Zwischen Ravenna und Konstantinopel

Das Papsttum im ostgotischen Italien

As part of the event "The Goths in the History of Europe", 28.02.2020

Fragt man nach der Legitimation und Verankerung ostgotischer Herrschaft über Italien, kommt man am Verhältnis Theoderichs und seiner Nachfolger zu den Bischöfen der Stadt Rom kaum vorbei. Um sich in Italien auf Dauer behaupten zu können, waren die ostgotischen Könige sowohl auf die Kooperation der senatorischen Eliten als auch auf gute Beziehungen zum Kaiser in Konstantinopel angewiesen, in dessen Auftrag Theoderich 489 über die Alpen gezogen war und den rex Italiae Odoaker beseitigt hatte. Für beides spielten die römische Kirche und ihre Leiter eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die senatorischen Familien waren seit dem ausgehenden 5. Jahrhundert. personell wie auch hinsichtlich ihrer Interessen eng mit den kirchlichen Strukturen des ehemaligen caput imperii verflochten.

Und als wichtigster Bischofssitz innerhalb der Reichskirche hatten die Bischöfe Roms – bei aller kirchenpolitischen Distanz, die sie mitunter zum Kaiserhof in Konstantinopel bezogen – eine zentrale Bedeutung für die Integration der Reichskirche, die sich die römischen Kaiser seit der konstantinischen Wende auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Aus Sicht der ostgotischen Könige waren die Beziehungen zur römischen Kirche demnach eine neuralgische Schnittstelle, um eine erfolgreiche Implementierung ihres Herrschaftsanspruchs voranzutreiben.

Wenn der Titel des Beitrags dennoch „Das Papsttum im ostgotischen Italien“ (und nicht etwa „Die ostgotischen Herrscher und das Papsttum“) lautet, hat das freilich gute Gründe. Um die Handlungsoptionen, die für die gotischen Herrscher bestanden, auszuloten, erscheint es erforderlich, das Thema zunächst einmal aus der Perspektive der römischen Bischöfe anzugehen. Welche Entfaltungsmöglichkeiten boten sich ihnen nach dem Zusammenbruch der Kaiserherrschaft im Westen des römischen Reichs und wie ist diese postimperiale – speziell die ostgotische – Phase in den umfassenderen Entwicklungszusammenhang einer Geschichte des Papsttums einzuordnen? Erst im Anschluss daran erscheint es sinnvoll, die komplementäre, aber eben doch ganz anders gelagerte Frage zu stellen, wie die ostgotischen Könige selbst ihr Verhältnis zu den römischen Bischöfen gesehen und ihre Rolle ihnen gegenüber gestaltet haben. Letzteres hing entscheidend ab von den Vorteilen und Chancen, die ein alternativer politischer Ordnungsrahmen dem Papsttum als Institution bzw. den einzelnen Vertretern auf der cathedra Petri zu bieten imstande war.

 

Universalkirche und römische Gemeinde – zwei Ebenen der spätantiken Papstgeschichte

 

Die Entwicklungslinien des spätantiken und frühmittelalterlichen Papsttums führen forschungsgeschichtlich auf ein weites Feld mit einem breiten Spektrum an Einschätzungen bezüglich eines kirchlichen Leitungsanspruchs durch den Bischof von Rom, seiner ideellen und institutionellen Grundlagen und der Dimensionen und Reichweite seiner Durchsetzung. Ohne hier zu sehr vergröbern zu wollen, lassen sich dennoch zwei dominierende Sichtweisen benennen, die zwar auf den ersten Blick zu sehr unterschiedlichen Bewertungen hinsichtlich eines römisch-päpstlichen Primats kommen, bei näherem Hinsehen jedoch nicht selten als zwei Seiten derselben Medaille erscheinen.

Vertreter eines universal-ekklesiologischen Ansatzes gehen von einer grundlegenden Neufassung des kirchlichen Ordnungsrahmens aus, innerhalb dessen der Bischof von Rom einen Führungsanspruch geltend gemacht habe. Hierfür erscheint es erforderlich etwas weiter auszuholen und den Blick zurück auf das frühe 4. Jahrhundert zu lenken. Die Hinwendung Kaiser Konstantins (306-337) zum Christentum hatte nicht nur einschneidende Folgen für die christlichen Kultgemeinschaften, sondern auch für deren institutionelle Organisation. Im römischen Reich bildete sich nun erstmals ein formaler Rahmen, der die ecclesia jenseits einzelner Bischofsgemeinden und regionaler Synoden in ihrer universalkirchlichen Dimension abbildete.

In Nicaea fand im Jahr 325 erstmals ein ökumenisches Konzil statt, das sich an alle Bischöfe des Reichs richtete und nicht nur in dogmatischen Fragen Regelungen von reichsweiter Geltung festlegte, sondern auch einige Kanones erließ, die darauf abzielten, die Kirchenstruktur in allen Provinzen des römischen Imperiums zu vereinheitlichen. Dieses Konzil war von Konstantin selbst einberufen worden und auch in Zukunft blieb der römische Kaiser diejenige Instanz, die für die Abhaltung dieser ökumenischen Synoden zuständig war und sich als Garant einer reichsweiten Orthodoxie verstand. Mit Blick auf die bedeutende Rolle, die die römischen Kaiser seit Konstantin für die Universalkirche spielten, spricht man daher auch von einer reichskirchlichen Kirchenorganisation, die mit der konstantinischen Wende ins Leben gerufen worden sei.

Dieses reichskirchliche Prinzip wurde nun nach Auffassung weiter Teile der Papstforschung durch die römischen Bischöfe bereits seit dem späten 4. Jahrhundert in Frage gestellt. Sie setzen sie dem kaiserlich-reichskirchlichen ein petrinisches Leitungs- und Ordnungsprinzip der Kirche entgegen, in dem sich der hierarchische Aufbau der Kirche nicht am Kaiser orientierte, sondern an Petrus als Fundament der Kirche bzw. am römischen Bischof als Erben des Petrus. Dies war nicht nur mit einer erheblichen ideologischen Neubestimmung verbunden – die Päpste leiteten ihre Autorität nicht mehr aus der römischen Gemeinde, der sie vorstanden, ab, sondern aus Petrus, als dessen Rechtsnachfolger sie sich verstanden. Es ging auch mit der Entwicklung neuer kirchenrechtlicher Instrumente einher: Papstbriefe – Dekretalen – hatten nun einen vergleichbaren Rang wie Synodalbeschlüsse. Und es hatte Auswirkungen auf das Hierarchiegefüge der Kirche, in der sich die Rangfolge der wichtigsten Bischofssitze an ihrer Relation zum Apostel Petrus bemaß.

Diese konkurrierende petrinische Kirchenauffassung gewann nach allgemeiner Auffassung unter den politischen Rahmenbedingungen des ausgehenden 5. Jahrhunderts eine besondere Dynamik. Zu dieser Zeit gab im Imperium Romanum bekanntlich zwei Kaiser, einen im Westen und einen im Osten, von denen der westliche Herrscher infolge der rapiden Desintegration weiter Regionen seines Reichsteils im Laufe des 5. Jahrhunderts massiv an politischer Bedeutung verlor. Infolge der zunehmenden Schwächung und schließlich sogar Beseitigung der weströmischen Monarchie habe der römische Bischof Freiräume erhalten, um seine Eigenständigkeit gegenüber dem Kaisertum zu entfalten und seiner Auffassung von einer apostolisch-petrinischen Kirchenleitung Nachdruck zu verleihen.

Nur wenige Jahre nach der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus (476) hätten die römischen Bischöfe dies auch gegenüber dem noch verbliebenen oströmischen Kaiser demonstriert. Unter Papst Felix III. (483-492) vollzogen sie einen Bruch mit dem Bischof von Konstantinopel namens Akakios (471-489) und mit der Kirchenpolitik des oströmischen Kaisers Zenon (474-491), die besagter Akakios vertrat. Für rund 35 Jahre, die Zeit zwischen 484 und 519, belastete dieses Schisma das Verhältnis zwischen der Kirche von Rom und Konstantinopel schwer: Die römischen Bischöfe tilgten das liturgische Gedenken an Akakios und stellten sich kaiserlichen Versuchen entgegen, die drohende Spaltung der kirchlichen Einheit durch die Unterzeichnung eines kaiserlichen Einheitsdekrets zu überwinden.

Diese römische Opposition gegen die vom oströmischen Kaiser unterstützte Kirchenpolitik sei einer grundsätzlichen Absage an die Kirchenleitung durch den Kaiser gleichgekommen, die dann im weiteren Verlauf des akakianischen Schismas von Papst Gelasius I. (492-496) in der sogenannten Zweigewaltenlehre auch offen formuliert worden sei. Auch die Beilegung des akakianischen Schismas, die im Jahr 519 auf Initiative der oströmischen Kaiser Justin (518-527) und Justinian (527-565) erfolgte, habe den Strukturkonflikt zwischen einem petrinisch-apostolischen und einem reichskirchlichen Ordnungsprinzip allenfalls an der Oberfläche überbrückt. Letztlich habe es sich um die Wiederherstellung einer kaiserlich-reichskirchlichen Kirchenordnung gehandelt, die eine dauerhafte und stabile Integration des römischen Bischofs nicht habe gewährleisten können und auf mittlere Sicht zu einer immer stärkeren Entfremdung und schließlich Loslösung des Papstes aus der Reichskirche geführt habe.

Bestimmend für die im Vorigen skizzierte Sichtweise ist also ein struktureller Konflikt zwischen petrinisch-apostolischen und kaiserlich-reichskirchlichen Vorstellungen von der Kirchenorganisation, ein Konflikt, der sich bereits seit dem ausgehenden 4. Jahrhundert abgezeichnet habe, aber erst unter den politischen Voraussetzungen einer zunehmenden Schwächung und schließlich Aufhebung der weströmischen Monarchie virulent geworden und verschärft worden sei.

Eine andere Perspektive auf den römischen Bischof beziehen demgegenüber Studien und Untersuchungen, die ihren Fokus nicht auf die Universalkirche richten, sondern auf die Stadt Rom und deren Gemeinde, der die Päpste als bischöfliche Leiter vorstanden – eine Perspektive, die sich mit dem Schlagwort lokal-stadtrömisch umreißen lässt. Verfechter dieser Auffassung stehen den Annahmen von der Genese und Entwicklung eines Papsttums in der Spätantike insgesamt distanziert gegenüber und betonen, dass der römische Bischof weit davon entfernt gewesen sei, die Leitungsstellung innerhalb der Kirche einzunehmen. In Rom selbst sei der römische Bischof durchaus nicht mit einem päpstlichen Herrschaftsanspruch aufgetreten, im Gegenteil.

Die spätantiken Bischöfe der Stadt hätten sich mit einem selbstbewussten städtischen Klerus und vor allem einer einflussreichen Senatsaristokratie arrangieren müssen und seien infolgedessen nicht selten in Schismen und Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Kandidaten um das Bischofsamt verstrickt gewesen. Ihre Lage vor Ort sei demnach äußerst prekär und wenig dazu angetan gewesen, ein energisches Auftreten nach außen zu fördern: Im lokalen Kontext der Stadt und der christlichen Gemeinde Roms erscheinen die spätantiken römischen Bischöfe als vergleichsweise schwache Figuren. Hier dominieren Krisenanfälligkeit und fehlende Durchsetzungskraft gegenüber einem gesellschaftlichen und politischen Umfeld, in dem auch weiterhin die senatorische Elite tonangebend blieb.

Wenn das Ende der weströmischen Monarchie von den Vertretern eines universal-ekklesiologischen Ansatzes als wesentlicher Katalysator für die Weiterentwicklung eines petrinisch-apostolischen Kirchen- und Hierarchieverständnisses verstanden wird, gilt das in ähnlicher Weise auch für diejenigen, die eher einer lokal-stadtrömischen Perspektive auf den Bischof von Rom zuneigen: Auch sie begreifen die Zeit unter Odoaker, Theoderich und seinen Nachfolgern als eine historische Phase, in der eine Verstrickung der römischen Bischöfe in die lokalen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen Roms eine besondere Dynamik und Zuspitzung gewonnen habe. Schismen und Doppelwahlen hatte es zwar auch schon im 4. und 5. Jahrhundert gegeben und zum Teil erreichten sie bereits in dieser Zeit eine große Heftigkeit. Die Anhänger der Kandidaten Damasus und Ursinus etwa lieferten sich im Jahr 366 regelrechte Straßenschlachten mit mehreren hundert Toten.

In ostgotischer Zeit aber bekamen die Auseinandersetzungen nochmals eine neue Dimension. Dies betrifft nicht nur die Dauer von Konflikten, sondern auch die Häufigkeit, mit der sie auftraten. Im Jahr 498 brach ein Schisma zwischen zwei rivalisierenden Kandidaten, Symmachus (498-514) und Laurentius, aus, das sich über beinahe zehn Jahre erstreckte und dazu führte, dass zeitweilig die gesamte christliche Sakraltopographie Roms zwischen diesen beiden Kandidaten aufgeteilt war und es in dieser Zeit immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen auf Kleriker der jeweils anderen Partei kam.

Dieser Extremfall wiederholte sich nicht, aber wir haben untrügliche Hinweise darauf, dass es auch sonst bei der Nachfolge der römischen Bischöfe in der Zeit zwischen 483 und 537 geradezu standardmäßig zu Unruhen und Unregelmäßigkeiten kam. In die Wahl des Bischofs Felix III. griff der Prätorianerpräfekt persönlich ein, um drohenden Wahlunruhen einen Riegel vorzuschieben. Von der Doppelwahl des Symmachus und Laurentius, die sich zu einem regelrechten Schisma verfestigte, war eben bereits die Rede. Der Erhebung von Felix IV. (526-530) auf die cathedra Petri waren Auseinandersetzungen vorausgegangen, die erst durch das Eingreifen des kurz vor seinem Ableben stehenden Theoderich beendet wurden.

Nach Felix IV. kam es erneut zu einer Doppelwahl zweier Kandidaten, Bonifatius II. (530-532) und Dioskoros, bei der der siegreiche Kandidat Bonifatius weite Teile des römischen Klerus gegen sich hatte. Bei der darauffolgenden Wahl von Johannes II. (533-535) kam es erneut zu Unregelmäßigkeiten und Verzögerungen. Der Bischofssitz blieb außergewöhnlich lange unbesetzt und der frischgekürte Bischof sah sich nach seiner Wahl Vorwürfen ausgesetzt, Bestechungsgelder eingesetzt zu haben – auch dies ein untrügliches Indiz dafür, dass der Übergang von Bonifatius II. zu Johannes II. nicht reibungslos verlaufen war.

Der kurze Überblick zeigt: Wenige Pontifikate zwischen Felix III. und Silverius (536-537) waren frei von Sukzessionsproblemen. Zum Teil versuchten die römischen Bischöfe, dieses Problem durch Designation zu umgehen, ein Verfahren, das eigentlich bei der Besetzung von Bischofssitzen nicht vorgesehen und kirchenrechtlich hoch umstritten war. Eine römische Synode des Jahres 465 hatte derartige Designationen nur wenige Jahrzehnte zuvor sogar ausdrücklich verurteilt. Dass Symmachus, Felix IV., ebenso wie sein Nachfolger Bonifatius II. Designationen dennoch als ein probates Mittel begriffen, um Wahlunruhen zu vermeiden, ist bezeichnend und wirft ebenfalls Licht auf die Spannungen, denen die römische Kirche und das Bischofsamt in dieser Zeit ausgesetzt waren.

Die Erklärungen für diese auffällige Destabilisierung des Papsttums in ostgotischer Zeit sind vielschichtig. Besonders prominent und verbreitet sind jedoch Versuche, sie aus den politischen Prämissen und Rahmenbedingungen heraus zu verstehen, in denen sich der römische Klerus und vor allem die römische Senatsaristokratie bewegte, die als die treibenden Kräfte in diesen Spannungen agierten. Auf diese Weise schließt sich ein Kreis, der die beiden Perspektiven auf das spätantike Papsttum miteinander verbindet: In Anlehnung an die alternativen Ordnungskonzepte, die auf eine Integration des römischen Bischofs in die Reichskirche oder eine von diesem imperialen Rahmen losgelöste petrinische ecclesia abzielten, hätten sich in der Stadt Rom konkurrierende Lager formiert, die unterschiedliche kirchenpolitische Kurse verfochten hätten: Auf der einen Seite Teile der Senatorenschaft, die in Anlehnung an die ostgotischen Herrscher eine politische Emanzipation Italiens vom oströmischen Kaiser vorantrieben und dies auch kirchenpolitisch unterstützten – auf der anderen Seite diejenigen Kräfte, die weiterhin an einem engen Verhältnis Roms am oströmischen Reich festhielten und eine Einbindung des römischen Bischofs in den traditionellen reichskirchlichen Ordnungsrahmen befürworteten.

 

Universal und lokal – zur Neufassung eines Paradigmas

 

Eine solche Verschränkung universaler und lokaler Aspekte eröffnet aufschlussreiche Perspektiven auf das postimperiale Papsttum. Es erscheint jedoch notwendig, die Akzente bei den beiden genannten Ebenen etwas anders zu setzen und sie unter anderen Vorzeichen zueinander in Beziehung zu setzen als allgemein üblich – gerade auch mit Blick auf die hier interessierende Frage, inwieweit die ostgotische Herrschaft über Italien dem Selbstverständnis und innerkirchlichen Leitungsanspruch der römischen Bischöfe neue Möglichkeiten eröffnete.

Dies betrifft zum einen die universal-ekklesiologische Ebene. In der Gegenüberstellung von petrinisch-apostolischem und reichskirchlichem Ordnungsprinzip werden in der Regel zwei Aspekte miteinander vermengt, die klar voneinander getrennt werden sollten, nämlich das Verhältnis von Papst und Kaiser auf der einen Seite und die Beziehung des römischen Bischofs zu seinem Amtskollegen in Konstantinopel – dem Neuen Rom – auf der anderen. Was das Verhältnis zum oströmischen Kaiser betrifft, bleibt festzuhalten, dass die römischen Bischöfe keine Position bezogen haben, die die Bedeutung des Kaisers als Kristallisationspunkt einer Kircheneinheit infrage gestellt hätten. Im Gegenteil: Auch Verfechter einer petrinischen Ideologie wie Papst Leo I. (440-461) arbeiteten kontinuierlich darauf hin, gute Beziehungen zum Kaiser zu unterhalten, um auf diese Weise ihrer Doktrin eine reichsweite kirchliche Geltung zu sichern. Von einer inneren Distanz zwischen Kaiser und Papst wird man hier nicht sprechen können.

Dies zeigt sich insbesondere auch im akakianischen Schisma, das gemeinhin als Höhepunkt einer päpstlich – kaiserlichen Entfremdung gilt. Selbst in der Hochphase des Schismas haben die römischen Bischöfe ihre Loyalität zum Kaiser in Konstantinopel niemals in Frage gestellt. Sowohl Felix III. als auch Gelasius schickten ihre Wahlanzeigen an den oströmischen Kaiser, Felix sogar mit der Bemerkung, dass nunmehr, im Jahr 483, Zenon, der in Konstantinopel residierende Kaiser, der einzige Herrscher sei, in dem der Name des altehrwürdigen Römischen Reichs noch verblieben sei.

Selbst scheinbar weitreichende Forderungen gegenüber dem Kaiser wie das berühmte Schreiben des Papstes Gelasius an Kaiser Anastasios I., in dem Gelasius von der auctoritas der Priester und der potestas des Kaisers sprach, sind im Kontext dieser übergreifenden Haltung zu lesen. Gelasius formulierte hier keine Hierarchie zwischen Papst und Kaiser, wie es die Zweigewaltenlehre im Hochmittelalter, ausgehend von der Rezeption dieses Textzeugnisses, tat. Vielmehr ging es ihm darum, die privilegierte Partnerschaft mit dem Kaiser herauszustellen, die der römische Bischof innerhalb der Reichskirche für sich in Anspruch nahm.

Anders sah es hingegen mit den Bischöfen von Konstantinopel aus. Im Unterschied zu den Kaisern wurden sie von den Päpsten keiner Wahlanzeige gewürdigt. Und obwohl die Nachfolger des Akakios verschiedentlich Initiativen unternahmen, den unter dogmatischen Gesichtspunkten nur schwer zu rechtfertigenden Bruch zwischen Rom und Konstantinopel zu überwinden, stießen sie bei den römischen Bischöfen auf Granit. Im Kern der Auseinandersetzungen zwischen den beiden Bischofssitzen stand eben kein dogmatisches, sondern ein kirchenpolitisches Problem: Solange die römischen Bischöfe auf der Streichung des Akakios aus den Diptychen der Kirche von Konstantinopel beharrten und die Bischöfe von Konstantinopel mit der Forderung konfrontierten, sich von ihrem Vorgänger zu distanzieren, ging es um die Identität der Kirche von Konstantinopel und die Frage, in welcher hierarchischen Relation die Bischöfe von Rom und Konstantinopel zueinander standen.

Dies rührte an ein altes Problem, das bereits seit den 380er Jahren virulent war, die Frage, welchen Rang Konstantinopel innerhalb der Reichskirche einnehmen sollte. Das Konzil von Konstantinopel hatte 381 dem Bischof der Stadt am Bosporus einen Ehrenvorrang nach dem Bischof von Rom zugesprochen mit der Begründung, dass Konstantinopel das Neue Rom sei und somit – orientiert an der politischen Geographie des Imperiums – auch der Bischofssitz in der Residenz des oströmischen Kaisers eine Aufwertung erfahren müsse. Die römischen Bischöfe haben das nicht akzeptiert und auf einer Synode, die nur ein Jahr später in Rom abgehalten wurde, eine alternative Rangfolge der wichtigsten Bischofssitze des Reichs entworfen, die sich an deren Nähe zum Apostel Petrus orientierte und in der Konstantinopel keine Rolle spielte.

Das dadurch aufgekommene Reizthema zwischen den Bischofssitzen von Rom und Konstantinopel blieb freilich auch weiterhin bestehen: Auf dem Konzil von Chalkedon 451 schrieb der berühmte Kanon 28 fest, dass der Bischof des Neuen Rom dieselben Patriarchenrechte erhalten solle, wie sie auch dem Bischof im Alten Rom zustanden. Erneut verweigerten die römischen Bischöfe dieser durch die politische Geographie motivierten Aufwertung des Bischofs von Konstantinopel ihre Anerkennung und diese Frontstellung bildete, wie eben ausgeführt, eine wesentliche Ursache für das Zerwürfnis der beiden Kirchen im akakianischen Schisma.

Die eigentliche Sollbruchstelle zwischen einem apostolischen und reichskirchlichen Prinzip verlief demnach nicht zwischen dem Papst und dem oströmischen Kaiser, sondern zwischen dem Bischof von Rom und dem Bischof von Konstantinopel. Das apostolisch-petrinische Selbstverständnis der römischen Bischöfe implizierte keine Distanz zum Kaiser als Spitze der politischen Ordnung. Die ostgotischen Herrscher stellten aus Sicht der Päpste keinerlei Alternative zum Kaiser in Konstantinopel dar. Dies wiederum hat Auswirkungen auch auf die Interpretation der Schismen und der lokalen Erschütterungen, denen die römischen Bischöfe ausgesetzt waren.

Wie bereits erwähnt, bilden divergierende politische Interessen der senatorischen Eliten ein weit verbreitetes Erklärungsmuster für die Polarisierungen und Spannungen, denen der römische Episkopat in ostgotischer Zeit ausgesetzt war: Auf der einen Seite Unterstützer für einen Kurs, sich vom Kaiser in Konstantinopel und seinen kirchenpolitischen Leitlinien abzugrenzen, auf der anderen Seite Vertreter einer konzilianteren Haltung, die eine Annäherung des römischen Bischofs an den Kaiser und Konstantinopel begrüßt hätten. Diese Deutung begegnet freilich dem Problem, dass sich eine Polarisierung entlang dieser Leitlinien nicht nachweisen lässt: Das wenige, was wir über die senatorischen Anhängerschaften im Schisma zwischen Laurentius und Symmachus wissen, reicht nicht aus, um solche Schlüsse zu ziehen.

Überlegungen, dass sich hinter den rivalisierenden Kandidaten um die cathedra Petri probyzantinische gegen progotische Kräfte in der Senatorenschaft formiert hätten, erscheinen aber auch aus ganz grundsätzlichen Erwägungen heraus schief. Denn das Interesse an einer auf Rom und Italien zentrierten Profilierung des Papsttums, unabhängig vom Kaiser in Konstantinopel, lässt sich, wie eben gesehen, bei den römischen Bischöfen selbst gar nicht nachweisen – auch nicht bei denjenigen Vertretern auf der cathedra Petri, die im akakianischen Schisma einen harten Kurs gegenüber Konstantinopel verfochten. Konsequenterweise sollte man es dann aber mit Blick auf den Senat und die senatorischen Eliten ebenso wenig veranschlagen wie für das Papsttum selbst.

Dieses Problem ist auch in der Forschung gesehen und mit der Hypothese verbunden worden, dass politische Faktoren möglicherweise gar keine wesentliche Rolle für die Schismen und Spannungen gespielt hätten, die das Papsttum zwischen 483 und 537 erschütterten. Man verweist stattdessen vor allem auf ökonomische Motive. Im Laufe des 5. Jahrhunderts hatte die römische Kirche einen erheblichen Besitz akkumuliert, der sie zu einem der größten Grundeigentümer Italiens machte. Unter Papst Gelasius waren diese Einkünfte offenbar bereits so groß, dass sie erstmals umfassend registriert und in zentralen Rechnungsbüchern der römischen Kirche archiviert wurden.

Gleichzeitig begegnen unter Gelasius auch erstmals Formulare, die Kirchenstiftungen durch vermögende Laien und die damit verbundenen Eigentumsübertragungen festhalten. Die Senatoren hatten durch Stiftungen und Schenkungen massiv in die römische Kirche investiert und mussten Abflüsse in Form von Wahlversprechen und Bestechungsgeldern an den zahlenstarken Klerus der Stadt Rom fürchten, den bischöflichen Klerus ebenso wie die Kleriker der immerhin 25 Titelkirchen der Stadt.

Diese ökonomischen Faktoren mögen nun durchaus eine wichtige Rolle gespielt haben, sie reichen aber wohl nicht aus, um das Interesse der Senatorenschaft am Papsttum zu begründen. Denn der Einfluss der senatorischen Elite beschränkte sich nicht allein darauf, dass einzelne Senatoren die Bischofswahlen durch die Patronage von Kandidaten manipulierten. Neben diesen gesellschaftlichen und außerinstitutionellen Einflussmöglichkeiten beanspruchten die Senatoren auch eine institutionelle Mitwirkung des Senats an der Besetzung des Bischofsamtes. Die beiden letzten Senatsbeschlüsse, die uns aus der Spätantike überhaupt überliefert sind, beziehen sich darauf, wie die Nachfolge des römischen Bischofs geregelt werden sollte: Zu Lebzeiten des Papstes sollten keine diesbezüglichen Absprachen getroffen und Wahlgeschenke gemacht werden. An der Designation des Bischofs Bonifatius II. im Jahr 530 durch seinen Vorgänger Felix IV. war der Senat beteiligt; ein Versuch des Bonifatius, zwei Jahre später seinerseits einen Nachfolger zu designieren, scheiterte daran, dass der Senat nicht mit einbezogen wurde. In all‘ dem zeigt sich ein klar ausgeprägtes Interesse des Senats, den Willen dieser politischen Institution bei der Besetzung des römischen Bischofsamts zu berücksichtigen.

Die Gründe dafür werden deutlich, wenn wir den Blick nochmals auf die kirchenpolitische Großwetterlage richten – die Beziehungen zwischen Konstantinopel und Rom während des akakianischen Schismas und unmittelbar nach seiner Beilegung. Im Jahr 516 unternahm Kaiser Anastasios I. einen letzten Versuch, den römischen Bischof Symmachus davon zu überzeugen, die Streichung des Akakios aus den Diptychen zurückzunehmen und damit zu einer Einigung zu kommen. Bezeichnenderweise wandte er sich bei seiner Initiative nicht allein an den römischen Bischof Hormisdas (514-523), sondern trat parallel dazu auch an den Senat heran, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und politischen Druck auf den römischen Bischof erzeugen.

Dies war nicht die erste Gelegenheit, bei der Anastasios I. Verbindungen zur Senatorenschaft Roms nutzte, um Einfluss auf den römischen Bischof zu nehmen. In den 490er Jahren hatte Kaiser Anastasios mehrfach die Gegenwart senatorischer Gesandter, die im Auftrag Theoderichs am Kaiserhof von Konstantinopel weilten, zum Anlass genommen, seine kirchenpolitischen Anliegen in Richtung des römischen Bischofs zu lancieren. Der oströmische Kaiser versuchte, sich politisch einflussreicher römischer Senatoren zu bedienen, um den römischen Bischof auf seine Linie zu bringen.

Diese Beispiele verdeutlichen, warum das Interesse der Senatorenschaft am römischen Bischof in ostgotischer Zeit so stark zunahm – mit all‘ den Turbulenzen und Instabilitäten, die das für das Papsttum mit sich brachte. Die Kirchenpolitik entwickelte sich zu einem zentralen Feld, auf dem sich politisch relevante Beziehungen des römischen Senats und einzelner Senatoren zum Kaiser in Konstantinopel aufrechterhalten ließen – ein Feld weitgehend eigenständiger außenpolitischen Betätigung, auf das die ostgotischen Könige keinen wirksamen Zugriff hatten. Was wir demnach fassen können, ist eine bis dahin ungekannte Politisierung des Papsttums oder genauer: eine gestiegene Bedeutung des römischen Bischofs als einer Größe, die für die politische Kommunikation zwischen Konstantinopel und dem durch die Ostgoten beherrschten Italien mit Rom als der Stadt, von der das Imperium immerhin seinen Ausgangspunkt genommen hatte, von Bedeutung war.

Folgt man dieser Deutung, dann ergibt sich ein anderes Bild als das einer in ihrer Haltung zum Papsttum zwischen gotischen und oströmischen Loyalitäten gespaltenen Senatsaristokratie. In der Frage, wie man sich mit Blick auf den römischen Bischof positionierte, war und blieb immer der oströmische Kaiser der Bezugspunkt; Theoderich war hier nicht geeignet, eine Alternative zum Kaiser zu bilden. In vieler anderer Hinsicht war er das durchaus: Wie ein Cassiodor exemplarisch zeigt, eröffneten die ostgotischen Könige den römischen Adligen vielversprechende Chancen und Karrierewege, vor allem über die Besetzung der Hofämter in Ravenna. Mit Blick auf die Kirchenpolitik griff das jedoch nicht. Auf diesem Feld blieb allein das oströmische Kaisertum ein stabiler politischer Bezugspunkt und mit Blick auf diesen Bezugspunkt bildeten sich innerhalb der Senatsaristokratie Rivalitäten aus – etwas, das für die senatorische Oberschicht Roms zu allen Zeiten ein zentrales Charakteristikum war. Bereits seit der Begründung der römischen Monarchie unter Augustus agierte die Senatorenschaft nicht als eine Einheit, schon gar nicht in Opposition zum Kaiser, sondern in sich gespalten in dem ständigen Ringen um Kaisernähe. Daran hatte sich auch in ostgotischer Zeit grundsätzlich nichts geändert. Neu war, dass unter den besonderen historischen Bedingungen das Papsttum diese Tendenzen aufnahm und kanalisierte, weil der römische Bischof nunmehr ein wesentliches Medium war, um eine Relation zum oströmischen Kaiser herzustellen.

 

Keine Alternative zum Kaiser – die ostgotischen Könige und das Papsttum

 

Welche Haltung bezogen Theoderich und seine Nachfolger gegenüber dieser Politisierung des Papsttums? Haben sie sie befördert und vorangetrieben oder eher geduldet und hingenommen oder gar bekämpft? Insgesamt wird man die Impulse, die in dieser Hinsicht von ostgotischer Seite ausgingen, eher zurückhaltend beurteilen. Versuche der ostgotischen Herrscher, das Papsttum als eine politische Größe aufzuwerten und nutzbar zu machen, begegnen vergleichsweise spät und in Reaktion auf Entwicklungen, die maßgeblich von anderer Seite – nämlich vom oströmischen Kaiser und der Senatorenschaft Roms – angestoßen wurden. Man kann dies vor allem an zwei Dingen zeigen: Zum einen an der Einbindung römischer Bischöfe in Gesandtschaften, die im Auftrag der ostgotischen Herrscher an den Kaiserhof in Konstantinopel abgingen, zum anderen an der Frage, welchen Einfluss die ostgotischen Herrscher auf die Besetzung des römischen Bischofsamts geltend machten.

Zunächst zu den Gesandtschaften: Obwohl der Homöer Theoderich sonst durchaus gerne auf katholische Bischöfe in der Funktion als Gesandte zurückgriff, machte er davon mit Blick auf den oströmischen Kaiser zunächst keinen Gebrauch. In der Zeit vor und nach dem Sieg Theoderichs über Odoaker gingen mehrfach Gesandtschaften aus Ravenna in den Osten ab, die auf eine Anerkennung von Theoderichs Herrschaftsstellung abzielten. Sie wurden sämtlich von hochrangigen Senatoren geleitet, der römische Bischof war jedoch nicht mit einbezogen. Eine ähnliche Zurückhaltung nahm Theoderich auch bei Gesandtschaften ein, die zwischen Papst und Kaiser hin und hergingen. Als unter Papst Hormisdas die Initiativen zur Beilegung des akakianischen Schismas erneut in Gang kamen und 519 schließlich zu dessen Beilegung führten, hat der römische Bischof mehrfach Delegationen an den oströmischen Kaiser geschickt und in Empfang genommen. Beide Seiten haben Theoderich zwar regelmäßig informiert und in Abstimmung mit ihm gehandelt. Doch auch hier blieb Theoderich letztlich außen vor, trat nicht gestaltend in Erscheinung. Er wurde zwar nicht übergangen, wurde informiert und miteinbezogen. Insgesamt aber blieb er auf Distanz und reagierte: Die Initiativen gingen von anderen aus.

Diese grundsätzlich distanzierte und reaktive Haltung änderte Theoderich erst nach der Beilegung des akakianischen Schismas. Wie immer Theoderich zu dieser kirchenpolitischen Verständigung gestanden haben mag – sie eröffnete aus seiner Sicht offenbar die Möglichkeit, auf den römischen Bischof als Träger diplomatischer Missionen zurückzugreifen und ihn als eine politische Ressource im Kontakt zum Kaiser zu aktivieren. Im Jahr 525 entsandte Theoderich eine Delegation, die beim oströmischen Kaiser Justin gegen die von ihm verfügte Schließung arianischer Kirchen intervenieren sollte. Dem im Kern kirchenpolitischen Anliegen entsprechend, setzte Theoderich diese Gesandtschaft nicht mehr nur aus hochrangigen römischen Aristokraten zusammen, sondern bezog auch Papst Johannes II. mit ein.

Erstmals also ein Beispiel für einen scheinbar gelungenen Versuch, das Papsttum aktiv als Instrument für die politische Kommunikation mit dem Kaiser zu nutzen – und prompt zeigte sich, wie ambivalent und wenig steuerbar dieses Medium für die ostgotischen Herrscher war. In Konstantinopel eingetroffen, wurde Johannes vom Kaiser mit den höchsten Ehren empfangen – als regelrechte Verkörperung des Petrus, dem die besondere Auszeichnung zuteilwurde, den Kaiser in der Hagia Sophia zu krönen. Obwohl die Mission in der Sache nicht erfolglos verlaufen war, war ein solcher Umgang mit dem Kaiser aus Sicht Theoderichs Hochverrat und wurde entsprechend sanktioniert: Nach der Rückkehr der Delegation bereitete Theoderich Johannes II. und seinen senatorischen Begleitern einen schroffen Empfang und ließ sie in Haft nehmen, in der Johannes kurz darauf, angeblich aufgrund von Misshandlungen, verstarb. Am Ende war das Ganze für Theoderich ein großer Misserfolg. Sein später Versuch, das Papsttum politisch zu aktivieren, zeigt exemplarisch die Grenzen auf, die den ostgotischen Herrschern mit Blick auf eine Nutzbarkeit des Papsttums gesetzt waren.

Eine gleichermaßen reaktive Haltung und den Verzicht darauf, einen stärkeren Zugriff auf das Papsttum zu gewinnen, legten die ostgotischen Herrscher auch mit Blick auf die Spannungen an den Tag, die in Rom um die Besetzung des Bischofsstuhls immer wieder aufbrachen. Die Könige beschränkten sich darauf, bei Konflikten innerhalb von Klerus und Senatorenschaft zu intervenieren und in Pattsituationen die Entscheidung für einen der Kandidaten herbeizuführen (dies war bei Symmachus, möglicherweise auch bei Felix IV. und bei Johannes II. der Fall). Sie haben aber nie von vornherein Kandidaten lanciert und ins Spiel gebracht. Das war Sache der Senatoren und des römischen Klerus.

Ein radikales Umdenken in dieser Hinsicht erfolgte erst, als die Gotenkriege bereits vor der Tür standen und ein offener Konflikt mit dem oströmischen Kaiser nicht mehr abzuwenden war. In dieser verzweifelten Situation griff der gotische König Theodahat 535 zum letzten Mittel, indem er Papst Agapet (535-536) mit einer nicht mehr nur kirchenpolitischen, sondern dezidiert politischen Mission betraute: Agapet solle den Kaiser Justinian dazu bewegen, sein Heer zurückzuziehen, andernfalls werde er, Theodahat, sämtliche Senatoren Roms und ihre Familien umbringen lassen.

Ähnliche Aktivitäten entfaltete Theodahat kurz darauf bei der Besetzung des römischen Bischofssitzes: Hier wurde mit großem Druck von oben ein Kandidat – Silverius – installiert, der die Loyalität der Römer sichern sollte. Dies war nun in der Tat eine radikale Konsequenz aus der Einsicht in die gestiegene Bedeutung des römischen Bischofs als politischer Größe für die Kommunikation mit dem oströmischen Kaiserhof. Das Vorgehen war aber auch gleichzeitig aus einer besonderen Situation heraus geboren, in der Theodahat mit dem Rücken zur Wand stand. Eine tragfähige und stabile Relation zum Papsttum hätte sich daraus kaum entwickeln können.

 

Das Papsttum im ostgotischen Italien – der Beginn einer neuen Zeit?

 

Mit den Gotenkriegen endete die kurze Phase des Papsttums im ostgotischen Italien. Ein alternativer ekklesiologischer Ordnungsrahmen, der auf seine Loslösung aus der Reichskirche hinausgelaufen wäre, hatte sich in dieser Zeit nicht entwickelt. Die Päpste blieben in elementarer Weise auf den oströmischen Kaiser und die Reichskirche bezogen; die ostgotischen Herrscher gaben in dieser Hinsicht keinen alternativen Bezugspunkt ab. Neu hingegen war der Umstand, dass dem Papsttum in der Lage zwischen Ravenna und Konstantinopel eine gestiegene Bedeutung zuwuchs – als Medium, über das sich politische Beziehungen zwischen Ostrom und der alten Hauptstadt am Tiber aufrechterhalten und gestalten ließen.

Formativ und richtungweisend ist das nicht geworden, schon deswegen, weil sich mit den Gotenkriegen auch der komplette geopolitische Bezugsrahmen änderte. Den kirchenpolitischen Bedeutungszuwachs, den die römischen Bischöfe aus ihrer Lage zwischen Rom und Ravenna erzielten, verloren sie in dem Moment, als sie politisch wieder in das oströmische Reich integriert wurden. Unmittelbar vor Ausbruch der Gotenkriege war Papst Agapet 535 noch mit höchsten Ehren in Konstantinopel empfangen worden, hatte sogar dafür gesorgt, dass der Bischof von Konstantinopel vom Kaiser abgesetzt wurde – ein Höhe- und zugleich Wendepunkt päpstlicher Einflussnahme auf die kaiserliche Kirchenpolitik. Denn unmittelbar danach gerieten Italien und Rom und mit ihnen der römische Bischof unter die Verfügungsgewalt des Kaisers und der nutzte die gewandelten politischen Rahmenbedingungen, um nun seinerseits erheblichen Druck auf den römischen Bischof auszuüben. Das durfte schon Vigilius (537-555), den Justinian gewaltsam nach Konstantinopel bringen ließ, um seine Zustimmung zu den kaiserlichen Direktiven der Kirchenpolitik zu erzwingen, am eigenen Leibe erfahren.

Eine kirchenpolitische Aufwertung erfuhren die römischen Bischöfe demnach nur so lange, wie sie nicht der direkten Kontrolle des oströmischen Kaisers unterstanden und Kapital aus der umstrittenen politischen Zwischenstellung Italiens zwischen Ravenna und Rom schlagen konnten. Dies blieb freilich vorerst Episode und änderte sich erst grundlegend, als die Päpste seit dem ausgehenden 7. Jahrhundert damit begannen, eine eigene, auch politische Herrschaftsstellung in Mittel- und Unteritalien aufzubauen. Erst auf diesem Fundament konnten sie dann im 8. Jahrhundert erneut eine Zwischenstellung – diesmal zwischen den Franken und Konstantinopel – zum Anlass nehmen, um eine dauerhafte kirchenpolitische Aufwertung zu erzielen. Aber das ist eine eigene und andere Geschichte.

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Vom Großen und Ganzen
Der Podcast der Katholischen Akademie in Bayern und der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“
Friday, 25.04. - Wednesday, 31.12.2025
Zukunftsverantwortung für Gesellschaft, Politik und Land-Wirtschaft
Tuesday, 13.05.2025
Zeichnungen von Alf Lechner (1925-2017) anlässlich seines 100. Geburtstags
Monday, 19.05.2025
Eine Denkwerkstatt
Monday, 26.05.2025
BR Astrid Ackermann
How can music change a life?
Bernhard Neuhoff in conversation with Sir Simon Rattle
Tuesday, 27.05.2025
EBEN European Business Ethics Network Annual Conference 2025
Thursday, 29.05. - Saturday, 31.05.2025
happymore/shutterstock
Wenn das Wachstum endet
Neue Perspektiven für Religion, Wirtschaft und Gesellschaftlichkeit
Tuesday, 01.07.2025
Natali_Mis/Canva
Das Ich in Todesnähe
Terminale Geistesklarheit und Sterbeerfahrungen
Friday, 04.07.2025