Remembering the past?

Bemerkungen zur Genese und Wirksamkeit von Denkmälern

Im Rahmen der Veranstaltung "Renunciation (Höffe)", 10.11.2021

Am Beginn steht eine Frage an alle Leser: Sind Sie in letzter Zeit einem Denkmal begegnet, an dem Sie nicht nur einfach achtlos vorbeigeschlendert sind, sondern das Sie bewusst wahrgenommen haben? Und wollten Sie sich mit diesem Denkmal, an dem Sie vorbeigekommen sind, konkret auseinandersetzen?

Vor kurzem hätte wohl kaum jemand geantwortet, dass er ein Denkmal aktiv wahrgenommen habe. Inzwischen hat sich das erkennbar verändert. Die Black-Lives-Matter-Bewegung, die zunehmende Kritik an den Folgen des Kolonialismus, die offensichtlich wachsende Sensibilität in der gegenwärtigen Gesellschaft, vor allem in Europa und in den USA, an diversen Formen der Unterdrückung haben dafür gesorgt, dass Denkmäler wieder stärker in unseren Blickwinkel geraten sind. Allerdings muss man sofort wieder einschränken, dass nur solche Denkmäler mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die im Ruch stehen, an jene Männer und deren Taten zu erinnern, die inzwischen massiv kritisiert werden, weil sie in der Vergangenheit den Kolonialismus gefördert oder von ihm profitiert, weil sie in der Vergangenheit Kriege geführt oder gar vom Zaun gebrochen, weil sie in der Vergangenheit Teile der Gesellschaft diskriminiert haben.

Grundsätzlich ist zu Anfang aber festzuhalten, dass Denkmäler in großer Zahl unseren alltäglichen Lebensraum bevölkern: An Häusern, in denen einmal eine berühmtere Persönlichkeit abgestiegen ist, findet man Gedenktafeln; in Städten und Märkten bevölkern die Großen der Vergangenheit in Erz oder Stein Straßen und Plätze; Staatsbesuche kommen häufig nicht ohne Denkmäler aus, denn wo sollte man sonst die obligatorischen Kränze niederlegen, und fast jeder noch so kleine Ort besitzt zumindest ein Kriegerdenkmal. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass die Mehrzahl dieser Denkmäler und Gedenktafeln und -Plaketten in unseren Städten und Dörfern, mitunter sogar mitten in freier Natur, eher wie verstaubte und unbeachtete Möbelstücke herumstehen. Vor allem dort, wo wir zu Hause sind, wo wir uns auskennen, nehmen wir Denkmäler kaum noch wahr, wir gehen achtlos an ihnen vorüber. Um jedoch zu erkennen, was die Initiatoren von Denkmälern eigentlich mit deren Hilfe erreichen wollten, ja häufig noch immer anstreben, bedarf es einiger Überlegungen dazu, was ein Denkmal eigentlich ist, wann man damit begonnen hat, Denkmäler zu errichten, und was in den meisten Fällen passiert, wenn solch ein Denkmal erst einmal fix und fertig auf seinem Sockel steht.

 

I.

Ein Denkmal – was ist das eigentlich? Hierfür kann man etwa im Wörterbuch zur Geschichte von Erich Bayer und Frank Wende nachschlagen. Dort werden diverse Untergruppen von Denkmälern unterschieden: Bau- und Kunstwerke aller Art, aber auch Inschriften, besonders aus dem Altertum und dem Mittelalter, sowie Urkunden, Münzen und Medaillen, Siegel, Wappen, Waffen. Und als Definition ist hier u. a. zu lesen: Denkmäler seien „nach J[ohann] G[ustav] Droysen […] die Quellengruppe zwischen den unentstellt überlieferten Überresten und der mehr oder weniger subjektiv gefärbten Tradition“.

Wenn man sich nun aber etwa das Münchner Siegestor oder das Bismarckdenkmal am Starnberger See bzw. die Reiterstatue, die Prinzregent Luitpold in München vor dem Bayerischen Nationalmuseum darstellt, anschaut, dann scheinen diese Objekte recht wenig mit einer solchen Definition zu tun zu haben. Und tatsächlich zielt sie auf einen älteren Denkmalbegriff, einen Denkmalbegriff aus dem 19. Jahrhundert, der alle Hinterlassenschaften – wir würden heute sagen: alle Quellen aus der Vergangenheit – als Denkmäler bezeichnete, römische Münzen ebenso wie mittelalterliche Kloaken, die Barockschlösser des europäischen Adels ebenso wie die Reste keltischer Befestigungsanlagen, die autobiographischen Aufzeichnungen der Liselotte von der Pfalz aus dem 17. Jahrhundert ebenso wie Fuggersche Rechnungsbücher.

Dieser zitierte, eher inflationäre Denkmalbegriff muss im hier traktierten Zusammenhang drastisch eingeschränkt werden. Es geht im Folgenden also weder um antike Münzen, die das Portrait des in ihrer Entstehungszeit regierenden Kaisers tragen, noch etwa um Waffen, die man als Überrestquellen für die Kriegstechnik vergangener Zeiten interpretieren kann. Aber es geht ebenso wenig um die klassischen Baudenkmäler, die von den Denkmalschützern allesamt als „Denkmäler“ bezeichnet werden. Denn solche Baudenkmäler wurden für ganz bestimmte Funktionen errichtet, was freilich im Staunen, dass solche Bauten überhaupt noch erhalten sind, im Staunen, was die Altvorderen mit primitiver Technik zustande gebracht haben, häufig vergessen wird.

Zu derartigen Baudenkmälern zählt etwa die Münchner Residenz, die von den bayerischen Herzögen, Kurfürsten und Königen gebaut und immer wieder erweitert wurde, um darin prunkvoll wohnen und vor allem um angemessen repräsentieren zu können. Zu den Baudenkmälern gehört ebenso die Nürnberger Lorenzkirche, die als Gotteshaus und als Ort für Gottesdienste errichtet wurde. Solchen Gebäuden kann man also pragmatische Funktionen zuordnen; erst aufgrund ihres Alters, aufgrund ihrer möglicherweise kunsthistorischen Bedeutung, vielleicht auch aufgrund ihrer Einzigartigkeit sind sie zu schützenswerten Objekten des Denkmalschutzes geworden, der sie als „Denkmäler“ tituliert, der sie aber präziser als „Baudenkmäler“ bezeichnen sollte.

Wenn man sich nun wieder das Münchner Siegestor, den Bismarckturm am Starnberger See, die Luitpold-Statue vor dem Bayerischen Nationalmuseum vor Augen führt, dann läßt sich rasch erkennen, dass die drei zuletzt genannten Objekte von ganz anderem Zuschnitt sind. Diese zuletzt genannten Denkmäler wurden gebaut, um Erinnerung zu schaffen und zu bewahren.

 

II.

Und so sollen nun endlich folgende Denkmäler des 19. und 20. Jahrhunderts im Vordergrund stehen, die das englische Wort „monument“ näher, ja treffender charakterisiert. Gemeint sind also DENK-MALE wie u. a. Reiterstandbilder, Künstlerbüsten sowie größere Figurenensembles (etwa die Mahnmäler für den Todesmarsch der Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau), gemeint sind daneben aber gleichermaßen DENK-MALE, für die eine architektonische Form gewählt wurde (z. B. das Münchner Siegestor oder die Kelheimer Befreiungshalle) sowie eher abstrakte Monumente (z. B. das Denkmal für die Opfer der Berliner Luftbrücke). All dies sind DENK-MALE, die gesetzt wurden, um ganz bewusst Erinnerung zu initiieren, zu bewahren, zu verändern usw.

Angeschnitten ist damit die Frage einerseits nach den Funktionen des Denkmals und andererseits nach den Gründen, warum solche Denkmäler überhaupt aufgestellt wurden und noch immer aufgestellt werden. Über drei Zeitebenen erstrecken sich die Funktionen und Wirksamkeiten von Denkmälern: Auf den ersten Blick scheinen Denkmäler vor allem oder gar ausschließlich auf die Vergangenheit zu verweisen. Denn schließlich gehört zu den Motiven für ihre Errichtung der Wunsch, Erinnerung an eine zumeist verstorbene Person oder an ein vergangenes Ereignis zu stiften. Und diese Person bzw. dieses Ereignis soll auf oder an dem Denkmal zu sehen, zumindest zu erahnen sein. Besonders einfach nachvollziehbar ist dieser Umstand, wenn man an die vielen Personendenkmäler denkt, die Goethe und Schiller, die die bayerischen Könige Ludwig I. bzw. Max II., die daneben aber auch Persönlichkeiten als Statue oder Büste zeigen, die vielleicht nur regionale oder lokale Bedeutung erlangten. Doch selbst architektonisch oder abstrakt gehaltene Denkmäler können an Personen oder Ereignisse erinnern, zu nennen sind in diesem Zusammenhang die vielen Bismarcktürme und Bismarcksäulen und ebenso das Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig.

Gleichzeitig aber wohnt Denkmälern ein starker Bezug zur Gegenwart ihrer eigenen Entstehungszeit inne. Denn indem die Initiatoren des Denkmals sich bemühen, Erinnerung zu stiften oder wachzuhalten, sprechen sie über die darzustellenden Personen, Ereignisse und Ideen ein in der Regel positives Werturteil aus und befinden, dass all dies der Erinnerung würdig sei.

Als dritte zeitliche Ebene ist darüber hinaus die Zukunft in jedes Denkmalprojekt einbezogen. Schließlich soll noch weit in die Zukunft hinein das einmal gesetzte Denkmal auf die Betrachter wirken, soll es die angestrebte Erinnerung nicht nur für eine, sondern für viele Generationen gewährleisten.

Den Denkmälern kommen jedoch noch in einer ganz anderen Hinsicht Erinnerungsfunktionen zu: Denn meist soll auch an den oder die Initiatoren des Denkmals selbst – und das beide Male sowohl im Sinne von „to remind“ (jemanden erinnern) als auch im Sinne von „to remember“ (sich erinnern) – erinnert werden. Das bedeutet, dass sich derjenige, der Erinnerung mit Hilfe eines Denkmals stiften oder bewahren will, gleichzeitig ganz bewusst in eine Traditionslinie hineinstellt, sei sie nun kultureller oder politischer Natur. Wer Denkmäler initiiert, plant oder fördert, gibt somit zum einen zumindest Teile seiner eigenen Weltanschauung zu erkennen. Er möchte aber zum anderen in den meisten Fällen auch als der Schöpfer des in Rede stehenden Monuments selbst in Erinnerung bleiben. So ist etwa auf der Rückseite des Sockels des von Ludwig I. initiierten und finanzierten Standbildes für Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn in Würzburg zu lesen: „Errichtet von Ludwig I. König von Bayern, Herzog von Franken 1847“.

Aber noch zwei weitere Aspekte gehören zum Komplex „Funktionen des Denkmals“. So sollen diese Monumente erstens eine besondere Form der Erinnerung stiften, nämlich keine private Erinnerung, sondern eine, die in und von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Das Ziel des Denkmalschöpfers ist, persönliches Credo, Werthaltungen, Urteile über die Vergangenheit im Medium des Denkmals einerseits öffentlich zu machen und andererseits – wie schon erwähnt – der Nachwelt zu überliefern. Damit setzt sich derjenige, der solch eine Initiative in Angriff nimmt oder unterstützt, zweitens ganz bewusst der Diskussion seines Projektes aus, er will also in der Öffentlichkeit sowie bei den nachmaligen Betrachtern Wirkungen erzielen, er will bestimmte Urteile und Sichtweisen hervorrufen oder unterdrücken, stärken oder schwächen, er will Meinungen machen und beeinflussen.

Gerade die Tatsache, dass mit Hilfe von Denkmalsetzungen Meinungen beeinflusst werden sollen, lenkt den Blick auf einige besondere Wesensmerkmale des Denkmals. Der wichtigste Aspekt in dieser Hinsicht ist sicherlich, dass Konzeption, Planung und Verwirklichung von Denkmälern in keiner Weise der historiographischen Korrektheit, nicht dem Anspruch des Historikers nach möglichst großer Objektivität verpflichtet sind – und dies auch nicht sein müssen! Ein Denkmal kann und will und wird nie ein auf den Sockel gestelltes Fachbuch sein! Mit der Hilfe von Denkmälern wird vielmehr ein ganz besonders selektiver Zugriff auf die Vergangenheit praktiziert, sowohl was die Auswahl der darzustellenden Person, des darzustellenden Ereignisses betrifft als auch hinsichtlich der zumeist ganz eindeutigen inhaltlichen Verortung dieser Person bzw. dieses Ereignisses.

Als Beispiel hierfür mag das Denkmal für König Max I. Joseph in München dienen. Dieses Monument zeigt nichts anderes als eine ungetrübte Erfolgsstory der Herrschaft des ersten bayerischen Königs, es verschweigt die Tausenden von Toten während der Napoleonischen Kriege, es verschweigt die territorialen Verluste, es verschweigt den kulturellen und sozialen Kahlschlag im Umkreis der aufgelösten Klöster, es verschweigt im Grund alles Negative der Jahre zwischen 1799 bzw. 1806 und dem Jahr 1825, dem Todesjahr Max Josephs. Hier zeigt sich überdeutlich: Multikausalität der Interpretation wird im Denkmal nicht angestrebt und ist in diesem Medium tatsächlich nicht zu verwirklichen!

Der Umstand, dass in parlamentarisch-demokratischen Staaten die Errichtung von Denkmälern ganz offensichtlich mit größeren Schwierigkeiten und längeren Auseinandersetzungen verbunden ist, hat wohl im gerade Geschilderten seinen Ursprung. Eine angemessene Beurteilung von Denkmälern erfordert es daher, vor allem die politischen Wirkungszusammenhänge ihrer Entstehungszeit in den Blick zu nehmen. Denn genau diese politischen Wirkungszusammenhänge der Entstehungszeit beeinflussen, ja bestimmen grundlegend sowohl den Inhalt als auch die Art der Darstellung, somit die Interpretation all jener historischen Persönlichkeiten und Ereignisse, die man auf einen Sockel gehoben hat oder noch heben will.

 

III.

Die enge Verbindung zwischen dem im Medium Denkmal ausgesprochenen Werturteil, der darin enthaltenen Botschaft über die Vergangenheit und dem gesellschaftlichen, kulturellen, politischen Tagesgeschehen seiner Entstehungszeit, diese enge Verbindung hat allerdings zur Folge, dass die meisten Denkmäler, ganz entgegen der Absicht und den Hoffnungen ihrer Auftraggeber, die Neigung haben, nach kürzerer oder längerer Zeit gleichsam zu verschwinden. Sie sind zwar weiterhin materiell vorhanden, doch sobald sich die öffentliche Auseinandersetzung, die in den meisten Fällen mit der Planungs- und der Bauphase von Denkmälern einhergeht, beruhigt hat, verschwindet gleichzeitig das eben noch heiß umkämpfte Streitobjekt aus der Wahrnehmung.

Verstärkt wird dieses Unsichtbarwerden, diese der Absicht der Denkmalschöpfer so krass entgegenstehende Entwicklung, noch durch den Umstand, dass die an den Denkmälern verwendete Ikonologie mit der Zeit unverständlich wird. Eine Vielzahl der an den Denkmälern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verwendeten Bedeutungsträger (besondere Assistenzfiguren, unterschiedlich eingesetzte architektonische Grundformen, besondere Symbole usw.) sind längst zum Spezialwissen von Historikern und Kunsthistorikern ­herabgesunken. So wurden etwa in Bayern zum Lob der bayerischen Verfassung von 1818 an einigen Orten Steinwürfel errichtet. Die an allen Seiten gleichgroße Oberfläche der Würfel sollte die Perfektion der Verfassung von 1818 versinnbildlichen. Der heutige Betrachter kann derartige Botschaften zumeist nicht mehr entziffern. Ein nicht zu dechiffrierendes Denkmal aber mutiert zum reinen Kuriosum, im besten Fall zum dank seines Alters schützenswerten Baudenkmal.

Im Titel dieser knappen Skizze ist zudem von der Genese von Denkmälern die Rede. Damit ist nicht nur die Entstehungsgeschichte einzelner dieser Monumente gemeint, von der ersten Idee, über die Suche nach Unterstützern und Finanzierungsmöglichkeiten, über das Bemühen um staatliche Akzeptanz – denn die meisten Denkmäler stehen ja auf öffentlichen Plätzen und müssen daher genehmigt werden –, über Ausschreibungen und Baupläne bis zur letztendlichen Realisierung. Um die Denkmäler besser verstehen und interpretieren zu können, bedarf es noch einiger weniger Bemerkungen zur Genese des Denkmals an sich. Alle diejenigen, die angesichts der heutigen Fülle solcher städtebaulicher Objekte in Erz und Stein der Überzeugung sind, derartige Monumente mit ihrer eindeutigen Erinnerungsfunktion gebe es eigentlich „schon immer“, mögen vielleicht erstaunt sein, wenn nun davon die Rede ist, dass jene Denkmäler, die Menschen bzw. deren Taten glorifizieren, Erfindungen erst des 19. Jahrhunderts sind. Begünstigt wurde diese Entwicklung von der Aufklärung, die vor allem die diesseitigen Taten und weniger das jenseitige Schicksal des Menschen in den Mittelpunkt stellte. Den eigentlichen Schub, Denkmäler mit Erinnerungsfunktion zu bauen, kann man im frühen 19. Jahrhundert erkennen. Mit verursacht wurde dies einerseits vom Aufschwung einer immer stärker wissenschaftlich betriebenen Geschichtsforschung – Geschichte wurde damals mehr oder weniger zu jener Wissenschaft, die scheinbar alles erklären konnte und sollte. Andererseits wirkte sich hier der Boom des nationalen Gedankens, der nationalen Idee aus, freilich nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Mit dem Wunsch, die eigene Nation zu feiern bzw., wie in Deutschland und in Italien, überhaupt erst als Staatsnation zu begründen, goß man zuerst einmal für all jene Statuen oder meißelte sie aus Stein, denen man zubilligte, Große der eigenen Nation zu sein und diese identitätsstiftend verkörpern zu können. Das begann in den deutschen Staaten 1821 mit Luther in Wittenberg, anschließend folgten 1836 Gutenberg in Mainz und Dürer in Nürnberg (1837–1840).

Rasch wurden in so gut wie jeder größeren Stadt Denkmäler und immer mehr Denkmäler errichtet, für nationale Helden, unter die man aber auch Künstler wie Schiller und Goethe zählen konnte, für Monarchen und Fürsten, für Heroen aus grauer Vorzeit – verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald. Seither hat das Bemühen um immer neue Monumente, das Entdecken immer weiterer Personenkreise, die man als denkmalwürdig identifizierte, nicht mehr richtig nachgelassen. Dazu kamen noch, ebenfalls etwa seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, der Sonderfall der Kriegerdenkmäler, sowie – nach dem Zweiten Weltkrieg – die Sonderform der Mahnmäler. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurde diese Entwicklung von nicht wenigen als „Denkmalwut“ oder „Denkmalpest“ bezeichnet und vehement abgelehnt.

 

IV.

In aller Kürze soll nun noch der Stand der Forschung zum Thema Denkmal angesprochen werden. Hier gilt es vier Aspekte zu thematisieren, zumeist in Beschränkung auf die Situation in Deutschland.

Erstens: Den Denkmälern widmen sich – soweit es die universitäre Forschung betrifft – vor allem Historiker und Kunsthistoriker. Dass das Thema „Denkmal“ für einen interdisziplinären Forschungsansatz besonders prädestiniert ist, versteht sich dabei von selbst.

Zweitens: Zwei Pilotstudien stehen am Beginn des auf Denkmäler ausgerichteten Interesses der historischen Forschung: Franz Schnabels Abhandlung „Die Denkmalkunst und der Geist des 19. Jahrhunderts“ von 1939 sowie Thomas Nipperdeys Aufsatz „Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert“ aus dem Jahre 1968. Seit den frühen 1980er Jahren kam es dann zu einer regelrechten Inflation von Veröffentlichungen zum Thema „Denkmal“, die allerdings in den letzten etwa zehn Jahren ein wenig abgeebbt ist. Angesichts des jedoch kürzlich wiedererwachten Interesses an den Denkmälern und ihrer Erinnerungsfunktion – inzwischen aber eher im negativen Sinne, denn Denkmäler werden seit kurzem ja häufiger gestürzt denn neu gebaut – dürfte sich in absehbarer Zukunft auch die Forschung abermals verstärkt diesen Monumenten zuwenden. Und tatsächlich ist bereits eine erste neue Veröffentlichung auf dem Markt, die den gerade erwähnten Trend bestätigt: Im vergangenen Jahr erschien aus der Feder von Kirsten Otto: Berlins verschwundene Denkmäler. Eine Verlustgeschichte von 1918 bis heute, Berlin 2020.

Drittens: Nicht allein die angesprochene Flut von Veröffentlichungen in den frühen 1880er Jahren hat die Denkmal-Literatur rasch ziemlich unübersichtlich werden lassen. Dazu trug und trägt noch heute vor allem die große Anzahl von Klein- und Kleinstschriften zu einzelnen Denkmälern bei, die zudem – etwa als Privatdrucke – vielfach nicht über den Buchhandel zu beziehen sind. Was dagegen noch immer fehlt, ist ein umfassendes „Handbuch“ zum Denkmal im 19. und 20. Jahrhundert, allein schon im Hinblick auf die Denkmalentwicklung in Deutschland bzw. in den deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts.

Viertens: Stattdessen erschienen in den 1980er und 1990er Jahren einige wenige reich bebilderte Prachtbände zu einzelnen prominenteren Denkmälern. Diese waren zuvor meist einer umfassenden Restaurierung unterzogen worden. In den erwähnten Publikationen werden daher nicht nur die Planungs- und Baugeschichte dieses Monuments berücksichtigt, sondern gerade der Restaurierungsphase, genauer den Restaurierungstechniken widmet man hier größere Beiträge. Einen weiteren Literaturtyp in Sachen Denkmäler stellen solche Bände dar, die die gesamte Denkmaltopographie einer Gemeinde oder Stadt behandeln.

Nach den wenigen Hinweisen zur Forschungssituation schließt sich nun die Frage an, was interessiert die Forschung eigentlich am Denkmal – und das beinhaltet ja auch: Was sollte uns alle am Denkmal interessieren, wenn wir es lesen, wenn wir es einigermaßen verstehen wollen? Soweit es die Entstehungsgeschichte dieser Monumente betrifft, stehen der intendierte Inhalt des Denkmals – an wen oder was soll erinnert werden? – und dessen Zusammenhang mit der gesellschaftlichen und politischen Situation der Entstehungszeit – wann wird warum an was erinnert? – im Mittelpunkt. Bezogen auf eine ganze Stadt, nehmen wir der Einfachheit halber die bayerische Landeshauptstadt München, würde das z. B. bedeuten, sich anzusehen, wie viele Monarchen, wie viele Künstler, wie viele Politiker – und jeweils welche? – wurden und werden zu welcher Zeit hier in Denkmälern verewigt? Es geht außerdem um die Person, den Personenkreis, der ein solches Denkmalprojekt vorantreibt und um dessen Widersacher. Darüber hinaus ist zu fragen, wie viel Zeit verging zwischen der ersten Idee zur Errichtung eines Denkmals und seiner Realisierung, dauerte es lange oder nicht und warum war das so? Waren nicht genügend Mitstreiter zu mobilisieren oder schaffte man es nicht, die nötigen Geldsummen aufzubringen.

Gleichermaßen sollte uns interessieren, ob es bei dieser oder jener Denkmalinitiative eine Vielzahl unterschiedlicher Entwürfe, ob es eine öffentliche Ausschreibung gab? Und warum wurde dieser oder jener Entwurf zurückgewiesen, wer entschied darüber? Kam das nötige Geld von einer oder von wenigen Personen oder von irgendwelchen Institutionen oder wurde eine öffentliche Sammlung organisiert? Wurde ein Projekt vielleicht völlig verhindert? Welche politischen Ziele verfolgen der oder die Initiatoren des Denkmals? Was für ein Urteil wird bis heute im jeweiligen Denkmal über den gewählten Teilaspekt der Geschichte gesprochen? Entsprach bzw. entspricht dieses Urteil den traditionellen Wertungen der Entstehungszeit oder nicht? Und inzwischen ist vor allem zu entscheiden, ob wir uns heute noch mit den damals auf den Sockel gebrachten Werturteilen identifizieren können und wollen, sind sie uns gleichgültig geworden oder lehnen wir sie inzwischen sogar ab?

Bezüglich des schließlich fertiggestellten Monuments ist nach den Modalitäten zu fragen, mit denen es der Öffentlichkeit übergeben wurde. Gab es ein Fest, gab es eine große Resonanz in den Medien? Wie sah oder sieht die weitere „Nutzung“ des Denkmals aus, werden dort z. B. noch immer regelmäßig Feste oder andere Rituale gefeiert? Bei vielen Denkmälern mag uns eine lange, ungebrochene Gedenktradition am Ort des Denkmals eher skurril erscheinen, doch es gibt Gegenbeispiele. Man denke nur an die noch immer jährlich, am Morgen des 24. Dezember, zelebrierten Veranstaltungen zur Erinnerung an die Sendlinger Mordweihnacht, zum einen hier in München, an der alten Sendlinger Kirche bei der Statue des Schmieds von Kochel, zum anderen zu Füßen des Waakirchener Löwen. An diesen Orten lebt die Erinnerung an z. T. ja lediglich erfundene Gestalten des Aufstandes von 1705 bis heute tatsächlich fröhlich fort. Und wenn ein Monument schließlich in die Jahre gekommen ist, als wie schwierig erweist es sich dann, das Geld für die Restaurierung zu beschaffen, wenn eine solche überhaupt angestrebt wird?

 

V.

Darüber hinaus sollte man das langfristige Schicksal von Denkmälern in der Forschung berücksichtigen. Wurden sie etwa infolge von tiefgreifenden politischen Veränderungen einfach nur vergessen oder hat man sie gar zerstört, und wenn ja, wer tat dies? Geschah ein solcher Akt des Niederreißens spontan und ungeplant, mitten in den Aufregungen und Wirren revolutionärer Umstürze oder steckte ein genauer Plan dahinter, vorbereitet womöglich von langer Hand? Im Jahr 1989 wurden z. B. diverse während der DDR-Jahre errichtete Denkmäler gestürzt, manche, aber durchaus nicht alle, sehr zeitnah zum Datum des politischen Zusammenbruchs der Deutschen Demokratischen Republik. Andere dieser Monumente stehen bis heute auf ihren Fundamenten.

Inzwischen müsste man noch fragen, ob es regelrechte Abstimmungen über die Entfernung oder – was sich sicherlich als bessere Lösung erweist – die Kommentierung umstrittener Monumente mit Hilfe zusätzlicher Plaketten und erklärender Texte gibt? Wurde das gestürzte Denkmal womöglich später wieder aufgebaut, wenn zumindest Teile davon noch vorhanden waren, wurde es gar komplett rekonstruiert? Dies geschah z. B. mit der monumentalen Kaiser-Wilhelm-Reiterstatue am Deutschen Eck bei Koblenz am Rhein.

Aber man sollte auch über die deutschen Grenzen hinausschauen. Zu fragen wäre dann u. a., ob unterschiedliche Nationen unterschiedliche Denkmäler bauen und wenn ja, was der Grund hierfür ist? Oder existieren selbst beim Denkmalbau stilistische und architektonische Moden, die die Staatsgrenzen überwinden? Bestehen Ähnlichkeiten z. B. zwischen französischen und deutschen Kriegerdenkmälern des Ersten Weltkrieges oder bestimmt vor allem die Tatsache, den Krieg gewonnen bzw. verloren zu haben – nicht also das grundsätzliche Thema der Trauer –, Form und Inhalt? Ja gibt es, um beim Beispiel der Kriegerdenkmäler zu bleiben, immer wiederkehrende stilistische Motive, die abseits vom Wandel des Stils allein der Totenklage verpflichtet sind?

Bisher kann man sicherlich Folgendes festhalten: Denkmäler sind vorzügliche Quellen, vorzügliche Untersuchungsgegenstände im Hinblick auf die Rekonstruktion politischer und gesellschaftlicher Absichten und Mentalitäten im Spannungsfeld zwischen politischer Artikulation und historischer Argumentation. Das heißt, mit Hilfe von Denkmälern sollen eigentlich politische Aussagen in die Öffentlichkeit transportiert werden, aber man tut dies, indem man aus der Mottenkiste der Vergangenheit Personen und Ereignisse hervorholt und auf Sockel stellt, die dann wiederum die intendierten aktuellen politischen Botschaften scheinbar oder tatsächlich verkörpern sollen.

Unterscheiden muss man jedoch, auch wenn man grundsätzlich von einer politisch motivierten Indienstnahme von Kunst, Kultur und Geschichte ausgeht, die wechselnde Intensität solcher Indienstnahme zu verschiedenen Zeiten und für je unterschiedliche Ziele. Neben den unstrittigen Kontinuitäten muss der Historiker gerade diese Unterschiede gebührend berücksichtigen, die man im Blick auf den jeweiligen Umgang mit Kunst, Kultur und Geschichte in monarchischen, in totalitären und in parlamentarisch-demokratischen Staaten erkennen kann.

Noch ein weiterer Komplex der Erforschung der Denkmäler ist anzusprechen: Denn besondere Schwierigkeiten treten auf, wenn man sich mit dem Komplex von Rezeption und Wirkung dieser Monumente beschäftigt. Hierbei ist eine Vielzahl unterschiedlicher Kategorien – und diese noch in wechselseitiger Verschränkung – in Rechnung zu stellen. Die sachliche Dimension von Rezeption und Wirkung zielt auf so unterschiedliche Felder wie einerseits die möglicherweise von Denkmälern hervorgerufenen – und von den Initiatoren erhofften – politischen Einstellungen und Handlungsweisen und andererseits auf die unter Umständen von Denkmälern beeinflussten Deutungsmuster der Vergangenheit bzw. auf veränderte Formen des Geschichtsbewusstseins.

Zudem ist stets zu berücksichtigen, dass intendierte und tatsächlich eintretende Wirkungen nicht identisch zu sein brauchen, ferner, dass zwischen Geschichtsbewusstsein und politischer Haltung oder Handlung ein schwer entwirrbarer Wirkungszusammenhang besteht. Wenn man von Rezeption und Wirkung spricht, so ist außerdem hinsichtlich der Adressaten bzw. Rezipienten der Denkmäler zu differenzieren. Es macht einen Unterschied, ob man dabei individuelle Verhaltensmuster, solche von gesellschaftlich homogenen Kleingruppen oder aber solche von größeren Bevölkerungsgruppen – bis hin zu ganzen Nationen – in den Blick nimmt. Außerdem sollte grundsätzlich eine gewisse Skepsis vorwalten, ob Denkmäler im Kopf der Betrachter überhaupt einen Effekt der positiven Identifikation hervorrufen können.

Vorherrschend scheint vielmehr Gleichgültigkeit gegenüber Denkmälern zu sein bzw. momentan der Impuls, als provozierend empfundene Erinnerungsmale niederzureißen. Und in einer weiteren Differenzierung wird man außerdem die zeitliche Dimension von Rezeption und Wirkung zu bedenken haben, nämlich einerseits die Untersuchung kurzfristiger und andererseits langfristiger Wirkungen – soweit sich das mit den klassischen Methoden des Historikers überhaupt erforschen lässt.

Stellt sich schon das Kategoriensystem für den Komplex von Rezeption und Wirkung als überaus kompliziert dar, so sind die Probleme im forschungsstrategischen Bereich, hinsichtlich der Quellen und Methoden, mitunter schier unüberwindlich. Fragestellungen, die auf die gegenwärtigen Verhältnisse abzielen, sind mit all den Schwierigkeiten konfrontiert, die empirischen Forschungen generell anhaften. Findet man überhaupt repräsentative Bevölkerungsgruppen, die man befragen kann? Wie entwickelt man adäquate Fragebogen-Formulierungen, die die Antworten nicht schon vorgeben? Hat man die Chance, „ehrliche“ Antworten von den Befragten zu erhalten? Denn wer würde heutzutage zugeben, sich anhand eines Bismarckdenkmals zu Wunschträumen vergangener nationaler Größe verleiten zu lassen? Will man darüber hinaus noch derartige Wirkungszusammenhänge in der Vergangenheit untersuchen, so stellt sich die Quellenlage nicht minder prekär dar. Um es salopp zu formulieren: Damals hat sicherlich niemand die hierfür nötigen Befragungen durchgeführt! Illegitim wäre aber auf jeden Fall eine phänomenologische Kurzschlüssigkeit, die von vorfindbaren politischen Verhaltensweisen auf die Wirksamkeit von Denkmälern schließt.

 

Zum Schluss

Trotz aller hier konstatierten Befunde ist auch heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, das Denkmal noch immer populär: als Träger politischer Botschaften, als Vermittler politisierter Deutungen der Vergangenheit, als Medium der öffentlichen bzw. staatlichen Selbstdarstellung. Der lapidare Hinweis auf immer neue Denkmäler in Berlin, vor allem für die verschiedenen Opfergruppen der NS-Zeit, mag in diesem Zusammenhang genügen. Aber selbst aus bayerischer Sicht zeigt sich, dass das Denkmal offensichtlich noch lange nicht ausgedient hat, so wenn weiterhin neue Eisner-Denkmäler in der bayerischen Landeshauptstadt entstehen (das letzte 2011 am Münchner Oberanger) oder wenn ein bayerischer Finanzminister in den Jahren von 2003 bis 2005 seinen vermeintlichen Amtsvorgänger, Maximilian von Montgelas, am Münchner Promenadeplatz nicht nur überlebensgroß, sondern vor allem als gleißende Lichtgestalt (zumindest beim Auftreffen von Sonnenstrahlen auf der aus Aluminium gefrästen Statue) errichten lässt.

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