Die Demokratie (in ihrem modernen Verständnis) hängt mit dem Rechtsstaat einerseits und dem Sozialstaat andererseits sowohl theoretisch als auch praktisch aufs Engste zusammen. Nicht nur sind die Konzepte von Rechtstaat, Demokratie und Sozialstaat begrifflich miteinander verwoben, sondern sie haben sich auch historisch nacheinander auf der Grundlage der Ideen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität entfaltet, verbreitet und weithin durchgesetzt. Insofern bilden Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat – in eben dieser Reihenfolge – eine verkettete Triade politischer Forderungen und Institutionen. Im Folgenden soll versucht werden, Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat hinsichtlich ihrer begrifflichen Bedeutung, geschichtlichen Entwicklung und philosophischen Begründung kurz zu beleuchten.
Begriffe
Methodische Vorbemerkung
Die Fragestellung lautet hier, was unter Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat gemeinhin verstanden wird und worin ihre wesentlichen Kennzeichen bestehen. Die Beantwortung dieser Frage stößt allerdings auf das Problem, dass alle diese Begriffe – wie überhaupt die meisten zentralen Begriffe der politischen Sprache – politisch in hohem Maße umstritten, nämlich sowohl notorisch vage wie auch ideologisch aufgeladen sind. Dieser Umstand könnte die Vermutung nähren, diese Begriffe seien nichts weiter als bloße Leerformeln ohne feste Bedeutung. Dieser Vermutung lässt sich jedoch begegnen, indem man – einem Vorschlag von John Rawls folgend – zwischen dem Begriff (concept) einer Sache und einer Vorstellung (conception) derselben unterscheidet.
Während der Begriff (oder das Konzept) einer Sache – hier von Rechtsstaat, Demokratie, Sozialstaat – die Schnittmenge der Bedeutungselemente umfasst, die den verschiedenen Redeweisen und Auffassungen von dieser Sache gemeinsam sind und insofern allgemein als selbstverständlich angenommen werden, inkludiert eine Vorstellung (oder Konzeption) der betreffenden Sache auch diverse über deren Begriff hinausgehende Komponenten, über die meist abweichende, ja oft einander widersprechende Auffassungen bestehen. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung, die allerdings historisch variabel ist, sollen zunächst jene Elemente von Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat benannt werden, über die heute unter informierten und kompetenten Personen weitgehende Einigkeit herrscht und die darum ihre gegenwärtig weithin geteilten Begriffe konstituieren.
Rechtsstaat
Der Rechtsstaat, den man in Anlehnung an seinen englischen Namen treffender als „Herrschaft des Rechts“ ansprechen kann, ist eine politische Ordnung, deren rechtliche Verfassung die Ausübung staatlicher Herrschaft und privater Macht im Wesentlichen durch vier rechtliche Rahmenbedingungen reguliert: Gleichheit des Rechts, Gesetzesbindung, Gewaltenteilung, Grundrechte.
Die Gleichheit des Rechts or rechtliche Gleichheit, inkludiert nach ihrem heute weithin geteilten Verständnis mehrere Erfordernisse, die sich erst im Lauf der Zeit nach und nach entfaltet haben: zuallererst Gleichheit vor dem Gesetz, der zufolge für alle Bürger als gleichen Rechtspersonen dieselben allgemeinen Gesetze gelten, die auf sie gleiche Anwendung finden müssen (Rechtsanwendungsgleichheit); ferner Gleichheit im Recht, nach der auch die Gesetze ihrerseits keine sachlich unbegründete Ungleichbehandlung von Bürgern vorschreiben dürfen, was generell-abstrakte Gesetze, das Verbot von Diskriminierungen und die Verhältnismäßigkeit gesetzlicher Unterschiede impliziert (Rechtsetzungsgleichheit); und schließlich in einem gewissen Grad auch Gleichheit durch das Recht, aufgrund der das Recht selber als Instrument zur Verringerung bestimmter beharrlicher faktischer Ungleichheiten dienen soll, die, wie die Ungleichheit der Geschlechter oder rassische Diskriminierungen, als unerträglich betrachtet werden.
Die Gesetzesbindung or Legalität staatlichen Handelns verlangt, dass alle staatlichen Aktivitäten gegenüber den Bürgern auf generell-abstrakten Gesetzen beruhen müssen. Damit soll jeder nicht durch solche Normen begründete Eingriff staatlicher Amtsträger in die Rechte und Freiheiten der Bürger, ja überhaupt jede willkürliche Ausübung staatlicher Macht unterbunden werden.
Die Gewaltenteilung bzw. Gewaltenbalance verlangt eine die Konzentration politischer Macht verhindernde Verteilung staatlicher Herrschaftskompetenzen, vor allem zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Während eine strikte Trennung von Gesetzgebung und Regierung in einer parlamentarischen Demokratie kaum möglich ist, setzt ein wohlgeordneter Rechtsstaat eine effektiv garantierte Unabhängigkeit der Justiz voraus, die ihrerseits eine Reihe von rechtlichen Vorkehrungen erfordert, nämlich einerseits Justizrechte (wie die Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit der Richter, um sie gegen politische Einflussnahmen möglichst zu immunisieren) und andererseits Rechtswegegarantien (Recht auf faires Verfahren, auf rechtliches Gehör und dergleichen).
Die Grundrechte verkörpern kodifizierte Menschen- und Bürgerrechte, die allen Bürgern eines Staates und zum Teil auch allen im Staatsgebiet sich aufhaltenden Fremden jedenfalls gegenüber staatlichen Institutionen, unter Umständen sogar gegenüber Privatpersonen zukommen und ihnen diesen gegenüber gewisse einklagbare Ansprüche verleihen. Gewöhnlich werden in Anbetracht ihrer sukzessiven Entfaltung vier Arten (Generationen) dieser Rechte unterschieden: (a) bürgerliche Rechte: auf rechtliche Gleichheit, persönliche Sicherheit (Leben, körperliche Integrität) und individuelle Freiheit (Bewegung, Religion, Meinung, Berufswahl, Eigentum, Vertragsverkehr etc.); (b) politische Rechte: auf Freiheit der politischen Betätigung (Vereinigung, Versammlung), der Beteiligung und Mitsprache (gleiches Wahlrecht usw.); (c) soziale und wirtschaftliche Rechte: auf Arbeit, angemessene Entlohnung und Arbeitsbedingungen, berufliche Koalitionsbildung, soziale Sicherung, Bildung usw.; sowie (d) kulturelle Rechte: auf Teilnahme am kulturellen Leben (Gebrauch der Muttersprache, Pflege kultureller Tradition).
Während die Erfordernisse der rechtlichen Gleichheit, der Gesetzesbindung und der Gewaltenteilung staatlicherseits mit relativ sparsamen organisatorischen Mitteln gewährleistet werden können, erfordert der Schutz der Grundrechte aller Personen erhebliche organisatorische Maßnahmen und Kosten. Das gilt in einem gewissen Ausmaß schon für die bürgerlichen Persönlichkeits- und Freiheitsrechte, die zwar traditionell bloß als negative Abwehrechte konzipiert werden, aber vom Staat durch einen entsprechenden Apparat von legislativen, administrativen, exekutiven und gerichtlichen Institutionen gewährleistet werden müssen. Das gilt ebenso für die politischen Rechte, umso mehr aber für die sozialen Rechte, die zum Teil die Erbringung aufwändiger und kostspieliger Leistungen durch den Staat verlangen.
Democracy
Zur Erläuterung der wesentlichen Strukturelemente der Demokratie kann die berühmte Formulierung von Abraham Lincoln in seiner Rede in Gettysburg 1863 dienen: „Democray is government of the people, by the people and for the people“. Dabei soll es hier nicht darum gehen, wie Lincoln diese Formel verstanden haben mag, sondern nur darum, deren dreifache Bezugnahme auf das Volk – of, by und for – näher zu bestimmen.
Government of the people kann wohl nur Regierung bzw. Herrschaft des Volkes im Sinne von über das Volk bedeuten, wenn es nicht dasselbe wie „durch das Volk“ bedeuten soll. „Volk“ meint hier also die Gesamtheit der Personen, die der Regierung unterworfen sind, die Herrschaftsadressaten. Diese Gesamtheit kann sinnvoller Weise nicht als ein ganzes Kollektiv, sondern nur als eine Menge von Einzelpersonen verstanden werden, deren Umfang im Detail durch die staatliche Rechtsordnung bestimmt wird. Im Allgemeinen gehören dazu nicht nur die Staatsbürger, sondern alle sich im Staatsgebiet aufhaltenden – natürlichen und juristischen – Personen, oft auch die im Ausland lebenden Staatsbürger und mitunter sogar gänzlich Fremde.
Government by the people, also Herrschaft durch das Volk, bildet sicher das zentrale Element der Lincolnschen Formel, da es das Volk – entsprechend dem üblichen Verständnis – als Träger oder Autor staatlicher Herrschaft, mithin als Souverän der staatlichen Ordnung anspricht. Doch wie „Volk“ hier genau zu verstehen ist, ist weder klar noch unumstritten: Ist es ein organisches Ganzes, ein irgendwie vernetztes Gefüge einer Mehrzahl sozialer Gruppierungen oder nichts weiter als ein loses Aggregat von Einzelpersonen? Ferner stellt sich die Frage, wie das Volk, wie immer es verstanden wird, die staatliche Herrschaft ausüben kann und soll: auf direkte Weise (etwa mittels Volksversammlung) oder indirekt durch eine gewählte Volksvertretung. Im zweiten Fall haben wir es mit einer repräsentativen, in der Regel parlamentarischen Demokratie zu tun, zu der es in großen Flächenstaaten wohl keine sinnvolle Alternative gibt, auch wenn sie durch direktdemokratische Entscheidungsverfahren ergänzt werden kann.
Jede Form der Demokratie braucht freilich geeignete Entscheidungsmethoden, unter denen das Mehrheitsprinzip zwar eine besonders prominente Rolle spielt, aber nicht ganz ungefährlich ist, da es unter gewissen Umständen in eine Tyrannei der Mehrheit münden kann, der es durch entsprechende Vorkehrungen des Minderheitenschutzes (z.B. dem Mehrheitsprinzip entzogene Grundrechte, Rechte der politischen Opposition, wiederkehrende Wahlen) zu begegnen gilt. Die parlamentarische Demokratie erfordert überdies taugliche Verfahren der Wahl der Volksvertretung, die sowohl das Stimmrecht der Bürger als auch die Auswahl der Volksvertreter betreffen. Was das Stimmrecht angeht, so hat sich nach langen sozialen Kämpfen die Ansicht durchgesetzt, dass eine entwickelte Demokratie das allgemeine und gleiche Wahlrecht aller Bürger/innen einschließlich der Frauen braucht, während in Bezug auf die Auswahl der Volksvertreter nach wie vor eine Vielfalt von Systemen miteinander rivalisiert, die sich zwischen einem Mehrheitswahlsystem und einem Verhältniswahlsystem bewegen.
Government for the people stellt auf das Ziel der Demokratie ab, indem diese als Herrschaft für das Volk verstanden wird. Hier bleibt nicht nur wiederum offen, was das „Volk“ eigentlich ist (eine organische Ganzheit, eine Pluralität sozialer Gruppierungen oder ein Aggregat von Individuen), sondern es erhebt sich auch die Frage, von welchen Werten oder Grundsätzen sich die staatliche Herrschaft leiten lassen sollte, um für das Volk zu sein. Ganz allgemein kann man sicher sagen, dass staatliche Herrschaft so gut wie möglich das Wohl des Volkes, das allgemeine Beste fördern oder mehren sollte. Und es ist wohl auch plausibel, das Wohl des Volkes durch eine Reihe von grundsätzlichen Werten oder Zwecken auszubuchstabieren, wozu jedenfalls folgende gehören: Peace, Gerechtigkeit, Security, Wohlfahrt. Aber da alle diese Werte ihrerseits höchst unbestimmt und umstritten sind, muss es stets der öffentlichen Meinungsbildung überlassen bleiben, darüber einen halbwegs tragfähigen Konsens zu erzielen.
Sozialstaat
Was den Sozialstaat (oder Wohlfahrtsstaat) ausmacht, das lässt sich am besten durch seine Aufgaben und die für deren Erfüllung erforderlichen Komponenten seines institutionellen Systems erklären.
Die zentralen Aufgaben des Sozialstaats ergeben sich schon aus den erwähnten Grundrechten einer rechtsstaatlichen Ordnung, so vor allem aus den sozialen und wirtschaftlichen Grundrechten der Gesellschaftsmitglieder. Diese Aufgaben sind insbesondere die folgenden: die Gewährleistung sozialer Sicherheit durch ein angemessenes Existenzminimum, der Schutz lohnabhängiger Erwerbsarbeit vor ausbeuterischen und unwürdigen Arbeitsverhältnissen, die weitestmögliche Realisierung des Rechts auf Arbeit durch eine auf Vollbeschäftigung zielende Arbeitsmarktpolitik, die Sorge für eine allen Nachkommen gleichermaßen zugängliche allgemeine Schul- und Berufsbildung, und die Bereitstellung einer öffentlichen Gesundheitsversorgung, die jede Person nach Bedarf unabhängig von ihrer Zahlungsfähigkeit in Anspruch nehmen kann.
Diese Aufgaben erlegen dem Staat weitreichende Leistungspflichten auf, die er im Kontext einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung nur durch vielfältige, zum Teil sehr kostspielige und aufwändige Verfahren der Regulierung, Korrektur und Ergänzung der Eigendynamik einer solchen Ordnung erfüllen kann. Ein entwickelter Sozialstaat braucht deshalb eine entsprechend ausdifferenzierte Organisation, die jedenfalls die folgenden Komponenten einschließt: (1) ein soziales Sicherungssystem, (2) ein kollektives Arbeitsrecht, (3) eine aktive Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, (4) ein öffentliches Bildungssystem und (5) ein soziales Gesundheitswesen. Angesichts aller dieser Aufgaben des Sozialstaats, denen sich noch mehrere weitere hinzufügen ließen, ist es nicht schwer zu verstehen, dass es Hand in Hand mit der Entwicklung dieser Staatsform im 20. Jahrhundert zu einer beträchtlichen Ausweitung sowohl der staatlichen Bürokratie als auch der Staatsquote (des Anteils des staatlichen Budgets am Sozialprodukt) gekommen ist. Diese Quote liegt gegenwärtig in den meisten entwickelten Verfassungsstaaten zwischen 40 und 60 Prozent.
History
Einleitende Bemerkungen
Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat sind, historisch betrachtet, relativ junge Formen staatlicher Herrschaft. Um zu verstehen, warum und wie sie entstanden sind und sich entfaltet haben, gilt es, die maßgeblichen Faktoren des sozialen Wandels allgemein und der Entwicklung sozialer Ordnungen im Besonderen ins Auge zu fassen. Diese Faktoren sind vor allem die folgenden: zum einen die wesentlichen Triebkräfte des sozialen Handelns von Individuen und Gruppen, wozu sowohl allgemeine Ideen, d.h. öffentlich vertretene ethische Vorstellungen oder -postulate (wie Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Teilhabe, Gemeinwohl), als auch partikulare Interessen, also die eigennützigen Ziele von Menschen (etwa Macht, Reichtum, Reputation, Wohlergehen) gehören, zum anderen die faktischen Rahmenbedingungen sozialen Handelns, die nicht nur die sozialen Normen und Institutionen der Gesellschaftsordnung, sondern vor allem auch die jeweils bestehenden ökonomischen und politischen Machtverhältnisse einschließen.
Diese Faktoren wirken in vielfältigen Konfigurationen zusammen, von denen manche den jeweiligen gesellschaftlichen Status quo stabilisieren, andere aber auf eine Veränderung dieses Zustands drängen. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn unter gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen, die große, durch die bestehende politische bzw. rechtliche Ordnung gestützte gesellschaftliche Ungleichheiten inkludieren, die Menge der Menschen immer weiter wächst, die diese Verhältnissen – sei es, weil sie sie ungerecht finden oder selber unter ihnen leiden – heftig ablehnen und mit zunehmendem Erfolg eine soziale Bewegung formieren, der es gelingt, jene Verhältnisse im Namen passender Ideen der Gerechtigkeit oder des Gemeinwohls breitenwirksam anzuprangern und einen Prozess politischer Reformen auszulösen. Und solche Bewegungen waren auch maßgebliche Triebkräfte der Entwicklung von Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat.
Rechtsstaat
Die Ausgangslage der allmählichen Entwicklung des Rechtsstaats war die in der frühen Neuzeit (16.–19. Jahrhundert) zunehmende Spannungslage zwischen der politisch-rechtlichen Ordnung des absolutistischen Staates samt den noch in Resten fortbestehenden ständischen Ungleichheiten des Feudalsystems auf der einen Seite und der mit der sich ausdehnenden Markt- und Geldwirtschaft wachsenden ökonomischen Potenz des besitzenden Bürgertums. Während die selbstherrlich regierenden Herrscher des absolutistischen Staates dank der Entwicklung von Kriegsführung und Militärtechnik ihr Gewaltmonopol über die sich bildenden Flächenstaaten ausbauen konnten und sich zur Festigung ihrer Macht zunehmend willkürlicher und repressiver Mittel bedienten, strebte das zahlenmäßig anwachsende und selbstbewusster werdende Bürgertum, beflügelt von den Ideen von Humanismus und Aufklärung, nach rechtlicher Gleichheit, bürgerlicher Freiheit (vor allem der Person, des Gewissens, des Eigentums und des Wirtschaftsverkehrs), Gesetzesbindung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung sowie auch schon für ein gewisses, freilich ausschließlich den Vermögenden vorbehaltenes Recht auf politische Mitsprache.
In dem Maße, in dem sich der Interessenkonflikt zwischen landsfürstlichem Absolutismus und dem besitzenden Bürgertum verschärfte, formierten sich in weiten Teilen der westlichen Welt bürgerliche Bewegungen, welche die – von den Lehren des Gesellschaftsvertrags und des ökonomischen Liberalismus untermauerten – Forderungen nach Gleichheit und Freiheit (hauptsächlich der besitzenden Bürger) gegen den Widerstand der Landesfürsten und zum Teil auch des Adels nach und nach durchzusetzen vermochten, sei es im Wege gewaltsamer Revolutionen oder politischer Reformen. Das Ergebnis waren semi-konstitutionelle staatliche Ordnungen, von Ferdinand Lassalle treffend „Nachtwächterstaaten“ genannt, die zwar von der Aristokratie und der Bourgeoisie dominiert wurden und deren Interessen förderten, aber doch bis zu einem gewissen Grade rechtsstaatlichen Charakter hatten, weil sie rechtliche Gleichheit und elementare Freiheitsrechte garantierten, staatliche Herrschaft durch Gewaltenteilung und Gesetzesbindung beschränkten und den Bürgern ein gewisses, wenn auch anfangs nur sehr bescheidenes Maß politischer Mitsprache gewährten.
Democracy
Die Errungenschaften des bürgerlichen Nachtwächterstaates kamen jedoch hauptsächlich dem wohlhabenden Bürgertum zugute, während sie den unteren sozialen Schichten – den kleinen Bauern und Gewerbetreibenden sowie der rapide wachsenden Klasse besitzloser Arbeiter – wenig brachten, ja oft sogar zum Nachteil ausschlugen. Diesen Schichten wurden weiterhin die politische Mitsprache wie auch die für sie besonders wichtigen Freiheiten (wie Meinungs-, Versammlung- und Vereinigungsfreiheit) verwehrt. In Reaktion auf diese von breiten Bevölkerungsteilen als ungerecht empfundene Benachteiligung formierte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine wachsende demokratische Bewegung, die uneingeschränkte Grundfreiheiten und politische Mitsprache für alle Bürger forderte, zuerst allerdings nur für die männlichen, bis die langsam erstarkende Frauenrechtsbewegung ihrem Verlangen nach Gleichberechtigung nach und nach Gehör verschaffen konnte. Auch die demokratische Bewegung konnte sich auf diverse Lehren des Vernunftrechts und der Aufklärung berufen, wie jene von Jean-Jacques Rousseau oder Thomas Paine, denen zufolge alle Bürger Anspruch auf gleiche Teilhabe an der Gesetzgebung haben, weil sie nur so ihre natürliche Freiheit mit der Unterwerfung unter allgemein verbindliche Zwangsgesetze in Einklang bringen und sich gegen den Missbrauch der staatlichen Gewalt sichern können.
Nachdem es in vielen Ländern gelungen war, zunächst eine schrittweise Ausdehnung des Wahlrechts auf breitere Teile der Bevölkerung zu erreichen, ging es schließlich um das allgemeine und gleiche Wahlrecht, das um die Jahrhundertwende vielerorts für die Männer eingeführt und später auf die Frauen ausgedehnt wurde. Damit waren die Grundlagen der modernen konstitutionellen Demokratie gelegt, in der dann infolge des gesteigerten politischen Gewichts der unteren Gesellschaftsschichten, vor allem der Arbeiterschaft, nicht nur diverse weitere Möglichkeiten demokratischer Mitsprache und Kontrolle geschaffen, sondern vielfältige soziale Reformen zur Verbesserung der sozialen Lage der benachteiligten Gruppen durchgeführt wurden.
Sozialstaat
Mit dem Kampf um demokratische Beteiligung verschränkt war ein anderer sozialer Konflikt, der sich mit der rasanten Entwicklung des Kapitalismus im Gefolge der industriellen Revolution immer mehr verschärfte: die wachsende Polarisierung der Gesellschaft durch deren Spaltung in eine relativ kleine Zahl von Besitzenden auf der einen Seite und eine ständig anwachsende Masse von besitzlosen Lohnarbeitern auf der anderen Seite. Die miserable soziale Lage der Lohnabhängigen, die mit ihrer Arbeit, falls sie eine fanden, trotz überlanger Arbeitszeiten und schlimmer Arbeitsbedingungen kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten und im Fall von Arbeitslosigkeit und Krankheit vollends in Elend versanken, provozierte nicht nur auf Seiten der Arbeiter wachsenden Widerstand, sondern auch die Kritik von Teilen der besser gestellten Bürger. Infolgedessen wurde in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Soziale Frage zum beherrschenden Thema der öffentlichen Debatte, und allmählich bürgerte sich die Rede von sozialer Gerechtigkeit ein, um der Forderung nach einer grundlegenden Reform der bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung Nachdruck zu verleihen.
In dem Maße, in dem mit dem kapitalistischen Marktsystem auch die Masse der Lohnarbeiter anwuchs, wuchsen auch deren Bemühungen, sich zu organisieren, um gemeinsam für eine Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Trotz des Koalitions- und Streikverbots und drückender polizeilicher Repression schlossen sich immer mehr Arbeiter zu Vereinen, Gewerkschaften und schließlich auch zu politischen Parteien zusammen. Nach und nach bildete sich eine neue soziale Bewegung, die Arbeiterbewegung, die vor allem folgende Forderungen erhob: uneingeschränkte Gewährleistung der bürgerlichen Rechte und Freiheiten, vor allem der Koalitionsbildung und der politischen Betätigung, allgemeines und gleiches Wahlrecht, Verbot der Kinderarbeit, Beschränkung der Arbeitszeit, Streikrecht und kollektive Arbeitsverträge, Existenzsicherung kranker und alter Menschen, sowie als Fernziele überhaupt die Beseitigung der Klassenunterschiede und eine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.
Auch diese Forderungen fanden theoretische Unterstützung durch vielfältige Doktrinen, die von radikalen Ideen einer sozialistischen Revolution bis zu gemäßigten Projekten einer Reform des kapitalistischen Systems durch dessen politische Regulierung reichen. Alle diese Doktrinen haben trotz ihrer Differenzen etwas gemeinsam, wodurch sie sich von den früheren Theorien unterscheiden: eine kommunitäre Gesellschaftsauffassung, die den gemeinschaftlichen Charakter der modernen Gesellschaft und die sich daraus ergebenden Erfordernisse der Solidarität und der Verteilungsgerechtigkeit unterstreicht. Geleitet von diesen Doktrinen ist es der mit der industriellen Entwicklung erstarkenden Arbeiterbewegung im Lauf der Zeit gelungen, Gewerkschaften and Massenparteien zu bilden, die in den entwickelten Gesellschaften einen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dauernden Prozess der sozialen Reform bewirken konnten, der schließlich zu den heute existierenden Formen des Sozialstaats führte.
Philosophy
Allgemeine Voraussetzungen
Nach dem Versuch, das begriffliche Verständnis und das geschichtliche Werden von Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat zu skizzieren, soll nun noch kurz die philosophische Frage nach der ethischen Begründung dieser Institutionen angesprochen werden. Dabei geht es einerseits um die prinzipiellen Gründe, die für sie im Allgemeinen sprechen, anderseits aber auch um diverse spezifische Probleme, die sie im Lichte dieser Gründe im Detail aufwerfen.
Dass Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat ethischer Begründung bedürfen, versteht sich von selbst, da sie als staatliche Herrschaftsformen auf die Herstellung einer sozialen Ordnung zielen, deren Regeln für alle beteiligten Personen strikte Verbindlichkeit besitzen und damit den Anspruch auf kategorische Geltung erheben, wie sie sonst den anerkannten Normen von Moral und Gerechtigkeit zugeschrieben wird. Infolgedessen benötigen die betrachteten Institutionen jedenfalls eine entsprechende moralische Rechtfertigung, die bei unparteiischer und informierter Erwägung allgemeine Zustimmung finden sollte. Neben, oder besser: unterhalb, den Grundsätzen von Moral und Gerechtigkeit gibt es jedoch noch andere Maßstäbe, denen soziale Institutionen ebenfalls entsprechen sollten, nämlich die Grundsätze des Gemeinwohls im Sinne des allgemeinen Gedeihens der eigenen Gesellschaft einerseits und die Kriterien der sozialen Effizienz, nämlich der Zweckmäßigkeit im Lichte der De-facto-Präferenzen der beteiligten Personen. Im Folgenden wird jedoch nur auf die moralische Legitimation von Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat abgestellt.
Ferner soll eingangs noch darauf hingewiesen werden, dass die Begründung sozialer Ordnungen, Institutionen oder Normen auf verschiedenen Ebenen der theoretischen Fundierung erfolgen kann, denen entsprechend man zwischen Tiefenbegründungen und Begründungen mittlerer Reichweite unterscheiden kann. Eine Tiefenbegründung braucht eine umfassende normativ-politische Theorie, die alle maßgeblichen ethischen Grundsätze ebenso abdeckt wie die wichtigsten Formen sozialer Ordnung inklusive Staat und Recht, wie wir sie z.B. bei Locke, Smith, Kant, Rawls, Dworkin oder Habermas finden. Demgegenüber begnügt sich eine Begründung mittlerer Reichweite damit, die in Betracht stehenden sozialen Ordnungen, Institutionen oder Forderungen unter Berufung auf bestimmte weithin geteilte Ideen, Prinzipien oder Werte zu rechtfertigen. Hier können schon aus Platzgründen nur die Grundzüge einer solchen Begründung sowie einige der damit verbundenen Streitfragen kurz skizziert werden.
Die Standardbegründung
Der Ausgangspunkt der üblichen Begründung von Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat ist die Idee der gleichen Freiheit, nämlich die normative Annahme, dass alle Menschen aufgrund ihres gleichen Wertes und ihrer potenziellen Autonomie einander gleiche Achtung schulden und darum im Rahmen ihres sozialen Zusammenlebens Anspruch auf gleiche individuelle Freiheit haben, insoweit diese für alle möglich ist. Diese Idee führt in einem ersten Schritt zum Prinzip der bürgerlichen Freiheit, nach dem eine Gesellschaft jedem ihrer – hinreichend entscheidungs- und handlungsfähigen – Mitglieder die größtmögliche Freiheit zu selbstbestimmter Lebensgestaltung im weitestgehenden Umfang garantieren sollte, in dem sie im Rahmen einer friedlichen, gerechten und zweckmäßigen sozialen Ordnung mit der gleichen Freiheit jeder anderen Person vereinbar ist. Dieses Prinzip führt – in Verbindung mit einigen mehr oder minder trivialen Tatsachenannahmen – auf direktem Weg zu den vom klassischen Liberalismus postulierten bürgerlichen Grundfreiheiten (der körperlichen Integrität, Religion, Meinungsäußerung, des Eigentums u.dgl.), und, da diese Rechte ihrerseits einen sie gewährleistenden rechtlichen Rahmen benötigen, auch zu anderen wesentlichen Elementen des Rechtsstaats, wie jenen der Gesetzesbindung und der Gewaltenteilung.
Aber die Idee gleicher Freiheit führt in weiterer Folge auch zur Democracy. Da die private Freiheit jeder Person notwendig dort auf ihre Grenzen stößt, wo sie mit der gleichen Freiheit anderer Personen in Widerstreit gerät, inkludiert jedes politische Gemeinwesen notwendig auch ein Feld allgemeiner bzw. öffentlicher Angelegenheiten, welche die Gesamtheit oder eine Vielzahl der Mitglieder eines Gemeinwesens betreffen und darum nicht dem Gutdünken der Einzelpersonen überlassen bleiben können, sondern eine allgemein verbindliche Regelung durch entsprechende Kollektiventscheidungen erfordern.
Da es aber doch möglich ist, jeder Person die gleiche Freiheit der Einflussnahme auf die Regelung solcher Angelegenheiten zu sichern, indem ihr die gleichberechtigte Teilnahme an der kollektiven Meinungs- und Willensbildung über sie betreffende Regelungen ermöglicht wird, verlangt gleiche Freiheit eine demokratischen Staatsform, in der das Volk sich selbst die Gesetze gibt, denen es unterworfen ist. Ferner legt die Idee gleicher Freiheit unter gewissen Voraussetzungen das Mehrheitsprinzip als Verfahrensregel der demokratischen Entscheidungsbildung nahe, da dieses Prinzip dem Willen einer Mehrheit statt einer Minderheit, also jedenfalls einer überwiegenden Zahl der beteiligten Personen Geltung verschafft.
Das ist jedoch in Anbetracht des Umstands, dass das Mehrheitsprinzip bloß ordinale Präferenzen berücksichtigt, nur akzeptabel, wenn die zur Debatte stehenden individuellen Interessen annähernd gleiches Gewicht haben, also sich in ihrer Intensität nicht allzu sehr unterscheiden. Liegen große Intensitätsunterschiede vor, verlangt gleiche Freiheit vielmehr einen entsprechenden Schutz der Minderheit durch individuelle Grundrechte, politische Oppositionsrechte und gerichtliche Rechtswege.
Ein angemessenes Verständnis von Freiheit, das diese nicht bloß negativ als Abwesenheit von äußeren Zwängen, sondern auch positiv als Befähigung zum aktiven Handeln versteht, ebnet schließlich auch den Weg zur Begründung des Sozialstaats. Gleiche Freiheit verlangt dann nicht nur bürgerliche Freiheitsrechte und politische Beteiligungsrechte, sondern auch den Schutz vor Ausbeutung und Armut, kurz: Freiheit von Not. Wird ein politisches Gemeinwesen nicht bloß als eine lose Menge unabhängiger Personen, die mittels vertraglicher Transaktionen miteinander Geschäfte machen, sondern als eine Gemeinschaft betrachtet, deren Mitglieder gleichen Anspruch auf die Nutzung der natürlichen Ressourcen und des kulturellen Erbes, auf Teilhabe an den Vorteilen arbeitsteiliger Kooperation und auf solidarische Unterstützung in Notlagen haben, dann erhebt sich überdies der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, die vor allem auch in den Forderungen der sozialen Chancengleichheit und der ökonomischen Verteilungsgerechtigkeit Niederschlag findet.
Streitfragen und spezielle Probleme
Obwohl die erwähnten Argumente der Standardbegründung im Grundsätzlichen weitgehende Akzeptanz zu finden scheinen, gibt es über sie im Detail erhebliche Meinungsdifferenzen, so vor allem zwischen Rechten (Konservativen und Wirtschaftsliberalen) auf der einen Seite und Linken (Linksliberalen und Sozialdemokraten) auf der anderen. Hier sei nur auf einige dieser Streitpunkte hingewiesen: (a) Freedom wird von Rechten überwiegend negativ als Freiheit from gesetzlichen Handlungsbeschränkungen gedeutet, während sie von Linken eher in positivem Sinn als Freiheit zu begehrten Handlungsmöglichkeiten verstanden wird; (b) Gleichheit wird im rechten Lager gewöhnlich als formale rechtliche und politische Gleichheit konzipiert, während Linke darüber hinaus auch auf eine mehr oder minder weitgehende materielle Gleichheit zu pochen pflegen; (c) Democracy wird von Rechten meist bloß als ein Mittel zum Zweck betrachtet, nämlich als Remedium gegen die Konzentration und Versteinerung politischer Macht, die bekanntlich korrumpiert, wogegen Linke der demokratischen Beteiligung auch einen erheblichen Eigenwert zusprechen; (d) Verteilungsgerechtigkeit ist für Rechte, vor allem für Wirtschaftsliberale, in der Regel kein Anliegen, weil sie ihrer Ansicht nach für marktwirtschaftliche Gesellschaften keine oder nur eine sehr beschränkte Geltung besitzt, während Linke gerade angesichts der Gebrechen des kapitalistischen Marktsystems einen entsprechenden sozialen Ausgleich für unbedingt erforderlich halten.
Abgesehen von diesen Streitthemen werfen die Konzepte von Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat eine Reihe von Problemen ihrer Konkretisierung und Spezifizierung auf. Davon seien abschließend nur solche erwähnt, die sich insbesondere bei der Umsetzung einer demokratischen Ordnung stellen.
Ein zentrales Problem ist die Abgrenzung von privater Freiheit und öffentlichen Belangen, also die Bestimmung der Grenzen individueller Freiheit, innerhalb welcher jede Person allein nach eigenem Gutdünken schalten und walten darf, und der Sphäre öffentlicher Angelegenheiten, die kollektiver Meinungs- und Willensbildung, mithin demokratischer oder demokratisch legitimierter Entscheidung bedürfen. Ein weiteres Problemfeld ist die Abstimmung des personellen Geltungsbereichs demokratischer Entscheidungen mit der Ausdehnung der durch sie zu regelnden öffentlichen Belange, um eine größtmögliche Kongruenz zwischen dem Kreis der jeweils mitentscheidungsberechtigten Personen und den Auswirkungen ihrer Entscheidungen zu erreichen. Zahlreiche Schwierigkeiten bereiten ferner die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten der demokratischen Entscheidungsverfahren, wie beispielsweise die Wahl der Abstimmungsregeln solcher Verfahren, die Begrenzung der Mehrheitsregel durch Grundrechte, die Verfassung der Wahlordnungen repräsentativer Demokratien im Spannungsfeld zwischen Mehrheits- und Verhältniswahlsystemen und nicht zuletzt auch die Geometrie der Wahlkreise.
Alle diese – und noch viele andere Probleme – sind ihrerseits Gegenstand vielfältiger Meinungsdifferenzen, deren allgemein akzeptable Schlichtung eine einigermaßen vernünftige, das heißt sachlich informierte und ethisch aufgeklärte öffentliche Meinungsbildung erfordert, die sich ihrerseits am ehesten in einer Gesellschaft mit einer rechtsstaatlichen, demokratischen und sozialstaatlichen Ordnung entfalten kann.