David: Biblische Erzählungen von einem Krieger, König und Auserwählten Gottes

As part of the event "Myth David", 15.04.2019

Kaum eine Gestalt des Alten Testaments wird derartig ausführlich und vielfältig, aber auch ambivalent gezeichnet wie König David. Auf der einen Seite wird ein idealisiertes Bild entworfen, das zeigt, wie David bereits als junger Mann von Gott auserwählt, gestärkt und beschützt zum König aufsteigt und eine Dynastie gründet, die selbst Jahrhunderte später noch als Zeichen der Hoffnung wirkmächtig bleibt. Auf der anderen Seite wird diese idealisierte Perspektive in den Erzählungen der Samuelbücher von kritischen Stimmen begleitet, die das Porträt Davids um zahlreiche Schwächen und teilweise schwerwiegende Fehltritte erweitern. Auf exemplarische Weise werden so an der Figur Davids Möglichkeiten und Grenzen eines Königs, aber auch des Königtums ausgelotet und diskursiv entfaltet. Dabei werden unterschiedliche Facetten und teilweise kontrastierende Aspekte nebeneinander präsentiert, sodass die Leser und Leserinnen, abhängig davon, welchen Aspekten sie besondere Beachtung schenken, zu unterschiedlichen Einschätzungen und Bewertungen der Figur König Davids kommen.

 

Literarische Entstehung und Eigenart der Texte

 

Blickt man auf den Entstehungskontext und die Entstehungsgeschichte biblischer Texte, so lassen sich diese unterschiedlichen Bilder Davids erklären. Am Beginn der Überlieferung stehen vermutlich Einzelüberlieferungen, die später zu Sammlungen von Erzählungen über David zusammengestellt werden. Dabei können auch Episoden und Taten, die ursprünglich gar nicht mit David verknüpft waren, aufgenommen und David zugeschrieben werden. Als diese Sammlungen später Eingang in ein größeres literarisches Werk fanden, das von der Königszeit in Israel erzählt, wurden die Geschichten über David mit anderen Erzählungen verbunden und im Zuge dieser Redaktion auch aufeinander abgestimmt, sodass sich ein neues Gesamtbild ergab. Damit war der Prozess der Fortschreibung jedoch nicht abgeschlossen, vielmehr wurde noch lange – bis in die nachexilische Zeit – an diesen Erzählungen weitergearbeitet. So hat jede Zeit ihr eigenes Bild von König David entworfen und die biblischen Erzählungen entsprechend modifiziert. Die alten Traditionen wurden dabei nicht einfach überschrieben, sondern es entwickelte sich vielmehr ein fortlaufender Diskurs. Betrachtet man die biblischen Erzählungen von ihrer Entstehungsgeschichte her, so wird auch deutlich, dass sie keine Geschichtsschreibung in unserem heutigen Sinn sind. Vielmehr beinhalten diese Erzählungen Erinnerungen, die sie theologisch reflektieren und in literarischer Gestalt tradieren.

Auf diese Weise entstehen ambivalente Erzählungen und vielschichtige Figuren, die mit ihren Stärken und Schwächen dargestellt werden. Hinzu kommt, dass trotz der relativ ausführlichen literarischen Gestaltung zahlreiche Details und Fragen offenbleiben, die von den Lesern und Leserinnen ergänzt werden müssen. Das führt dazu, dass diese Texte für unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten offen sind. So kann die Darstellung Davids als die Geschichte eines Königs gelesen werden, der von Gott erwählt und mit Gottes Hilfe trotz einiger Verfehlungen erfolgreich war. Die Erzählungen präsentieren diesen König weitgehend positiv, wenngleich kritische Untertöne nicht zu überhören sind. Nähert man sich diesen Erzählungen allerdings aus einer kritischen Perspektive, so kann man sie durchaus auch als Apologie lesen, die dazu dient, die Herrschaft des Usurpators David zu rechtfertigen. Dann dienen insbesondere die Erzählungen vom Aufstieg Davids dazu, ihn als legitimen Nachfolger Sauls zu präsentieren und von Vorwürfen, wie beispielsweise, dass er ein Deserteur, ein Gesetzloser, ein Räuber, ein Söldner der Philister und zudem an einigen Morden beteiligt war, reinzuwaschen.

So, wie uns diese Erzählungen heute vorliegen, lassen sich weder die Figuren eindeutig charakterisieren, noch können die unterschiedlichen Erzählfäden, die in diesen Texten miteinander verwoben sind, einem übergeordneten Thema zugeordnet werden. In den zahlreichen ambivalenten Erzählungen, die sich um David und sein Königtum ranken, spiegeln sich Reflexionen über Möglichkeiten und Notwendigkeiten politischen Handelns. So kann am Beispiel Davids gezeigt werden, welche positiven wie negativen Folgen sich aus politischen Handlungen ergeben und welche Verantwortung ein König zu tragen hat. Die Vielstimmigkeit der Texte ist kein literarischer „Unfall“, sondern sie scheint vielmehr zum Konzept dieser Texte zu gehören.

 

Bilder König Davids

 

Beispielhaft sollen im Folgenden die Bilder von David als Krieger, König und Erwähltem vorgestellt und damit ein Einblick in die ambivalente Gestaltung dieser Figur gegeben werden.

David der Krieger (1 Sam 24)

Die biblischen Texte zeigen David von Anfang an als einen geschickten Kämpfer. Von seiner Zeit als Hirte, in der er das Kleinvieh vor wilden Tieren schütze, über seine Zeit am Königshof Sauls als Waffenträger und später als Feldherr; seine Zeit als Bandenführer, Freischärler und Söldner, bis hin zu seinen Kämpfen als König erweist sich David stets als unerschrockener und rasch entschlossener Krieger, der bereit ist, alles Notwendige zu tun, um seinen Erfolg zu sichern. Man denke nur an den ungleichen Kampf mit Goliat, den Brautpreis von 100 Philister-Vorhäuten, Davids Bereitschaft, Nabel und alle Männer bei ihm zu töten, oder Davids Raubzüge während der Zeit, als er im Dienst der Philister stand (1 Sam 27). In diesen Darstellungen erscheint David als ein kluger Stratege, der (körperliche) Gewalt gezielt und wohl überlegt einsetzt.

Die Erzählungen halten stets die Balance zwischen David, dem erfolgreichen und gottesfürchtigen Krieger, der sich nichts zuschulden kommen lässt, und dem machtbewussten, ehrgeizigen Anwärter auf den Königsthron. Besonders anschaulich wird dies in den Erzählungen von der Verfolgung Davids durch Saul (1 Sam 19-26) dargestellt: Auf der einen Seite wird Saul gezeigt, der als König seine Herrschaft und seine Macht verteidigt und folglich David als gefährlichen Usurpator sieht, der die Macht an sich reißen will. Auf der anderen Seite steht David, der Gesalbte, der König Saul als den Gesalbten JHWHs anerkennt, ihm nicht nach dem Leben trachtet, der sich selbst als unschuldig Verfolgter präsentiert. Die Leser und Leserinnen bleiben in der Spannung zwischen den beiden Lesevarianten. Obwohl die Erzählungen deutliche Sympathien für David zeigen und Saul als Aggressor darstellen, sind doch jene Stimmen, die David kritischer verstehen, nicht zu überhören.

Die Begegnung in der Höhle (1 Sam 24,1-8)

Nachdem David der Verfolgung Sauls in der Wüste Maon nur knapp entgangen war (1 Sam 23,24-28) zieht David an einen anderen Ort. Im Vergleich zur großen Anzahl erprobter Krieger Sauls erscheinen Davids 400 Männer chancenlos. Zumal es sich nicht um kampferfahrene Männer, sondern um solche, die in Schwierigkeiten waren, die Schulden hatten, und deren Leben bitter war, handelt (1 Sam 22,2). Auf diesem Hintergrund wird am Beginn der Erzählung ein an sich belangloses und sonst kaum je erwähntes Ereignis herausgegriffen, Saul verrichtet seine Notdurft. Abseits seiner Krieger befindet sich Saul nun kurzzeitig alleine in einer Höhle und ahnt nicht, dass sich David und seine Männer just in dieser Höhle versteckt halten. Dieses überraschende Zusammentreffen bildet den Ausgangspunkt für die folgende Erzählung. Als Erstes äußern die Männer Davids ihre Sicht: Das ist der Tag, von dem JHWH zu dir gesagt hat: Gib Acht! Ich gebe deinen Feind deiner Hand, und du sollst mit ihm tun, wie es gut in deinen Augen ist (1 Sam 24,5). Sie interpretieren die Situation theologisch, indem sie die Situation im Licht einer göttlichen Verheißung deuten – wann bzw. ob diese je ergangen ist, davon berichten die Texte nichts. Zwei Aspekte sind an dieser Deutung wichtig: zum einen wird Saul mit dem Feind identifiziert, den Gott in Davids Hand gibt. Zum anderen wird betont, dass die Entscheidung, was mit dem Feind zu tun sei, bei David liegt. Er hat die Freiheit, aber auch die Verantwortung, das zu tun, was gut in seinen Augen ist.

Wie Davids Entscheidung ausfällt, berichtet die Erzählstimme gleich anschließend, er schneidet heimlich ein Stück von Sauls Gewand ab. Dass Davids Herz bei dieser wagemutigen Aktion heftig klopft, beschreibt seine emotionale Reaktion und weist zugleich auf die Deutung dieser Handlungen hin. Das Herz, als Sitz des Verstandes und der Urteilskraft, verweist darauf, dass es sich nicht nur um eine gewagte Aktion handelt, sondern mehr auf dem Spiel steht. Das Abschneiden eines Mantelstücks zeugt gewiss von Davids Mut; zugleich lässt es sich auch als eine zeichenhafte Handlung verstehen – er nimmt sich damit einen Teil des Königtums. Während auf der symbolischen Ebene Davids Tat seine Überlegenheit und seine Ansprüche demonstriert, bleibt David auf der unmittelbaren Erzählebene friedlich, er betont die Unantastbarkeit des Gesalbten Gottes und beschützt Saul gegen den Tatendrang seiner Männer (V 7-8).

Die Deutung des Geschehens (1 Sam 24,9-22)

Nachdem Saul die Höhle verlassen hat, spricht ihn David aus sicherer Entfernung an und teilt Saul mit, was ohne sein Wissen geschehen ist. David stilisiert seine Rede wie ein Kläger in einem Gerichtsverfahren, der sich an den König wendet, um gegen unbekannte Gegner zu klagen. Er beginnt mit der zentralen Frage, warum Saul ihn verfolgt. Er formuliert es jedoch so, dass Saul nicht direkt angeklagt wird, vielmehr schiebt David Unbekannte vor, die ihn beim König verleumden. Um Saul davon zu überzeugen, dass David keine bösen Absichten hegt, führt er die Episode in der Höhle an, und betont, dass er die Situation nicht ausgenutzt hat, obwohl sich die Gelegenheit geboten hat. Damit macht David deutlich, dass er Saul nicht als seinen Feind betrachtet und Sauls Königtum nicht gewaltsam beenden will. Wenn David Saul als Vater anspricht, so betont er damit die hierarchische Beziehung, zugleich aber auch die familiäre Verbundenheit, ist doch David der Schwiegersohn Sauls. Als Beweis für die Richtigkeit seiner Darstellung zeigt David das Mantelstück vor (V 11-12). Auf diese Weise betont er seine Friedfertigkeit und Unschuld, doch zugleich zeigt er Saul das Mantelstück als Zeichen für den Verlust seiner Königsherrschaft. Das Mantelstück ruft die Worte Samuels in Erinnerung: JHWH hat heute das Königtum Israels von dir weggerissen und es einem anderen gegeben, der besser ist als du (1 Sam 15,28). Mit dem Abschneiden des Mantelstücks greift David symbolisch nach dem Königtum und beansprucht, „der andere“ zu sein, dem dieses verheißen ist. Damit entsteht zwischen den Zeilen ein anderes Bild der Ereignisse in der Höhle. Obwohl David keine physische Gewalt gegen Saul angewandt hat, hat er sich symbolisch das ihm verheißene Königtum angeeignet und es dem Saul entrissen.

In den folgenden zwei Versen (V 13-14) verändert David die Rollen in dieser fiktiven Gerichtsverhandlung; nicht mehr der König ist der Richter, sondern JHWH wird als oberste richterliche Instanz ins Spiel gebracht, um zwischen David und Saul zu richten. David präsentiert Saul zwar nach wie vor nicht als Feind, aber als jemanden, der eine entgegengesetzte Deutung der Situation vertritt. Obwohl David betont, dass er sich nicht gewaltsam gegen Saul wenden wird, spitzt er seine Darstellung zu, indem er ein Sprichwort zitiert: Von den Bösen kommt Böses. Damit drängt er Saul in die Rolle des Gottlosen und nimmt damit das von Gott zu erwartende Urteil vorweg.

In V 15 spricht David noch einmal explizit die Verfolgungssituation an und fragt nach der Perspektive Sauls. Für wen hält Saul David – für einen toten Hund oder einen Floh? Während David sich mit diesen Vergleichen explizit erniedrigt, lassen Verweise zu anderen Texten allerdings erneut ein ambivalentes Bild entstehen. In 1 Sam 17,43 stellt Goliat die Frage: Bin ich ein Hund? und weist damit darauf hin, dass David die Lage falsch einschätzt und sich mit geradezu lächerlich unzulänglicher Bewaffnung dem Kampf stellt. Dennoch, als David den mächtigen Philister zum Kampf herausfordert, ist er der einzige, der dies wagt. Wenn David sich nun selbst einen Hund nennt, dann wird damit auch auf jene Situation angespielt, in der Saul, als König Israels, es nicht wagte, einem „Hund“ im Kampf entgegen zu treten. Der Vergleich mit einem „toten Hund“ könnte ironisch darauf hinweisen, dass der Hund schon tot sein muss, bevor Saul die Verfolgung wagt. David beendet seine Rede mit einer nochmaligen Anrufung Gottes und der Bitte, dass Gott ihm gegenüber Saul Recht verschaffen möge.

Die Stimme Davids zeigt sich in dieser Rede durchgängig zweistimmig. Die immer wieder eingestreuten Verweise verbinden die Worte Davids mit anderen Texten, früheren Ereignissen, die eine zweite, den aktuellen Worten entgegenwirkende Stimme, bilden. So wird ein Dialog begonnen, der zwischen dem friedliebenden, treu ergebenen David und den gleichzeitigen Machtansprüchen Davids changiert. Die zur Schau gestellte Friedfertigkeit und Unterwürfigkeit steht auf der einen Seite, auf der anderen Seite findet sich ein deutlicher Anspruch auf das Königtum und der Ausdruck von Überlegenheit.

Die Antwort Sauls (V 17-22) beginnt mit einer Beschreibung seiner Reaktion, die ihn überrascht und gerührt zeigt. Sowohl die Anrede Davids als „mein Sohn“ als auch die emotionale Regung des Weinens zeigen Saul von einer anderen Seite, nicht als den unerbittlichen Feind, sondern sie lassen Erinnerungen an seine anfängliche Wertschätzung Davids wach werden (1 Sam 16,21; 17,2). Trotzdem bleibt offen, ob es sich um Tränen der Rührung, der Einsicht oder doch des Selbstmitleids handelt. In seiner Rede reflektiert Saul sein Verhältnis zu David und stimmt sogar dessen Deutung zu, indem er sich selbst als schuldig, David jedoch als unschuldig erklärt. Saul anerkennt damit Davids Gerechtigkeit und zeigt sich überzeugt davon, dass Gott ihn an Davids Gewalt ausgeliefert hat. Dennoch bleibt er bei seiner Sicht der Dinge, dass er und David sich feindlich gegenüberstehen. Dadurch erscheint es Saul umso erstaunlicher, dass David ihn verschont hat, und er bittet JHWH darum, David dieses Gute zu vergelten (V 18–20). Der zweite Teil der Rede verschiebt den Fokus zu Davids Anspruch auf das Königtum. Saul gesteht ein, dass er um den bevorstehenden Machtwechsel weiß und er sagt Davids Königreich Bestand voraus. Die Reaktion Sauls auf Davids Rede zeigt, dass er beide Aspekte der Rede Davids vernommen hat, die Verschonung ebenso wie den Machtanspruch.

Die Erzählung endet nicht mit einer Lösung des Konflikts zwischen David und Saul, weder kommt es zu einer Versöhnung noch gibt es einen klaren Sieger. Dennoch bietet diese Schilderung einen wichtigen Beitrag zum Bild Davids, indem sie ihn als einen beherzten und entschlossenen Krieger zeigt, der den Anspruch auf das Königtum erhebt, aber Saul, den Gesalbten Gottes, nicht antastet. Auf diese Weise wird Davids Aufstieg weiter legitimiert, es ist kein Putsch, sondern eine rechtmäßige Übernahme mit göttlicher Legitimation. In den Psalmen wird das Bild des friedfertigen David noch weiter verstärkt. Mit Hilfe später eingefügter Überschriften werden einzelne Gebete mit bestimmten Situationen aus den Daviderzählungen verbunden. Zwei davon, Ps 57 und Ps 142, nennen eine Situation, die sich auf diese Erzählung beziehen könnte. Beide Psalmen sind Klagelieder eines Verfolgten, der übermächtigen Feinden hilflos ausgeliefert ist und Gott seine Notsituation schildert und um Hilfe bittet. Liest man diese Psalmen auf dem Hintergrund der in 1 Sam 24 geschilderten Situation, dann verstärken sie die Tendenz, David als unschuldig und unterlegenen Verfolgten, Saul hingegen als alleinigen Aggressor und Feind zu zeichnen, während die Zwischentöne der Erzählung verschwinden.

David der König (2 Sam 11–12)

Nach diesem grundsätzlich David-freundlichen Text soll ein zweites Beispiel die kritische Perspektive zeigen. Den deutlichsten Ausdruck findet die Kritik an David in der Erzählung von seinem Ehebruch und der Tötung Urijas (2 Sam 11–12). Darin wird David als ein despotischer Herrscher ohne Gleichen dargestellt. Was Abraham dem Pharao oder Abimelech aus Angst nur unterstellt hatte, was aber nie eingetreten ist, nämlich, dass der fremde König seine Frau wegnehmen und ihn töten lassen würde, das wird von David tatsächlich erzählt. David sieht eine verheiratete Frau, er begehrt sie, holt sie zu sich und als sie schwanger wird und der Ehebruch offensichtlich zu werden droht, lässt er den Ehemann umbringen und nimmt die Frau zu sich.

Vertuschungsversuche

Der Ehebruch Davids wird kurz und knapp berichtet: David begehrt Batscheba, er lässt sie holen und legt sich zu ihr; dass sie verheiratet ist, kümmert ihn dabei nicht (11,2–4). Erst, als sie ihm ausrichten lässt, dass sie schwanger ist und damit klar wird, dass Davids Verhalten Konsequenzen nach sich zieht, entfaltet die Erzählung diesen Konflikt detaillierter. In der Darstellung wird deutlich, dass Ehebruch als schweres Unrecht gilt, das auch ein König nicht begehen darf. Dementsprechend versucht David das Geschehen zunächst zu vertuschen und Urija, den Mann Batschebas, als Vater plausibel zu machen. Doch als das nicht gelingt, schickt er Urija mit einem Brief an den Feldherrn Joab, in dem er Urijas Tod anordnet, zurück an die Front. Thomas Naumann hat darauf hingewiesen, dass mit diesem „Todesbrief“ ein bekanntes Erzählmotiv aufgegriffen und variiert wird. In den meisten anderen Erzählungen entpuppt sich der Überbringer des Briefs als „Glückskind“, dem es durch glückliche Zufälle gelingt, alle Gefahren zu bestehen und dem im Brief angekündigten Schicksal zu entgehen. Der Bote wird damit zum eigentlichen Helden der Geschichte. Nicht so allerdings in der David-Urija Erzählung, hier bleibt der despotische König erfolgreich und den Boten trifft das vorgesehene Schicksal. So kann der Brief in den Hörern und Hörerinnen zunächst noch die Hoffnung wecken, dass Davids Mordabsichten aufgedeckt werden; als das jedoch nicht der Fall ist, tritt das Verbrechen Davids und seine königliche Willkür umso deutlicher hervor. Doch damit nicht genug, die Erzählung führt Davids Vertuschung noch weiter aus. Nachdem Urija planmäßig in der Schlacht gefallen ist, sendet Joab einen Boten zu David, der ihm die Nachricht von einem Rückschlag während der Belagerung der Schlacht berichtet. Da die Botschaft vom Tod Urijas nicht geheim in einem Brief, sondern öffentlich übermittelt wird, reagiert David entsprechend als kriegsführender König, der den taktischen Fehler seines Feldherrn großzügig verzeiht. Was für den Boten vielleicht eine Erleichterung ist, dass der König die schlechte Nachricht so gelassen aufnimmt, erscheint für die Leser und Leserinnen wie Hohn und verstärkt den kritischen Blick auf David als egoistischen und rücksichtslosen Herrscher weiter. David scheint in dieser Erzählung die schlimmsten Ängste vor einem Despoten zu bestätigen. Auch im Vergleich zu anderen altorientalischen Texten erweist sich Davids Handeln als ein singulärer Fall der herrscherlichen Willkür, der sonst nicht belegt ist und im Alten Testament nicht einmal den gefürchtetsten fremden Königen unterstellt wird.

Schonungslose Aufdeckung

Beinahe würde diese Geschichte uns als Leser und Leserinnen fassungslos zurücklassen, wäre da nicht Natan, der Prophet, der im Auftrag Gottes David mit seiner Schuld konfrontiert (2 Sam 11,27 – 12,11). Natan geht zum König und trägt ihm scheinbar einen Gerichtsfall vor (2 Sam 12,1-4). Obwohl es klare Fiktionssignale in dieser Erzählung vom armen und reichen Mann gibt, die darauf hinweisen, dass es sich um eine beispielhafte Geschichte handelt, zeigt die Reaktion Davids, dass er sich als König in der Rolle des Richters sieht, der über diesen Fall zu entscheiden hat. Wie es Natans Schilderung nahelegt und entsprechend der königlichen Aufgabe, für Recht und Gerechtigkeit und den Schutz der Armen zu sorgen (vgl. Ps 72,4), verurteilt David den reichen Mann sogleich und fordert Wiedergutmachung. Diese Reaktion zeigt, dass David durchaus in der Lage ist, gravierendes Unrecht zu erkennen und dieses auch klar ablehnt. Erst als sich Natan dessen vergewissert hat, löst der die Erzählung auf und konfrontiert David mit seiner eigenen Tat: Du bist der Mann! Er benennt Davids Ehebruch und Mord als böse in den Augen Gottes, eine Bewertung, die an Klarheit nicht zu übertreffen ist, und richtet David auch die von Gott angekündigten Konsequenzen aus (V 7–12). Hatte Gott bislang David stets beschützt, so muss er sich von nun an allen Anfeindungen und Herausforderungen selbst stellen. Dass dies keine unangemessene Strafe, sondern eine logische Folge aus Davids Handlungen ist, zeigt die Formulierung in V 10, die den sogenannten „Tun-Ergehens-Zusammenhang“ betont: So wie David Urija durch das Schwert töten ließ, so wird das Schwert nicht mehr von seinem eigenen Haus weichen. David nimmt diese Kritik an, er versucht nicht, sich zu rechtfertigen, sondern gesteht seine Schuld ein: Ich habe gegen JHWH gesündigt (V 13).

David wird in dieser Erzählung äußert kritisch und schonungslos vorgeführt. Seine skrupellosen Handlungen werden nicht entschuldigt und er muss die Folgen dieses Handelns tragen. Dennoch bleibt auch diese Erzählung nicht einseitig, sondern stellt Davids großem Fehlverhalten seine große Reue, ebenso wie seine Bereitschaft, die königliche Macht der Prophetie unterzuordnen, gegenüber.

Erinnerung an Davids Schuld und Reue

Auch außerhalb der Samuelbücher ist von dieser Schuld Davids die Rede. So ordnet die Überschrift von Ps 51 das Bußgebet David in genau dieser Situation zu, und gibt damit vor, einen Einblick in die Gefühlslage Davids zu geben. Eindringlich beteuert der Psalmist seine Schuld, bittet Gott um Vergebung und betont, dass er nicht selbst aus seiner Schuld herauskommen kann, sondern auf Gottes Hilfe angewiesen ist. Die Schuld Davids, aber auch seine Reue bleiben damit in der Erinnerung präsent. Auch Jesus Sirach, der in einem Loblied auf die großen Gestalten Israels David (Sir 47,1-11) vor allem als glorreichen König zeigt, verschweigt diese Dimension nicht, wenngleich er die Sünden Davids nur rückblickend als bereits von Gott vergeben erwähnt und Gottes bleibende Zuwendung zu David nicht in Frage stellt.

David der Erwählte und Erhoffte

Während die Darstellung Davids in den Samuelbüchern ein differenziertes und ambivalentes Bild des Königs entwirft, zeigen spätere Bearbeitungen dieses Erzählstoffs die Tendenz zur Vereinheitlichung und Glorifizierung. Dies findet sich bereits im chronistischen Geschichtswerk, in dem die David-kritischen Erzählungen weggelassen werden; das verstärkt sich aber ebenso in den Psalmen, die David als prototypischen Beter zeigen, oder in den prophetischen Texten, in denen David zum Vorbild eines neuen, erhofften Herrschers werden kann.

Trotz der kritischen Darstellungen und dem Wissen, dass David Schuld auf sich geladen hat, halten die biblischen Traditionen am göttlichen Zuspruch, den Natan David in 2 Sam 7,16 überbringt, fest: Deine Dynastie und dein Königtum werden vor dir für immer Bestand haben, dein Thron wird für immer feststehen. Die Verheißung eines bleibenden Hauses, des Throns Davids, wird zur Hoffnung für spätere Generationen (Jes 9,6). Mit einem neuen David, so hoffen diese Texte, wird eine bessere Zeit für Israel anbrechen. Das Vertrauen in diese Verheißung bleibt, selbst aus dem Stumpf Isais konnte ein neuer Spross wachsen (Jes 11,1-5). Ähnlich wie bei Jesaja findet sich auch im Buch Micha (Mi 5,1-7) die Hoffnung auf einen neuen David und mit ihm auf ein Ende der assyrischen Vorherrschaft. In Ez 34 kündigt der Prophet an, dass Gott einen Knecht wie David an die Stelle der unfähigen Hirten des Volkes einsetzen wird (Ez 34,23-24).

In diesen und ähnlichen Texten wird David angesichts von Missständen und Unterdrückung zur Hoffnungsperspektive. Man hofft darauf, dass Gott erneut jemanden „wie David“ einsetzen möge. Das Bild der Königsherrschaft bleibt. Wenngleich die Samuel- und Königsbücher der Monarchie eine Absage erteilen (die königlichen Nachkommen sind nicht vertrauenswürdig), ist damit die Idee von einem König noch nicht verworfen. Die Frage nach einer idealen Führung taucht vielmehr immer wieder auf. Der Wunsch nach einer Wende, nach einem Neuanfang verdichtet sich in der Figur Davids, die wie kaum eine andere biblische Gestalt wagemutig und unerschrocken all das tat, was in ihrem Herzen ist, darauf vertrauend, dass JHWH mit ihr ist (2 Sam 7,3). Ob diese Hoffnungsperspektive die Schattenseiten einer solchen Figur in Kauf nimmt, diese ausblendet oder auf die Vervollkommnung eines neuen David hofft, wird jedoch nicht thematisiert.

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