Bei den Passionsspielen in Oberammergau und in anderen Passionsspielorten ist bei den Männerrollen neben der Rolle Jesu die des Judas meist die begehrteste. Wer den Judas gut spielt, der genießt hohe Achtung. Der Grund liegt wohl darin: Judas gilt als Ausbund des Bösen. Und das Böse ist immer faszinierend. Wer sich da auf der Bühne zeigt als geldgierig, verschlagen, hinterhältig und hasserfüllt, der erzeugt in den Zuschauern ein Gefühl der Abscheu und der Bewunderung zugleich. „Wie der doch gut spielt!“ Er stellt dar, was alle verachten! Und dann spielt er auch noch den Verzweifelten, der keinen Ausweg mehr findet und sich erhängt. Eine Palette von Gefühlen kann ein Judasdarsteller in den Zuschauern erwecken, die ihnen kaum sonst in so dichter Weise ahnen lassen, was in ihnen selbst steckt und wie dankbar sie sein dürfen, dass sie nicht in solche Abgründe stürzen. Wir fragen uns heute: Ist Judas wirklich so schlimm? Wer war Judas? Und welche Rolle kommt ihm beim Heilsereignis zu?

 

Zur Person

 

Judas gehörte zum engsten Kreis Jesu – und wurde zum Verräter. So nah am Heiligen ist das Versagen, ja das Verbrechen! Wer war Judas wirklich? Und was hat er getan? Warum kam es überhaupt so weit, dass Judas Jesus verriet? Was lehrt uns diese Figur?

Es gibt unterschiedliche Theorien, die sich aus den Andeutungen der vier Evangelien speisen. Die eine sagt: Judas war geldgierig. Als er merkte, dass Jesu Weg nicht zu einer profitablen Lösung führte, versuchte er, so viel wie möglich für sich herauszuholen. Für diese Theorie spricht die Stelle bei Johannes (Joh 12,4), bei der die liebende Maria wertvolles Öl an Jesus verschwendet (wie ebenfalls die Unbekannte in Bethanien, wo mehrere Jünger sich „ob der Verschwendung“ aufregten – vgl. Mt 26,6 und Mk 14,3). Judas ist entsetzt. Er meinte: Das Öl hätte man doch verkaufen und den Armen geben können, was aber der Evangelist ihm nicht abnimmt, da er ihn hier einen Dieb nennt, der Einnahmen für sich verwendete. Auch habe er aus dem Verrat noch einen Gewinn herausschlagen wollen. Geldgierig also sei Judas gewesen, so sagen die einen. Das Johannesevangelium stützt diese These.

Daneben gibt es eine zweite These, die ihn nicht nur als nur geldgierig, sondern überhaupt als ganzheitlich böse einschätzt. Wohl hätte er eine Zeit lang Jesus bewundert, dadurch sei er aber nicht von seiner grundlegend negativen Einstellung geheilt worden, vor allem nicht von seiner eben schon angesprochenen Geldgier. Gegen diese Theorie spricht, dass Jesus ihn erwählt hat. Dies hätte er, der große Menschenkenner, sicherlich nicht getan, wenn Judas grundlegend böse gewesen wäre.

Deshalb dürfte eine dritte Theorie wahrscheinlicher sein. Sie besagt: Judas hat, wie auch die anderen Apostel, gemeint, Jesus würde die moralischen und politischen Verhältnisse greifbar verändern. Durch seinen Verrat wollte er Jesus zwingen, endlich damit zu beginnen. Jesus sollte endlich losschlagen, sollte seine Anhänger sammeln, sollte sich mit dem Hohen Rat und den Autoritäten zusammentun, um die Besatzungsmacht aus dem Land zu jagen und dann eine gerechte Gesellschaft aufzubauen, in der jeder seinen Platz hat und in der es allen besser geht. Jesus sollte die Führung übernehmen. Er sollte dann den Aposteln so etwas Ähnliches wie Ministerposten geben, dass sie aktiv die Reform mitgestalten können. Judas wollte etwas tun, wollte gesellschaftlich etwas bewirken, das nicht nur ihm, sondern dem gesamten Volk zugutekommt. Ein gewisser Ehrgeiz hätte bei Judas mitgeschwungen. Mit dem Verrat wollte er Jesus also zwingen, politisch zu werden.

Im Spiel von 2010 in Oberammergau wurde diese These aufgegriffen und verstärkend inszeniert. Judas hat mit Kajaphas ein Gespräch. Bei diesem suggerierte der Hohepriester dem Judas, die Auslieferung Jesu würde eine Gelegenheit geben, dass er, Kajaphas, allein mit Jesus reden könnte und ihn zur Zusammenarbeit auffordern würde, um die leidigen Probleme mit der Besatzungsmacht aus der Welt zu schaffen. Judas geht auf dieses Ansinnen des Hohen Priesters ein und vermittelt das Treffen, das zum Schein den Charakter einer Festnahme haben sollte. Mitnichten wollte Judas seinen Meister ins Verderben locken. Er wollte nicht, dass Jesus abgeurteilt werde. Als er dann merkte, dass er hinters Licht geführt wurde und die Worte des Hohen Priesters nur ein taktisches Manöver waren, ist er verzweifelt. Judas ist in dieser Szene also der verratene Verräter. Er wusste, dass nun alle ihn verachten würden. Er hat das Zeichen der Freundschaft, den Kuss, zum Zeichen des Verrates gemacht. Schändlicher geht es nicht mehr.

 

Zur Tat

 

Im Nachhinein stand immer wieder die Frage auf: War Judas böse Tat nicht notwendig, um das Erlösungsgeschehen voranzutreiben? Im Johannesevangelium wird dies angedeutet, wenn dort Jesus zu ihm sagt: „Was du tun willst, tue bald“ (Joh 13,27) oder wenn vom „Sohn des Verderbens“ (Joh 17,12) die Rede ist. Judas hat frei gehandelt – und hätte auch anders handeln können. Was er getan hat, ist menschlich gesehen schändlich. Dass er dabei noch einen finanziellen Gewinn herausschlug, macht die Sache noch ehrenrühriger. Wie immer das Motiv gewesen sein mag, die Tat ist verachtungswürdig. Vor allem zeigt sie (auch gemäß der dritten oben angeführten These), dass Judas mitnichten bereit war, seine eigenen Vorstellungen von einem Gottesreich preiszugeben und sich auf Jesus und seine tatsächliche Lehre einzulassen. Er hat nichts verstanden von dem, was Jesus eigentlich wollte. Aber da war er nicht der einzige der Apostel. Auch die anderen brauchten lange, bis sie einsahen, dass Jesus etwas ganz Anderes bringen wollte als sie sich erwarteten. Für Judas war Religion handfest – auch gewinnbringend und Macht gebend bzw. erhaltend. Sie soll Sicherheit geben und dem Fortkommen dienen. Und wenn er sich schon auf Jesus einließ, dann musste sich das rechnen. Als Realist stufte er sich ein, Jesu Großzügigkeit und absolute Ausrichtung auf das Ewige waren ihm unverständlich. Die Liebestat einer Frau, die Jesus ihre Verehrung auf ihre Weise zeigen wollte, erschien ihm eine Verschwendung. Alles musste sich rechnen. Dass Gott, der verschwenderisch Liebende, auch von uns Verschwendung in der Liebe erwartet, ging ihm nicht in den Kopf. Fortkommen und Gewinn waren ihm wichtiger als Gottes Erbarmen und Größe. So geriet er in die Falle des Verrates.

Dann schlug ihn das Gewissen als er sah, was mit Jesus geschah. Er wollte alles rückgängig machen. Doch die Mörder Jesu verlachten ihn. Judas verzweifelte. Er sah plötzlich seine menschliche Schändlichkeit und konnte jetzt seine Tat in ihrem Gewicht einschätzen. Er hat den Besten aller Menschen verraten, hat ihn denen ausgeliefert, die ihn vernichten wollten. All sein Gewinn wurde zum Verlust. Das Geld warf er in den Tempel, denen vor die Füße, die ihn verlockt hatten zu solcher Schandtat. Für sich sah er keine Perspektive mehr. Die Freunde werden ihn verachten, und auch die Feinde, die ihn verlockt haben, werden ihn verlachen. Mit diesem Makel wollte er nicht weiterleben. Total isoliert fühlte er sich, die Tat zog ihn in den Abgrund. Kein Gott kann ihm mehr helfen, so meinte er. An ein Erbarmen glaubte er nicht mehr. Er verzieh sich selbst nicht, also würde ihm auch sonst niemand verzeihen, so meinte er. Er sah keinen Ausweg und erhängte sich.

Sein Leben war verwirkt. Eine war eine tragische Figur! War ihm nicht zu helfen? Hätte er Jesu Botschaft auch nur ein wenig verstanden, hätte er einen Ausweg gefunden. Doch er glaubte nicht mehr an eine Vergebung, weil er nicht mehr an Gottes unendliches Erbarmen glaubte. Das ist die eigentliche Tragik des Judas. Er hat den Glauben verloren – den Glauben an sich selbst und an Jesus, den göttlichen Sohn und Retter.

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