Sieben – fünf – drei: 7 Päpste hat die Welt erlebt seit Gründung der Katholischen Akademie, von Pius XII. bis Franziskus, dazu 5 Erzbischöfe und Kardinäle von München, aber lediglich 3 Akademiedirektoren. Wir wohnen also einem historischen Abend bei, wenn wir heute Florian Schuller in den Ruhestand verabschieden: Sieben – fünf – drei.
„Demütiges Selbstbewusstsein“, diese beiden Worte nur hat der Akademie-Direktor auf die Einladungen drucken lassen, mit denen er uns alle hier versammelt hat, und man darf sie als Ruf, als Parole verstehen. Doch klingt der Ruf nicht bedrohlich evangelisch? „Demütiges Selbstbewusstsein“, spricht daraus nicht jene Sorte Magerquark-Protestantismus, den man in Bayern nicht mal den Protestanten durchgehen lässt? Und ich weiß, wovon ich rede: ich bin selber einer
Glauben Sie Florian Schullers Worten nicht ohne Bedacht – denn Sie können sicher sein: er hat sie mit Bedacht ausgewählt. Und oft genug sind seine Worte – viele von Ihnen werden es wissen – Schelmen-Worte. Machen wir uns also auf die Suche: wo hat sich im demütigen Selbstbewusstsein der Schuller-Schalk versteckt?
Im Jahr 2000 trat er sein Amt an der Mandlstraße an und 2007, nach sieben Jahren als Akademiedirektor, hat er sein Selbstbewusstsein erstmals in einem Interview aufblitzen lassen: Er stehe als Zwerg auf den Schultern von Riesen, sagte da der Siebenjährige, aber auf diesen Schultern sei man auch als Zwerg mit einer recht ordentlichen Portion eigener Perspektive ausgestattet. Da war er wieder, der Schuller-Schalk.
Welche Perspektive aber ist das gewesen und geworden in den 18 Jahren von 2000 bis heute?
Brehms Tierleben – den Älteren unter Ihnen noch vertraut – kennt den Brüll-Affen. Das katholische Bestiarium kennt den bayerischen Brüll-Löwen, der in freier Wildbahn in einer geistlichen wie einer politischen Ausprägung anzutreffen ist. Florian Schuller ist weder das eine noch das andere.
Man könnte es auch so sagen: dieser Akademiedirektor durfte und musste vielleicht manchmal den Zirkusdirektor geben, nie aber ist er dabei eine Rampensau gewesen. Sie, lieber Florian Schuller, haben vielmehr stets und ständig anderen Menschen eine Rampe gebaut und die Bühne bereitet: Ihren Gästen, Ihren Geistlichen und gewiss auch Ihren Bischöfen der bayerischen Diözesen, die dieses Haus tragen und es doch nicht regieren dürfen.
Sie haben anderen das Rampenlicht ermöglicht, indem Sie selbst bereit waren, immer wieder zur Seite zu treten. Hat dieser Verzicht auf den eigenen großen Auftritt Ihnen manchmal auch einen Stich ins Herz versetzt? Wenn es so wäre, lassen Sie mich heute sagen: Sie tragen Ihren Verzichtsschmerz mit Würde – und genau das macht Demut aus.
Was für ein Haus haben Sie vor 18 Jahren übernommen – und in welchem Zustand geben Sie es uns, Ihrer Akademie-Gemeinde, heute zurück? In der Satzung dieses Hauses steht: „Die katholische Akademie in Bayern hat die Aufgabe, das Verhältnis von Kirche und Welt zu klären.“ Schöner, schlanker und maßloser kann man es kaum formulieren.
Kirche und Welt in ein Verhältnis zu setzen, das am Ende produktiv für beide Seiten ist, das stellt ein Unterfangen dar, mit dem ich auch persönlich sympathisiere. Sie können das bereits an dem Titel des Blattes ablesen, das ich geholfen habe, in die Wochenzeitung Die ZEIT zu holen, „Christ & Welt“. Immer, wenn ich gefragt werde, welche der beiden verkoppelten Dimensionen uns denn wichtiger sei, das Weltliche oder das Christliche, dann antworte ich: am wichtigsten ist uns die dritte Dimension, das große „&“ zwischen Christ und Welt. Vielleicht hat mir diese Parallele zu Florian Schullers Verständnis seines Akademie-Auftrags ja auch die Einladung und das Ehrenamt eingetragen, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen.
„Die katholische Akademie in Bayern hat die Aufgabe, das Verhältnis von Kirche und Welt zu klären“: wer so hoch zielt, tut gut daran, einen schelmischen Tiefstapler an die Spitze zu stellen.
Humor und Glaube, hat Direktor Schuller einmal gesagt, das seien zwei Weisen, „mit der gebrechlichen, mit der schwierigen, mit der angegriffenen Wirklichkeit unseres Lebens einigermaßen sinnvoll umzugehen.“ Wenn Sie diesem Satz einmal nachlauschen, dann wird Ihnen das Schullerschste Wort darin gleich aufgefallen sein: „einigermaßen“ – einigermaßen sinnvoll sollen wir mit der fragilen Wirklichkeit unseres Lebens umgehen.
In den polarisieren Zeiten, die wir in der Kirche wie in der Welt erleben, ist eine solche zurückgenommene Gradualität der eigenen Ambition eine Wohltat: Wenn wir es einigermaßen gut hinbekommen, mit unserem Leben und unserer gemeinsamen Kirche Christi, so verstehe ich Florian Schuller, dann haben wir vielleicht schon genug getan.
Sie können daran ablesen, wie gut es tut, genau hinzuhören, wenn dieser Mann der leisen Töne das Wort ergreift. Er hat viel gesehen, in seinem langen Priesterleben – ist immer mein Eindruck – und er hat auf beiderlei Weise etwas gesehen vom Menschen und seiner Wirklichkeit: inwendig und aushäusig. Was ihm dort begegnet ist, lässt ihn zurückgenommen sprechen, mit einem Selbstbewusstsein, das von innen kommt. Das macht ihn zu einem feinen Menschen – aber es weist eben auch über ihn hinaus.
Ich begreife Florian Schuller als einen Seher, den man übersieht.
Er ist damit zu einer jener Figuren geworden, auf die eine Kirche in Not verstärkt wird setzen müssen, wenn sie ihren Kurs halten will in stürmischen Zeiten, vor allem aber, wenn sie gehört werden will in einer Welt, die auf das Wort von Kirchen nicht länger wartet. Die Welt ist unduldsam geworden mit der katholischen Kirche in Deutschland – und man kann es der Welt nicht einmal verdenken, wie wir hier im Saal wissen, denen uns diese Kirche noch etwas bedeutet, jedem auf seine Weise.
Als Mittler zwischen der Gesellschaft da draußen und der Kirche hier drinnen merken wir in der Redaktion von Christ & Welt, wie schwer es geworden ist, selbst bei unserer Leserschaft noch Gehör zu finden mit den Themen, den Anliegen, den Positionen der Kirche. Wie erst sieht das bei der Großzahl der klugen, aber kirchen-fernen Deutschen aus?
Wir halten bei Christ & Welt daher verstärkt Ausschau nach Menschen wie Florian Schuller: nach Sehern, die man übersieht. Die prophetische Gabe der Kirche, die prophetische Rolle des Priesters habe ich immer als ihr ganz großes Geschenk begriffen, und nicht ohne Grund sind die Propheten wahrscheinlich in besonderer Weise empfänglich gewesen für jene geheimnisvollste Kraft der Trinität, den Heiligen Geist.
Propheten, habe ich von Burkhard Menke gelernt, dem langjährigen Lektor der Schriften von Joseph Ratzinger im Herder Verlag, Propheten sind nicht Vorhersager, sie sind Hervor-Sager: sie lesen die Zeichen der Zeit, sie spüren, wo der Geist weht und wen er beseelt, und sie beten und bohren solange, bis zu Tage tritt, was eigentlich schon lange ans Licht will. Wo – vielleicht – findet man solche Menschen offenen Herzens und wachen Blicks? Einige Versuche der Annäherung.
Man findet sie eher unter Frauen und Männern, die sich ihren Krisen im Glauben und im Leben gestellt haben.
Es sind darum oft Menschen, die dem Schmerz der eigenen Unzulänglichkeit nicht ausgewichen sind: die Einsicht macht demütig – und den Schmerz aushalten zu können, macht selbstbewusst.
Demütiges Selbstbewusstsein findet man darum eher an den Rändern der Kirche als in ihrem Zentrum.
Man findet es womöglich eher bei den Klosterschwestern von Bernried, um in Bayern zu bleiben, als in den Ordinariaten oder den Bischofspalais zwischen Passau und Regensburg.
Demütiges Selbstbewusstsein kann darum auch ein Programm sein für eine Kirche im Hader mit sich selbst. Ja, es könnte einen Ausweg weisen aus einer steril gewordenen Kontroverse im inner-katholischen Kirchenkampf, der seit dem Pontifikat von Papst Benedikt nicht zur Ruhe kommt.
„Entweltlichung, bitte!“ rief Joseph Ratzinger 2011 in seiner berühmt gewordenen Freiburger Rede der Kirche hierzulande zu. „Entweltlicht euch“, verlangte Benedikt, und seine verschreckten Brüder im Amt fragten sich: will da einer der Schrumpf-Kirche des heiligen Rests das Wort reden, weltabgewandt, klerikal, engherzig? Ich habe Benedikt damals im Saal anders verstanden: er hat das Licht angezündet, das Franziskus jetzt weiterträgt mit seinem Appell – geht an die Ränder, lasst von den Fleischtöpfen der Versorgungsposten, vertraut eurer Gabe als Propheten.
Ich kann nicht einschätzen, lieber Florian Schuller, ob Sie Ihr Demütiges Selbstbewusstsein so programmatisch für Ihre ganze Kirche verstanden wissen wollen. Als Journalist kann ich aber sagen, es passt nicht schlecht als Brücke über die Kluft, die sich zuletzt so drastisch aufgetan hat zwischen Kirche und Gesellschaft, zwischen Christ und Welt.
Zum Abschluss der Vollversammlung der Bischöfe in Fulda hat meine Deutschlandfunk-Kollegin Christiane Florin, mit der ich 2010 Christ & Welt in der ZEIT aufgebaut habe, eine ganz einfach Frage gestellt. Auf der Pressekonferenz wollte sie von den versammelten Bischöfe wissen, ob einer von ihnen erwogen habe zurückzutreten unter der Last der Verantwortung für 1670 Missbrauchs-Täter in kirchlichen Diensten. Die Antwort vom Podium war knapp und lautete: Nein.
Ich habe großen Respekt für die Anläufe zur Aufklärung, die Kardinal Marx in Bewegung gesetzt hat, oftmals gegen erhebliche Widerstände. Doch ich erlaube mir die Frage, ob die Bemühungen seiner Kirche schon annähernd weit genug gehen. Klar ist jedenfalls: Keine der beiden großen Kirchen ist aktuell in einem Zustand, sich offensives Selbstbewusstsein leisten zu können. Ein Zustand dauerzerknirschter Demut aber wird die Botschaft Gottes auch nicht anziehender machen.
Ein Ansatz, der auf Demut und Selbstbewusstsein gleichzeitig gründet, verrät also eine Verschränkung aus Wirklichkeits-Einsicht und Zukunfts-Zuversicht. In einem Wort: Wer die Balance hält zwischen Demut und Selbstbewusstsein, lebt Gottvertrauen im Alltag.
Was hinterlassen Sie also dieser Akademie, die so lange die Ihre war, lieber Herr Schuller?
Mit drei Begriffen haben Sie Ihre Arbeit einmal umrissen: Intellektuell – spirituell – aktuell. Ich ergänze das um zwei Fragen, die nicht bloß dem legendären Gespräch zugrunde lagen, das Sie in diesen Räumen zwischen Joseph Ratzinger und Jürgen Habermas ermöglicht haben.
Erstens: Wie werde ich klug – und bleibe fromm?
Zweitens: Wie werde ich fromm – und bleibe klug?
Dass sich darauf Antworten finden lassen, daran haben Sie immer geglaubt. Dass es dabei hilft, ein melancholischer Optimist zu sein, haben Sie vorgelebt. Und dass Ihr Nachfolger solche Seher über den Tag hinaus aufspürt, zum Austausch verführt und zum Leuchten bringt, das ist die Chance der Akademie für die Zukunft.
Hoch zielen und tief stapeln, damit haben Sie es weit gebracht, lieber Florian Schuller. Was geben Sie uns mit für den Weg, auf dem wir nun ohne Sie auskommen müssen? Ich habe von Ihnen einen sehr befreienden Satz gefunden: „Es geht uns heute schlecht – auf hohem Niveau“, sagt Florian Schuller.
Alles Weitere liegt jetzt in unseren Händen.