„Man nennt einen Tisch auch nicht Stuhl“ – mit diesen Worten verteidigte die damalige Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, die SPD-Abgeordnete Margot von Renesse die Entscheidung des Deutschen Bundestages vom 16. Februar 2001, ein eigenes, von der Ehe verschiedenes Rechtsinstitut einer eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare zu errichten, dessen rechtliche Bindungswirkungen eheanalog ausgestaltet waren. Während die deutsche Verfassungsrechtswissenschaft ein solches eheähnliches Institut, das sich von der Ehe nur noch dem Namen nach unterschied, damals mit Art. 6 GG mehrheitlich für unvereinbar hielt, fanden sich in der Literatur vereinzelt auch andere Stimmen. So glaubte Eva Marie von Münch, einer auf Dauer angelegten, das Ganze der Person umfassenden Lebensgemeinschaft zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern die Zuerkennung eines „gewissen Ordnungsrahmens“ nicht verweigern zu dürfen, für den auch die Bezeichnung als Ehe „keine Schwierigkeiten“ bereiten sollte. Auch aus der Sicht ihrer damaligen Minderheitenposition zeigte sie sich jedoch davon überzeugt, dass dies ein weitreichender Bruch mit der bisherigen Verfassungsauslegung wäre: „Die Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes hatten das bestimmt nicht im Sinn. Auch trägt das Ehe- und Rechtsbewusstsein in der Bundesrepublik dies derzeit wohl (noch?) nicht.“
Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen?
Haben sich die gesellschaftlichen Auffassungen bezüglich der Ehe und der Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare inzwischen tatsächlich so weitgehend verändert, dass die Ehe in der deutschen Bevölkerung nicht mehr als eine Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, sondern als eine auf Dauer angelegte Bindungsform zweier Menschen beliebigen Geschlechts angesehen wird? Kann das Fragezeichen hinter dem „noch“ also gestrichen werden? Als Indiz dafür könnte der geringe Widerstand gewertet werden, auf den der handstreichartige, im Juli 2017 auf der letzten Plenarsitzung der alten Legislaturperiode des Deutschen Bundestags nach 45minütiger Debatte gefasste Beschluss in der deutschen Öffentlichkeit stieß, mit dem die „Ehe für alle“ eingeführt wurde. Als wichtige Indizien, die für eine weitreichende Entleerung eines normativen Ehebegriffs sprechen sollen, nach dem die Ehe die Verbindung eines Mannes und einer Frau zu einer grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft ist, aus der in der Regel Kinder hervorgehen, gelten vor allem sprachliche und statistisch-quantitative Entwicklungen: Eine steigende Anzahl von Ehen wird wieder geschieden, nicht wenige Ehepaare bleiben gewollt kinderlos, die Bezeichnung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften als „Ehen“ setzt sich in der Alltagssprache immer mehr durch.
Ebenso wird angeführt, dass es für die Behauptung, gleichgeschlechtliche Paare seien schlechtere Eltern als Mütter und Väter, keine empirische Evidenz gebe. Allerdings wurde die Erweiterung des Adoptionsrechtes, die mit der „Ehe für alle“ verbunden ist, im Vorfeld der kurzfristig anberaumten Entscheidung des Bundestages nur selten ausführlich diskutiert. Die öffentliche Debatte folgte vielmehr auf weiten Strecken der strategischen Diskurs-Vorgabe ihrer Befürworter, die Diskriminierung gleichgeschlechtlich empfindender Menschen müsse endlich auch in Deutschland ein Ende haben. Unter Anspielung auf das viel zitierte Diktum des früheren Präsidenten der UdSSR Michail Gorbatschow „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, versuchten die Anhänger einer „Ehe für alle“ eine größere historische Weitsichtigkeit für sich zu reklamieren und den Anschein zu erwecken, die innere Entwicklungslogik moderner Gesellschaften laufe zwangsläufig auf die Auflösung des bisherigen Eheverständnisses hinaus.
Dabei gibt es durchaus beachtliche Hinweise darauf, dass sich die Erwartungen, die im gesellschaftlichen Bewusstsein mit der Vorstellung einer Ehe einhergehen, jedenfalls in ihrem Kernbereich kaum geändert haben. Viele Paare, die lange Jahre informell zusammenleben, heiraten dann, wenn sich ein Kind ankündigt, weil sie ihrer Partnerschaft aus diesem Anlass eine verbindlichere Form geben wollen. Die allermeisten Kinder – statistische Erhebungen weisen einen seit Jahrzehnten fast unveränderten Wert von über 75 % auf – leben bei ihren Eltern, die untereinander verheiratet sind, und somit dem Leitbild einer ehebezogenen Familie entsprechen. Aus der Akzeptanz gleichgeschlechtlich empfindender Menschen und auf Dauer angelegter, von Verbindlichkeit geprägter Lebensgemeinschaften unter ihnen lässt sich deshalb keineswegs auf eine generelle Entkoppelung von Ehe und Elternschaft im gesellschaftlichen Bewusstsein schließen, wie dies die Befürworter einer „Ehe für alle“ behaupten. Tatsächlich soll die Verwendung des Ehebegriffs als Vehikel einer semantischen Gleichstellungspolitik dem angeblichen Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen, der bislang in der notwendigen Eindeutigkeit keineswegs erkennbar ist, erst zum Durchbruch verhelfen und ihm eine nachwachsenden Akzeptanz in der Bevölkerung verleihen. Die zusätzliche Argumentation, niemandem werde durch die symbolische Öffnung des Ehebegriffs „für alle“ etwas weggenommen, suggeriert dabei, es gebe nur Gewinner, wenn aufgrund der neuen Sprachregelung gleichgeschlechtlich empfindende Menschen endlich die symbolische gesellschaftliche Anerkennung zuteilwerde, die sie bislang angeblich vermissen mussten. Dass in einer Gesellschaft, deren sinnstiftende Institutionen beschädigt werden, alle verarmen, bleibt bei dieser Rechnung unberücksichtigt.
Angesichts dieser Gemengelage des öffentlichen Bewusstseins, in der ernsthafte anthropologische, kulturgeschichtliche, rechtshistorische und verfassungsrechtliche Einwände gegen die „Ehe für alle“ vom Willen der Koalition ihrer Befürworter überspielt werden, den finalen Sieg nicht durch die Rücksichtnahme auf erwägenswerte Einwände zu verspielen, befindet sich die katholische Kirche in einer wenig beneidenswerten Lage. An dieser ist sie allerdings in hohem Maße mitschuldig. Denn sie erweckt noch immer den Eindruck, sie wolle das Anderssein homosexuell empfindender Menschen und ihre sexuelle Praxis nicht ohne Wenn und Aber akzeptieren und verweigere sich deshalb einem gesellschaftlichen Konsens, der ihnen das Recht zur Ehe einräumt. Sie findet mit ihren starken Sachargumenten dafür, warum man einen Tisch nicht Stuhl und eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft nicht Ehe nennen sollte, kaum mehr Anklang im gesellschaftlichen Diskurs, weil ihr das Misstrauen entgegenschlägt, sie hege sexuellen Minderheiten gegenüber nach wie Argwohn und moralische Vorbehalte.
Biblische und theologische Aspekte: Die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau
Gleichwohl lohnt es sich, die biblischen, kulturgeschichtlichen und anthropologischen Gründe zu prüfen, auf die sich das kirchliche Eheverständnis stützt. Sein charakteristisches Eigenprofil beruht auf den in Gen 1 und Gen 2 überlieferten biblischen Schöpfungserzählungen, die wichtige anthropologische Zentralaussagen zur Bedeutung der Ehe und der menschlichen Zweigeschlechtlichkeit in einem engen Sinnzusammenhang untereinander entfalten. Die Spitzenaussage, dass der Mensch nach Gottes Bild erschaffen ist, verbindet sich darin mit einer positiven Sichtweise der menschlichen Zweigeschlechtlichkeit: „Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,27).
Die Bedeutung dieser engen Verknüpfung beider Aussagen wird durch einen Vergleich mit dem Mythos vom androgynen Urmenschen ersichtlich, den Plato in seinem Dialog „Symposion“ durch Aristophanes zitieren lässt. Dieser Ursprungsmythos führt die Geschlechterdifferenz von Frau und Mann sowie die Variationsbreite erotischer Anziehung unter den Menschen auf eine Strafaktion der Götter zurück, denen die Menschen in ihrer anfänglichen kugelförmigen Idealgestalt zu aufmüpfig wurden. Dagegen sehen die biblischen Schöpfungserzählungen von Gen 1 und 2 in der Tatsache, dass es Menschsein nur in einer polaren Ausprägung als Frausein oder Mannsein gibt, eine positive Sinnbestimmung, die dem ursprünglichen Schöpfungswillen Gottes entspringt.
In Gen 1,27 wird diese positive Bestimmung durch das Aufeinanderbezogensein der Geschlechter ausgedrückt, in Gen 2 erfüllt das Motiv der besonderen Nähe der Frau zum Mann, die unter allen Geschöpfen die einzige ihm entsprechende „Hilfe“ ist, dieselbe Funktion. Durch diese biblischen Grundaussagen ist nicht eine bestimmte kulturelle Ausprägung des Geschlechterverhältnisses, sondern dieses selbst als ein Grundmuster des Menschseins ausgezeichnet. Diese erste schöpfungstheologische Grundbestimmung findet in Gen 1 in unmittelbarem Anschluss an die Aussagen zur Gottebenbildlichkeit und Zweigeschlechtlichkeit des Menschen eine Weiterführung durch den sogenannten Fortpflanzungsauftrag an das erste Menschenpaar: „Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde“ (Gen 1,28).
Wir wissen heute besser als frühere Epochen, dass es nicht wenige Menschen gibt, die in ihrer individuellen Ausprägung diesem Grundmuster des Menschseins nicht entsprechen; zudem gibt es (was in dem Mythos vom androgynen Urmenschen klarer als in den biblischen Schöpfungserzählungen zum Ausdruck kommt) neben der zweigeschlechtlichen Anlage auch das Phänomen der Gleichgeschlechtlichkeit in ihrer weiblichen und männlichen Variante. Aus diesem geänderten humanwissenschaftlichen Wissen um eine größere Variationsbreite der menschlichen Natur ergibt sich das moralische Postulat, diesen Menschen in ihrem Anderssein dieselbe gleichberechtigte Anerkennung, Wertschätzung und Akzeptanz entgegenzubringen, die jedem Menschen gegenüber angebracht ist. Das anthropologische Grundmuster der Zweigeschlechtlichkeit als solches infrage zu stellen, ist jedoch der falsche Weg, um diese moralische Forderung einzulösen. Auch erweist sich die in der gegenwärtigen theologischen Gender-Debatte mitunter angewandte Entsorgungsstrategie, die den anthropologischen Sinngehalt der Zweigeschlechtlichkeit und des Auftrages zur Fortpflanzung neutralisieren möchte, als zu offenkundig ergebnisbezogen. Der Hinweis darauf, dass der Mensch als Mann und Frau geschaffen wurde, erschöpft sich nämlich nicht nur darin, dass beide je für sich die gleiche Würde der Gottebenbildlichkeit besitzen. Ebenso wenig lässt sich die anthropologische Bedeutung der Fruchtbarkeit ehelicher Liebe auf den Anfang der Menschheitsgeschichte beschränken, damit eine noch menschenleere Welt in einer Art Initialzündung von Menschen bewohnt werden konnte.
Man wird dem Sinn dieser Grundaussagen biblischer Anthropologie vielmehr nur gerecht, wenn man sie als positive schöpfungstheologische Bestimmungen liest, die das Menschsein als solches betreffen. Die Geschlechterdifferenz von Frau und Mann und ihre gegenseitige Ergänzungsfähigkeit (nicht: Ergänzungsbedürftigkeit) zählen ebenso zum Reichtum der Schöpfung wie die gemeinsame Berufung von Mann und Frau, als „Interpreten“ der schöpferischen Liebe Gottes die empfangene Gabe des Lebens an ihre Kinder weitergeben zu können (Gaudium et Spes).
Die patriarchalische Auslegung von Gen 2, die das Verhältnis von Mann und Frau nach dem jahrhundertelang vorherrschenden Subordinationsmodell als Unterordnung der Frau unter den Mann verstand, bezog die „Hilfe“ von Gen 2,18 nur auf ihr biologisches Zusammenwirken im Zeugungsgeschehen. Paradoxerweise wirkt diese eindimensionale Sicht der Ergänzungsfähigkeit von Mann und Frau unter anderen Vorzeichen bis heute weiter. Denn sie prägt auch die Argumentation zugunsten einer „Ehe für alle“, die den anthropologischen Sinn der Zweigeschlechtlichkeit durch den Hinweis herunterspielen möchte, diese betreffe nur ein biologisches Merkmal des menschlichen Körperbaus. Tatsächlich jedoch ist das Menschsein in zwei Geschlechtern angelegt, die in allen seinen Dimensionen zur gegenseitigen Ergänzung, Kooperation und Hilfestellung aufeinander angelegt sind: körperlich, seelisch, geistig.
Während die schöpfungstheologischen Aussagen von Gen 1 und 2, die den inneren Zusammenhang zwischen der Hinordnung von Frau und Mann aufeinander und ihrem geschöpflichen Mitwirken an der Entstehung neuen Lebens herausstellen, in der gegenwärtigen Gender-Debatte häufig ein den Sinn dieser Verknüpfung neutralisierendes Downsizing erleiden, erfährt umgekehrt die christologische Formulierung des Apostels Paulus in Gal 3,28 ein ebenso interessengeleitetes Upgrade. „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus.“ Diese Stelle avanciert in der gegenwärtigen Debatte um das Gendermainstreaming zu dem biblischen Kronzeugen einer Theologie, die den Sinn der Geschlechterdifferenz tendenziell zur Auflösung bringt. Doch zielt die Aussage, dass die Getauften alle zusammen „einer“ in Christus sind, so dass es unter ihnen nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Frau gibt, wirklich auf eine Aufhebung des Geschlechterverhältnisses als einer anthropologisch bedeutsamen Größe? Eine derartige platonisierende Entwertung der Schöpfung ist innerhalb der christologisch bestimmten Anthropologie des Apostels kaum vorstellbar. Naheliegender ist die Annahme, dass Paulus das Mann-Sein und Frau-Sein nicht dadurch relativiert, dass er es seiner jeweiligen Eigenart beraubt, sondern indem er es in Beziehung zu dem inneren Fluchtpunkt ihres gemeinsamen neuen Lebens, nämlich zu Christus setzt. Weil die Gläubigen in Christus „ein einziger“ geworden sind, überwiegt dieses neue Fundament ihrer Einheit und Gleichheit die in der Schöpfung grundgelegten Unterschiede, ohne dass diese dadurch bedeutungslos würden. Das Mann-Sein und Frau-Sein wird durch das „Eins-Sein mit Christus“ überboten, aber nicht entwertet oder aufgehoben.
Betrachtet man Gal 3,27-28 im Kontext der gesamten Argumentation des Apostels im Brief an die Galater, dann tritt das Ziel seiner Gedankenführung klar hervor: Paulus warnt die Galater davor, in ihre alte Existenzweise zurückzufallen, die sich im Vertrauen auf das Gesetz als Heilsweg ausdrückte. Nachdem das Gesetz durch Christus aufgehoben wurde, käme dies einem Zurück in die Vergangenheit gleich, das die in Christus gewonnene Freiheit wieder aufs Spiel setzt. Paulus stellt in seiner Argumentation das neue Sein in Christus, an dem die Gläubigen durch die Taufe Anteil erhalten, also nicht dem Leben in einer schöpfungsgemäßen Existenzweise, sondern einem vergangenen heilsgeschichtlichen Status gegenüber. Für das Verhältnis von Frau und Mann bedeutet dies, dass es durch die Taufe nicht aufgehoben oder irrelevant wird; vielmehr ergibt sich aus der Taufe die Verpflichtung, dieses Verhältnis so zu leben, dass in ihm das Eins-Sein in Christus verwirklicht wird.
In dem Streitgespräch mit den Pharisäern über die Ehescheidung greift Jesus auf die Kernaussagen der biblischen Anthropologie aus den beiden Schöpfungserzählungen von Gen 1 und 2 zurück und bestätigt durch das Verbot der Ehescheidung den ursprünglichen Schöpfungswillen Gottes. „Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins“ (Mk 10,6; vgl. Mt 19,3-6). Im Unterschied zu dem faktischen Ehezwang, der zur Zeit Jesu in seiner jüdischen Umgebung herrschte und vor allem unverheiratete Frauen von der vollen gesellschaftlichen Anerkennung ausschloss, betont Jesus die Freiheit zur Eheschließung. In der von Matthäus überlieferten Jüngerbelehrung über die Ehe, die unmittelbar an das Streitgespräch mit den Pharisäern über die Ehescheidung anschließt, spricht Jesus von der frei gewählten Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, die er anderen Formen der Ehelosigkeit gegenüberstellt (vgl. Mt 19,12). Durch dieses so genannte Legitimationswort, mit dem Jesus nach Auffassung vieler Exegeten die eigene Lebensweise und die mancher seiner Jüngerinnen und Jünger rechtfertigen möchte, verändert er zugleich die Bedingung, unter der Mann und Frau eine Ehe eingehen. Die unbedingte Treue, die sie verbindet, wird ebenso wie die freigewählte Ehelosigkeit zu einem prophetischen Zeichen für den Anbruch des Reiches Gottes. Erst dadurch, dass auch der freiwillige Eheverzicht als eine legitime Möglichkeit christlicher Existenz erscheint, wird die Freiheit zur Ehe den Zwängen gesellschaftlicher Normalität enthoben und als solche anerkannt.
Diesen biblischen Vorgaben entsprechend ist die Ehe nach ihrem kirchlichen Verständnis – oder muss man nun mehr sagen: nach dem Verständnis der katholischen Kirche? – die monogame, unauflösliche Lebensgemeinschaft von Frau und Mann, die für die Zeugung und Erziehung von Kindern offen ist. Die vier Pfeiler, auf denen sie ruht, sind: Freiheit, Treue, Unauflöslichkeit und Fruchtbarkeit im biologischen wie im sozialen Sinn. Das Zweite Vatikanische Konzil beschrieb die Ehe als eine ganzheitliche, alle Aspekte der Existenz von Frau und Mann umfassende Lebensgemeinschaft, die offen ist für die Erzeugung und die Erziehung von Kindern, wobei auch die prokreative Aufgabe alle Dimensionen des personalen Seins der Eheleute, also ihre körperliche, seelische und geistige Existenz betrifft. Das Konzil wollte bewusst jede Anspielung an die frühere Ehezwecklehre vermeiden und betonte deshalb gleichermaßen den Eigenwert der ehelichen Liebe wie ihre prokreative Dimension. Diese Doppelbedeutung, die das charakteristische Eigenprofil der Ehe in ihrem kirchlichen Verständnis prägt, kommt in der Rede von ihren beiden gleichwesentlichen Sinnzielen (finis coessentialis) prägnant zum Ausdruck.
Unterschiede zwischen dem kirchlichen Leitbild der Ehe und dem bürgerlichen Eheverständnis
Wie verhält sich dieses Bild der Ehe zu derjenigen Lebensform, die in unserer Gesellschaft heute mit dem gleichen Wort bezeichnet wird? Zweifellos sind diese beiden Größen nicht deckungsgleich, doch gibt es noch immer erhebliche Übereinstimmungen. Der weiteste Abstand besteht im Blick auf die Öffnung der Ehe zum Kind. Während diese nach kirchlichem Verständnis zu den Wesenseigenschaften der Ehe gehört, so dass eine solche durch den dauerhaften willentlichen Ausschluss von Kindern überhaupt nicht zustande kommt, bleibt die Entscheidung für oder gegen Kinder im gesellschaftlichen Bewusstsein dem privaten Belieben der Eheleute überlassen. Die Gesellschaft ist um ihrer eigenen Zukunftssicherung willen zwar darauf angewiesen, dass möglichst viele Paare eine Familie gründen und dadurch zum Erhalt der Generationenfolge beitragen, doch ist auch die Entscheidung zur bewussten Nicht-Elternschaft als eine undiskriminierte Möglichkeit akzeptiert, die von vielen als eine mögliche Option verantwortlicher Lebensgestaltung angesehen wird. Ebenso unterscheiden sich das bürgerliche Verständnis der Ehe hinsichtlich des Merkmals ihrer Unauflöslichkeit von der kirchlichen Auffassung. Denn auch vor dem Standesamt wird eine Ehe zwar grundsätzlich auf Lebenszeit geschlossen, doch ist sie seit der Einführung des Zerrüttungsprinzips im Scheidungsrecht auch wieder auflösbar, so dass die geschiedenen Ehegatten wieder frei sind, eine neue Ehe mit einem anderen Partner einzugehen.
Wenn die vom Bundestag nun beschlossene „Ehe für alle“ rechtlichen Bestand haben sollte, würde sich das kirchliche Eheverständnis auch im Hinblick auf die dritte wesentliche Voraussetzung zum Eingehen einer Ehe, die Verschiedengeschlechtlichkeit von Mann und Frau, von dem Parallelinstitut unterscheiden, das im gesellschaftlichen Bewusstsein unter dem gleichen Namen firmiert. Ein solches Auseinandertreten widerspräche allerdings dem noch immer gültigen verfassungsrechtlichen Begriff der Ehe, der in weitaus stärkerem Maße von normativen Erwartungen an diese geprägt ist, als der spärliche gesellschaftliche Diskurs über die „Ehe für alle“ erkennen lässt. Dies geht schon daraus hervor, dass Ehe und Familie als die einzigen institutionell gesicherten Lebensformen gemäß Art. 6 des Grundgesetzes unter dem besonderen Schutz der Verfassung stehen. Dieser Auftrag enthält zwar kein Abstandsgebot, das den Gesetzgeber daran hindern würde, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften der Ehe im Erb- und Steuerrecht oder in der Hinterbliebenenversorgung gleichzustellen. Doch bleibt die Ehe unabhängig davon in ihren strukturbildenden Merkmalen, zu denen nach bislang nahezu einmütiger Auffassung die Verschiedengeschlechtlichkeit von Mann und Frau gehört, in besonderer Weise geschützt.
Anthropologische, kulturgeschichtliche und verfassungsrechtliche Aspekte: Die Verschiedengeschlechtlichkeit als prägendes Merkmal der Ehe
Wie ist dies zu verstehen? Art und Umfang der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für Ehe und Familie werden in der verfassungsrechtlichen Literatur unter drei Aspekten dargelegt. Demnach kann Art. 6 1 GG als subjektives Freiheitsrecht, als Institutsgarantie und als eine sogenannte wertentscheidende Grundsatznorm verstanden werden, ohne dass einer dieser Aspekte gegen die anderen ausgespielt werden dürfte. Als Institutsgarantie schützt die genannte Verfassungsnorm das ihr zugrundeliegende Leitbild von Ehe und Familie gegen seine vollständige Aufhebung, seine wesentliche Umgestaltung sowie seine ernsthafte Beeinträchtigung. Allerdings ist auch das verfassungsrechtliche Leitbild von Ehe und Familie nicht „abstrakt“, sondern in der Ausgestaltung gewährleistet, wie „sie den herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspricht“ (BVerfGE 31, 58 (83)). Die Strukturen der Lebenswelt, auf die sich eine verfassungsrechtliche Bestimmung oder ihre geplante Änderung beziehen, müssen daher so konkret wie möglich benannt werden. Weder genügt es, ein überkommenes Leitbild von Ehe und Familie nur zu beschwören, noch darf aus der gesellschaftlichen Akzeptanz neuer Lebensformen vorschnell darauf geschlossen werden, dass die verfassungsrechtlichen Leitbilder von Ehe und Familie überholt wären und ihre prägende Kraft verloren hätten.
In zwei wegweisenden Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht Sinn und Umfang des besonderen Schutzes von Ehe und Familie näherhin präzisiert. Nach seinem Ehegatten-Splitting-Urteil aus dem Jahr 1976 umfasst der Begriff des verfassungsrechtlichen Schutzes positiv den Auftrag an den Staat „Ehe und Familie nicht nur vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren, sondern auch durch geeignete Maßnahmen zu fördern“ und negativ das Verbot für den Staat selbst, „die Ehe zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen“ (BVerfGE 6,55 (76)). In der Literatur werden die sich aus dem Schutzauftrag dieser Verfassungsnorm ergebenden Rechtsfolgen auch als Eingriffsverbot, Diskriminierungsverbot und Schutzgebot bezeichnet, wobei der letztgenannte Aspekt auch mögliche indirekte Gefährdungen von Ehe und Familie durch gesetzgeberische Maßnahmen im Rahmen anderer Zielsetzungen umfasst.
In seinem Familiennachzugsurteil aus dem Jahr 1987, dessen nach wie vor gültige Bestimmungen in der aktuellen Debatte um die Flüchtlingspolitik auch von den Befürwortern einer „Ehe für alle“ nicht ernsthaft in Frage gestellt werden, hat das Bundesverfassungsgericht seine lange geübte Zurückhaltung aufgegeben und den in Wortlaut und Systematik der Verfassungsnorm von Art. 6 1 GG vorausgesetzten Zusammenhang zwischen den beiden Instituten Ehe und Familie deutlicher formuliert. Bereits der Wortlaut von Art. 6 1 GG zeigt eine enge Verknüpfung von Ehe und Familie an. Zwar wird die Ehe nicht mehr in der Weise als „Grundlage des Familienlebens“ bezeichnet, wie dies in Art. 119 der Weimarer Reichsverfassung der Fall war, doch werden beide nach Wortlaut und Systematik der Verfassungsnorm auch nicht nur durch ein nichtssagendes „und“ beziehungslos nebeneinander gestellt. Beide Institutionen kommen in einer gewandelten sozialen Realität zwar auch getrennt vor und können folglich von den in ihnen lebenden Menschen auch je für sich als sinnvoll erlebt werden. Dennoch entspricht eine solche grundsätzliche Entkoppelung nicht dem verfassungsrechtlichen Leitbild von Ehe und Familie. Dies stellte das Bundesverfassungsgericht in dem genannten Urteil zum Familiennachzug unmissverständlich fest: „Die Ehe ist die rechtliche Form umfassender Bindung zwischen Mann und Frau; sie ist alleinige Grundlage einer vollständigen Familiengemeinschaft und als solche Voraussetzung für die bestmögliche körperliche, geistige und seelische Entwicklung von Kindern“ (BVerfGE 76,1 (51)). Unverkennbar sind hier Ehe und Familie aufeinander bezogen, da die Ehe als „Grundlage“ und „Voraussetzung“ der Familie bezeichnet wird. Dass es daneben auch unvollständige Familien geben kann, in denen durch das Zusammenleben von Eltern und Kindern ähnliche Erziehungs- und Beistandsleistungen erbracht werden, steht dem Leitbild einer „vollständigen“ Familie und der „bestmöglichen“ Verwirklichung dieser Aufgaben nicht entgegen.
Wie verhält es sich nun aber mit dem springenden Punkt, um den es in dem Streit um die „Ehe für alle“ vor allem geht: der Verschiedengeschlechtlichkeit von Frau und Mann? Auch wenn das Grundgesetz wie bei allen tragenden Begriffen auf eine Legaldefinition der Ehe verzichtet, weil es diese nicht für definitionsbedürftig ansah, ist kein vernünftiger Zweifel daran möglich, dass die Verschiedengeschlechtlichkeit in den Kernbereich des verfassungsrechtlichen Eheverständnisses gehört. Wer die einschlägigen Grundgesetzkommentare und renommierte Handbücher des Verfassungsrechts konsultiert, erhält dort die nahezu einhellige Auskunft, dass unter einer „Ehe“ im Sinne des Grundgesetzes die Verbindung eines Mannes und einer Frau zur grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft zu verstehen ist. Ebenso zählt das Bundesverfassungsgericht bis in seine jüngste Rechtsprechung hinein die Verschiedengeschlechtlichkeit zu den prägenden Merkmalen der Ehe, die mit ihrer verfassungsrechtlichen Institutsgarantie unlösbar verknüpft sind.
Das Bundesverfassungsgericht unterstrich auch in seiner Begründung dafür, warum die eingetragene Lebenspartnerschaft mit Art. 6 GG vereinbar ist, dass diese keine „Ehe“ im Sinne des Grundgesetzes darstelle. In seinem mit einer knappen 5:3-Mehrheit ergangenen Beschluss zu den eingetragenen Lebenspartnerschaften vom 17. Juli 2002 wiederholte es nochmals, dass die Verschiedengeschlechtlichkeit von Mann und Frau zu den prägenden Wesensmerkmalen der Ehe gehört, die durch ihre verfassungsrechtliche Institutsgarantie geschützt sind. Gerade deshalb sei es mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie, den das Grundgesetz gewährleistet, vereinbar, ein eigenständiges, eheanaloges Rechtsinstitut für solche Menschen vorzusehen, die keine Ehe eingehen können. Denn ein derartiges Rechtsinstitut – gemeint war die eingetragene Lebenspartnerschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren – stelle ein „aliud zur Ehe“ dar, das mit dieser nicht zu verwechseln sei. Das LPartG bewirke folglich keine unzulässige Erosion der Ehe, da diese nur verschiedengeschlechtlichen Paaren offenstehen (BVerfGE 133, 377).
Genau dies bestritt jedoch der damalige Vorsitzende des Zweiten Senats, H.-J. Papier, in seinem abweichenden Sondervotum. Nach seiner Ansicht verstieß bereits die Errichtung eines eheanalogen Rechtsinstituts für gleichgeschlechtliche Paare gegen den besonderen Schutz von Ehe und Familie, wenn dieses sich nur noch dem Namen nach von der Ehe unterscheidet. Im Nachhinein gibt ihm die Entwicklung in der Einschätzung recht, dass der verfassungsrechtliche Ehebegriff auf Dauer dem Erwartungsdruck in Richtung auf eine vollständige Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare auf Dauer nicht standhalten würde. Nunmehr zeigt sich, was damals bereits absehbar war, dass nämlich das Rechtsinstitut einer eingetragenen Partnerschaft von den meisten seiner Befürworter nicht als eigentlich gewolltes Endziel, sondern nur als eine strategische Teiletappe bei dem Versuch angesehen wurde, den Ehebegriff zum Zwecke weiterer gesellschaftlicher Akzeptanzgewinnung zu okkupieren.
Dass die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe zu ihren strukturprägenden Merkmalen gehört, zeigt sich noch in einem anderen Umstand, der in der gegenwärtigen Debatte von den Befürwortern einer „Ehe für alle“ vehement bestritten wird: Der Staat fördert Ehe und Familie mit dem Ziel, dass Kinder in der ihnen zustehenden Geborgenheit und in einer ihrer Entwicklung förderlichen Umgebung aufwachsen, um so die Grundlagen seiner eigenen Zukunft zu legen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass der verfassungsrechtliche Ehebegriff die Verschiedengeschlechtlichkeit der Eltern nicht nur im Sinne der biologischen Zeugungsfähigkeit, sondern auch zur Erfüllung ihres Erziehungsauftrages voraussetzt. Die geschlechtliche Eigenart als Mann oder Frau betrifft nicht eine akzidentelle Eigenschaft, sondern eine die Person in allen Schichten ihres leiblichen, seelischen und geistigen Seins prägende Bestimmung. In der polaren Beziehung zwischen den Geschlechtern äußert sich eine anthropologische Grunddifferenz, an deren existenzielle Bedeutsamkeit die anderen faktisch bestehenden Unterschiede unter den Menschen – zwischen alt und jung, arm und reich, krank und gesund – nicht heranreichen. Während sich diese durch sozialpolitische Reformen wenn nicht völlig aufheben, so doch tendenziell zurückdrängen lassen, oder im biografischen Erleben des einzelnen mit dem Älterwerden an Bedeutung verlieren, sind die Geschlechterdifferenz und der kulturell variable Reichtum ihrer existenziellen Ausdrucksmöglichkeiten aus der anthropologischen Verfassung des Menschen nicht hinwegzudenken.
Dies ist keineswegs, wie oft behauptet, nur ein triviales biologisches Faktum, sondern ein anthropologischer Sachverhalt von grundlegender Bedeutung, der sich durch die semantische Umetikettierung des Ehebegriffs nicht aus der Welt schaffen lässt. Deshalb haben Kinder das Recht, die anthropologische Differenz von Mann und Frau in ihrer kindlichen Erlebniswelt als Verschiedenheit von Vater und Mutter zu erfahren, um durch die Identifikation mit dem einen Elternteil in der altersspezifisch wahrgenommenen und existenziell angeeigneten Differenz zum anderen die eigene personale Identität zu finden. Erwachsene Personen des anderen Geschlechtes – etwa aus dem Kreis der Großeltern oder der weiteren Verwandtschaft – können dies in der Regel nicht in gleicher Weise gewährleisten.
Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Glosse stand noch nicht fest, ob es – etwa aufgrund der Klage eines Bundeslandes wie des Freistaates Bayern oder einer Mehrheit von Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag – zu einem Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht kommt. Dieses hätte dann nicht nur die inhaltliche Frage zu prüfen, ob der Wortlaut des neuen Gesetzes, nach dem die Ehe eine auf Dauer angelegte Verbindung „zweier Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts“ ist mit dem verfassungsrechtlichen Ehebegriff vereinbar ist. Vor dieser materialen Klärung hätte das Gericht auch zu entscheiden, ob der einfache Gesetzgeber dazu befugt war, einen so weitgehenden Eingriff in die verfassungsrechtliche Ordnung von Ehe und Familie ohne die dafür nach Art.79 GG vorgesehene qualifizierte Mehrheit vorzunehmen. Zwar ist auch die Frage, ob die Einführung der „Ehe für alle“ einer verfassungsändernden Mehrheit bedurft hätte, in der Literatur umstritten. Doch müsste das BVerfGE, wenn es seiner eigenen Urteilslogik weiterhin folgt und die Verschiedengeschlechtlichkeit von Frau und Mann zu den unabdingbaren Merkmalen der Ehe zählt und die eingetragene Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Menschen für verfassungsrechtlich zulässig hält, weil sie gegenüber der Ehe eine eigenständige, unverwechselbar andere Lebensform darstellt, nicht auf einer verfassungsändernden Mehrheit bestehen? Wie immer eine mögliche Entscheidung in dieser Sache ausgeht, sie wird hinsichtlich der verlässlichen Haltbarkeit oder eines eventuellen Verfallsdatums der Urteile des BVerfGE – die letzte Bekräftigung des genannten Argumentationsgangs stammt aus dem Jahr 2012 – ein lehrreiches Beispiel sein.
Selbst wenn der eingeschlagene Weg über eine einfache Mehrheit im Parlament verfassungsrechtlich zulässig gewesen sein sollte, wäre es aus gesellschaftspolitischen Gründen wünschenswert gewesen, in der nächsten Legislaturperiode auf eine gemeinsame Gesetzesinitiative aller im Deutschen Bundestag vertretenen demokratischen Parteien zu setzen. Entgegen der von den Befürwortern einer „Ehe für alle“ in den Tagen vor der parlamentarischen Abstimmung verbreiteten Einschätzung wäre eine vorbehaltlose gesellschaftliche Anerkennung der eingetragenen Lebenspartnerschaften auf einem Weg möglich gewesen, der das gesellschaftliche Leitbild von Ehe und Familie nicht beschädigt hätte. Ein Kreis um einige der katholischen Kirche nahestehende Politiker der CDU um die ehemaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel and Bernhard Vogel sowie den ehemaligen Parlamentspräsidenten Norbert Lammert hatte dazu bereits einen weitreichenden Vorschlag erarbeitet. Dieser sah eine Klarstellung auf der Verfassungsebene durch die Ergänzung von Art.6 Abs. I GG vor: „Ehe, Familie und andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ Die Pointe dieses Vorschlages lag darin, dass er durch die Verbindung zweier Zielsetzungen, die bislang als unvereinbar galten, Bewegung in die festgefahrene Debatte hätte bringen und die verhärteten Fronten auflösen können. Auf diese Weise wäre es gelungen, durch die Aufnahme gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften in den Schutzbereich von Art.6 GG diese unmissverständlich und vorbehaltlos der Ehe gleichzustellen, ohne deren Besonderheit anzutasten und den normativen Ehebegriff der Verfassung weiter zu entleeren. Leider ist es zu einer ergebnisoffenen Debatte über diesen Vorschlag, bei der auch das Lehramt der katholischen Kirche hätte Farbe bekennen müssen, nicht mehr gekommen. Als das Zeitfenster sich unverhofft öffnete und die Befürworter der „Ehe für alle“ die Möglichkeit sahen, endlich Fakten zu schaffen, war die Kunst des Kompromisses nicht mehr gefragt.