Das war doch das Ziel der Kreuzigung: Jesus von Nazareth mitsamt seiner Botschaft aus der Welt zu schaffen. Aber wer meint, die Geschichte sei mit dem Karfreitag beendet, der täuscht sich, der täuscht sich gewaltig. Im Grunde ist nämlich die Kreuzigung nur der erste – wenn auch grausame – Akt des Dramas. Erledigt wird die Causa Jesu jedenfalls nicht auf Golgota. Auf den letzten Tag folgt der alles entscheidende „erste Tag“. Die Geschichte Jesu geht weiter.
Der Hintergrund
Einen Zugang zu jener Erfahrung und Glaubensgewissheit, die auf den letzten Tag einen neuen, ersten Tag folgen ließ, liefert uns das urchristliche Osterbekenntnis. In einem einzigen kurzen und wendigen Satz wurde zunächst das urchristliche Ostercredo ausgedrückt und zusammengefasst. Die weite Verbreitung des Satzes in den Schriften des Neuen Testaments und die geringe Variabilität der Wendung lassen auf ein altes Traditionsgut schließen. Am Anfang stand die eingliedrige Auferweckungsformel: „Gott hat Jesus aus Toten auferweckt.“ (1 Thess 1,10; Gal 1,1; Röm 4,24)
Das Subjekt der Handlung ist Gott. Er hat am toten Jesus gehandelt. Insofern ist Jesus – den ältesten, urchristlichen Aussagen nach – nicht der „Auferstandene“, sondern der von Gott „Auferweckte“. Die Zeitform ist bezeichnend. Verwendet wird der Aorist. Ein präzises und einmaliges Ereignis der Vergangenheit wird damit ausgedrückt. Die präpositionale Bestimmung „aus Toten“ verdeutlicht den Bereich und verweist auf den jüdischen Verständnishorizont: Der Gott eigentlich unzugängliche Bereich des Todes, die Scheol, ist nicht länger dem Zugriff Gottes entzogen (Ps 115,17). Gott hat Jesus aus der Sphäre des Todes und der Unterwelt befreit.
Die kurze Auferweckungsformel wurde im Lauf der Überlieferung entfaltet und erweitert. Einen relativen Endpunkt der Entwicklung stellt 1 Kor 15,3-5 dar. Paulus erinnert die korinthischen Christen an ein Glaubensbekenntnis, das er selbst empfangen und den Korinthern weitergegeben hat:
„Denn ich überlieferte euch an erster Stelle, was auch ich übernahm,
dass Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften
und dass er begraben wurde
und dass er erweckt worden ist am dritten Tag nach den Schriften
und dass er erschien Kephas, dann den Zwölf.“
Dieses urchristliche Ostercredo umfasst vier Verben und vier Aussagen: Christus starb und wurde begraben, er wurde erweckt und er erschien. An die erste und dritte Aussage ist der Zusatz „nach den Schriften“ angeschlossen. Die Formel ist wie zum Auswendiglernen gemacht. Zu beachten ist, dass die zweite und vierte Aussage jeweils die erste und dritte Aussage begründen: Das Begräbnis bestätigt den Tod und die Tatsache der Erscheinungen die Erweckung Jesu. Während Tod, Begräbnis und Erscheinungen im Aorist gehalten sind (und präzise Ereignisse der Vergangenheit bezeichnen), steht die Erweckung Jesu im Perfekt Passiv: Das zurückliegende Ereignis ist nicht abgeschlossen, sondern wirkt weiter und übt Einfluss noch auf die Gegenwart aus. Die Erscheinungen lassen sich medial verstehen und womöglich besser wiedergeben mit „er ließ sich sehen“ oder „er machte sich erfahrbar“. Alle Evangelien sind bemüht, die Ostererfahrung nicht auf einige wenige, exorbitante Momente oder Situationen zu beschränken. Der Auferstandene lässt sich vielmehr auch im Alltag erfahren. Er begleitet die Verkündigung der Jünger über alle Zeiten und Orte hinweg. Im Lesen der Schrift, beim Brechen des Brotes, aber auch unterwegs und im Alltag lassen sich Ostererfahrungen sammeln.
Der Zusatz im Plural „nach den Schriften“ dürfte nicht auf eine einzelne Schriftstelle verweisen, sondern generell auf das Gesamtzeugnis der Schrift Bezug nehmen. Was in der Auferweckung Jesu geschehen ist, ist integraler Bestandteil der Heilsgeschichte. Die Schriften erzählen davon. Auch der „dritte Tag“ bezeichnet kein chronologisches Datum (im Sinne von 72 Stunden). In der hebräischen Bibel ist der dritte Tag stets der Tag, an dem Gott rettend eingreift (Hos 6,2; Ex 19,11). Freier ließe sich also übersetzen: Gott hat zu seiner Zeit gehandelt. Letztlich ist der dritte Tag ein Glaubensbekenntnis. Er verweist auf das Subjekt und den Ursprung der Handlung: auf Gott und seine rettende Tat.
Nach Kephas und den Zwölf wird die Liste der Zeugen in den Versen 6-8 noch erweitert: Paulus führt die Traditionskette der Erscheinungszeugen fort. Er selbst ist das letzte Glied. Das Gesamtzeugnis besticht: Unter den Gewährsleuten finden sich Frauen und Männer, Lebende und Verstorbene, Jünger und Feinde, die an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten eine Erfahrung mit dem Auferweckten machten.
Aufs Ganze gesehen bleibt das urchristliche Osterbekenntnis doch sehr nüchtern. Am Beginn des Osterglaubens steht eine Initialzündung: eine konkrete und persönliche Erfahrung mit dem Auferstandenen. Die konkrete Ergehensweise der Visionen wird nicht brutalhistorisch oder allzu phantastisch dargestellt. Die urchristliche Formulierung ist vornehm und vorsichtig: Der Auferstandene machte sich erfahrbar. Er ließ in den Herzen der Angesprochenen die Überzeugung wachsen, dass er lebt. Diese Gewissheit verstanden die Jünger nicht als Produkt ihrer eigenen Reflexion. Ostern traf sie unvermittelt und überraschend. Es mögen alltägliche Situationen gewesen sein, Ostern mag die gesamte Erfahrungs-Klaviatur des Lebens bemüht haben. Die Relevanz und Schlagkraft der Ostererfahrung wird dadurch nicht gemindert. Nach der Tragödie des Karfreitags entbrannte – für die Jünger selbst zunächst verwirrend und unverständlich – die Gewissheit: Jesus lebt, er wurde von Gott errettet!
Die Personen
Die von Paulus erwähnte Liste der Osterzeugen lässt sich um die Aussagen in den Evangelien des Neuen Testaments ergänzen. Neben Kephas, die Zwölf, die mehr als 500 Brüder, Jakobus, die Apostel und Paulus treten Maria von Magdala, die Frauen, die Emmausjünger, der geliebte Jünger, Thomas und eine kleine Gruppe von sieben Jüngern am See von Tiberias (Joh 21,2). Die erwähnten Personen und Gruppen werfen Fragen auf.
Während Paulus als Erstzeuge der Auferstehung Kephas nennt, sind in der Evangelientradition die Frauen jene, die das leere Grab entdecken und die Auferstehungsbotschaft vernehmen (Mk 16,4-7). Sollte Paulus – aufgrund des mangelnden Zeugnisrechts der Frauen oder der besonders prominenten Stellung von Kephas – diese exklusiv auf Männer ausgerichtete Reihung vornehmen?
Bemerkenswert an der Aufzählung der Personen ist, dass sich darunter auch Gegner wie Paulus und Zweifler wie Thomas finden. Die Osterbotschaft setzt sich also auch gegen persönliche Widerstände durch.
Vor allen Dingen aber verändert die Ostererfahrung die Einstellung und den Lebensweg der Angesprochenen. Ostern ist nie nur ein abstrakter theologischer Wissensvorrat. Die Reaktionen sind bezeichnend: Ostern ermöglicht einen Neuanfang nach Versagen oder Schuld. Mit Ostern sind neue Aufgaben verbunden. Ostern schenkt eine neue Lebensperspektive. Ostern begründet eine neue Sicht der Welt und ein neues Verständnis der Schrift. Ostern hinterlässt deutliche biographische Spuren. Die Reaktionen auf Seiten der Angeredeten sind das womöglich stärkste Argument für das Vorhandensein und die Verlässlichkeit der Ostererfahrung.
Gerade die Erzählungen in den Evangelien entfalten das knappe – bald als zu nackt und zu abstrakt empfundene – Osterbekenntnis. Die Tradition wächst – von Paulus zu den Evangelien – immer weiter an. Die Bedeutung und Reichweite der Ostererfahrung werden anhand von konkreten Personen, Gesichtern und Biographien veranschaulicht. Diese Ostererzählungen lassen sich (mit Jakob Kremer) als „Geschichten um Geschichte“ verstehen. Sie bieten kein Protokoll. Sie sind keine einfachen historischen Berichte, aber auch nicht nur erbauliche Legenden. Im Hintergrund steht die Ostererfahrung, die mit allen Mitteln der literarischen Darstellungskunst entfaltet und visualisiert wird. Mehr als das, was sich ereignet hat, interessieren sich die Erzählungen für das, was Ostern im Leben der Jüngerinnen und Jünger bewirkte. Ihr Zeugnis und ihre Reaktion sind der verlässliche Grund, auf dem der Glaube der Adressaten ruhen soll.
Die Regisseure
Jedes Evangelium gibt Ostern eine jeweils eigene theologische Tönung. Die narrative Pinselführung der Evangelisten bestimmt Aussehen und Funktion, Botschaft und Gestalt der einzelnen Personen.
Das Markusevangelium: Im ältesten Evangelium beschränkt sich Ostern auf wenige Verse. Der Engel verkündet den Frauen die Auferweckung Jesu und sendet sie zurück in den galiläischen Alltag (Mk 16,6-7). Dort lässt sich der Auferstandene sehen. Die Reaktion der Frauen – ihr Schweigen, ihre Angst und ihr Entsetzen (Mk 16,8) – demonstriert die Größe des göttlichen Eingriffs. In der theologischen Gebärdensprache des Markusevangeliums bestätigt die Wirkung auf Seiten der Frauen die außerordentliche Offenbarung.
Mit der Osterbotschaft dürften die Adressaten des Markusevangeliums keine Probleme gehabt haben. Ostern muss ihnen nicht erklärt werden. Das Markusevangelium verbindet die Osterbotschaft aber mit dem Auftrag zur Nachfolge des Gekreuzigten. Ostern soll sich auswirken in der Bereitschaft, auch das eigene Kreuz auf sich zu nehmen und auf die Präsenz des Auferstandenen im erdenschweren Alltag zu vertrauen.
Das Matthäusevangelium: Ostern räumt nicht alle Zweifel aus. Das letzte Bild des Matthäusevangeliums zeigt die Jünger, die den Auferstandenen sehen und dennoch zweifeln (Mt 28,17). In der dritten Christengeneration setzt Matthäus bewusst und eindrücklich den zweifelnden Jüngern ein Denkmal: Immer wieder muss der Auferstandene auf die Jünger zutreten, ihre Hand ergreifen und dem Kleinglauben wehren (Mt 28,18; 14,31).
Gerade der judenchristlichen Adressatengemeinde wird die universale Dimension von Ostern erläutert. Jesus konzentriert zunächst seine Verkündigung und sein Wirken exklusiv auf Israel (Mt 10,5-6; 15,24). Ostern aber überwindet nationale und ethnische Grenzen. Der Auferstandene sendet die Jünger in die Völkerwelt (Mt 28,19). Ostern macht deutlich, dass Jesu Botschaft und Wirken nicht nur eine nationale Heilshoffnung erfüllt. Aus dem Tod und der Auferweckung Jesu sollen alle Menschen Hoffnung schöpfen.
Das Lukasevangelium: Wie soll man sich die Auferstehung Jesu vorstellen? Welchen Leib hat der Auferstandene? Wie lässt er sich erkennen? Gerade das Lukasevangelium thematisiert die Frage nach der (neuen) Leiblichkeit des Auferstandenen. Klärend ist hier bereits die Frage des Engels an die Frauen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24,5) Auferstehung muss mehr sein als die Wiederbelebung des toten Leichnams. Verwesende Körper und volle Gräber sind kein Widerspruch zur Auferstehungshoffnung. Gleichwohl macht Lukas deutlich, dass der Auferstandene nicht nur ein Geist ist. Er lässt sich berühren und isst (Lk 24,39-43). Und doch lässt er sich nicht einfach erkennen. Die Emmausjünger sind wie mit Blindheit geschlagen. Sie erkennen Jesus nicht an seiner äußeren Gestalt, sondern an Eigenschaften und Handlungen, die charakteristisch für ihn sind und – mehr als der Körper – sein Wesen bezeichnen: in der Weggemeinschaft und beim Brechen des Brotes.
Fest verbunden mit der Osterbotschaft ist für das Lukasevangelium auch die Beauftragung der Jünger zur Zeugenschaft. Ostern macht nicht stumm. Ostern löst vielmehr die Zungen der verängstigten Jünger (Lk 24,47-48). Ostern ist der Beginn einer weltweiten Verkündigungsreise (Apg 1,8).
Das Johannesevangelium: Noch deutlicher als die synoptischen Evangelien profiliert das Johannesevangelium Ostern anhand einzelner Jüngerportraits. Johannes lenkt den Fokus auf einzelne Figuren. Diese literarische Verfahrensweise dient der Anschaulichkeit und erhöht den Wirkungsgrad der individuellen Ansprache. Die Jüngerportraits dürften die historischen Ereignisse sicherlich überdehnen. Aber auch wenn etwas so nicht stattgefunden hat, es kann – in einem tieferen Sinn – treffender und wahrer sein als jedes krude Faktum. „Wenn der Geist der Wahrheit kommt, wird er euch in die volle Wahrheit einführen“ (Joh 16,13), sagt Jesus im Johannesevangelium. Die johanneische Gemeinde weiß sich im Besitz dieses Geistes. Unter seinem Einfluss werden Erzählungen geschaffen, die den christologischen Tiefensinn der Ereignisse freilegen und die „volle Wahrheit“ des Geschehens veranschaulichen.
Maria von Magdala lässt die veränderte Präsenz Jesu in ihrem Leben zu und findet – über den Blick in das gähnend leere Loch des Grabes hinaus – eine neue Aufgabe und Perspektive. Sie wird zur „apostola apostolorum“ und verkündet den Jünger die Osterbotschaft (Joh 20,18). Thomas will einen handfesten Beweis für die Auferweckung. Die Gewissheit wächst aber nicht durch eine sinnenfällige Demonstration, sondern erst als er sich persönlich angesprochen weiß (Joh 20,27-28). Ostern führt zusammen und stiftet Gemeinschaft: Unter dem Kreuz Jesu entsteht eine neue Familie (Joh 19,26-27). Ostern trägt zur Aussöhnung verschiedener Gemeindeflügel bei und führt Petrus und den geliebten Jünger (die petrinische Großkirche und die johanneische Gemeinde) zusammen (Joh 20,3-10). Alle Figuren sind Modelle und illustrieren einzelne Facetten und Folgen des Osterglaubens.
The meaning
In den zurückliegenden biblischen Tagen haben wir die Figuren in den Passionserzählungen betrachtet. Aber die Geschichte ist ja mit dem Karfreitag nicht vorbei. Auch der Weg der einzelnen Figuren endet nicht in der Todesstunde Jesu. Immer sind es konkrete Personen, die – ob im Kontext der Passion Jesu oder am Ostermorgen – etwas vom Geschehen erzählen.
In den Evangelien des Neuen Testaments wird die Osterbotschaft anhand verschiedener Personen und inmitten verschiedener Biographien illustriert. Die historischen Haftpunkte wären im Einzelfall zu diskutieren. Wichtiger aber als die nackten Fakten scheinen den Erzählungen ohnehin die existentielle Botschaft und die Bedeutung des Geschehens zu sein.
Die feste Verbindung der Osterbotschaft mit konkreten Gestalten macht jedenfalls sehr deutlich, dass sich Ostern nicht losgelöst vom Leben verstehen lässt. Die verschiedenen Figuren sind Verkörperung des Osterglaubens. Sie beleuchten unterschiedliche – und stets existentielle – Aspekte und Implikationen der Osterbotschaft:
Für Petrus ermöglicht Ostern einen Neuanfang nach seinem verzweifelten Umweg.
Für Maria von Magdala und den geliebten Jünger besiegt Ostern die Todeslähmung und die fassungslose Trauer des Karfreitags.
Für die Emmausjünger, die nach der Osterfahrung in den Kreis der anderen Jünger zurückkehren, stiftet Ostern Gemeinschaft und überwindet die Trennung.
Paulus – als letztes Glied in der Reihe der Osterzeugen – vermittelt Ostern ein neues Verständnis der Welt, des Menschen und der eigenen Berufung.
Wichtig scheint mir noch, ganz grundlegend zu betonen: Ostern ratifiziert die Botschaft Jesu und macht seinen Weg verlässlich und gangbar. Ohne Ostern würde Jesus ein am Kreuz gescheiteter Prophet oder Ethiklehrer bleiben. Ohne Ostern gäbe es eigentlich keinen Grund, sein Leben nach der Botschaft Jesu auszurichten. Doch Ostern – der Glaube an das Bekenntnis Gottes zu Jesus Christus – autorisiert Jesu Worte und Wirken. Ostern erklärt Jesu Weg zum Modell und Maßstab!
Insofern ermöglicht Ostern eine lebendige Verbindung – auch über den Tod hinaus. Ostern ist im Wesentlichen ein Beziehungsgeschehen. Ostern spricht Individuen an und lädt zur Begegnung mit dem Auferweckten mitten im Leben, mitten im „galiläischen Alltag“ ein: „Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ (Mk 16,7)