Bionik: Ein Weg zu besseren Technologien

Eine kurze EinfĂĽhrung

Im Rahmen der Veranstaltung "Bionics for better technologies", 09.02.2022

ABionik ist ein neuer Typ wissenschaftlicher Forschung, der die Natur nicht primär als Warenlager für menschliche Produkte betrachtet, sondern als Anregung für die Entdeckung neuer Art und Weisen zu denken. Sie will die Erfolgsgeheimnisse der Natur in der Organisation des Lebens aufspüren und „biomimetisch“ nachahmen. In dreieinhalb Milliarden Jahren Evolutionsgeschichte sind so viele geniale Anpassungen entstanden, dass die Natur zu einer nahezu unerschöpflichen Schatzkiste manchmal überraschend einfacher und robuster Lösungen für komplexe Probleme geworden ist.

Frau Professorin Ille Gebeshuber leitet aus dieser Schatzkiste der Natur „disruptive Innovationen“ ab, also Innovationen, die nicht wohlbekannte Modelle von Technik ein wenig schneller und effizienter machen, sondern ganz neue, vorher ungeahnte Lösungen anstreben. Es geht darum jenseits der ausgetretenen Pfade bekannter Denkmuster radikal neue Verfahren, Prozesse, Materialien und Organisationsformen zu entwickeln. Ein bekanntes Bespiel für eine solche der Natur abgeschaute Innovation ist der Klettverschluss: So wie die Kletten mit kleinen Widerhaken arbeiten kann man auch Kleidungsstücke verbinden und sich mühsames Zu- und Aufschnüren sparen. Es gibt zahllose Beispiele für biomimetische Erfindungen: Etwa Farbeffekte durch Oberflächenstrukturen, was die Behandlung mit chemischen Farben ersetzen kann und darüber hinaus flexibel schillernde Leuchteffekte erzeugt. Oberflächen, die den Wasserwiderstand minimieren, lassen sich für Schwimmanzüge oder Schiffe verwenden. Kamele dienen als Vorbild, um aus Atemluft Wasser zurückzugewinnen. Bäume inspirieren Architekten, wie die Statik von Gebäuden mit vergleichsweise geringem Materialeinsatz erheblich verbessert werden kann. Die Eigenschaften verschiedener Hölzer werden derzeit auf der mikroskopischen Ebene ganz neu für vielfältige Anwendungen in der Materialtechnik entdeckt. Man kann Bakterien nutzen, um das Gummi von Autoreifen abzubauen und wiederverwertbar zu machen, oder Algen, um aus CO2-Abfällen Carbon herzustellen.

Bionik steht für eine neue Generation von Technik, die die Natur nicht grob ausbeutet und zerstört, sondern sensibel auf ihr feines Gewebe achtet und dieses intelligent für Prozess- und Strukturverbesserungen nutzt. Selbstverständlich ist eine so verstandene Bionik nicht völlig neu. Auch wenn man im antiken Israel dafür keinen Begriff hatte, wurde die Natur teilweise sehr genau beobachtet, beispielsweise hinsichtlich der höheren Selbstreinigung größerer Wasserbehältnisse, was man geschickt für Hygieneregeln genutzt hat. Was im heutigen Bionik-Konzept dazukommt, ist die Verbindung mit moderner Technik, um die Erfolgsrezepte der Natur zu reproduzieren.

Frau Gebeshuber will mit ihrem Ansatz der Bionik viel mehr als einzelne materialtechnische Lösungen. Sie will grundsätzlich neue Formen des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur initiieren, weniger ressourcen-, abfall- und energieintensiv, mit weniger Schadstoffen, langlebiger, generationenverträglich, kurz: nachhaltig. Das ist nicht allein durch eine bessere Materialtechnik zu erreichen, sondern bedarf zusätzlich auch – wenn ich einen Begriff aus meiner eigenen Forschung vorschlagen darf – einer „sozialen Bionik“: Diese lauscht der Natur auch auf der Ebene der Organisation des Zusammenlebens einige ihrer Erfolgsgeheimnisse ab. Zentral ist dafür die höchst komplexe Verknüpfung von Konkurrenz und Kooperation.

Es war ein großes Missverständnis der Evolution, deren politische Schlussfolgerungen das 20. Jahrhundert überschattet haben und deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind, dass man Höherentwicklung in der Natur allein als Folge von zufälliger Mutation und Selektion verstanden hat. In der Natur gibt es aber nicht nur Konkurrenz, sondern ebenso Kooperation. Denn nur wer kooperiert, gewinnt. Das differenzierte Ausbalancieren von Konkurrenz und Kooperation in der Natur genauer zu beobachten und davon für die Gestaltung sozialer und wirtschaftlicher Prozesse zu lernen, ist heute ein wichtiges Feld der ökosozialen Bionik.

Materialien, Strukturen und Prozesse sind die drei Felder, auf denen Bionik entfaltet werden kann. Nachhaltigkeit braucht auf allen drei Feldern disruptive Innovationen durch neue Denkweisen: materialtechnisch, organisationsbezogen und vor allem ganzheitlich als Denkmethode – so wie Frau Gebeshuber dies in höchst origineller Weise vertritt. Man könnte ihren Ansatz durchaus dem Konzept der „ganzheitlichen Ökologie“, wie es Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si’ postuliert, zuordnen.

Als Theologe freut mich ganz besonders, dass Frau Gebeshuber in verschiedenen Interviews auch den Glauben als Inspirationsquelle für die Bionik einbezieht: Der Bauplan der Natur, den sie in unberührter Form in den Urwäldern Malaysias erfahren konnte, ist für sie derart faszinierend, dass man darin nur das Wunder der Schöpfung und einen göttlichen Willen entdecken könne. Auf Fragen nach dem Warum und dem Sinn der Existenz gibt die Physik keine Antwort. Da diese sich aber unweigerlich stellen, kann der Glaube die naturwissenschaftliche Sicht komplementär ergänzen: Die religiöse Fähigkeit zu staunen, kann neugierig machen und zur Forschung motivieren. So wie die Forschung ihrerseits das Staunen anregt und vertieft. Gute Wissenschaft beantwortet zwar viele Fragen, entdeckt aber zugleich immer neue Dimensionen dessen, was wir alles noch nicht wissen. Der Kern des biblischen Schöpfungsglaubens ist nicht die Tabuisierung von Eingriffen in die Natur, sondern staunende Neugier. Diese hat das Entstehen einer naturwissenschaftlich geprägten Zivilisation begünstigt.

Um ehrfürchtig staunen zu können, ist es jedoch nötig, immer wieder der grellen und oft lauten Welt der Technik zu entfliehen, sich Zeit zu nehmen und Stille zu finden. Für Frau Gebeshuber waren dafür sieben Jahre im Umfeld der Urwälder von Malaysia prägend. Ihr bekanntestes Buch Wo die Maschinen wachsen. Wie Lösungen aus dem Dschungel unser Leben verändern werden aus dem Jahr 2016 berichtet von diesen Erfahrungen. Ihr zweiter Bestseller mit dem Titel Eine kurze Geschichte der Zukunft. Und wie wir sie weiterschreiben von 2020 entfaltet auf der Basis dieser Erfahrungen die Vision einer neuen Art, Wissenschaft zu betreiben: ein ganzheitliches Konzept von Bionik, Biomimetik und Nanotechnologie als „Geschichte der Zukunft“, als eine geistige Reise, bei der das Verstehen von Zusammenhängen wichtiger ist als Information, eine Reise, auf die sie ihre Leser und Zuhörer mitnehmen will.

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