Allgemeines
Der Dreißigjährige Krieg gilt im Geschichtsbewusstsein der Region und der betroffenen ehemaligen Landes-, Residenz- und Reichsstädte bis heute als traumatisches Geschehen von Dauer. Für die Unsterblichkeit in und aus dieser Zeit sorgten die Jubiläums- und Gedenkfeiern, die keineswegs nur die evangelischen Kultur- und Konfessionsregionen alle 25, 50 bis 100 Jahre beeindruckten, literarische und bühnenreife Reflektionen um und auf den Krieg und dessen Protagonisten, deren bekannteste die Dramen-Trilogie „Wallenstein“ von Friedrich Schillers seit den Uraufführungen 1788/89 am Weimarer Hoftheater unter der Intendanz von Johann Wolfgang von Goethe Weltgeltung einnimmt. Großformatige Friedens-, Schlachten- und Kriegsbilder sorgten für Aufsehen. Ungezählte Flugblätter trugen mit ihrer meist konfessionsbezogenen Polemik in Bild und Text zu einer diskursiven Auseinandersetzung um die Kriegs- und Friedensjahre bei. Das Leid der Zeitgenossen, verursacht durch Krieg, Tod, Krankheit und der Zerstörung gewachsener Familien-, Lebens- und Wohnstrukturen war aber keineswegs flächendeckend verteilt. Mancherorts hielt man am luxuriösen Lebensstil fest als sei nichts gewesen. An der Hoftafel der fränkisch-böhmischen Adelsherrschaft der Grafen Schwarzenberg - 1670 erfolgte der Aufstieg der Familie in den Reichsfürstenstand – schien Vieles beim Alten zu bleiben. Im Frühjahr 1632 kredenzte man trotz des Schwedeneinfalls in Süddeutschland noch in großen Mengen zartes Taubenfleisch und schmackhafte Teichfische aus heimischer Zucht. Der Jäger aus der Schwarzenberger Burgvogtei überbrachte im Rechnungsjahr 1631/32 „43 klux vögel“. Diese Tauben „sind alle gelifert vnd bey der hoffhaltung zu Schwarzenberg verspeist worden.“ Die gräfliche Fischmeister um Scheinfeld resümierten ferner „2547 stückh karpffen vnd orffen sind herbstzeit deß 1630. jahrs auß allen der herrschafftlichen weÿhern gefangen worden, die gewogen 20 centner 84 £ laut deß visch registers hierbeÿ mit nro. 151“ Andernorts verstummte man zu dieser Zeit angesichts des Totalruins.
Die Auseinandersetzung mit den Kriegserfahrungen früherer Generationen und Jahrhunderte beschäftigt nun wieder vermehrt die Frühneuzeitforschung, doch wissen wir immer noch zu wenig über die konkreten Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs in den Städten und Landschaften des heutigen Bayern. Vielfach war das Kriegsgeschehen auch im Fokus des Medien- und Informationsaufkommens der Zeit. Was wusste man über die Kriegsführung und das Krisenmanagement in der Nachbarschaft? Einer der Amtsvögte aus der Herrschaft Schwarzenberg führte – ähnlich das auch für andere süddeutsche Fürstendiener belegt ist – ein Rechnungsbuch mit Botenlöhnen. Von Juni bis Oktober 1634 notierte Andreas Zapf Kriegsbedingtes in der Bilanz. Als Boten fungierten meist örtliche Handwerker: „16 kr einem Potten alß dem Sailler, welcher vmb Nachfrag wegen des Kriegsvolckhs nach Windsheimb verschickht worden, auß Befelch h. Oberambtmans.“ An anderer Stelle hieß es: „2 fl 24 kr. dem Zimmermann vnd dem Sailler geben, alß man solche nach Dinckhelspill vmb ein S[alva] Guardj schickhen wollen, solche Gelt aber beÿ Tagstetten jnnen genommen worden.“ Die Erkundungen weiteten sich aus, da man einen Boten bezahlte, „so nach Würt[temberg] zum Secret[arius] geschickht worden.“ Und jene ältere Magd, der man 36 Kreuzer „für ein paar schuh“ bezahlte, um ein „Schreiben zu h. doctor Heübner nach Schweinfurth“ zu tragen, erfüllte sicher nicht ihre erste Mission in Sachen Kriegszug- und Schlachtenspionage.
Der Vortrag will eine Nahperspektive auf den Alltag und die Akteure, die Seuchen- und Kriegsgefahr, die Hungerkrisen und die politischen Schachzüge im Wettstreit um Ressourcen, ökonomische Vorteile, Krieg und Frieden geben. Über literarisch-historische Fallstudien versuchen wir einen territorialen Zugriff auf die Jahrzehnte von 1618 bis 1648/50 in Süddeutschland.
Kriegsalltag
Während der schwedischen Bündnis- und Besatzungszeit musste in den hier näher untersuchten Reichsstädten Vieles in den Ämtern, im engeren Ratsregiment, im Steuer-, Gerichts- und Militärwesen, im mittelalterlichen Befestigungs-, Wehr- und Mauerring sowie im Finanz- und Wirtschaftssektor verändert werden. Die Besetzung ging meist schnell – auch Donauwörth mit seiner Bedeutung für die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Kriegs wurde von Gustav II. Adolph am 27. März 1632 wie viele andere süddeutsche Städte „mit gestürmter Hand eingenommen“ –, doch die Besatzung blieb länger als zunächst vermutet. Auch in der im April 1632 gedruckten „Relatio de Bavaria“ wurde die ehemalige Reichsstadt Wörth in der Beschreibung aller „herrlichen Victori“ Schwedens entlang der Donau vorangestellt. Die Reihenfolge „befreiter“ Städte notierte ein schwedischer Soldat: „Ort und Städt in Schwaben und Bayrn erobert und einbekommen/ als nemlich Thonawerth/ Höchstadt/ Dillingen/ Lauingen/ Gundelfingen/ Günstburg [Günzburg]/ Rain/ Aychen/ Schrobenhausen und Neuburg.“
Die Druckereien wechselten ihren politischen Auftraggeber. Sogar die Städtenamen änderten sich in den Flugblättern kriegsführender Parteien. Augsburg mutierte von der römisch fundierten, im Humanismus wiedergeborenen Augusta Vindelicorum 1632 zur „Gustava Vindelicorum“. Schließlich verfuhr die Siegermacht Schweden mit süddeutschen Reichsstädten kumulativ. 1631 erging beispielsweise von Gustav II. Adolph ein "beweglich Schreiben/ Welches Königliche Majest. zu Schweden [et]c. an etliche ReichsStädte in Francken abgehen lassen“. Darin ginge es inhaltlich um die "kurtze Erzehlung der Siegreichen victorien, welche Gott der Allerhöchste/ Ihrer Königl. Majest. vom 7. Septembr. biß the 18. Octobr. 1631. mildiglich verliehen. Item/ Where Tylli with seinem Volck sich itzo befindet/ darvon schon etwas geschlagen worden.“
Noch immer wissen wir aber zu wenig über entsprechende Veränderungen im städtischen Alltag, während die militärischen Leistungen der Bündnisstädte besser erforscht sind. Wie weit die Reformen gingen und wie stark die gegen Ende des Dreißigjährigen Kriegs grundsätzlich finanzgeschwächten Reichsstädte für die immensen Kriegs-, Kontributions- und Fourage-Kosten aufkommen mussten, hing ganz von der Garnisonsdauer und den individuellen Entscheidungen der Stadtkommandanten ab. Ein komparatistischer Blick auf süddeutsche Residenzstädte klärt auch die Spannweite der Entscheidungen und des konkreten Krisenmanagements beim zeitgleichen Wechsel im reichsstädtischen Regiment.
Bisweilen begnügten sich die Schweden nach der Besetzung katholischer Bischofsstädte mit sanften Veränderungen, um die in Zeitnot gewachsenen Strukturen fortzuführen. So ließ Oberst Klaus Dietrich von Sperreuter in einem Übergabevertrag mit der Eichstätter Hochstiftsregierung im Namen Gustav Adolphs erklären: „Im gleichen das Policeywesen, wie auch die expeditiones bey der Geist: und Weltlichen Cantzley zu Hoff und in der Statt, wie auch die Verrichtungen bey den Zünfften, sollen in vorigem Stad verbleiben, und menniglich bey seiner rechten, gerechtigkeiten und Privilegien gelassen werden.“ Setzte man hier in einem altfränkischen Bistum mit Blick auf das Privilegien-, Zivil- und Strafrecht offenbar auf Kontinuität, so verlief der Übergang im Würzburger Bistum anders. Dank der von Christian Leo edierten zeitgenössischen „Summarischen Beschreibung“ Dr. Joachim Ganzhorns zur Würzburger Schwedenzeit 1631 bis 1633 wissen wir, dass die schwedische Soldadeska den Garanten für den administrativen Erfolg, das Kanzleiarchiv, plünderte. „Gleichergestallt ist das Fürstlich Archivium darinnen des Bistumbs Würtzburg Kayser- vndt Königliche privilegia, Instrmenta, Documenta vndt andere brieffliche Vhrkunden, daran dem Stifft viell gelegen, vonn viell 100 Jahren hero assecurirt, also tractirt worden, das (mann) deren viell unten im Hoff vnter dem blossen Himmel gelegen, darauffer mann mit füssen gangen, welche der König selbsten hinweg zu thuen befohlen.“
Oberst Sperreuter forderte von der konfessionsvermischten fränkischen Reichsstadt Dinkelsbühl – politisch zählte die Stadt aber zum Schwäbischen Reichskreis – im Frühjahr 1632 die Absetzung der katholischen Ratselite. Der Innere oder Kleine Rat, trotz mehrheitlich evangelischer Bürgerschaft fast ausschließlich mit altgläubigen Räten bestückt, wurde entmachtet. Zwei Tage später begann der neue, nun evangelische Rat am 26. Mai mit seiner Arbeit. Anschließend veränderte sich auch der Große Rat. Dinkelbühls einstige Elite sah sich Repressalien ausgesetzt. Um schwedische Kriegsziele zu erreichen und die Ligisten gefügiger zu machen, ließ Sperreuter die alten Ratsherren gefangen nehmen. Nach 27 Wochen im Arrest in billigen Herbergen zu Dinkelsbühl und Nördlingen, für die sie zusätzlich 1850 Gulden bezahlen mussten, urteilten die Betroffenen im Sommer 1632 verbittert: Wir mussten uns „zu sterbender Pest Zeit in dem aller ergsten Würths Hauß mit Siechem Schaffsfleisch, und in Wahrheit anders nicht als wie die Hundt tractieren Lassen.“ In der Stadt an der Wörnitz wurde es vorübergehend mit dem Abschied aus einer konfessionsvermischten Vergangenheit ernst. Die Augsburger Konfession wurde in drei Jubelpredigten zur allein selig machenden Stadtphilosophie erklärt. Der schwedische Alltag begann „als auff Allergnädigsten Befehl/ der Königl. Majestät zu Schweeden/ [et]c. die Pfarrkyrchen zu S. Georgen daselbsten/ den Evangelischen eingeraumet/ auch auff die H. Pfingsten/ dieses lauffenden 1632. Jars/ widerumb das erste mal darinnen geprediget/ und der Gottesdienst nach Innhalt der unverfälschten Augspurgischen Confession, angerichtet worden.“
Gustava Augustana – Schweden in Augsburg
"Hoert zu ihr Christenleut/ wissen ich euch bescheyd/ da die Noth war am goesten/ weder auß noch ein westen/ die Augspurger mit name/ Gott ihnen zu Huelff kame. Mit seiner huelffreichen Hand/ wie geschehn manchem Land/ Er wollte sie nicht lassen/ weil sie GOtt nicht verlassen/ Halff er ihnn auß all Noethen/ thete sie bald erretten. Durch jr Koeniglich Mayestat/ auß Schweden/ welcher hat/ daß groß Werck angefangen/ dazu grosses verlangen/ Jedermann wuenschte gerne/ O wer der Held nicht ferne.“
1632/33 erklangen in Augsburg solche überschwängliche Dankeslieder und Hymnen auf Gustav II. Adolf, die mitunter in der „Waarhaften Zeitung“ gedruckt wurden. Anlass zur Freude gab im April des Jahres 1632 die vermeintliche „Redemption“ Augsburgs aus dem Joch katholischer Schatten- und Kriegsmächte. Selbst in Nürnberg textete man deshalb 1632 noch: „Augusta Angustiata, A Deo Per Deum Liberata: Teutsch: Geängstigt ward Augspurg die Stadt: Gott durch Gott ihr geholffen hat.“ In Text und Bild posierte Gustav Adolf als Retter in der Not gegenüber einer verarmten und verwahrlosten Stadt, die als Bettlerin ihr Lied klagte. Im Nebenbild zerstören Jesuiten und Mönche mit Äxten die bedeutende protestantische Stadt- und Kirchenbibliothek von St. Anna. Schweden wurde fortan im reichsstädtischen Alltag ganz groß geschrieben. Am 17., beziehungsweise nach katholisch-päpstlicher Rechnung am 27. Oktober 1632 beging man in der ehrwürdigen, im Krieg vielfach bedrängten evangelischen Kirche bei St. Anna – noch kurz vor dem Tod Gustav II. Adolfs (1594–1632) – den Trauergottesdienst zu Ehren des gefallenen schwedischen Regimentsoffiziers Erich Hand. Der Oberst war als „Erbsesse auff Olshamar“ fest in das skandinavische Hof- und Regierungssystem eingebunden. Zelebrant war Johann Conrad Göbel (1623-1687), Augsburger Pfarrer und Senior im städtischen Kirchenministerium. Sein Nachruf wurde 1633 bei Johann Schultes in Augsburg gedruckt. Übertroffen wurde dieser medienfundierte Kniefall einer süddeutschen Reichsstadt gegenüber der schwedischen Besatzung nur von der Trauer um den Tod Gustav II. Adolfs nach der Schlacht bei Lützen am 16. November 1632: „Grabes-Schrifft Auff the Heldenmütigen and Ritterlichen abschied deß nunmehr höchstseeligster Gedächtnuß […] Herrn Gustavi Adolphi The Schweden […] Königes […] / In höchster betrawr- und betaurung auffgerichtet von M. Laurentio Drachen P.L.“, Augsburg 1633. Jetzt belieferten Augsburgs Offizine ganz Europa mit lateinischer und deutscher Trauer-Panegyrik. Leichenpredigten – mitunter als „Lügenpredigten“ enttarnt – waren in Kriegszeiten stets ein verbreitetes Medium, um Stadt- und Kriegsregimenter sowie Kriegs- und Feldherren zu glorifizieren. Die von dem Bibliothekar Elias Ehinger (1573–1653) verfassten und von Johann Schultes in Augsburg verlegten „Lachrymae fusae in obitu Serenissimi Et Potentissimi Principis ac Domini, D[omi]n[i] Gustavi Adolphi, D.G. Suecorum, Gothorum & Vandalorum Regis“ sind nur ein Beispiel unter Vielen.
Zuvor war im April 1632 Augsburg, wie auch viele andere süddeutsche Residenz-, Dom- und Reichsstädte, von den Truppen Gustav Adolfs im „Accord“ erobert worden. Details erfahren wir aus einer „gründlichen und außführlichen Beschreibung“ wie die Städte Neuburg a. d. Donau, wo der Landesherr 1616/17 die Gegenreformation durchführen ließ, und Augsburg an die Schweden fielen. Die Schrift diente in erster Linie der Rechtfertigung der schwedischen Mission in diesem europäischen Krieg. Deutlich war die Propaganda abzulesen an der „Clementia“ der schwedischen Heeresleitung unter General Gustav Horn (1592–1657).
Vor der Einnahme Augsburgs notierte der schwedische Kriegsschreiber entsprechend: „Nach dem aber Ihre Mayestaet sich Ihrer angebornen Clementz erinnerten/ als liessen sie ihnen nochmahln anbieten/ sich der Bayerischen und andern Guarnissonen auffs ehist vnd also balden zu entschlagen/ selbige auß der Stadt zuschaffen/ vnd sich gegen Ihre Mayestaet hinfuero aller Feindtschafft zu enthalten.“ Die alte Handels-, Drucker- und Reichsstadt am Zusammenfluss von Lech und Wertach war nun bis 1635 schwedisch verwaltet. Gustav II. Adolf inszenierte sich als Erlöser. Eine entsprechende Medialisierung folgte. 1632/33 mussten allerdings die der Liga, den Klöstern oder dem Bischof nahestehenden Bürger die Reichs- und Domstadt verlassen, wenn sie ihren Treueeid auf die schwedische Krone verweigerten. Ein Kupferstich zum Abschied und Auszug „der Papistischen Geistlichen und Ordens Leutten zu Augspurg, so sich gewe[i]gert, der Cron Schweden, und ihren Confoederirten den Eyd der Trew, und Beystands zu leisten“ hielt 1633 diesen Exodus für die Nachwelt lebendig. Es ging meist um steuerbefreite Bürger aus den Stadtimmunitäten, „welche deßwegen den 9./19. May zu der Statt hinauß und mit sack und pack, Götzen und Gümpelwerck biß nacher Landsperg convoiert worden“ sind.
Lieder, Gedichte, Flug- und Kampfschriften verkündeten diese Botschaft. Sie wurden meist in den Anfangsjahren der schwedischen Herrschaft 1632/33 gedruckt. Der Liedtext „Augspurgischer Triumph“ war typisch für die Zeit: „Das ist/ Ein newes Lied/ darinnen der Tichter auß getrewem Hertzen/ der weitberühmten/ deß H. Römischen Reichs Statt Augspurg/ und allen denen/ so in beweldter Statt eins theils/ wegen Gottes Worts/ von den Feinden der Kirchen Christi hart betränget/ eins theils gantz und gar ins Elend vertriben worden/ Glück und Segen wünschet/ ja Gott Lob und Danck sagt/ daß er ihre Noth und Jam[m]er angesehen/ sie durch Königliche Mayestät in Schweden darauß erlöset/ und sein reines Wort ihnen wider gegeben hat.“
Charakteristisch für die Erwartungen der schwedischen Heeresleitung in den „befreiten“ Städten war auch eine ebenfalls 1632 gedruckte Beschreibung, „welcher Gestalt die Königl. May. zu Schweden/ [et]c. nach erhaltener Victori am Lechfluß wider die Käys. und Ligistische Armada/ gegen die Statt Augspurg geruckt. Dieselbe mit Accort erobert/ und nach geschehenem Abzug der Bäyrischen Besatzung eingezogen […]. Auch wegen Rahts und anderer Statt ämpter Königliche Ordinantz ergehen lassen.“
Augsburgs Drucker bedienten aber offenbar trotz Zensur weiterhin auch die Märkte der Katholischen Liga. 1632 folgte unter schwedischer Herrschaft die Auslieferung des Kriegsberichts zur Bischofs- und Domstadt Bamberg durch den Verleger Manasser. „Kurtze Beschreibung der Statt Bamberg/ im Hertzogthumb Francken gelegen : wie dieselbe von Ihr Excel: Herrn Graffen von Tylli/ als Kayserl: General/ auß der Schweden gewalt erobert und eingenommen.“
Nürnberg, Nördlingen und Dinkelsbühl
Süddeutschland und seine groß wie klein geschnittenen Reichsstädte – dazu zählten neben Augsburg das hier näher untersuchte Nürnberg (Bild VI) mit seinem großen Landgebiet, Nördlingen und Dinkelsbühl – rückten nach dem 17. September 1631 verstärkt in das Aktionsfeld des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf (1594–1632) und seiner Heeresführer. Voraussetzung dafür war der überwältigende Sieg der schwedisch-sächsischen Allianz gegen die von Johann Tserclaes Graf von Tilly geführten Truppen der Liga und des Kaisers in der Schlacht am Breitenfeld gewesen. Schweden ließ nun auf der Suche nach Konfessionsverwandten und politisch militärischen Verbündeten Verhandlungen mit den wichtigen evangelisch-lutherischen Reichsständen in den „Vorderen“ Reichskreisen aufnehmen, wozu unter den süddeutschen Reichsstädten Nürnberg, Rothenburg o. d. Tauber, Schweinfurt, Weißenburg auf der fränkischen sowie Memmingen, Nördlingen und Ulm auf der schwäbischen Seite zählten. Im unmittelbaren Adressatenkreis schwedischer Städte- und Bündnispolitik standen aber auch das konfessionsgemischte Augsburg, Dinkelsbühl und Kempten, das kirchenpolitisch als Doppelstadt mit evangelischer Bürgerstadt sowie altgläubiger Kloster- und Abtsstadt eine Sonderrolle spielte.
Nuremberg
Die zeitliche Einordnung der reichsstädtischen Schwedenjahre beginnt gut ein Jahr nach der Landung der schwedischen Armee auf der Ostseeinsel Usedom mit einem Sieg bei Breitenfeld und dem sich anschließenden Engagement Gustav Adolphs im Süden. Der Zeitkorridor endet mit dem Frieden von Prag, der mit Ferdinand II. am 30. Mai 1635 geschlossen wurde und der zum Abzug des bei Nördlingen geschlagenen schwedischen Heeres aus Süddeutschland führte. Nürnberg drängte nach der kampflosen Übergabe der reichsstädtischen Landesfestung in Lichtenau am 17. November 1631 an die Kavallerie Tillys durch Kriegskommissär Georg Scheurl von Defersdorf (1601–1699) auf die Umsetzung der schwedischen Schutzbündnisse. Gustav Adolph hatte sie im „Würzburger Vergleich“ mit den wichtigsten evangelischen Reichsständen – dazu zählten auch die beiden Fürstentümer Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth – bereits am 2. November 1631 abgeschlossen.
Ende März 1632 kam es zu einem ersten Besuch des schwedischen Königs in Nürnberg. Eine zweite Visite mit Quartier im Petz’schen Schloss Lichtenhof fand am 10. Juni statt Am 21./31. März wurde Gustav Adolph in Nürnberg mit den bis heute in Stockholmer Museen erhaltenen Geschenken willkommen geheißen. Man erklärte, im Schwedenkönig den künftigen Kaiser zu sehen – ein Treuebruch mit Ferdinand II., der noch Folgen haben sollte. Gustav Adolph bestätigte in deutscher Sprache die Nürnberger Ratsherren als die rechtmäßige, von Gott eingesetzte Obrigkeit. Im Imhoff’schen Stadtpalais nahm er anschließend Quartier, wo auch die Bündnisverträge mit Nürnberg vorbereitet wurden. Tage später sandte der Rat am 19. April 1632 Boten ins schwedische Hauptquartier vor der Stadt, um die zuvor „ausgefertigte Allianz“ zu überreichen und den König zu bitten, ob er denn auch das Exemplar, „darinnen die Worte ‚an Ayds statt’ ausgelassen worden“, unterzeichnen könnte. Es handelte sich um ein Militär- und Schutzbündnis („Spezialallianz“) mit Schweden, das den Rat berechtigte, den innerstädtischen Besitz des Deutschen Ordens und den der anderen Kloster- und Stiftshäuser zu säkularisieren.
In Nürnberg, wo man 1632 sogar Okkupationsmünzen in Gold- und Silberlegierung mit dem Brustbild Gustav Adolphs – stilisiert mit Lorbeerkranz und Harnisch – und einem schwedisch gekrönten Reichswappen prägen ließ, zeigen die Diskussionen im Großen und Kleinen Rat, dass keineswegs alle Ratsherren auf der Seite der Schweden standen. Franz Willax untersuchte einige dieser Ratsbiografien, die 1631/32 noch als sehr kaisernah galten und deren öffentliche Reputation in der Schwedenzeit stark beschädigt wurde.
Zum Kreis der alten kaisertreuen Stadtelite, dem man nun auch Stadtverrat und Spionage zutraute, zählte Hans Jacob Voit von Wendelstein (1577–1633), der im städtischen Militär als „Befehlshaber“ Karriere gemacht hatte. Voit war wiederholt in fremde, auch in bayerische Dienste getreten und er kritisierte als verbales Raubein das mit den Schweden im Schulterschluss kooperierende Ratsregiment. Vermehrt nahm man deshalb Anstoß an seinen „Reden, Drohungen, Verunglimpfungen und Tätlichkeiten“. Zu seinem Sympathisantenkreis zählten Martin Carl Haller sowie die Gebrüder Lucas und Sebastian Welser, gegen die der Rat wegen angeblicher Kontakte zum kaiserlichen Informanten Heinrich Husan und wegen Aufruhrs Polizeimaßnahmen beschloss. Sie galten als „gefährliche Patrioten und schädliche Leuth.“
Und ihre Kontakte reichten in der Stadt bis zu Sigmund Gabriel Holzschuher von Neuenburg (1575–1642), der als Septemvir, Zeugherr, Kriegsdeputierter und Landpfleger sowie als Vorsitzender des im Jahr 1631 neu formierten Kriegsrates eine für die Verteidigung Nürnbergs ganz herausgehobene Funktion einnahm. Mit dem Verdacht der Untreue gegen die Welser, deren Nürnberger Zweig 1493 das Bürgerrecht angenommen hatte, und mit der Familie Voit von Wendelstein, die seit 1360 als Mitinhaber des Gerichts in Wendelstein und als Nürnberger Bürger belegt sind, drohte der kaiserlich-schwedische Dualismus zu eskalieren und Teile der Nürnberger Oberschicht zu spalten.
Nürnbergs Alltag war in der Schwedenzeit erfüllt durch umfangreiche Arbeiten an seiner Befestigung, entlang der neuen „Zirkumvalliationslinie“. Gustav Adolph hat vor der Schlacht an der Alten Veste bei Nürnberg im Sommer 1632 als Folge seiner zahlenmäßigen Heeresunterlegenheit die Reichsstadt neu befestigen lassen. Es entstand unter Leitung schwedischer und fränkischer Kriegs- und Fortifikationsingenieure – beteiligt waren u.a. der schwedische Ingenieur und Kriegsbaumeister Frans de Traytorrens (1590–1660), Generalquartiermeister Olao Johanne Gotho und der Nürnberger Zeugmeister Johann Carl – die Zirkumvalliationslinie mit Laufgräben, aus Stein, Erde und Sand aufgeschütteten Schutzwällen und den aufwändig gestalteten Sternschanzen.
Die Befestigungsarbeiten, die Verpflegung der Schanzer – zeitweise waren bis zu 840 Arbeiter im Einsatz – und der Unterhalt der Verteidigungslinie belasteten den reichsstädtischen Zahlungsverkehr neben den horrenden Kriegskosten zusätzlich. Die Einlagen des Banco Publico fielen über Jahrzehnte. Der Kontostand des Banco Publico erreichte mit 45.995 Gulden im Juni 1635 einen historischen Tiefstand. Vor Beginn des Schwedenkriegs im Januar 1631 belief sich der Einlagenstand noch auf 709.568 Gulden. Die Arbeiten an die ins Umland vorgeschobene Fortifikation basierten einerseits auf ungemessenen Schanzdiensten seitens der Nürnberger Bürger und sie führten andererseits als bezahlte „Werkpagen“ Spezialisten in die Stadt, die aus den Niederlanden kamen, wo sie im Deich- und Wallbau reiche Erfahrungen gesammelt hatten. Ehemalige Bergknappen aus dem sächsisch-böhmischen Erzgebirge verstärkten die Nürnberger Fortifikationsexperten in der „Deputation zum Schanzwerk“. Franz Willax handelte 1995 ausführlich über diese Schlacht bei Nürnberg, Zirndorf und Fürth und die damit eng verbundenen neuen reichsstädtischen Befestigungsanlagen im zugehörigen politisch-strategischen Umfeld.
Nördlingen
Wesentlich nachhaltiger als in Nürnberg wirkte die schwedische Zivil- und Militärverwaltung in Nördlingen. Dietmar-H. Voges bezeichnete die Jahre unter schwedischer Stadtherrschaft als „reichsabtrünnig“, sie wechselten mehrmals mit den „reichstreuen“ und kaiserlichen Zeiten. Der protestantisch schwedische Einfluss dauerte von 1618–1623, 1632–1634 und schließlich von 1645–1650, womit er am Ende sich noch zwei Jahre über die Friedensverträge von Osnabrück und Münster hinaus erstreckte. In dieser Zeit war die Stadt wiederholt von Seuchen und der Belagerung durch die kaiserlich-ligistische Armee bedroht. Die Not verstand man als Zeichen Gottes, die der spätere Nördlinger Chronist und Superintendent Johann Daniel Haack (1651–1686) entsprechend kommentierte.
Nach dem Krieg schrieb er zum 8. August 1634: „[…] da alles auf die Statt herunter zum endlichen untergang gericht gewesen. Anhero so hat es geheißen, ô noth du lehrest beten! Da hat es freilich wol uns Norlingern gegolten, dann wir hatten zuvor allbereit in der Statt zwo Hauptplagen und straffen, nemblich die pestilentz und Theuerung, die dritte kam darzu, als Belägerung, Krieg und Blutvergießen: Dannenhero wolt das Lachen Teuer werden und hieß: ô Gott stehe uns bey und hülff uns überwinden.“
Der schwedisch dominierte Rat versuchte mit neuen Steuern dem Konkurs gegenzusteuern. Man führte als eine Art direkter Kopfsteuer neue „Anlagen“ ein, die bei Bedarf mehrmals jährlich erhoben wurden und die in ihrer Höhe als Doppel-, Triple-, Vierer- oder Fünferanlage flexibel handhabbar waren.
Die Schweden hinterließen jedoch in Nördlingen keineswegs nur Wall-, Pallisaden- und Befestigungsareale. Finanz- und Steuerfragen drängten angesichts kriegsbedingter Verluste, Ernteschäden, Handelsbehinderung und -stagnation und wachsender Schuldenberge. So verlor auch die bekannte Nördlinger Pfingstmesse als bedeutender interterritorialer Woll- und Tuchumschlagsplatz an Bedeutung. Nach 1648 wurden dort kaum noch Fernhändler registriert. Ebenso halbierte sich in Nördlingen in den Kriegsjahren 1627 bis 1633 die Zahl der zugelassenen Händler und Handwerker. Wie tief allerdings der Schwedenkrieg in die gewachsene Infrastruktur der Reichsstädte einschnitt, ist noch immer weitgehend ungeklärt. Konfessionsentscheidungen spielten dabei weiterhin eine Rolle, vor allem im Kalkül neuer wie alter Eliten, wenn man den Schwedenkönig als Heilsbringer wahrnahm und den Bündnisfall als richtige Religionsentscheidung auffasste.
Dinkelsbühl
Die schwäbisch-fränkische Reichsstadt Dinkelsbühl ließ Gustav Adolph über seinen Heerführer, den Oberst Klaus Dietrich von Sperreuter, seit Mai 1632 verwalten. Dieser Vorgang lag im System der Kriegsführung, die den führenden Berufssoldaten für ihre Dienste die Einkünfte aus mediatisiertem Reichsgebiet in Aussicht stellte. Sperreuter erhielt u.a. Ellwangen, das Hochstift Eichstätt und die Reichsstädte Nördlingen und Dinkelsbühl zugesprochen, wobei das Dinkelsbühler Deutschordensland auch von Nürnberg beansprucht wurde. In Dinkelsbühl setzte Sperreuter im Namen des schwedischen Königs den alten Rat umgehend ab und ließ am 25. Mai 1632 neu wählen. Die schwedische Stadtherrschaft dauerte dann unter Sperreuter und seinem Personenstab bis zum Sommer 1633, nachdem es zuvor fortgesetzt zu Beschwerden über Kriegskontributionen, Steuern, „Verehrungen“ und „Recompenz“ zwischen dem Rat und dem Oberst gekommen war. Im Januar 1633 resümierte Sperreuter zu seinem Geld- und Finanzverhältnis zur Reichsstadt Dinkelsbühl. Er sei maßlos enttäuscht, da dort nur Bürger lebten, die, um „es Teutsch zu sagen, die undankbarsten Leute auf der Welt“ sind, und die „ihm bisher allen despekt erwiesen“.
Dinkelsbühl erfuhr, wie erwähnt, in der Schwedenzeit einen radikalen Kurswechsel in der Rats- und Konfessionsfrage. Nach der Umbildung der Stadtgremien im Mai 1632 wurde die bisher von den Katholiken genutzte St. Georgskirche dem evangelischen Rat unterstellt. Die katholischen Pfarrhäuser gingen ebenso wie die Schulhäuser an die evangelische Ratsmehrheit. Die schwedisch besetzte Stadt säkularisierte den Deutschen Hof mitsamt seinen Landgütern, wofür das schwedische Stadtoberhaupt Oberst Sperreuter 2.000 Reichstaler „Rekompens“ erhielt. Nach Differenzen mit dem Rat, der dem schwedischen König „trew und holdt zu sein gelobt und geschworen“ hatte, wollte Oberst Sperreuter die Stadt gar seinem Regiments-„Schultheißen“, Dr. jur. Eitel Günther, unterstellen. Er sollte dem Rat „adjungirt“ sein für 150 Gulden als wöchentliche Gage. Proteste ließen nicht lange auf sich warten. In Dinkelsbühl besann man sich jetzt erneut seiner vom Kaiser herrührenden Reichsfreiheiten, obwohl man im Bund mit der Union stand.
Results
Grundsätzlich ist auch für die süddeutschen Reichsstädte im Schwedenkrieg festzuhalten, dass ihre traditionelle Militär-, Heeres- und Schlachtengeschichte besser untersucht ist als die zivile, ökonomische und soziokulturelle Seite der 1630er Jahre. Bezeichnenderweise stammen die topographisch genau nachgezeichneten Schlachtenbeschreibungen wiederholt aus der Feder lange gedienter Offiziere, die sprachlich wie inhaltlich von militärischem Geist zeugen. So sprach ein Major a.D. namens Wilhelm Pickel im Kontext des Schlachtgeschehens an der Alten Veste vor Nürnberg vom „Feuergeist“ Gustav Adolphs, der „persönlich oft im Brennpunkt des Kampfes in vorderster Reihe zu finden“ war. Der aussagekräftige Untertitel seiner forschen Abhandlung lautete dann bezeichnend: „Eine Studie über Führerpersönlichkeiten“. Innerhalb der von uns im Kriegsgeschehen näher untersuchten süddeutschen Städte Augsburg, Nürnberg, Nördlingen und Dinkelsbühl spielte für die Fragen zum Dreißigjährigen Krieg beispielsweise die Schlacht bei Nördlingen vom 6. September 1634 eine hervorgehobene Rolle. Diese Schlacht endete bekanntlich mit dem Sieg der Liga über die Schweden und ihrer protestantischen Verbündeten. Sie führte zum Abzug der Schweden aus Süddeutschland. Es folgte die Einnahme Nördlingens durch kaiserliche Liga-Truppen, zu einem erneuten Wechsel vieler ziviler Stadteliten und schließlich zum Prager Frieden vom 30. Mai 1635, den Axel Oxenstierna mit dem Ende des protestantischen Bündnisses als kaiserlichen Triumph akzeptieren musste. Er sprach von einem zweiten Nördlingen.