Hochwürdigster Herr Bischof Rudolf, es ist eine große Ehre für mich, heute in Namen der Fakultät für Katholische Theologie an der Universität Regensburg einen Festakt ausrichten zu dürfen, der den 60. Geburtstag unseres verehrten Diözesanbischofs zum Anlass nimmt und sich nicht nur als Feierstunde, sondern auch als Geburtstagsgeschenk versteht.
Wir sind ausgesprochen glücklich über die hohe Zahl der Anwesenden im Auditorium; ja, diese erfreuliche Zahl wäre sogar noch etwas höher gewesen, hätte es nicht Terminkollisionen gegeben. So darf ich die Hochwürdigsten Herren Weihbischöfe Graf und Pappenberger für heute entschuldigen, aber auch Professorin Sandra Huebenthal vom Department in Passau; an ihrer Stelle gibt uns Prof. Hermann Stinglhammer die Ehre. Bischof Stefan Oster von Passau lässt sich ebenfalls aus Termingründen entschuldigen. Auch so mancher Emeritus wäre heute gerne hier gewesen, musste aber aus Gesundheitsgründen für diesen Abendtermin absagen.
Wer als Bischof 60 wird gilt in einer Weltkirche ja noch weithin als „spring chicken“, als junger Hüpfer, wie man so sagt, auf den noch durchaus eine große Karriere in den leuchtenden Klarfarben unserer kirchlichen Würden warten dürfte. Wer als Bischof 60 wird, der ist tatsächlich noch etwas zu jung, um schon für ein episkopales Vermächtnis geehrt zu werden, den mit 60 hat man als Bischof gerade mal mit dem Anfangen aufgehört und beginnt die Phase des nachhaltigen Gestaltens und Aufbauens.
So bleibt als angemessene Form einer Jubelfeier des Geburtstags, der als Anlass reichlich heidnisch im Christlichen doch eher von der Feier des Namenstages überlagert wurde, am ehesten eine Form, die nicht den Jubilar in den Mittelpunkt stellt, sondern ein Denken, aus dem der Geehrte immer wieder kraftvoll schöpft. Henri de Lubacs Theologie ist die theologische Matrix, auf deren Grundlage Rudolf Voderholzer nicht nur die Perspektiven in seiner Arbeit als theologischer Wissenschaftler, sondern auch die Deutung und Sinngebung in der Ausübung des Bischofsamtes versteht.
I.
Die Form der Ehrung und Beschenkung, die wir gewählt haben, nimmt diesen Umstand zum Anlass, um mit Henri de Lubac einen theologischen Titanen in den Mittelpunkt zu stellen, der für Bischof Voderholzer nicht nur zum Thema, zum Wetzstein, sondern auch zum Maßstab und zur bleibenden Inspirationsquelle geworden ist. Peter Casarella, einen der wichtigsten Kenner der theologischen Klassiker der jüngeren Vergangenheit, konnten wir von der renommierten University of Notre Dame gewinnen, um einen frischen Blick auf ein theologisches Erbe zu werfen, das uns durchaus helfen kann, falsche Optionen und Dichotomien in der gegenwärtigen theologischen Bestimmung des Gegenwartsauftrags der Kirche zu überwinden: Binnenperspektivische Selbstreflexion oder missionarisch-dialogische Außenorientierung? Henri de Lubac, der sich meisterhaft zu ekklesiologischen Kernthemen äußerte war ein ebenso meisterlicher Kenner des südostasiatischen Buddhismus, in dem er einen Klang wahrnahm, der in derselben Weise auch im Christentum zu Klingen kommt. Er war im Katholizismus und in der Kultur, im Christentum und in anderen Religionen zu Hause und hatte trotz seiner religiösen Mehrsprachigkeit und einer enormen interreligiösen Dialogfähigkeit den katholischen Zungenschlag immer bewahrt. Daher würde Henri de Lubac die von mir skizzierte Alternative für falsch halten. Innen-Reflexion und Außenorientierung schließen sich nicht aus, sondern gehören zusammen, ja formen und bedingen einander.
Konservative Bewahrung des traditionell Katholischen oder substanziell-kritische Reform der Kirche? Auch diese Alternative käme Henri de Lubac falsch vor. Denn er geißelt einen geistlosen Konservatismus, der die Kirche mit „einem gewissen Zustand der Kultur, einer gewissen Summe von Grundsätzen, einer gewissen Konstellation von Werten“ verwechselt, sodass alles, „was diese Ordnung stört, das Gleichgewicht gefährdet, alles, was beunruhigt oder auch nur in Verwunderung setzt, als Anschlag auf die göttliche Institution“ erscheint.
Aber er lehnt in gleichem Maße einen ins Defätistische, Pessimistische und Inkriminatorische gehenden Kritizismus ab. Und auch darin ist de Lubac auf eine frappierende Weise aktuell, wenn er schreibt: „Man sieht mit Besorgnis Symptome eines Übels sich mehren, das wie eine Epidemie um sich greift. Eine Art kollektive Neurasthenie. Dem davon Befallenen wird alles Anlass zur Anschwärzung. (…) Und so schleicht sich auf tausend Wegen die Entmutigung ein. Was hätte erwecken können, wirkt sich nur noch als Lähmung aus“. Damit unterbindet Lubac keineswegs berechtigte Kritik oder Selbstkritik, wundert sich aber über die Haltung eines wie auch immer intellektuell eingekleideten kritizistischen Sezessionismus, der auch in der Kirche Raum greife.
Spannung auszuhalten, Dialektiken auch im Gebaren der Kirche zu erkennen, Details und Unterschiede zugunsten eines geschmeidigen Groß-Narrativs nicht auszublenden, einer lectio simplicior gegenüber vorsichtig eingestellt zu bleiben – das sind Haltungen, die Lubac unter gegenwärtigen Bedingungen modern, ja geradezu brisant machen. Peter Casarella wird in seinem Vortrag diese wenigen Andeutungen, die ich mir erlaubt habe, anreichern und vertiefen und – wie gesagt – einen frischen Blick auf ein Erbe wagen, das uns immer noch etwas bedeuten kann.
II.
Aber bei aller Gelehrsamkeit dieses Abends – ganz ohne einen Blick auf den Geehrten selbst kann dieser Festakt natürlich nicht vonstattengehen. Das Erste und Grundlegendste, was man hier sagen muss ist: Bischof Rudolf ist ein Bayer. Und nur ein Bayer kann einen Bayern verstehen. Wer dies leugnet, kann kein Bayer sein. Um Bischof in einem Bistum zu sein, zu dem auftrumpfender niederbayerischer Hagestolz genauso gehört wie der untergründige Oberpfälzer Anarchismus, das an fränkische Direktheit, schwäbische Verhandlungsmentalität und an oberbayrische Dorfweltläufigkeit grenzt, muss das Bayrische Lebensgefühl kennen, ihm empathisch begegnen, es wie ein Dompteur gelegentlich anleiten oder ihm vorsichtig entsprechen. Kann man dieses Bayrische Lebensgefühl auf eine Formel bringen? Durchaus.
Thomas Grasberger meint in seinem Buch Grant. Der Blues des Südens es sei eben jene emotionale Grundhaltung, die sich nur mit einem Dialektwort ausdrücken lässt – eine Grundhaltung, die man kennen muss, um das Bayrische Herz zu kennen: „Sein Name ist Grant. Nicht Hugh und nicht Cary – einfach nur Grant. Ohne Vorname, ohne Plural, ohne Schnickschnack. Fünf Buchstaben – ein Lebensgefühl“, so Grasberger wörtlich.
Nun wäre es grundfalsch, dieses Lebensgefühl mit bärbeißiger Griesgrämigkeit, ja gar Grimmigkeit zu verwechseln. Der Bayrische Grant ist selbst zutiefst paradox: eine melancholische Heiterkeit, eine aufmüpfige Gelassenheit, eine zornige Zärtlichkeit zeichnen ihn aus. Ganz in diesem Sinne vergleicht Grasberger den Grant mit dem Blues: „Und so wie der Blues nie nur traurig ist, sondern manchmal auch heiter, frech, aufmüpfig, lüstern oder albern sein kann, ist der Grant zwar oft abgrundtief düster, melancholisch und fatalistisch, manchmal aber auch richtig ausgelassen, humorvoll und witzig. Der Grantler kann motzen und stänkern, kann streiten wie ein Kesselflicker, anderntags aber fast liebevoll und zärtlich sein in seinem Spott; um dann gleich drauf wieder saugrob zu werden. Der Blues des Südens ist ebenso vielseitig wie die Gefühlspalette des Grantlers. Ein vielschichtiges Phänomen also, dieser Grant, dem eine eigene philosophische Haltung zugrunde liegt.“
Es ist leicht zu sehen, dass es sich beim Grant um eine zutiefst philosophische, ja fast religiöse Haltung handelt: Melancholisches Welteinverständnis und heitere Weltdistanzierung – beides sind Aspekte, die nach Peter Strasser für die religiöse Haltung typisch sind – zeichnen dieses Lebensgefühl aus. Wer zu diesem Lebensgefühl sprechen und von ihm gehört werden will, muss mit ihm umzugehen wissen. Man kann sich dem Grant nicht anbiedern, man kann ihn nicht überreden, noch weniger darf man über ihn schimpfen oder ihn von oben herab ignorieren. Nur wer in der Lage ist, gelegentlich mit dem Grant gemeinsam zu poltern, mit ihm lustvoll zu spotten, ihn ironisch zu brechen, behutsam zu beschwichtigen oder auch geduldig zu ertragen, der ist in der Lage, das Bayrische Herz zu erobern.
Es ist von daher kein Wunder, das so mancher, der aus Hessen, Rheinland-Pfalz oder gar Ostwestfalen nach Bayern eingedrungen ist, letztlich das Bayrische Lebensgefühl nicht zu verstehen oder mit ihm zu kommunizieren vermag. Mögen die Zugroasten noch so viele Jahre in bayrischen Bischofs- oder Landeshauptstädten verbracht haben, so weiß doch der bayrische Grantler, dass dem Nicht-Bayern der Bavarian Blues fremd bleiben muss. Denn für alle Inkulturationsbemühungen solcher Art gilt doch des Grantlers Sprichwort: „A wenn a Katz im Backofa Junge kriagt, san des no lang koa Semmerl.“
Aber das Bayrische Herz zu kennen, bietet nicht nur kommunikative oder hermeneutische Vorteile für die Ausübung des Bischofsamts in einer Diözese, die so altbayrisch ist, dass man die vielen Facetten des oben beschriebenen Lebensgefühlt schlicht nicht übersehen wird. Nein, wenn man dem leitenden Theologen des heutigen Abends – Henri de Lubac – folgt, steckt darin auch eine Bestimmung, Aufgabe und Markierung der Theologie des Bischofsamtes. Henri de Lubac betont in Anlehnung an Ignatius von Antiochien, dass der Bischof die Einzelkirche repräsentiert, indem er – sozusagen dialektisch gewendet – in ihr und für sie Christus repräsentiert. Damit ist mehr gesagt und gemeint als nur ein formalistisches Repräsentanten-Verhältnis oder eine funktionale Abordnung oder Sendung; nein, damit ist auch auf eine Identifikation mit der Einzelkirche angespielt, die sich durchaus in der von Papst Franziskus gewählten Bildersprache ausdrücken lässt: „Der Bischof muss als Hirte den Geruch seiner Schafe annehmen.“
Für Bischof Rudolf äußert sich diese Identifikation mit der ihm anvertrauten Einzelkirche in einer mit großem Engagement geführten Verteidigung jener Bedingungen und Strukturen, die inzwischen von Preußisch eingestellten Generalpastoralfeldplanern gerne als Volkskirche angefragt, nicht selten ironisiert, bisweilen sogar verunglimpft werden. Dem Elitismus einer reduzierten Schar der Entschiedenen oder charismatisch Ergriffenen und dem Minimalismus kirchlicher Angebots-Niederschwelligkeit setzt Bischof Rudolf sein Vertrauen in volkskirchliche Strukturen entgegen, die gerade in den uns umgebenden Regionen viel zu gesund und vital sind, um sie für tot zu erklären.
Dass kirchliche Zugehörigkeit Kultur und Lebensgefühl prägt, die wiederum der Wurzelgrund für einen nüchtern-optimistischen, manchmal ein wenig sturen, bisweilen auch anarchistischen Glauben sein können (freilich nicht muss), ist der Grund dafür, dass pastorale Rezepte, die in Osnabrück, Essen oder Hildesheim funktionieren mögen, hierzulande jedoch heftige allergische Reaktionen auslösen. Es ist der Wert und die Berechtigung der Einzelkirche vor Ort, die vom Bischof Wachsamkeit gegenüber großflächigen strukturellen Vereinheitlichungstendenzen verlangt, die auf ihre Weise berechtigte Unterschiede im Glaubensleben und Glaubensvollzug zuzuplanieren drohen. Allerdings ist Bischof Rudolf dank seiner eigenen bayrischen DNA sozusagen habituell mit solcher Wachsamkeit ausgestattet, weiß man als Bayer und Bayerin doch, dass alle drastischen Vereinheitlichungsversuche, dass alle von oben verordneten pastoralen und kirchlich-strukturelle Flurbereinigungsmaßnahmen im Letzten etwas Preußisches an sich haben und selten ein gutes Ende nehmen …
III.
Henri de Lubac hat in großer Sprachkraft – und an dieser Stelle unter ausdrücklicher Berufung auf Karl Rahner – die innere Dialektik der Einzelkirche beschrieben, die ortkirchliche Prägung behalten muss und auch nicht ohne Schaden abstreifen kann und in der doch auch die Universalkirche präsent ist – und das nicht nur als funktional-administrative Inkorporation: „Die Einzelkirche ist, als solche genommen, immer universalistisch und zentripetal. (…) Die Einzelkirche ist nicht nur ein Verwaltungsbezirk der (ganzen) Kirche, ‚entsteht also nicht durch eine atomisierende Teilung des Weltraums der Gesamtkirche, sondern durch Konzentration der Kirche in ihre eigene Ereignishaftigkeit hinein. Sie ist keine Sektion einer umfassenderen administrativen Körperschaft, kein Teil der sich mit andern Teilen zusammenfügt, um ein größeres Ganzes zu bilden, währen jeder dieser Teile den übrigen äußerlich bleibt.“
Auf der anderen Seite stellt Henri de Lubac aber auch sehr klar heraus, dass die Einzelkirche nicht ohne die universale Kirche gedacht werden kann; er offeriert hierfür eine christologische und trinitätstheologisch applikable Denkform: „Zwischen Einzelkirchen und universaler Kirche herrscht eine gegenseitige Einwohnung. Im Herzen jeder (Einzel-)Kirche ist somit grundsätzlich die ganze (universale) Kirche gegenwärtig. Jede ist qualitativ die Kirche. Da gegenseitige Einwohnung und Einschließung herrscht, besteht auch vollkommene Korrelation, so daß es nicht genügt zu sagen, die Einzelkirchen seien der Gesamtkirche einverleibt worden: sie sind ursprünglich, kraft ihres Daseins, in ihr.“
Aus dieser Perichorese von Einzel- und Universalkirche folgt, so könnte man hinzufügen, eine Art kategorischer Imperativ. So wie Kant in der Ethik jedem Einzelnen fordert, in allen Akten immer auch die gesamte Menschheit zu vertreten, sodass wir uns an dieser Menschheitsrepräsentanz auch messen lassen müssen, so ist von der Einzelkirche gefordert, in ihren Handeln und in ihren Vollzügen immer die eine und universale Kirche zu repräsentieren. Wer dieses theologisch durchaus grundlegende Verhältnis bedenkt, wird sich dann natürlich nicht wundern können, wenn Bischof Rudolf in seiner Aufgabe allen Unternehmungen gegenüber skeptisch bleibt, die die Gefahr von Sonderwegen heraufbeschwören und die Perichorese von Einzel- und Universalkirche zu zerstören drohen.
Schon Henri de Lubac sah kurz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Versuchung der Teilkirchen und der sie bestimmenden Bischofskonferenzen als Gefahr im Verzug, die er kirchengeschichtlich am Problem von Nationalkonzilien oder der Autokephalie zu veranschaulichen sucht; er sieht hier die Gefahr der Verwechslung von teilkirchlicher Identität mit national-sezessionistischer Eigenkirchlichkeit: „Weniger schwerwiegend, aber näherliegend wäre, wegen der erwähnten Verwechslung, die Gefahr, in den verschiedenen Ländern einen Mehrzahl von Bischofskonferenzen sich etablieren zu sehen, ohne Öffnung zueinander, ohne gegenseitigen Austausch, deren jede sich begnügte, die Geschäfte des eigenen Landes zu regeln, und so nicht eine Einigung, sondern eher eine Zerstreuung schaffen würde.“
Sobald man diese, von de Lubac durchaus realistisch eingestufte, Gefahr erkannt hat, wird man sich – wie Bischof Rudolf – zur Wehr setzen und Einspruch erheben, wenn manche sich auch hierzulande anschicken sollten, zu kleinformatig und zu regional von der Verbundenheit der Bischöfe und der Repräsentanz der einen und universalen Kirche zu denken.
Gerade weil in diesen auch weltpolitisch unsteten Zeiten die Gefahr groß ist, dass sich Einzel- und Eigeninteressen wieder hinter Schlagbäumen und Schranken abriegeln, dass Lösungen und Prozeduren von nur noch regionaler und territorialer Relevanz gesucht werden, muss der genannte kategorische Imperativ der Ekklesiologie ein geradezu gegenläufiges, ent-schränkendes Potenzial entfalten. Es ist von daher mehr als nur ein kraftvolles Symbol, wenn Bischof Rudolf Voderholzer sich um die konstante und nachhaltige Partnerschaft mit den tschechischen Nachbar-Bistümern Pilsen und Budweis bemüht, selbst wenn einige ost-europäischen Länder inzwischen das Bild vermitteln, sie würden Eigennutz vor Gemeinschaftsinteressen stellen.
Diese stetige Freundschaft mit Tschechien, um die sich Bischof Voderholzer mit nicht nachlassender Energie bemüht, ist nicht nur ein Gebot kooperativer Klugheit im Dienste gutnachbarschaftlicher Beziehungen, sondern will auch – niemandem muss ich hier die Geschichte des 20. Jahrhunderts erzählen – heilend und versöhnend wirken, nachdem Okkupation, Vertreibung und Trennung so viel Unheil über die Menschen gebracht hat und einen einstmals weiten, blühenden, volkskirchlich geprägten Raum künstlich zerrissen hat.
IV.
Henri de Lubac spielt den genannten kategorischen Imperativ der Ekklesiologie auch dezidiert an der Rolle des Bischofs durch, wenn er auf dessen Eingliederung in das Bischofskollegium zu sprechen kommt. In geradezu kantischen Worten beschreibt de Lubac den Anspruch, dem ein Bischof dadurch auch ausgesetzt ist: „Jede Tat, die ein Bischof aufgrund dieser ausgebreiteten Verantwortlichkeit [sc. durch die Zugehörigkeit zum Kollegium der Bischöfe; TS] setzt, die somit eine universale Tragweite hat und im Schoß der communio ausgeübt wird, kann und muß als kollegial bezeichnet werden, obschon sie keine Tat des Kollegiums ist.“
Da die Reichweite bischöflicher Kollegialität synchron und diachron zu deuten ist, hat dies für die Amtsführung des Bischofs unmittelbare Konsequenzen: Für Bischof Rudolf ist immer der ganze Glaube der ganzen Kirche der Maßstab; Verkürzungen in der einen wie der anderen Richtung tritt er aus eben diesem Grund entgegen. Allen wieder neu aufkeimenden Versuchungen, die kirchliche Tradition ins 16. oder letztendlich nur in das 19. Jahrhundert zurückführen zu wollen, um daraus Munition gegen das Zweite Vatikanische Konzil zu sammeln, wurden von ihm daher auch mit größter Konsequenz problematisiert und zurückgewiesen. Analoges gilt für Versuche, de-kontextualisierte Gemeindemodelle der frühen Kirche zum Leitparadigma zu erklären.
Die Zugehörigkeit zu einem synchronen und diachronen Bischofskollegium impliziert aber auch – und das hat Bischof Rudolf in einer bis an die Schmerzgrenzen sich öffnenden Weise demonstriert –, dort den Kopf hinzuhalten, wo bittere Ereignisse aus der Dunkelheit kirchlicher Verdrängung ans Licht gelangen, die weit vor seiner Amtszeit eingetreten waren. Der sensible und persönlich sich aussetzende Umgang mit dem Missbrauchsopfern des Domspatzeninternats hat Bischof Voderholzer den allergrößten Respekt – auch bei weltanschaulich oft anders gelagerten Medien – eingetragen.
Dieses Sich-Aussetzen erfolgte nicht nur aufgrund echter menschlicher und pastoraler Sorge, auch nicht nur aufgrund der Stimme des Gewissens oder aufgrund christlich gebotener Solidarität, sondern war eine fast logische Konsequenz aus dem skizzierten kategorischen Imperativ der Ekklesiologie: In einem Bischofskollegium zu stehen, das heißt auch, gewissermaßen Teil einer Schicksalsgemeinschaft zu sein, sodass die gerne benutzten Mechanismen politischer Leitungsverantwortung, nämlich die Sünden der Vergangenheit gerne den Vorgängerregierungen anzulasten, einem Bischof prinzipiell verwehrt sind.
Nun bedeutet die Tatsache, dass der genannte kategorische Imperativ der Ekklesiologie dem Bischof die Aufgabe zumutet, in einzelkirchlichen Vorgängen die eine and universale Kirche immer vor Augen zu haben, auch nicht, dass man – wie es schön heißt – in Regensburg den Schirm aufspannt, wenn es in Rom regnet. Ganz im Gegenteil. In der von Lubac her herausgearbeiteten Dialektik, ist die Einzelkirche ja schon mit der Universalkirche geeint; sie muss nicht erst katholisch gemacht werden, sondern ist Kirche mit dem ihr eigenen Glaubenssinn und der ihr eigenen Glaubensidentität aus eigenem Recht. Regensburg ist also kein kleines Rom und sollte es auch nicht sein, auch wenn eine hier ansässige Fürstin (die mit dem Posthorn im Wappen) solche eine Transformation begrüßt und auch gelegentlich öffentlich propagiert.
Nein, die Universalkirche lebt in den Einzelkirchen, nicht neben or über ihnen. Auch diesen Umstand hat Bischof Rudolf beherzigt, wenn er sich durchaus vehement dagegen verwahrte, dass ein von niederen Chargen zu wenig gezügelter römischer Amtsschimmel kräftig wieherte. Ein Bewusstsein um die Hierarchie der Wahrheiten muss uns Ostbayern nicht erst von den römischen Kongregationen und Räten vorgelegt werden, sondern beseelt in durchaus eigener vitaler Weise die verschiedenen Formen hiesiger Kirchlichkeit. Henri de Lubac zitiert den Leuvener Kanonisten Willy Onclin, um die Eigenvollmacht des Bischofs, die nicht aus einer Delegation durch das Kollegium stammt, in klaren Worten auf den Begriff zu bringen: Die einzelnen Bischöfe übten nicht die Vollmacht aus, die sie alle als Kollegium für die Gesamtkirche besitzen würden, sondern die Vollmacht, mit der sie als Vorgesetzte ihrer Einzelkirchen ausgestattet seien.
In der Balance zwischen einzelkirchlichem Sendungsbewusstsein und dem damit auch durchaus zurecht verbundenen Stolz – insbesondere, wenn er sich mit der Bayrischen Lebensart verbunden weiß – und universalkirchlicher Matrix besteht die Kunst, Bischof zu sein. Rudolf Voderholzer hat diese Kunst verinnerlicht und ist damit zu einem Bischof geworden, der den Geruch seiner Schafe kennt.
Den Beschwernissen des Amtes, mancher Einsamkeit der Verantwortung, die mit ihr einhergeht, der Mühe der oben beschriebenen Balance, der Tatsache, dass das Bischofsamt wegen der oben skizzierten inneren Dialektik ein, manch möchte sagen, geradezu unmögliches Amt ist, lässt sich ein Trost entgegenstellen, der ebenfalls von Lubac stammt und der im Kern der wahre Grund ist, warum wir alle heute Abend hier sind: „Ein wahrhaft Glaubender ist in seinem Glauben nie allein. Wenn seine Abhängigkeit von andern oft beschwerlich sein mag, so ist diese Solidarität für ihn doch weit mehr eine Stärkung. Durch die Taufe ist er in die große katholische Familie eingetreten, teilt mit allen ihren Gliedern die selbe und einzige Hoffnung, hat den gleichen Anruf vernommen, nimmt teil am gleichen Leib, ist angeworben in den gleichen Heerbann, schreitet mit ihm aus auf der Straße, auf der will unser Heil finden, Jesus Christus, ist einverleibt in die ‚allgemeine Versammlung.“
Ich könnte diese Reflexionen noch eine ganze Weile fortsetzen und könnte noch viele Nuancen und Aspekte in der Amtsführung unseres Bischofs als Anschauungsmaterial für eine Besinnung auflisten, die an Henri de Lubacs Theologie Maß nimmt. Allein, mir fällt nicht der Part des Festredners, sondern nur die Aufgabe des Fest-Eröffners zu. Daher darf ich an dieser Stelle noch einmal meine Freude darüber ausdrücken, dass wir heute diesen Festakt zu Ehren unseres Diözesanbischofs Dr. Rudolf Voderholzer ausrichten dürfen.