The Epistolary Culture of the Orders in the Early Modern Period

Das Epistolarium des P. Matthäus Rader SJ (1561-1634)

As part of the event Bavarian Monastery Landscapes, 19.11.2021

Klöster sind Einrichtungen, die sich durch Abgrenzung gegenüber der Gesellschaft einer eigenen Art intensivierter Frömmigkeitspflege zuwenden. Das besagt schon der Begriff Kloster. Im Unterschied zum morgenländischen Mönchtum, das die persönliche Askese zum Ideal erhob, streben die meisten abendländischen Orden Rückwirkungen auf ihr soziales Umfeld an. Sie wollen ihre gefestigte Basis für ihre Mitmenschen fruchtbar machen. In diesem Sinne tragen sie entsprechende Impulse in die umgebende Gesellschaft hinein. Sie leisten ergänzende Beiträge zur außer-pfarreilichen Seelsorge. Diese waren natürlich im Laufe der zwei Jahrtausende des abendländischen Mönchtums einem beständigen Wechsel unterworfen. Sie wurden den jeweiligen Zeitumständen angepasst und reichen vom Wandermönchtum des frühen Mittelalters bis zur elektronikgestützten digitalen Pastoral unserer Gegenwart.

Libri et Litterae

In der vormodernen Epoche der frühen Neuzeit erfolgte diese Teilhabe vornehmlich auf dem Wege des Einsatzes der ausgeweiteten Möglichkeiten der Schriftlichkeit. Ein wichtiger Sektor der entstehenden Buchkultur war dem religiösen Schrifttum gewidmet, das wiederum zu einem beträchtlichen Anteil aus den Klöstern kam. Von den Anfängen an war die Bibliothek ein unverzichtbarer Baustein eines jeden Klosters. Mönche und in geringerem Ausmaß auch Nonnen betätigten sich als Autoren. Die großen Ordenshäuser richteten eigene Klosterdruckereien ein, in denen die Ausarbeitungen zur hausinternen Publikation gebracht wurden. Die Klosterbibliotheken wurden vor allem im oberdeutschen Raum im 18. Jahrhundert die anspruchsvollen Pflegestätten der Buchkultur, die in zunehmendem Ausmaß auch für die Öffentlichkeit nutzbar gemacht wurden. Mit Büchern und Bibliotheken leisteten die Orden einen wesentlichen Beitrag zum Fortschritt in den Wissenschaften und damit zur abendländischen Zivilisation. Die höchstrangige Buchkultur war ein wichtiger Beitrag der Klosterwelt zur Mitgestaltung der europäischen Kulturgeschichte der frühen Neuzeit.

Mit Büchern wurde Langzeitwirkung angestrebt – und zweifellos auch erreicht. Eine kurzfristigere Wirkungsabsicht hatte ein zweites Mittel der monastischen Kommunikation über die Klostermauern hinaus im Blick.

Das waren die Briefe. Mithilfe von Briefen ließ sich mit wesentlich geringerem Einsatz eine persönlichere Verbindung zur Außenwelt herstellen. Der Austausch erfolgte notgedrungen auf indirektem Wege. Zwischen dem Schreiber und dem Empfänger eines Briefes blieb immer die wirkungsvolle Barriere der Klostermauer. Somit schuf das Medium des Briefes zumindest eine semipersönliche Art der Kommunikation. Diese ermöglichte über den privaten Austausch hinaus zumindest auch die Ansprache von Problemen mit allgemeiner Tragweite.

Dabei gingen Buch und Brief von sehr unterschiedlichen Schreibsituationen aus. Dem Buch ist die ausführliche Darstellung eigen, während der Brief auf Knappheit ausgerichtet ist. Mit der angestrebten Objektivität und der gattungseigenen Subjektivität tendieren beide Literaturgattungen in sehr unterschiedliche Richtungen. Das Buch erfordert einen aufwendigen und langzeitlichen Entstehungsprozess, während der Brief auf kurze Frist und Spontaneität angelegt ist. Wegen des ungleich größeren Aufwandes kommt dem Buch erhöhte formale Ausgestaltung zu, während der Brief unter Umständen sehr situationsgebunden und persönlichkeitsbestimmt ist.

Mit diesen zwei Wegen der Schriftlichkeit schalteten sich die Klöster der Vormoderne in den gesellschaftlichen Diskurs ein. Diese Hilfsmittel verschafften ihnen Teilhabe am öffentlichen Leben, das sie trotz der selbstauferlegten Exklusivität mitgestalten und weiterentwickeln wollten. Die verbindende grundsätzliche Zielsetzung spricht der damals in Dillingen tätige spätere Münchner Jesuitenpoet Jeremias Drexel (1581–1638) in einem Brief an den Mitbruder Pater Matthäus Rader vom 28. Dezember 1606 ausdrücklich an.

Hier formuliert er im Rahmen existenzieller Überlegungen die rhetorische Frage: et quid quaeso est, quod in vita retineat, nisi libri et litterae: Bücher und Briefe sind in seiner Sicht die entscheidenden Medien der Beteiligung der Ordensleute am gesellschaftlichen Gespräch. Das sind in der Wertordnung der monastischen Welt die wichtigsten Hilfsmittel, die ihr eine erfolgreiche Mitwirkung am von der Schriftlichkeit bestimmten Kulturbetrieb der frühen Neuzeit ermöglichten.

Briefwechsel als historische Quellen

Das Zeitalter des Humanismus verschaffte dem Einzelmenschen einen gehobenen Standort im Gesellschaftsgefüge. Diese Aufwertung verhalf der Epoche zu ihrer Bezeichnung. Der Brief wurde ein sehr wichtiges Medium des ausgeweiteten kultivierten Austausches zwischen den gestärkten Individuen. Zumindest kulturbewusste Persönlichkeiten traten zu Mitmenschen ihres Milieus in schriftliche Verbindung, um auch über Entfernungen hinweg Informationen zu wechseln. Das gilt für den persönlichen, den geschäftlichen und den politischen Verkehr. Denn auch die zwischenstaatliche Kommunikation wurde immer mehr auf schriftliche Nachrichten umgestellt. Briefe der Entscheidungsträger markieren die Höhepunkte im allmählich entstehenden diplomatischen Beziehungsgefüge.

Zum vierten gewann der Brief seit dem Humanismus zunehmende Bedeutung für den kulturellen und wissenschaftlichen Diskurs. Der Humanismus beförderte auf der Grundlage der verbindenden lateinischen Sprache den gelehrten Austausch über Nationsgrenzen hinweg; deswegen sind gerade die Humanistenbriefe historische Zeugnisse mit besonderer Aussagekraft. Im Rahmen der Konfessionsbildung behandelten sie oftmals Fragen des religiösen und kirchlichen Lebens. Auch im Vorgang der Konfessionalisierung kommt dem Brief eine entscheidende Rolle zu. Im Rahmen dieser sich wandelnden Gesellschaftsstrukturen nahmen seit dem 16. Jahrhundert die Quantitäten der Briefkultur deutlich zu, um im 18. Jahrhundert einen echten Höhepunkt zu erreichen. Das entstehende Postwesen schuf dafür die praktischen Voraussetzungen.

Von besonderer Bedeutung waren die Briefe für den Jesuitenorden. Im Unterschied zu den mittelalterlichen Orden war die Societas Jesu ein sehr hierarchisch strukturierter Verband mit internationaler und interkontinentaler Reichweite. Ihre zentralistische Führung war nur auf dem Wege der Schriftlichkeit möglich; der Brief wurde ein entscheidendes, ja unentbehrliches Hilfsmittel dafür. In diesem Kontext wurde die Gattung vom Informationsmittel zum stilisierten Kunstbrief weiterentwickelt. Vor allem die Heroidenbriefe Ovids gaben dafür ein Stilmuster vor, an dem sich namhafte Ordensvertreter bereitwillig orientierten. Der Jesuitenorden erkannte dem Brief in der Schriftkultur auch als Mittel der Ordensleitung eine zentrale Stellung zu.

Entsprechend der wachsenden Bedeutung der Korrespondenzen für die Entwicklung des privaten wie öffentlichen Lebens wandte die kulturhistorische Forschung ihr Interesse dieser Quellengattung zu. Die Briefe wurden zu einem wichtigen Gegenstand der Editionswissenschaft und der literaturgeschichtlichen Interpretation. Dabei legte die protestantische Seite besonders wirkungsvolle Initiativen an den Tag. Dem Brief wurde als wesentlichem Ausdrucks- und Kampfmittel reformatorischer Grundhaltungen hohe Aussagekraft zuerkannt. Die umfangreichen Brief-Corpora der bestimmenden Reformatoren Martin Luther, Johannes Calvin, Ulrich Zwingli wurden schon früh in umfänglichen Buchserien zur Edition gebracht. In die Fußstapfen dieser Vorreiter trat Gottfried Wilhelm Leibniz, an dessen uferlosen Korrespondenzen bis heute gearbeitet wird. Die editorischen Bemühungen wurden großflächig ausgedehnt auf die Briefe aus dem weiteren Umfeld: Philipp Melanchthon, Erasmus von Rotterdam, Thomas Münzer, Andreas Osiander, Martin Bucer, Johannes Reuchlin. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der deutschen Briefkultur der frühen Neuzeit hat ein unverkennbares Übergewicht auf der protestantischen Seite.

Damit spiegelt die Forschungslage die Überlieferung nicht sachgerecht wider. In den Archiven und Bibliotheken des oberdeutschen Raumes lagern noch immer nicht minder ausgiebige Briefsammlungen aus der katholischen Welt. Vor allem die großen Klöster haben auch hier ausgiebige Briefwechsel hervorgebracht. Sie werden höchstens in Einzelfällen punktuell eingesehen und berücksichtigt. Eine umfassende Auswertung ist bisher nicht erfolgt. Aus Bayern sind am bekanntesten das sehr umfangreiche commercium Pollinganum der gelehrten Augustiner-Chorherren aus dem Stift Polling oder die Briefnachlässe der Benediktiner zu St. Emmeram in Regensburg, Tegernsee und Ottobeuren.

Nie wurden die systematische Erschließung und Auswertung dieser kaum zu überschauenden Bibliotheksbestände angegangen oder gar die Edition ins Auge gefasst. Die Gründe für dieses Forschungsdefizit sind vielfältig. Hier liegt ein lohnendes Arbeitsfeld weithin brach. Damit ist vor allem die Landesgeschichte angesprochen. Mehr als der Lehrbetrieb mit Studenten an den Universitäten sind für diese Kärrnerarbeit außeruniversitäre Einrichtungen gefordert. Österreich geht mit der Erschließung der Briefwechsel der Gebrüder Pez aus der Benediktinerabtei Melk vorbildlich voran. In Italien können nach den Korrespondenzen Galileo Galileis oder Antonio Muratoris die Briefe des Jesuitenpaters Martino Martini als Muster herangezogen werden. In Bayern ist das wichtigste derzeitige Unternehmen die Arbeit der Kommission für bayerische Landesgeschichte am Briefwechsel des Jesuiten P. Matthäus Rader. Es setzt die verdienstvolle ältere Reihe der Humanistenbriefe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mit den Schreiben von Konrad Celtis, Konrad Peutinger, Johannes Cuspinian und Willibald Pirckheimer fort. Die beiden ersten Bände des Editionsvorhabens sind 1995 und 2009 erschienen. Es sei im Folgenden näher vorgestellt.

Das Epistolarium des P. Matthäus Rader

Das Epistolarium des im südtirolischen Klosterort Innichen gebürtigen, in den Kollegien zu Augsburg und München wirkenden Jesuitenpaters Matthäus Rader (1561–1634) ist in sechs Sammelcodices überliefert. Sie lagern heute in der Bayerischen Staatsbibliothek und im Jesuitenarchiv zu München. In ihnen werden rund 2000 Schreiben überliefert. Außerhalb dieses Kernbestandes finden sich weitere Briefe nur sehr vereinzelt. Der Bestand sei bezüglich des Inhalts und der Form in Grundzügen charakterisiert.

Das auffallendste Merkmal dieses Epistolariums ist seine Einseitigkeit. Die Schreiben an Rader sind deutlich in der Überzahl gegenüber den Gegenschreiben von Rader. Letztere machen nicht mehr als vier Prozent des Gesamtbestandes aus. Die ungewöhnliche Einseitigkeit erklärt sich zum einen aus der Überlieferung. Die Schreiben an Rader wurden vom Adressaten sehr sorgsam gesammelt. Seinen Schreiben an andere muss in der Empfängerüberlieferung nachgegangen werden, die naturgemäß sehr disparat ist. Dazu kommt, dass der eigenwillige Matthäus Rader ein sehr berechnender Briefschreiber war, der seine seltenen Antworten bewusst als Mittel der Distanzierung und Disziplinierung eingesetzt hat. Infolge dieser Voraussetzungen liegen überwiegend die Schreiben der Partner an Rader vor. Die Gegenseite bleibt weithin stumm.

Ein zweites Merkmal ist die auffallende Vielzahl der Korrespondenzpartner. Nach derzeitigem Wissensstand sind es insgesamt 322. Allein im Einleitungsband der Edition begegnen nicht weniger als 92 Briefschreiber. Der rechnerische Durchschnitt im Eröffnungsband liegt bei 3,3 Nummern pro Schreiber. Kennzeichnend sind somit wenige oder sogar einzelne Briefe aus der Feder zahlreicher Schreiber. Größere Briefblöcke zeichnen sich nur in Ausnahmefällen ab. Die Folge ist einerseits eine auffallende Inhomogenität und Diversität der angesprochenen Inhalte. Diese Eigenheit bedingt andererseits eine große thematische Blickweite.

Der Kreis der Briefschreiber lässt sich strukturieren. Die gewichtigste Stelle nehmen die Schüler ein. Rader war Professor für Humaniora und Rhetorik am Jesuitenkolleg St. Salvator zu Augsburg. Die Schüler hielten nach Abschluss ihrer dortigen Ausbildung Verbindung zum geschätzten Lehrer über das Medium des Briefes. Das gilt vor allem für die drei wichtigsten Studiosen, die angesehenen Literaten Georg Stengel, Jeremias Drexel, Jacob Bidermann. Weiterhin treten mehrere Namen hervor, die in der Kulturgeschichte Bayerns einen guten Klang haben: der Lieddichter Petrus Frank, der Dramatiker Kaspar Rhey, die Theologen Jakob Gretser und Jakob Reihing, der Historiker Jakob Keller.

Doch begegnen zum Zweiten unter den Briefschreibern auch Personen, die mit Schwaben und Bayern nichts zu tun haben, sondern in anderen Regionen zu verorten sind. Mit dem Medium des Briefes unterhielt Rader Verbindung in andere Gegenden und Länder Europas. So wurde das Augsburger Jesuitenkolleg ein wichtiges Kommunikationszentrum, von dem aus Fäden in viele andere Städte Europas liefen. Unter den Absendeorten der an Matthäus Rader gerichteten Briefe begegnen im oberdeutschen Umfeld Brixen, Fribourg, Graz, St. Gallen, Luzern, Wien; in Italien Bologna, Ferrara, Genua, Mailand, Mantua, Padua, Rom, Venedig; im romanischen Westen Lille, Nantes, Reims, Tournai, auch Madrid; im Norden Antwerpen, Brüssel, Löwen, Luxemburg; im Osten Prag, Warschau, Wilna.

Unter den Briefschreibern tauchen sogar ausgesprochene Größen der europäischen Kulturgeschichte auf: Antonio Possevino, Caesar Baronius, Nicolas Trigantius, Justus Lipsius, Kaspar Schoppe, Jacques Sirmond. Im Augsburger Kolleg St. Salvator liefen also Kommunikationsfäden aus vielen Ländern Europas zusammen. Das Kolleg war ein bemerkenswerter Knotenpunkt in einem sehr weitmaschigen Kommunikationsgefüge. Der Schwerpunkt lag deutlich in der katholischen Welt des südlichen Europas. Die Übermittlung der Briefe erfolgte weithin über die Wege der Ordensverwaltung. Sie hatte ein leistungsfähiges Informationsnetz geschaffen, das auch für diesen Zweck genutzt werden konnte. Doch endete der Wirkungsradius keineswegs an den Konfessionsgrenzen, sondern reichte durchaus in die evangelische und reformierte Welt hinein. Unter den Briefpartnern begegnen vereinzelt auch Namen, die den neuen Konfessionen zugehörten.

Ein besonders bemerkenswerter Name ist der des niederländischen Gelehrten Justus Lipsius, der sich unstet zwischen den religiösen Gruppierungen bewegte. Gerade dieses unentschiedene Lavieren zwischen den Fronten war für Rader Anlass, die Spuren dieser Verbindungen in seinem unmittelbaren Umfeld zu verwischen. Für die Lipsius-Korrespondenz finden sich im Rader-Nachlass zu München keine Zeugnisse, sie ist ausschließlich aus der Empfängerüberlieferung an der belgischen Universität Löwen bekannt. Matthäus Rader hat die einschlägigen Briefe offensichtlich beiseite geräumt, um diese Kontakte zu verwischen.

Mehrere Glanzstücke der Korrespondenz führen in die Welt der Politik. Vereinzelte Schreiben belegen die direkte Verbindung des Jesuitenpaters zum wittelsbachischen Herzogshof in München.

Schon früh wurde Maximilian I. auf die besonderen Fähigkeiten des Jesuitenprofessors zu Augsburg aufmerksam und entschloss sich, diesen für sich gewinnen. Deswegen setzte er dessen Versetzung nach München durch, um ihn für Hofdienste nutzbar zu machen. Damit wuchs das junge Münchner Kolleg in eine Funktion hinein, die später an die Akademie der Wissenschaften übergehen sollte: als zentrale Einrichtung zur Behandlung besonders wichtiger wissenschaftlicher Fragen. Auf diesem Wege rückte P. Matthäus Rader in eine einflussreiche Beraterfunktion ein, die außerhalb der regulären Landesverwaltung wahrgenommen wurde und wesentlich über Briefe umgesetzt wurde.

Insgesamt ist für das ungewöhnlich umfangreiche Rader-Epistolarium ein bemerkenswerter Informationsreichtum kennzeichnend. Bereits der Einleitungsband der Edition eröffnet einen aussagekräftigen Einblick in den weitgespannten Lebenskosmos eines keineswegs erstrangigen Jesuitenkollegs. Das Kolleg St. Salvator zu Augsburg nahm niveauvollen Anteil am Kulturbetrieb der Epoche in seinem gesamten Umfang, wobei als Schwerpunkte die theologischen Wissenschaften, die Literatur und die Pädagogik hervortreten. Aber auch die aufkommenden Naturwissenschaften befinden sich in Blickweite. Überwölbt und zusammengehalten wurden die sehr disparaten Bemühungen vom unbedingten Einsatz für Gott und die Kirche: Omnia ad maiorem Dei gloriam!

 

Der Briefwechsel mit Marcus Welser

Der Bestand

Das Raderepistolarium setzt sich aus vielen Einzelblöcken zusammen. Jeder von diesen verdient eigentlich eine separate Betrachtung, um seinen genauen Standort und Stellenwert zu beschreiben. Dazu ist viel Spezialwissen erforderlich. Es sei beispielshalber auf den Komplex verwiesen, der den Dramatiker Jacob Bidermann betrifft. Die 34 Einzelnummern ziehen sich durch die gesamte Augsburger Zeit und sind von besonderer überlieferungsgeschichtlicher Bedeutung, weil es sich um die einzigen Autographen des bedeutenden Literaten handelt. Im Übrigen ist sein Œuvre nur aus nicht-autographen Zeugnissen und den Frühdrucken bekannt. Die Briefe Bidermanns belegen das immer sehr vertraute Verhältnis zwischen dem Lehrer und seinem Schüler, die in einem lebenslangen befruchtenden fachlichen Austausch miteinander standen. Sie gehören zu den Glanzstücken des Epistolariums.

Eine besondere Bedeutung kommt innerhalb des Rader-
epistolariums dem Briefwechsel mit dem Augsburger Patrizier Marcus Welser (1558–1614) zu. Der Komplex der Welser-Briefe stellt mit 325 Nummern den größten Einzelblock innerhalb des Gesamtcorpus dar; sie machen 15 Prozent aus. Der angesehene Späthumanist Welser war einer der namhaftesten Briefpartner Raders. Vor allem zeichnet sich hier in etwa eine dialogische Korrespondenz ab. Welser hat 188 Schreiben von Rader bekommen; sie machen 80 Prozent aller bekannten Raderbriefe aus. Rader hat andererseits 137 Briefe von Welser erhalten. Der Jesuit war also in diesem Fall ausnahmsweise der aktivere Briefschreiber.

Gegenüber anderen Partnern war er viel sparsamer mit seinen Antworten. Die Korrespondenz umspannt die Jahre 1597 bis 1614. Sie ermöglicht einen ungewöhnlich minutiösen Einblick in das Verhältnis des jesuitischen Klostergelehrten zum angesehenen Stadtpfleger in der Reichsstadt Augsburg. Hier stießen zwei Gesellschaftssphären aufeinander: die Klosterwelt des Jesuiten und die bürgerliche Stadtwelt des hochrangigen Patriziers. Dabei traten sich die Korrespondenzpartner nicht auf gleicher Augenhöhe gegenüber. Der Jesuitenpater wahrte gegenüber dem als Augustanus Apollo hochgeschätzten Stadtpfleger immer eine unübersehbare respektvolle Distanz. Er selber hat diese in das Bild von Lehrer und Schüler gekleidet.

Freilich wirft diese ungewöhnlich rege innerstädtische Korrespondenz die Frage nach ihrem Sinn auf. Matthäus Rader gehörte bis September 1612 dem Augsburger Kolleg St. Salvator an, lebte also in unmittelbarer Nähe des Stadtpalais der Welser, im Welserhaus. Offensichtlich stellte die Kollegmauer eine echte Trennlinie dar, die dem persönlichen Kontakt wirkungsvoll im Wege stand. Sie hatten sich gegenseitig viel zu sagen. Das war kaum im persönlichen Austausch möglich, sondern erforderte den Weg der Schriftlichkeit. Die Schreiben mussten von Boten überbracht werden. Sie liegen nahezu durchgehend in den Originalen vor, die beide Seiten sorgsam gesammelt haben. Rader hat nach dem Tod Welsers seine an den Patrizier gerichteten Briefe zurückerhalten und so beide Überlieferungsblöcke wieder zusammengeführt. In dieser Ordnung liegen sie noch heute vor.

Der Inhalt

Rader und Welser gehörten in etwa der gleichen Generation, aber völlig unterschiedlichen Milieus an. Was hatten sich der jesuitische Kirchenmann und das führende Mitglied des Stadtpatriziats mitzuteilen? Was waren die großen inhaltlichen Blöcke?

Zum einen behandeln die Briefe Fragen der Wissenschaft; sie betreffen vor allem die Disziplinen Geschichte, Literatur und Philologie. Diese Fächergruppe führte die beiden Gelehrten zusammen. Vorzugsweise mit Problemen aus diesen Bereichen beschäftigten sie sich. Rader erbittet bei Welser Unterstützung bei der Klärung von Fragen zu den gerade bearbeiteten Texteditionen der klassischen Autoren Curtius Rufus und Martial; dazu hatte der Humanisten-Patrizier Wichtiges beizusteuern.

Daneben geht es um die Geschichte der Ortsheiligen Afra. Diesem Stoff wandte sich Rader seit 1600 zu und bemühte sich um die Schließung der vielen noch immer bestehenden Wissenslücken. Mit großem Erfolg brachte er das für die Stadt zentrale Thema, dessen Lokalbezug die beiden Gelehrten noch näher zusammenführte, auf die Jesuitenbühne. Alle Arbeitsschritte im Jesuitendrama von der Klärung der historischen Grundlagen über die Erstellung des Textbuches bis hin zur Aufführung und Reaktion des Stadtbürgertums kommen zur Sprache. Das Afra-Schauspiel wird dank der begleitenden Briefe zum am besten dokumentierten Jesuitendrama überhaupt.

Doch lenkten diese konkreten Arbeitsprojekte den Blick immer wieder auch auf ein grundsätzliches Problem: die Auseinandersetzung um den angemessenen Schreibstil. An welchen Autoritäten sollte sich der Umgang mit der lateinischen Sprache hauptsächlich orientieren: Gab der antike Rhetor Cicero das entscheidende Muster ab oder sollte man sich besser an die führende Kapazität der Gegenwart, den Flamen Justus Lipsius, halten. Ciceronianismus oder Lipsianismus? Das war die Kernfrage des europäischen Philologendisputs der Epoche.

Das wichtigste Projekt, an dem die beiden Literaten gemeinsam arbeiteten, war das Großvorhaben der Bavaria sancta et pia. Wenngleich Welser bereits in den Anfängen des Unternehmens starb, an der Entstehung, Planung und frühen Realisierung nahm er noch regen Anteil. Besonders intensiv beschäftigte ihn die wichtige Präsentation des Eröffnungsbandes der Reihe. Über die Titelgebung wurde in eingehenden Erörterungen förmlich gerungen. Vor allem die Gestaltung des Titelbildes ist das Ergebnis gemeinsamer Überlegungen. Der entscheidende Grundgedanke, die Präsentation einer Landkarte Bayerns vor der Gottesmutter mit dem Kind durch den von vier Engeln assistierten Erzengel Michael geht auf einen Einfall Welsers zurück und orientierte sich an dessen Sancti Augustani.

In gleicher Weise stellte man viele Überlegungen über den Buchtitel an: Sollte hier die Begriffe Bayern und Bavaria oder das damals viel erörterte, beliebte antikisierende Wort Boier verwendet werden? Mit beiden wurden sicher nicht identische Inhalte verbunden. Bavari und Bavaria wurde mehr mit dem gegenwärtigen Bayern verbunden, während Boii und Boicus den Blick auf das alte und territorial viel ausgedehntere Stammland der Bajuwaren richteten. Die Terminologie beinhaltete unterschiedliche politische Konzeptionen. Hier setzte sich letztlich der Pragmatiker Welser durch.

Mit dem Eintritt ins zweite Jahrzehnt treten immer mehr Fragen der bayerischen Geschichte in den Vordergrund, deren Bearbeitung Rader im Auftrag Herzog Maximilians I. 1612 übernehmen musste. Nun arbeiteten beide im Auftrag des Landesherrn an der gleichen Großthematik. Welser hatte die Bearbeitung an der nicht lösbaren Frage der möglichen Abstammung der Wittelsbacher von Karl dem Großen eingestellt. Rader umging die Schwierigkeit, indem er seine Darstellung erst bei den Herzögen aus dem Geschlecht der Wittelsbacher ab dem Jahr 1180 begann. Die beiden hochrangigen Sachkenner erörterten das Grundproblem in Briefen und kamen gemeinsam zum Ergebnis: Non liquet!

Auf der Grundlage der vorliegenden Quellen war die Streifrage nicht zu klären. Deswegen konnte weder Marcus Welser noch Matthäus Rader die von Maximilian I. erhoffte Gesamtdarstellung der Geschichte seines Territoriums vorlegen. In diesen Umkreis gehört auch die Betätigung auf dem Gebiet der höfischen Panegyrik, wofür Rader mehrfach seine literarische Kompetenz zur Verfügung stellte. Er entwarf Totenreden oder Inschriftentexte. In Briefen wurden Texte diskutiert, verbessert und in eine abschließende Form gebracht.

Neben diesen Problemen des aktuellen Literatur- und des historischen Forschungsbetriebes eröffnet die Korrespondenz Einblick in das Zusammenleben der Konfessionen in der paritätischen Reichsstadt Augsburg. Viele Briefe belegen das erfolgreiche Zusammenwirken der Gelehrten unterschiedlicher Konfession an wissenschaftlichen Projekten. Sie unterstützten sich ungeachtet der trennenden Religion mit Ratschlägen, Gutachten und Auskünften, vor allem mit der Bereitstellung von benötigten Büchern. Dabei wirkte Welser als Verbindungsglied, das die Anliegen des Jesuiten in die Stadtgesellschaft hineintrug und anderseits deren Fragen und Bitten an das Kolleg vermittelte.

Insgesamt ergibt sich das Bild einer Gelehrtengemeinschaft, die auf der Ebene des humanistischen Wissenschaftsbetriebes zusammenfand und diesen über die Vorgaben der Konfession stellte. Freilich gehörten Rader und Welser der gleichen, der katholischen Religion an. Gemeinsam suchten beide die Kooperation mit den Andersgläubigen. Das Verhältnis war gewiss nicht problemlos, aber mit Sicherheit von gegenseitigem Respekt und Anerkennung der Leistung getragen. Die unterschiedlichen Milieus arbeiteten auf der verbindenden Plattform des humanistischen Bildungskanons mit Erfolg zusammen.

Die Korrespondenz ist eine weithin gelehrte Korrespondenz. Dabei deckt sie den wissenschaftlichen Sektor in seiner gesamten Breite ab. Vereinzelt werden durchaus auch neue Wege beschritten. Das gilt vor allem für den Bereich der Geschichtsforschung, der im Bestreben der Erhärtung kirchlicher Aussagen innovative Ansätze erprobte. In diesem Sinne werden mehrere historische Grundwissenschaften einen bemerkenswerten Schritt weitergeführt. Das gilt für die Paläographie, Diplomatik, Philologie, Numismatik, die Chronologie, Metrologie. So beschäftigt man sich in Ausführlichkeit mit der Herstellung von Papier in der Antike oder der Bauweise und den Abmessungen der Pyramiden.

Die Technikgeschichte ist ein wichtiges Thema, das vor allem der Pragmatiker Welser immer wieder thematisierte. Selbst vor den Problemen der Astronomie und ihrer Bewältigung mithilfe des neuen Instruments der Fernrohre machten die Erörterungen nicht Halt. In den Briefen kommen viele Themen des Wissenschaftsbetriebes der Epoche in seiner gesamten Breite und mit innovativen Ansätzen zur Sprache. Rader profilierte sich – auch mit seinen Briefen – als wichtiger Vertreter der gegenreformatorischen Byzantinistik und Wegbereiter der Ägyptologie.

Der private Bereich wird in den Briefen nahezu gänzlich ausgeblendet. Nur sehr vereinzelt tauchen an fast versteckten Stellen marginale Hinweise auf das persönliche Verhältnis der Korrespondenten auf. Sie belegen, dass sich die beiden, die sich privat sehr schätzten, nur sehr selten persönlich treffen und so wirklich näherkommen konnten. In diesen Fällen wurden Begegnungsorte in der Stadt oder auch im Garten des welserschen Familienpalais vereinbart. Andererseits wurde der Patriziergelehrte zu den Theateraufführungen ins Jesuitenkolleg eingeladen, die ein wirkungsvolles Forum der Öffentlichkeit schufen.

Bei diesen unterschiedlichen Gelegenheiten konnten auch wissenschaftliche und literarische Fragen im direkten Gespräch erörtert werden. Das entscheidende Forum dafür aber war der Briefwechsel, der im Wesentlichen ein wissenschaftlicher Briefwechsel war. Hier gelangten Gedanken und Anregungen zur Erörterung, die durchaus einen bemerkenswerten Beitrag zur Weiterentwicklung der Beschäftigung mit der Vergangenheit zur Geschichtswissenschaft darstellen. Das prinzipielle Bemühen um den Quellenbeleg und die unerbittliche Suche nach der geschichtlichen Wahrheit formulierten bereits damals Grundforderungen, die seitdem den Kern historischer Forschungsaktivitäten ausmachen.

Die Form

Dem im Allgemeinen anspruchsvollen Inhalt entspricht die Form der Briefe. Das Raderepistolarium bietet viele literarisch gestaltete und gewählt formulierte Kunstbriefe. Dieser Gruppe sind vor allem die Schreiben der Schüler Raders an den Lehrer zuzurechnen. Die Studiosen waren bei dieser Gelegenheit immer bestrebt, das Gelernte zur Anwendung zubringen und so ihre Fertigkeiten gerade gegenüber dem Lehrer unter Beweis zu stellen.

Diesem Anspruch hatte der Briefverkehr Raders mit Welser nicht gerecht zu werden. Ihm liegt eine andere Schreibsituation als in den übrigen Teilen des Quellenblockes zugrunde. Dementsprechend handelt es sich eher um Alltagsschreiben in einfacheren Formen ohne jeden literarischen Anspruch. Sie dienen lediglich der Information über bestimmte Sachverhalte.

Welser verwendete für diese Schreiben auch nicht die anspruchsvolle Gattungsbezeichnung litterae, er sprach mehrfach, fast abwertend, nur von schedae (= Blatt Papier). Aus diesem Grund ist der Welserblock in formaler Hinsicht eigentlich nicht bezeichnend für den Quellenbestand. Auch diese schedae gebrauchen in jedem Fall in respektvoller Förmlichkeit die lateinische Sprache, verzichten aber auf jede Stilisierung. Sie kommen ohne eine langatmige Einleitung sofort zur Sache und enden unter Verzicht auf die üblichen respektvollen, oftmals mit versifizierten Wohlwollens-Bekundungen aufgebauschten Schlussformeln.

Im Vergleich mit den meisten Schrei-
ben ist ihre Kürze kennzeichnend mit sehr komprimierter Adresse und oft sogar ohne Datierung. Denn der Schreiber konnte davon ausgehen, dass sein Brief dem Partner noch am gleichen Tag auf den Schreibtisch gelegt wurde. Der Verzicht auf die Datumsangabe macht die Bestimmung des zeitlichen Standortes schwierig. Die dialogische Abfolge kann oft nur aus inhaltlichen Kriterien erschlossen werden. Überwiegend handelt es sich um eigenhändig geschriebene Autographe, die recht sauber gestaltet und kurzgehalten sind, denen aber jeder Zierat fehlt: keine Kunstbriefe, sondern eher um Alltagsschreiben.

Diese Charakterisierung gilt für die Augsburger Zeit Raders. Als von Herzog Maximilian I. die Versetzung ins Münchner Kolleg bei St. Michael durchgesetzt wurde, erhalten die Schreiben ein verändertes Aussehen (Abb. vorhergehende Seite). Nun werden sie ausführlicher und entsprechen mehr den Regeln der Epistolographie mit vollständiger Adresse und den üblichen Schlussformeln. Die vergrößerte Entfernung erforderte zur Zustellung die gewohnten Bestandteile. Der Hauptinhalt der letzten Briefe ist die schließlich zum Tod führende Erkrankung des Partners, an der der Jesuit lebhaften Anteil nahm.

The meaning

Der Welserkomplex innerhalb des Raderepistolariums ist ein wertvolles Zeitdokument mit hoher Aussagekraft für die geistige und kulturelle Situation in Augsburg, das damals im Zenit seiner historischen Entwicklung stand. Der folgende Dreißigjährige Krieg hat der Blüte ein baldiges Ende bereitet. Entscheidend für diesen Zusammenhang ist die Feststellung: Die besondere Lebenssituation des Jesuitenpaters hatte einen ungewöhnlichen Grad an Verschriftlichung der Alltagsgeschäfte zur Folge, die in Form von Briefen erfolgte. Wegen der hohen Belegdichte erscheint der Briefwechsel zwischen Rader und Welser als wahrer Glücksfall der europäischen Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit. Nirgendwo anders erhalten wir einen vergleichbar wirklichkeitsnahen Einblick in den Alltag von zwei schöpferisch tätigen Gelehrten.

Zudem gewährt dieser Quellenfundus Einblick in die Realität des gesellschaftlichen Lebens. Er zeigt wie das innere Leben der paritätischen Reichsstadt doch von anderen Normen bestimmt wurde als in den konfessionell geschlossenen Territorialstaaten der Umgebung. Man war zu einer Frühform von Toleranz gezwungen, zu der sogar die Societas Jesu ihren Beitrag leistete. Die hier zu betrachtenden Briefe sind Zeugnisse des ernsthaften und wirkungsvollen Bemühens um Mitarbeit an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens an einem gesellschaftlichen Brennpunkt am Vorabend einer der großen Katastrophen der europäischen Geschichte. Der Korrespondenzblock ist ein aussagekräftiges Dokument der kulturellen Verhältnisse in der Reichsstadt Augsburg mit zukunftsorientierter Richtungsweisung.

 

Die China-Initiative 1616/17

Aus dem Epistolarium des P. Matthäus Rader sei zur weiteren Erhellung eine zweite kleine Gruppe von Schreiben herausgegriffen, die einen sehr ungewöhnlichen Sachverhalt beleuchtet. Sie sind im Archiv des Jesuitenordens zu München überliefert. Herzog Maximilian und seine Gemahlin Elisabeth richteten in den Jahren 1616/17 drei Briefe an den chinesischen Kaiserhof zu Peking, in denen sie um den Aufbau eines intensiven Kontaktes zwischen dem dortigen Kaiserhof und dem Münchner Herzogshof nachsuchten. Bezeichnend ist der Zeitpunkt der Initiative in den Jahren 1616 und 1617. Vorausgeht der Abschluss des Neubaus der Residenz, mit der sich der Herzogshof im Wettstreit um die Rangordnung der Residenzen königliches Renommee verschaffte.

Aus dem zugehörigen Schriftwechsel ergibt sich, dass Pater Rader in diese Angelegenheit involviert war. Natürlich gehört der Vorgang in den Kontext der Ostasienmission, die wesentlich vom Jesuitenorden getragen wurde. Die entscheidende Persönlichkeit war Pater Nicolas Trigault (lat. Trigantius), der sich damals, 1616 wieder nach Europa zurückgekehrt, bemühte, für das Vorgehen des Ordens die Unterstützung der europäischen Fürsten zu gewinnen. Der Anknüpfungspunkt des Hauptorganisators in München war der Ordensbruder P. Matthäus Rader. Er vermittelte das Einladungsschreiben des Missionars an den Herzog und erhielt von diesem den Auftrag, den Antwortbrief an den Kaiser zu entwerfen (Abb. vorhergehende Seite).

Das von ihm eingereichte Anschreiben liegt vor. Die Anrede entbot dem Kaiser alle denkbare Ehrerbietung. Die Übersetzung des in lateinischer Hochsprache abgefassten Originals lautet: „Dem größten und mächtigsten Monarchen des Reiches von China, dem obersten Kaiser, dem König der Könige entbietet Maximilian, der große Herzog beider Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Fürst des Heiligen Römischen Reiches in Deutschland Friede, Wohlfahrt, Glück, Sieg und viele Lebensjahre“. Nach dieser Intitulatio und Salutatio kam der Verfasser zur Sache und trägt den Wunsch vor, „mit Eurer Großmächtigen Majestät ein Bündnis und eine Gemeinschaft der Freundschaft und des Handelsverkehrs zu schließen“. In einem beigegebenen Erläuterungsschreiben wird die Hoffnung ausgesprochen, den Monarchen darüber hinaus für das Christentum zu gewinnen. Bei diesen Bemühungen sollen vor allem die Patres der Gesellschaft Jesu bevorzugtes Gehör finden. Der Begleitbrief der Herzogin Elisabeth verweist besonders auf die bestimmt hilfreichen Vermittlungsdienste der Gottesmutter Maria.

Den drei Schreiben werden Sach- und Buchgeschenke beigefügt, darunter auch eine Bibel. Ganz im Sinne der Verfestigung der Grundsätze der Wissenspolitik setzte man auf die Überzeugungskraft allein des gedruckten Wortes: Propagatio fidei per scientiam! Die Chinaschreiben wurden natürlich mit ungleich mehr Sorgfalt gestaltet als die vorgestellten Welserbriefe. Die Sendung wurde mit dem Datum des 1. September 1617 auf den Weg gebracht. Der Leiter der Chinamission, P. Trigantius, hat die Sendung auf die Rückreise nach Ostasien mitgenommen. Der Transfer erfolgte natürlich auch in diesem Fall auf den Bahnen der Ordensverwaltung.

Es ist sicher, dass der Jesuit Matthäus Rader in diese spektakuläre Aktion involviert war. Wegen der im Orden beheimateten allgemeinen internationalen Erfahrung, im Besonderen aber wegen seiner literarischen und stilistischen Fertigkeiten wurde er zu dieser auch politisch hochsensiblen Aufgabe mit interkontinentaler Reichweite herangezogen. Er leistete einen wesentlichen Beitrag, die bemerkenswerte Aktion in Gang zu setzen. Am ehesten in der Societas Jesu waren wegen ihrer Kontinente umspannenden missionarischen Aktivitäten und ihres hohen Bildungsstandards die dafür erforderliche Kompetenzen vorhanden. Gezielt setzte die Kulturpolitik des Hofes an diesem Punkt an. Das Münchner Jesuitenkolleg bei St. Michael wuchs damals in eine wissenschaftspolitische Führungsfunktion hinein, die im folgenden Jahrhundert von der kurfürstlichen Akademie der Wissenschaften in München übernommen werden sollte.

Es wäre jetzt natürlich wissenswert, was auf chinesischer Seite daraus geworden ist: Wie wurde die Initiative aufgenommen? Wie hat der Kaiserhof darauf geantwortet? Wie hat sich die Initiative weiterentwickelt? Sind die höfischen Geschenke in China heute noch nachweisbar? Alles das wissen wir nicht. Nur eines ist sicher: Hier griff der auf diesem Sektor erfahrene Jesuitenpater Matthäus Rader mit von ihm konzipierten Briefen in die internationale Politik ein.

 

Raumkonzeptionen

Abschließend sollen die angestellten Erörterungen mit einer theoretischen Grundfrage des landesgeschichtlichen Forschungsdisputs in Verbindung gebracht werden. Sie bemüht sich um die Konkretisierung der Vorstellungen des Raumes: Welcher Raumbegriff, welche Raumkonzeptionen liegen dem behandelten Quellensegment zugrunde? Inwiefern wurden die Klöster mit den von ihnen unterhaltenen Briefwechseln als raumbestimmende Prägekräfte wirksam? Das sehr vielgestaltige, inhomogene Quellenmaterial der Gelehrtenbriefe des P. Matthäus Rader lässt sicherlich keine eindeutigen Antworten zu. Die unterschiedlichen Wirkungshorizonte zwingen zu Differenzierungen, die einen Unterschied aufzeigen zwischen dem Orden, dem Kloster und der Person des Schreibers.

Die abschließend behandelte China-Initiative führt in den Zusammenhang der kirchlichen Missionsbewegung. Sie ist global ausgerichtet. Die hierher gehörigen Briefe nahmen die damals bekannten Kontinente in den Blick und setzten sich als Ziel, alle Menschen der christlichen Religion zuzuführen. Der Brief war das einzige damals verfügbare Kommunikationsmittel, um den sehr ernst genommenen Auftrag zur Missionierung des Erdballs in Angriff zu nehmen.

Briefe dienten nicht nur der Lenkung und Anleitung der Mitarbeiter an dieser in ihrem umfassenden Anspruch neuen Aufgabe, die über ungewohnte Entfernungen hinweg bewältigt werden musste. Briefe wurden auch unmittelbar an die in den Blick genommene Gegenseite gerichtet, um sie durch direkte Ansprache für die eigenen Anliegen zu gewinnen. Der Missionsauftrag der katholischen Kirche setzte einen interkontinentalen und interkulturellen Dialog in Gang, der vor allem von den damit befassten kirchlichen Orden, in erster Linie der Societas Jesu, mit Korrespondenzen wahrgenommen wurde. Dafür liefert das Rader-Epistolarium ein besonders eindringliches Beispiel.

Doch richtete das Gros der Briefe den Blick auf das nähere Umfeld. Der Jesuitenorden wurde als Reaktion auf die Reformation gegründet und sah in der Verteidigung des alten, des römischen Glaubens auf dem europäischen Kontinent seine Hauptaufgabe. Auch zu deren Verwirklichung wurden Briefe als entscheidende Hilfsmittel eingesetzt. Die Rader-Korrespondenz ist dafür ein bezeichnendes Beispiel. Die Reichweite der im Augsburger Kolleg bei St. Salvator zusammenlaufenden Korrespondenzen ist hauptsächlich kontinental ausgerichtet. Sie hat einen deutlichen Schwerpunkt im altgläubischen Süden und der Mitte Europas.

Doch greifen einzelne Ausreißer über die sich bildende Konfessionsgrenzen hinaus in den Bereich der Reformation aus. Anlass dazu war das Bildungsinteresse des Renaissancehumanismus, das die Konfessionsgrenzen überlagerte. Auch der Späthumanist Matthäus Rader bekannte sich zur Bildungselite dieser Epoche und unterhielt zu diesem Zweck gelehrte Briefwechsel, die er zumindest im Fall des Justus Lipsius als nicht konform mit den religiösen Zielen ansah. Dieser Korrespondenzblock verweist auf einen Dissens zwischen den religiösen und den Bildungszielen des Jesuiten. In dieses mittel- und südeuropäische Umfeld verweist das Gros der Raderbriefe.

Doch sollten die globalen und kontinentalen Dimensionen des Rader-Epistolariums nicht den innersten Kern des persönlichen wissenschaftlichen Bemühens des Jesuitengelehrten überdecken. Dieser hatte bei seinen literarischen Tätigkeiten ab dem Eintritt ins 17. Jahrhundert im Grunde immer vor allem ein Land im Blick: Das war das Herzogtum bzw. in den späten Jahren das Kurfürstentum Bayern. Damit folgte er einer politisch grundgelegten Raumvorstellung, die von Maximilian I. bestimmt wurde. Der Landesherr von Bayern wurde spätestens mit der Übersiedlung ins Münchner Kolleg bei St. Michael sein Landesherr und entscheidender Mentor. Als solcher gab er den entscheidenden Rahmen für alle kulturellen Aktivitäten in seiner Umgebung vor.

Der von ihm regierte Herrschaftsraum war zugleich ein genau abgegrenzter Kulturraum, der seine entscheidende Signatur durch das mit Tatkraft durchgesetzte Prinzip der ausschließlichen Katholizität erhielt. Dadurch wurde er zum im Grunde weithin abgeschlossenen Konfessionsraum. Diese Konzeption vertrat Maximilian I. mit größtem Nachdruck. Von diesem konfessionell geprägten Herrschafts- und Kulturraum gingen im Rahmen der Konfessionspolitik und missionarischen Bewegungen wirkungsvolle Impulse ins Umland aus. Trotz ihrer kontinentalen und durchaus universalen Dimension blieb für Matthäus Rader immer entscheidend das Ausgangsland: Bayern.

Das alle Aktionen zusammenhaltende Grundziel der gesamten wissenschaftlichen Tätigkeit Raders und somit auch der vorgestellten Korrespondenzen war der Nachweis der hier verwirklichten einzigartigen Lebenskraft der engen Verbindung von Staat und Kirche. Für diese als Ideal anzustrebende untrennbare Symbiose erschien ihm als das herausragende Beispiel das Herzogtum Bayern. Wo Staat und Kirche im Zusammenwirken derart vorbildliche Voraussetzungen für die Entwicklung des Christentums schufen, konnte sich dieses geradezu musterhaft entfalten und so viele hervorragende Repräsentanten hervorbringen.

Das war die raumpolitische Grundidee, die das schriftstellerischen Œuvre Raders trägt. Er hat sie in Breite ausgeführt in seinem literarischen Hauptwerk: der Bavaria sancta. Deren Einleitungsband erschien im Jahr 1615.

Sie wird in der einleitenden Vorrede mit dem Blick auf den Leser erläutert: „Wenn du die Vorderseite des Buches mit dem Titel Bavaria sancta bezeichnet siehst, erkennst du gemäß deiner hohen Einsicht leicht, dass die Benennung aus der Sache erwachsen ist. Denn schaust du dich in allen Teilen des Bayernlandes um, so wirst du kaum einen Ort finden, wo du nicht auf leuchtende Spuren der Heiligkeit und der Religiosität stoßest: Städte, Märkte, Dörfer, Äcker, Wälder, Berge und Hügel atmen und zeigen die katholische und alte Religion in Bayern. Alles ist angefüllt mit heiligen Häusern, ansehnlichen Klöstern, neuen Kollegien, erhabenen Heiligtümern. (…) Einen großen Teil des bayerischen Landes umfasst das Heilige, so dass es wahrlich mühsam wäre, auf Einzelheiten einzugehen: scheint doch das ganze Land nur Religion und ein einziges, gemeinsames Heiligtum des Volkes zu sein. (…) Aber all dies tritt wie ein Überfluss zur Nothwendigkeit des Namens Bavaria sancta hinzu. Mir haben vielmehr die Heiligen selbst den Titel eingegeben.“

In diesen programmatischen Sätzen hat der Verfasser seine Vorstellungen zur heilsgeschichtlichen Bestimmung und historischen Entwicklung des Landes Bayern zusammengefasst. Diese Grundvorstellung des behandelten Raumes als gottgesegneter und geheiligter Landschaft liegt der Bavaria sancta et pia, dem kulturpolitischen Grundwerk der Epoche Maximilians I., als Leitidee zugrunde. Im Epistolarium liefert der Jesuitenpater Matthäus Rader zahlreiche Einzelbelege, die seine Gesamtkonzeption illustrieren und untermauern. Die Grundidee der Bavaria sancta stellt die Basis dar, auf deren bestimmendem Fundament dann in pyramidenförmiger Anordnung in Einzelpunkten weiter ausgreifende Raumvorstellungen aufgebaut werden und Wirksamkeit entfalten.

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