerium. Die Projektierung hatte bereits 1899 eingesetzt und wurde auch noch während der Bauarbeiten weitergeführt, die am 8. Juni 1900 mit dem ersten Spatenstich begonnenen hatten. So wurde beispielsweise die endgültige Gestaltung der Kuppel erst festgelegt, nachdem Mellinger1903 hierfür eigens eine Studienreise nach Norditalien unternommen hatte.

Schon im Herbst 1902 konnten die Dienstwohnungen im Nordflügel an der Galeriestraße und 1904 das Hauptgebäude bezogen werden; der überdimensionierte Kuppelbau wurde 1905 vollendet. Die feierliche Eröffnung des ca. 177 Meter langen, durchaus martialisch wirkenden Monumentalbaus des Bayerischen Armeemuseums erfolgte am 12. März 1905 durch Kronprinz Ludwig, den späteren König Ludwig III. Gleichzeitig wurde Architekt Ludwig Mellinger in den Adelsstand erhoben. Wie andere damals neue Staatsgebäude Münchens wie der Justizpalast, das Verkehrsministerium oder das Bayerische Nationalmuseum), die das Stadtbild mit ihren imposanten Aufbauten beherrschten, war auch das Armeemuseum als ein unübersehbares Monument der Selbstdarstellung Bayerns zur Prinzregentenzeit zu verstehen. Zugleich erschien es dem neuen großstädtischen Charakter der enorm gewachsenen Metropole als angemessen.

Im jetzt wieder gärtnerisch gestalteten westlichen Vorfeld des Armeemuseums entstanden nachträglich zwei passende Denkmäler: Auf einer halbrunden Terrasse vor dem Mittelbau wurde am 12. März 1911, dem 90. Geburtstag des Prinzregenten, das Reiterdenkmal des Herrschaftsbegründers der Dynastie in Bayern, Herzog Ottos I. von Wittelsbach, enthüllt. Nach dem Ersten Weltkrieg kam das Denkmal für die ca. 13.000 Gefallenen der Landeshauptstadt München hinzu.

Bis 1939 wurde der Gebäudekomplex samt Armeemuseum, Armeebibliothek und Kriegsarchiv sukzessive der Wehrmacht unterstellt. Angeblich auf persönlichen Wunsch Adolf Hitlers hin sollte das Museum erweitert werden. Hierzu entwarf German Bestelmeyer 1940 einen Parallelbau, wobei die bisherige Kuppel einer neuen über dem mittigen Zwischenbau hätte weichen müssen. Auch eine Orientierung des Museums mittels einer nördlich quer angefügten „Halle der Helden“ hin zu einem neuen großen Platz zwischen dem „Haus der Deutschen Kunst“ und dem als Pendant hierzu geplanten „Haus der Deutschen Architektur“ war angedacht. Realisiert wurde davon aber nichts.

 

Zerstörung des Museums im Zweiten Weltkrieg

 

Beim ersten Tages-Luftangriff der Amerikaner auf München am 18. März 1944 wurde auch das Armeemuseum getroffen. Weitere Schäden durch Brand- und Sprengbomben sollten folgen. Dabei wurden die Obergeschosse der Flügeltrakte fast völlig zerstört, wogegen von Kuppelbau und den beiden Eckpavillons die Umfassungsmauern stehen blieben. Die Museumsbestände wurden, soweit noch vorhanden, 1945 vom Bayerischen Nationalmuseum übernommen und fanden 1969 im heutigen Bayerischen Armeemuseum im Neuen Schloss zu Ingolstadt ihre endgültige Bleibe.

 

Schaffung des Altstadtrings

 

Bereits im August 1945 stimmte der Münchner Stadtrat einem an der Tradition orientierten Wiederaufbau der Stadt gemäß den Vorschlägen des damaligen Stadtbaurats Karl Meitinger zu, die dieser noch im Dezember desselben Jahres unter dem Titel „Das neue München“ veröffentlichte. Dieses visionäre Exposé sah unter anderem drei Ringstraßen von bis zu 70 m Breite zur Verkehrsentlastung der Innenstadt vor und stellte somit die Weichen für die Schaffung des Altstadtrings mit Blockrandbebauung. Was diesen Ring in Höhe des Armeemuseums betrifft, so wäre er nach Meitinger etwas weiter östlich verlaufen, hätte also direkt auf das Haus der Kunst zugeführt und somit vor dem Prinz-Carl-Palais einen breiten Streifen freigelassen. 1962 präsentierte dann nach dreijähriger Planung ein Beratergremium ein Konzept für eine aufgelockerte und autogerechte Stadt, das zwar in etwa auf Meitingers Trassenführung fußte, sich aber nicht mehr um vorhandene historische Strukturen kümmerte.

Auch wenn dieser Plan so nie umgesetzt wurde, färbte er doch auf den Stadtentwicklungsplan („Jensen-Plan“) von 1963 ab, der eine – nach Erwin Schleich – „zweite Zerstörung Münchens“ zur Folge hatte. So wurden darin beispielsweise der autobahnartige Altstadtring in einer Schneise von aufgerissenen Gebäudeblöcken sowie der Verkehrsknoten vor dem Prinz-Carl-Palais übernommen, wobei Belange der Fußgänger kaum Beachtung fanden. Auch bewirkten die Vorschläge zur Stadtplanung 1965 den Abbruch der Seitenflügel und Eckpavillons des inzwischen weiter verfallenen Armeemuseums wegen angeblicher Gefährdung des Straßenverkehrs. So wurde die isolierte Kuppelruine zu einem unproportionierten Blickfang des Rings.

Gegen die geplante Untertunnelung des Prinz-Carl-Palais regte sich 1966 Widerstand in der Bevölkerung, wobei die Bürgerinitiative „münchner bauforum“ eine zentrale Rolle spielte. Die Realisierung dieses Projektes konnte dadurch zwar nicht gänzlich verhindert werden, doch führte der Bürgerprotest 1968 zur Gründung eines „Diskussionsforums für Stadtentwicklungsfragen“, seit 1972 „Münchner Forum e.V.“. Dieser Verein sollte später auch vehement die Reduzierung des Baukörpers der geplanten Staatskanzlei fordern, das allerdings mit vollem Erfolg.

 

Was geschieht mit der Museumsruine?

 

Jetzt nochmals zurück zur unmittelbaren Nachkriegszeit: 1948 legte die Oberste Bayerische Baubehörde einen Plan zum Wiederaufbau der Ruine des Armeemuseums vor, der zwar die Wiedererrichtung der zerstörten Seitenflügel, aber seltsamerweise den Abriss der noch verhältnismäßig intakten Kuppel vorschlug. Der Gedanke eines Wiederaufbaus des Museums sollte sogar noch 1968 Hans Döllgast und 1981 Erwin Schleich beschäftigen, allerdings diesmal jeweils unter Beibehaltung der Kuppel. 1978 formierte sich außerdem eine Bürgerinitiative „Rettet das Armeemuseum!“.

Doch hatte inzwischen der Bayerische Rundfunk sein Interesse an dem Gelände bekundet, um darauf ein neues Funkhaus erstellen zu können. Er hätte nämlich schon 1926 eine angemessene Unterkunft in dem von Richard Riemerschmid geplanten „Volkshaus“ an der Hofgartennordseite erhalten sollen und trachtete nun danach, den ehemaligen Thronsaal der Residenz zu seinem Konzertsaal („Herkulessaal“) auszubauen. Zu dem Funkhaus-Projekt lieferte Adolf Abel 1949/50 mehrere sehr funktionale Pläne, die alle von einer Sprengung des Kuppelbaus ausgingen. Der im Juni 1950 vorgelegte Vertragsentwurf zum Kauf des Areals wurde aber vom Bayerischen Rundfunk nie ratifiziert. 1955 entschied sich der Sender schließlich für den Standort am Hauptbahnhof.

Eine „Ideenskizze“ von 1959 im Staatsarchiv München bezeugt, dass dann bereits das Bayerische Innenministerium mit der Errichtung eines Verwaltungsgebäudes für die Oberste Baubehörde am Hofgarten liebäugelte.

Im Jahre 1961 diskutierte der Bayerische Landtag die Schaffung eines „Hauses der Bayerischen Geschichte“, wofür sich im Januar 1962 ein Kuratorium konstituierte. Am 6. Februar 1962 beschloss der Ministerrat – wie schon zuvor am 5. Dezember 1961 der kulturpolitische Ausschuss des Bayerischen Landtags – den Bau einer neuen Staatskanzlei an der Stelle des Armeemuseums, und zwar ohne die Museumsruine zu erhalten. Im Ministerratsbeschluss vom 20. November 1962 war dann auch die Rede davon, dass hier außerdem „ein Haus der Bayerischen Geschichte … Platz finden“ solle.

So schrieb die Landeshauptstadt München unter Beteiligung des Freistaates Bayern zunächst einen städtebaulichen Ideenwettbewerb für den Altstadtring Nord-Ost aus. Im Juli 1966 entschied ein Preisgericht über 90 eingereichte Arbeiten bayerischer Architekten, wobei der geplante Standort der Staatskanzlei am Hofgarten unumstritten war und von zwei Dritteln der Teilnehmer der Abriss der Museumskuppel befürwortet wurde. Ein erster Preis wurde nicht vergeben, sondern nur zwei zweite Preise, da zwar viele Anregungen, aber angeblich keine endgültigen städtebaulichen Lösungen darunter waren. Doch sprach sich die Jury generell für den Erhalt des Unteren Hofgartens samt Kriegerdenkmal aus. Ein beabsichtigter zweiter Wettbewerb, der den Bau der Staatskanzlei zum Inhalt haben sollte, unterblieb.

Am 19. November 1968 bestimmte dann der Ministerrat das Prinz-Carl-Palais zum Sitz des Bayerischen Ministerpräsidenten und den westlich anschließenden Finanzgarten zum neuen Standort der Staatskanzlei. Im nächsten Jahr lobte der Freistaat hierfür einen Architektenwettbewerb aus. Kurioserweise gab es auch diesmal keinen ersten Preis, doch sollte dann Uwe Kiessler mit diesem Projekt beauftragt werden, dessen Entwurf eines Stelzenbaus gesondert angekauft worden war. Im Beschluss vom 11. Februar 1969 ließ der Ministerrat das Gelände des ehemaligen Armeemuseums für den Neubau der Staatsgalerie moderner Kunst, der Neuen Sammlung und der Staatlichen Graphischen Sammlung reservieren, auf dem – wie es hieß – „auch ‚allenfalls‘ das Haus der Bayerischen Geschichte untergebracht werden“ könne.

Rechtzeitig zur Olympiade 1972 war der Altstadtring samt der Untertunnelung des Prinz-Carl-Palais und der Fußgängerunterführung zwischen Hofgarten und Englischem Garten vollendet. Und für 1973 war schon mal der Baubeginn der Staatskanzlei im Finanzgarten in Aussicht gestellt. Doch verzögerte sich das Projekt immer wieder „durch Kompetenzwirrwarr, Programmreduzierungen, Programmerweiterungen und mangelnde Koordination der beteiligten Behörden“, wie der Bund der Steuerzahler kritisierte. Auch waren beim zweiten städtebaulichen Wettbewerb „Altstadtring Nord-Ost“, der im Juni 1972 entschieden worden war, auf dem Armeemuseumsareal bereits Neubauten für die genannten Museen und auch noch für das Innenministerium festgeschrieben – jetzt allerdings unter der nicht ganz einfachen Prämisse, den monumentalen historischen Kuppelbau als unverzichtbaren Bestandteil der Stadtsilhouette zu integrieren. Allerdings war auch diesem Wettbewerb kein durchschlagender Erfolg beschieden, außer dem, die Bekräftigung des Stadtrats am 21. November 1973 bewirkt zu haben, dass die Kuppel des Armeemuseums unbedingt zu erhalten und in die Planungen einzubeziehen sei. Damals wurde auch der Kuppelbau als Bestandteil des Hofgartenensembles in die Denkmalliste aufgenommen.

Schließlich aber wurde Anfang Juli 1978 die endgültige Aufgabe des Finanzgarten-Projekts durch einen Vertreter der Staatsregierung im Landtagsausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen bekanntgegeben. Für diese Entscheidung waren – angesichts des darunter verlaufenden Altstadtring-Tunnels – vor allem das erhöhte Sicherheitsrisiko nach dem Terroranschlag bei den Olympischen Sommerspielen und die hohen Kosten ausschlaggebend gewesen. Eine daraufhin angedachte Erweiterung der Staatskanzlei am bisherigen Standort Ecke Prinzregenten-/Oettingenstraße scheiterte am Widerstand der Anwohner, des zuständigen Bezirksausschusses und schließlich des Münchner Stadtrats. Deswegen rückte wieder das Hofgartengelände in den Fokus der Überlegungen.

 

Die Planung der Staatskanzlei – ein Politkrimi mit Happy End

 

Konkret wurden dann die Planungen zur Errichtung der neuen Staatskanzlei am heutigen Standort, als Franz Josef Strauß, seit November 1978 Bayerischer Ministerpräsident, im Februar 1979 ein „Machtwort“ sprach: „Rundfunk, Museen: wunderbar! Aber wo bleibt der Staat? Sollen wir uns mit der Staatskanzlei draußen in Großhadern verstecken? Wir gehen auf den Platz des Armeemuseums!“ Am 7. August 1979 wurde zudem in einer internen Besprechung der Staatskanzlei festgelegt, dass auch das zukünftige „Haus der Bayerischen Geschichte“ hier seinen Platz finden, der Museumsneubau (Pinakothek der Moderne usw.) aber – auf Wunsch des Kultusministeriums – auf dem Gelände „Marstallplatz-Nord“, wo sich heute die Zentrale der Max-Planck-Gesellschaft befindet, entstehen soll. Ein entsprechender Beschluss des Ministerrats erfolgte am 1. April 1980.

Der Freistaat Bayern und die Stadt München einigten sich nun darauf, zunächst durch Gutachter Eckdaten für die Bebauung des Areals des ehemaligen Armeemuseums, des Finanzgartens und des Marstallplatzes-Nord festlegen zu lassen. Eingeladen wurden hierzu laut Stadtratsbeschluss vom 12. November 1980 Fred Angerer, Andreas Hempel, das Büro Kammerer + Belz, Otto Meitinger, Gustav Peichl und Erwin Schleich. Diese und auch die Mehrheit der Obergutachter kamen 1981 – wie schon im Sommer 1980 Ernst Maria Lang, damals Präsident der Bayerischen Architektenkammer – zu folgendem Ergebnis: Das gewünschte Raumprogramm von Staatskanzlei und Haus der Bayerischen Geschichte kann auf dem Gelände des ehemaligen Armeemuseums realisiert werden, und zwar am besten in einer u-förmig zum Unteren Hofgarten hin ausgreifenden Anlage und in einer „kritischen Auseinandersetzung mit der für die staatliche Selbstdarstellung heute angemessenen Formensprache“; dabei sollte die Traufhöhe der einstigen Flügelbauten des Armeemuseums nicht überschritten und die Böschungssituation zwischen Oberem und Unterem Hofgarten beibehalten werden. Im Juli 1981 beschloss der Münchner Stadtrat einstimmig, die Obergutachterempfehlungen in die Entwürfe zu Flächennutzungs- und Bebauungsplan einfließen zu lassen.

Eine Präsentation der Grundzüge dieser Planungen im Rahmen einer vorgezogenen Bürgerbeteiligung im Juli/August 1981 stieß auf äußerst geringes Interesse (wofür später von den Gegnern die Ferienzeit verantwortlich gemacht werden sollte). Bis Herbst 1981 war dann von Seiten der Stadt die planungsrechtliche Basis für die Auslobung eines Architektenwettbewerbs geschaffen. Hierzu stellte Stadtbaurat Uli Zech ausdrücklich klar, dass „eine Realisierung des Bauvorhabens ausschließlich im Rahmen der Obergutachterempfehlung möglich sei“ und dass diese „von der Landeshauptstadt im Hinblick auf die städtebauliche Bedeutung des Ensembles eng ausgelegt“ werde.

Dementsprechend gleichförmig in der Anlage fiel auch das Ergebnis des Wettbewerbs aus. Das Preisgericht, in dem auch zwei Vertreter der Landeshauptstadt saßen, erklärte im Oktober 1982 einstimmig unter den 65 Einsendungen das Projekt des Architektenteams Diethard Johannes Siegert und Reto Gansser zum Sieger und empfahl zugleich, den Preisträger mit der weiteren Planung zu beauftragen. Parallel zu diesem Wettbewerb war schon mal der isolierte Kuppeltrakt des ehemaligen Armeemuseums baulich gesichert worden. Nach der einstimmigen Verabschiedung durch den Stadtrat wurde der noch leicht modifizierte Bebauungsplan dann am 2. April 1984 von der Regierung von Oberbayern gebilligt und damit rechtsverbindlich. Der Baubeginn sollte 1986, die Fertigstellung 1990 sein.

Im Oktober 1984 wurden dann erste Fotos des Baumodells veröffentlicht. Nach unerwarteten wie medienwirksamen Protesten vor allem von Stadtplanern, Architekten und Kunsthistorikern sowie einer Unterschriftensammlung gegen diese Ausführung lehnte dann im April 1985 die Münchner Stadtgestaltungskommission den Bauantrag wegen zu großer Baumasse ab und empfahl eine Überarbeitung. Doch stimmte am 1. August 1985 die Regierung von Oberbayern dem Bauvorhaben zu, da es sich gänzlich an den von der Stadt genehmigten Bebauungsplan halte. Dagegen legte die Landeshauptstadt München im September Widerspruch ein und erhob im Dezember Klage. Dabei mussten auch die um 1900 verschütteten, 1985 aber wiederentdeckten albertinischen Hofgartenarkaden als Gegenargument herhalten, obwohl das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege deren vollständigen Erhalt nicht als zwingend notwendig ansah. Die Klage der Stadt wurde dann 1986 in zwei Instanzen abgelehnt.

Parallel hierzu ging die Debatte weiter: So beschloss am 23. Juli 1986 der Stadtrat einen nochmaligen Ideenwettbewerb für diesen Abschnitt des Altstadtrings in Form eines einwöchigen „Entwurfsseminars“. Ein Ergebnis davon waren die einmütige Empfehlung, „eine Bebauung des unteren Hofgartens in den Dimensionen des vorliegenden Realisierungsprojektes“ zu vermeiden, sowie das Votum für eine Aufhebung des Autobahncharakters des Rings an dieser Stelle. Auch gab es Vorschläge zu anderen möglichen Standorten der neuen Staatskanzlei. Im Frühjahr 1988 signalisierte die Stadt dem Freistaat, dem Standort am Hofgarten zuzustimmen, wenn die Seitenarme der Flügelbauten entfielen und die Renaissancearkaden erhalten blieben. Doch „die politischen Hintergründe verhinderten eine sachbezogene Diskussion und vergifteten das Klima“, wie Architekt Siegert später schreiben wird. Schließlich empfahl das Bundesverwaltungsgericht in Berlin, einen Kompromiss anzustreben, „weil von einer Ungültigkeit des Bebauungsplanes nicht ausgegangen werden könne“.

Daraufhin ergriff der – seit Oktober 1988 – neue Ministerpräsident Max Streibl die Initiative und lud Münchens Oberbürgermeister Georg Kronawitter zu einem Gespräch am 30. Januar 1989 ein. Beide wurden sich schnell einig. So konnte Diethard Johannes Siegert ab Februar ein neues Konzept ausarbeiten. Dabei war ihm ein Beratergremium zur Seite gestellt, bestehend aus den Architekten Alexander Freiherr von Branca, Ernst Maria Lang, Peter Lanz und Otto Meitinger sowie dem Stadtbaurat Uli Zech. In dem neuen Entwurf, der bereits am 10. Mai 1989 „als sehr gute Lösung“ der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte, war nun auf die beiden abgewinkelten Seitenflügel und damit auf die Einbeziehung des 1983 gegründeten Hauses der Bayerischen Geschichte verzichtet sowie der völlige Erhalt der zwischenzeitlich wissenschaftlich untersuchten Renaissancearkaden am Nordrand des Geländes gewährleistet. Gelobt wurde daran auch der „sehr noble und überzeugende Gedanke einer Orangerie, die dem Gartencharakter des Hofgartens und der baulichen Umgebung Rechnung trägt“. Am 30. Juni 1989 wurde der gefundene Kompromiss rechtskräftig.

Zudem verständigten sich Stadt und Staat noch auf den Rückbau des autobahnähnlichen Altstadtrings in diesem Bereich zum begrünten Boulevard sowie auf die bereits von Friedrich Ludwig von Sckell angedachte landschaftsarchitektonische Zusammenschließung von Hof-, Finanz- und Englischem Garten, verbunden mit der Wiederöffnung des Stadtgrabenbachs. Mit der Planung dieses Projekts wurde – ebenfalls noch 1989 – der Münchner Landschaftsarchitekt Gottfried Hansjakob beauftragt.

 

Der Bau der Staatskanzlei

 

Im September 1989 konnte dann mit der Erstellung der Tiefgarage begonnen und im darauffolgenden Frühjahr mit dem Hochbau der sechsgeschossigen Flügel fortgefahren werden. Im Mai 1993, also nach rund dreieinhalb Jahren Bauzeit und dreißigjährigem Ringen, war die neue Staatskanzlei schließlich bezugsfertig. Parallel hierzu erfolgten 1991/92 die Konservierung und Rekonstruktion des Kuppelsaales. Die Gesamtkosten für das Projekt beliefen sich auf gut 222 Millionen DM, wovon allein über 45 Millionen DM auf die denkmalpflegerischen Maßnahmen für den Kuppelbau entfielen.

So schließt den Münchner Hofgarten im Osten heute die Bayerische Staatskanzlei ab. Im Zentrum erhebt sich geradezu trutzig ein mächtiger historistischer Kuppelbau, Rest des vormaligen Armeemuseums. An ihn schließt sich seitlich je ein moderner Flügelbau an, der an der Gartenseite, der eigentlichen Schauseite, eine transparente „Treibhausfassade“ (Orangerie) besitzt, zum Franz-Josef-Strauß-Ring hin aber eine geschäftsmäßig-nüchterne Rasterfassade mit einem eher abweisenden Eingangsbereich. Dieser ist mehr oder weniger eine Notlösung, da wegen denkmalpflegerischer Einwände („Substanzbegriff“) ein vom Architekten vorgeschlagener Eingriff in den historischen Kuppelbau nicht zu realisieren war. Zum Prinz-Carl-Palais hin ist eine triumphbogenartig aufgebaute Fassade ausgebildet, aus der sich im Obergeschoss der Ministerratssaal gleich einer Kommandobrücke vorwölbt. Seitlich davon münden die denkmalgeschützten Renaissancearkaden des Hofgartens unter einer glasüberdachten Stützkonstruktion ein und sind als öffentlich begehbarer Nebenflügel in die Staatskanzlei integriert – womit wir wieder beim anfänglichen Lusthaus angekommen wären.

Der Gebäudekomplex hat inzwischen – wie vom Architekten erhofft – „einen selbstverständlichen Platz in dem Ensemble des Hofgartens“ eingenommen.

Current events on the topic: History

Heinrich-Böll-Stiftung Berlin / Wikimedia Commons
Vom Großen und Ganzen
Der Podcast der Katholischen Akademie in Bayern und der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“
Friday, 25.04. - Wednesday, 31.12.2025
Supply chains, dependencies and responsibility
Tuesday, 29.04.2025
Zukunftsverantwortung für Gesellschaft, Politik und Land-Wirtschaft
Tuesday, 13.05.2025
Zeichnungen von Alf Lechner (1925-2017) anlässlich seines 100. Geburtstags
Monday, 19.05.2025
Eine Denkwerkstatt
Monday, 26.05.2025
BR Astrid Ackermann
How can music change a life?
Bernhard Neuhoff in conversation with Sir Simon Rattle
Tuesday, 27.05.2025
EBEN European Business Ethics Network Annual Conference 2025
Thursday, 29.05. - Saturday, 31.05.2025
happymore/shutterstock
Wenn das Wachstum endet
Neue Perspektiven für Religion, Wirtschaft und Gesellschaftlichkeit
Tuesday, 01.07.2025