Florian Schuller zu seinem Abschied am 2. Oktober 2018

Ja, liebe Mitmenschen, so will ich Sie alle ohne Formalitäten miteinander anreden,

 

I.

„partirà, la nave partirà“, das Schiff sticht in See, wie Sergio Endrigo in einem meiner Lieblingslieder aus vergangenen Zeiten gesungen hat. Sie haben den Song „L‘ arca di Noe“ eben gehört – im Original der Premiere beim Festival San Remo 1970.

„Dove arriverà, questo non si sa“ – Wo es landen wird, weiß niemand. Das Schiff dieser Akademie, das neu in See sticht, mein Lebensschiff, das einen anderen Kurs nimmt als den bisherigen, Ihr Lebensschiff – all das in unseren Jahren einer digitalisierten Welt, deren bisher gewohnte und selbstverständliche Natur durch Technik so radikal zu neuen Wirklichkeiten konstruiert wird, wie es sich Sergio Endrigo 1970 wohl gar nicht vorstellen konnte, der damals schon starke Bilder gefunden hatte: „un volo di gabbiani telecomandati“: ferngesteuerte Möwen; ein Stier am Strand, „e il suo corpo perde kerosene“, sein Herz verströmt Benzin.

Und wer von uns hat noch nicht den lauten oder auch nur inneren Ruf ausgestoßen: „che fatica essere uomini“ – wie mühsam ist es bei all dem, wirklich ein Mensch zu sein. Deshalb braucht jeder mit anderen zusammen so etwas wie eine rettende Arche: „il cane, il gatto, io e te“, der Hund, die Katze, ich und du.

 

II.

Damit aber bin ich schon mitten im Thema meiner Abschiedsrede. Denn was ist eine katholische Akademie Anderes –  ich hoffe, die anwesenden Akademiedirektoren stimmen dem zu – als angesichts der Mühe, wirklich Mensch zu sein, eine „arca di Noe“, die immer neu aufbricht, inmitten der Chaosfluten des Lebens, und wo sie jeweils landen wird mit ihren Dialogen und Diskursen, das bleibt offen, vorausgesetzt, die Dialoge und Diskurse sind ernst gemeint.

Wenn ich jetzt also zurückschaue auf 18 Jahre in der Arche Katholische Akademie Bayern, mit Dir und mir und Euch und Ihnen, allerdings meistens ohne cane oder gatto, ohne Hund und Katze, aber doch mit vielen, sit venia verbo, mit vielen bunten Hunden, bzw. würdigen Vertretern aus dem Zoo des lieben Gottes, dann setzen sich zwei Eindrücke fest. Die kommen aus unterschiedlichen Richtungen, von der inhaltlichen Arbeit der Akademie her, und von deren satzungsgemäßen Struktur. Oder, um im Bild der Arche zu bleiben: von den Wassern, auf denen sie unterwegs war, mit denen sie gewaschen wurde, die sie durchpflügt hat, und vom Bauplan, der sie so hochseetauglich gemacht hat.

 

III.

1784 hatte auf die öffentlich gestellte Preisfrage „Was ist Aufklärung?“ nicht nur Immanuel Kant geantwortet – mit der Definition, die wir alle kennen vom „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ – sondern einige Monate vorher auch schon Moses Mendelsohn, einer der führenden Köpfe der jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. In seinem Aufsatz steht der programmatische Satz: „Bildung zerfällt in Kultur und Aufklärung.“

Genau diese Definition trifft ziemlich gut, was mir und uns wichtig war und wichtig bleibt für die Bildungsaufgabe der Akademie: Kultur und Aufklärung.

"Clarification“ als kritisches, immer neues und individuelles Nachfragen, das als vernünftig-intellektuelles nicht irgendwo haltmachen kann, aber zugleich weiß, dass es sich nicht absolut setzen darf, dass die Dialektik der Aufklärung gerade auch für die Aufklärung in der Religion und im Glauben unverzichtbar bleibt.

Und „Culture“ als Gesamtheit des religiösen und kulturellen Erbes, aus dem wir leben, und als die zeitgenössische geistig-geistliche Landschaft, in der wir leben inmitten unserer christlichen und nichtchristlichen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen.

Allen, die in den vergangenen Jahren unseren Bildungsweg in Aufklärung und Kultur mitermöglicht, mitgestaltet haben, ihn mitgegangen sind, bin ich bleibend für immer dankbar. Zunächst und vor allem geht der Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns im Haus; namentlich kann ich sie gar nicht alle aufzählen: die Studienleiter, die die Tagungen und Veranstaltungen stets mit Herzblut und viel Gehirnschmalz vorbereitet und durchgeführt haben; unsere PR-Arbeit in Print und für Radio, Fernsehen, die Sozialen Medien; die Küche, die wesentlich mit für den hervorragenden Ruf des Hauses sorgt; die Damen der Hauswirtschaft, die verantwortlich waren und sind, dass man sich wirklich wohl fühlt bei uns, und für die Service kein bloßes Wort ist; die Verantwortlichen unseres Hotelbetriebs – der ist wirklich ein Geheimtipp hier in München und wird in Zukunft zur Sicherung unserer finanziellen Basis noch wichtiger werden; damit verbunden alle Hauptamtlichen und Vertretungen an der Rezeption, bei Tag und Nacht; die fünf Geschäftsführer, unter denen ich tätig sein durfte und die mir wirklich viel Arbeit in Finanzen, Personal, Organisation abgenommen haben; die Damen in den Büros, bei der Verwaltung und der Sachbearbeitung, die dafür sorgen, dass alles nur so flutscht, das Geld an die entsprechende Stelle kommt, die richtigen Texte und Briefe geschrieben und keine Termine versäumt werden, keine Anmeldung verloren geht und bei der Tagungskasse schon der Geist des Hauses einem entgegenstrahlt; jene, die vor allem im Bereich der Landesstelle der Katholischen Erwachsenenbildung Bayern arbeiten; die Verantwortlichen in Hausmeisterei und Garten, Technik, IT und Bauwesen; dass wir nämlich eine der Vorzeigeinstitutionen der Kirche in Sachen Nachhaltigkeit geworden sind, ist ein ganz besonderes Merkmal geworden, auf das wir wirklich stolz sind, und das uns allerdings auch verpflichtet, den eingeschlagenen Weg klar weiter zu gehen.

Ich denke aber genauso an die 100 Mitglieder unserer drei Beratungsgremien, deren Impulse bei Kritik und Vorschlägen für uns jedes Mal sehr hilfreich waren, weiterführend, erhellend, konstruktiv. Zum Teil haben sie uns über Jahrzehnte hin die Treue gehalten.

Aber was wäre unsere Arbeit ohne die Referenten, die uns die Ehre geben, gerne kommen, die Akademie schätzen, mit ihren Vorträgen neue Perspektiven aufzeigen.

Ich habe in den 18 Jahren so viele faszinierende Persönlichkeiten kennenlernen dürfen – der Horizont wurde geweitet, das Verständnis für viele Fragen vertieft. Jeder Abend war ein Geschenk für mich. Lassen Sie mich wirklich stellvertretend nur eine einzige Persönlichkeit nennen, und zwar deshalb, weil ich genau heute in der Post ein kurzes Dankschreiben und ein Buchgeschenk von ihm vorgefunden haben – von Papst emeritus Benedikt XVI.

Und was täten unsere Referenten ohne interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ohne Sie alle? Deshalb war es mir wichtig, dass diese Abschiedsveranstaltung offen ist für jeden, und nicht nur für einen geschlossenen Kreis. Aber die Konsequenzen dieser Entscheidung müssen nun wir alle tragen. Sie, weil Sie furchtbar eng sitzen, zum Teil in verschiedenen Räumen per Video dabei sind; alle Mitarbeitenden des Hauses, weil die Vorbereitungen entsprechend ungewöhnlich und intensiv waren, und nachher werden vor allem Küche und Service und Ihrer aller Gelassenheit gefordert werden. Mit circa 780 angemeldeten Teilnehmern haben wir eben mal kurz jene Zahl erreicht, die damals bei unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel erzielt worden war.

 

V.

Wenn ich so die vielen Themen und Veranstaltungen, die Arbeit unserer Akademie an meinem inneren Auge vorbeiziehen lasse und auch das Lob höre über das, was geleistet wurde, denke ich an Dietrich Bonhoeffer, der einmal gesagt hat: „Man überschätzt leicht das eigene Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit gegenüber dem, was man nur durch andere Menschen geworden ist.“

In das Bewusstsein der Dankbarkeit gegenüber vielen anderen Mitmenschen nehme ich auch ganz bewusst meine Familie mit hinein. Meine Mutter konnte über viele Jahre hin hier im Haus trotz Krankheit und Gebrechen des Alters wunderbar mitleben und wurde gleichsam bis zum Ende mitgetragen. Deshalb freue ich mich sehr, dass meine Schwester mit ihrer großen Familie da ist.

 

VI.

Bildung ist „Kultur und Aufklärung“, hatte Moses Mendelsohn gesagt. Dass heute eine solche bewusste Wahrnehmung beileibe nicht selbstverständlich ist, darauf hat unter anderem der französische emeritierte Erzbischof von Poitiers Albert Rouet hingewiesen: „L´Eglise est menacée de devenir une sous-culture.“ Die Kirche steht in der Gefahr, eine Subkultur zu werden. Schon Papst Paul VI. hatte ja in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii nuntiandi“ festgestellt: „Der Bruch zwischen Evangelium und Kultur ist ohne Zweifel das Drama unserer Zeitepoche.“

Was zur Heilung des Bruchs gefordert ist, hat sich für mich im Lauf der Jahre in einem Begriff kristallisiert: „demütiges Selbstbewusstsein“.

Was über diesem Abend steht, ist also ein Auftrag, keine Zustandsbeschreibung, schon gar nicht von mir. „Demütiges Selbstbewusstsein“ – das sollte dem heutigen Abend entsprechend nicht erschöpfend behandelt werden, sondern schlaglichtartig mit zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven aufscheinen.

Als ich Sie, Herr Patrik Schwarz, eingeladen hatte, und Sie spontan und gerne zusagt hatten, und wir uns dann in einem intensiven Telefonat gemeinsam auf den optimistischen Titel geeinigt hatten. „Konkret und beherzt: die Freude am demütigen Selbstbewusstsein entdecken!“, wussten wir noch nicht, dass sich dieser Abend überschneiden würde mit der Veröffentlichung jener Studie, die unsere Kirche furchtbar belastet.

Sie haben aber den „freundschaftlichen Zuruf von außen“ wunderbar hinbekommen. Ganz herzlichen Dank dafür, und ich hoffe, dieser Zuruf hilft. In der Beilage „Christ und Welt“ der ZEIT, die von Patrik Schwarz mitverantwortet wird, darf übrigens ein Mensch jeweils einen Monat lang Kurator spielen und jede Woche ein Kunstwerk mit einem einzigen Satz vorstellen. Ich hatte die Ehre, diesen September dran zu sein, und habe für die aktuelle Ausgabe unser Altarbild von Jerry Zeniuk hier in der Kapelle ausgewählt: „Victorious“. So finden Sie darin eine Erinnerung an den heutigen Abend.

Herr Prof. Nesselrath, auch Ihnen für Ihre Perspektive besonderen Dank. Die Vorstellung der Bilder von Christoph Brech hat noch einmal auf doppelte Weise formuliert, was mir sehr wichtig war und ist beim Akademieprojekt „Kultur und Aufklärung“. Mit Rom wird das große, übermächtige, manchmal erdrückende aber auch ungemein erweiternde Erbe deutlich, auf dem wir als katholische Kirche aufbauen: Das Pantheon, der heidnische Tempel, der zur Kirche Maria Patrona Martyrum wurde, und damit zur Erinnerung an die Communio Sanctorum.

Und mit den Photoarbeiten von Christoph Brech, einem jener Künstler, die unserem Haus ganz besonders verbunden sind, wird die zeitgenössische Kunst in diesen Abend hereingeholt. Eine Verpflichtung, der nachzukommen in diesem Haus nicht nur möglich war, sondern die in den 18 Jahren zu immerhin 56 Ausstellungen geführt hat – von hochkarätigen Künstlern bis zu Studierenden an den Akademien in München und Nürnberg.

Aufklärung und Kultur, beide gehören zur glaubenden Praxis und zu deren Bezeugung in unserer Gesellschaft. Der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila hat in seinen Aphorismen einmal sehr allgemein so formuliert: „Dem christlichen Glauben hat es in den letzten Jahrhunderten an Intelligenz gemangelt und der christlichen Intelligenz an Glauben.“

Dass ich im Auftrag der Kirche mithelfen durfte, diesen Satz an einem konkreten Ort, mit konkreten Menschen, zu konkreten Themen sicher immer nur bruchstückhaft, aber eben doch zu widerlegen, zu falsifizieren, und damit der christlichen Intelligenz und dem christlichen Glauben zu dienen, war für mich das große Geschenk der Aufgabe hier in der Akademie.

 

VII.

Lassen Sie mich bitte noch nach meinem inhaltlichen Rückblick zu einem zweiten kommen, zu einer Reflexion über die Struktur der Akademie. Die Satzung unserer Akademie aus dem Jahr 1957 halte ich für geradezu genial. In § 3 heißt es kurz und bündig: „Die nachhaltige Verwirklichung des Stiftungszwecks wird durch die bayerischen Diözesen gewährleistet.“ Aber zugleich haben sich die Bischöfe der inhaltlichen Verantwortung enthalten und sie dem Akademiedirektor, bzw. der Akademie im Ganzen übergeben. Ein Akt echten Machtverzichts in der Kirche.

Sehr verehrter Herr Kardinal, wahrscheinlich ahne ich nur, dass diese vornehme Zurückhaltung bei gleichzeitiger Garantie, die Akademie durch alle bayerischen Diözesen „nachhaltig“ – auch ein heute hochmoderner Begriff, den da die Bischöfe bereits vor 61 Jahren gewählt haben – die Akademie nachhaltig in ihrer Existenz zu sichern, dass dieses souveräne Vertrauen durch all die Jahrzehnte und die wechselnden Bischofsgenerationen hindurch bestimmt kein Selbstläufer gewesen ist, sondern stets von neuem ins gemeinsame Bewusstsein gehoben werden musste.

Dass Sie, hochverehrter Herr Kardinal Marx, dabei dann immer viel mehr waren, als nur der Erzbischof des in kirchlichem Slang sogenannten „Belegenheitsbistums München und Freising“, nämlich ein echter Freund und Protektor, der selber als früherer Akademiedirektor der Kommende des Erzbistums Paderborn mit einer besonderen Sensibiltät unsere Arbeit begleitet hat, dafür schulden Ihnen ich persönlich und die gesamte Katholische Akademie Bayern ausdrücklichen, intensiven Dank.

Auch Ihre Verabschiedungsrede vorhin hat gezeigt, wie Sie die Akademie wertschätzen.

In den Dank schließe ich bewusst alle anderen bayerischen Bischöfe mit ein, die mir und uns ihr Vertrauen gegeben haben, und alle Generalvikare und Finanzdirektoren. Mit den sieben bayerischen Bischöfen durften wir ja im vergangenen Jahr jeweils einen besonderen Jubiläumsabend gestalten: mit Erzbischof Ludwig Schick aus Bamberg und den Bischöfen damals Friedhelm Hofmann aus Würzburg, Gregor Maria Hanke aus Eichstätt, Rudolf Voderholzer aus Regensburg und Stefan Oster aus Passau.

Besonders dankbar bin ich als Augsburger Diözesanpriester meinem eigenen Ordinarius Konrad Zdarsa, der heute durch unseren Generalvikar Harald Heinrich vertreten wird.

Ich durfte in meiner priesterlichen Laufbahn vor allem drei wunderbare Dienste ausüben: 16 Jahre Studentenpfarrer – auch aus meiner KHG sind heute viele gekommen – mit dem einen Jahr beim Cusanuswerk, und 18 Jahre Katholische Akademie Bayern. Zwei Traumaufgaben, wie Sie schöner und erfüllender nicht sein könnten, und dazu gleichzeitig 26 Jahre ein echter Dorfpfarrer. Ein Priesterleben, so schön und erfüllend, dass ich es gar nicht verdient habe.

Meine ersten acht Jahre in der Akademie haben Sie, sehr verehrter Herr Kardinal Wetter, mitgeprägt. Sie hatten mich nach dem Vorschlag der damaligen Akademieleitung ernannt. Ich weiß noch, wie Sie mich zu einem Mittagessen mit Griesnockerlsuppe eingeladen haben, um mich überhaupt einmal kennenzulernen. Und bei der Herbstsitzung 2000 der Freisinger Bischofskonferenz, auf der ich mich vorstellen durfte, gab zwar mein FIAT Uno auf dem Parkplatz vor dem Kardinal Döpfner Haus seinen Geist auf, aber alle anwesenden Ordinarien, das werde ich nie vergessen, empfingen mich ausgesprochen herzlich: der Bamberger Erzbischof Karl Braun, der bis auf den heutigen Tag seine Pontifikalien in einem Koffer transportiert, den er bei meiner Mutter in einem Augsburger Lederwarengeschäft gekauft hatte; der Eichstätter Walter Mixa, ebenfalls aus meiner Diözese; der Regensburger Manfred Müller, dem ich in Augsburg über viele Jahre hin jeweils am Dienstag und am Donnerstag um 6.25 Uhr vor der Schule bei seiner Messe am Ulrichsaltar unserer Heimatbasilika ministrieren durfte; Bischof Franz Xaver Eder aus Passau, der dann bei jeder Tagung, die wir in Passau durchführten, auch noch in der Zeit seiner Emeritierung engagiert teilgenommen hat; aus Würzburg Paul-Werner Scheele, der uns bis heute verbunden ist; und natürlich mein Augsburger Bischof Viktor Josef Dammertz, der mich nicht nur für diese Tätigkeit freigestellt hat, sondern auch in der ersten nicht ganz leichten Phase meines Dienstes hier sehr unterstützt hat.

Sie, Herr Kardinal Wetter, haben mehrmals ausgeführt, wie Sie den konkreten Gründungsimpuls, den klaren Gründungsauftrag dieser Institution durch Kardinal Wendel als eine fast prophetische Vorwegnahme der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanums verstanden haben.

Wenn sich unsere Akademie einen guten Ruf auch über Bayern und Deutschland hinaus erarbeitet hat, dann, davon bin ich felsenfest überzeugt, hängt dieser positive Eindruck zunächst und ganz fundamental mit jener genialen Konstruktion zusammen, die die bayerischen Bischöfe vor 61 Jahren gewagt und seitdem beibehalten haben: eine Institution zu schaffen, deren Existenz und Arbeitsmöglichkeiten zu garantieren, und sich gleichzeitig im Vertrauen auf die Verantwortung der Verantwortlichen in dieser Institution selber zurückzunehmen und auf direkte Kontroll- und Einflussmöglichkeiten bewusst zu verzichten. Dadurch ergibt sich kein Chaos, sondern es wird Kreativität freigesetzt und hochengagiertes Handeln.

Wenn ich immer wieder deutschlandweit die Entscheidungen über strukturelle Veränderungen der Seelsorge verfolge, denke ich mir manchmal: da könnte die klar gewollte und verankerte Subsidiarität der Katholischen Akademie Bayern ein wunderbares Beispiel sein – nicht weil wir so toll gearbeitet hätten, sondern weil damals 1957 noch vor dem Konzil in unserer Kirche so souverän gedacht und entschieden wurde.

 

VIII.

So gehe ich mit großer Dankbarkeit. „Partirà, la nave partirà. Dove arrivera, questo non si sa.“ Zwar hat im Juli dieses Jahres Mariss Jansons hier in München seinen Vertrag als Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bis 2024 verlängert, und tat dies im Alter von jetzt 75 Jahren. Dirigenten und Pianisten spielen allerdings in einer anderen Liga als Normalsterbliche, und dazu habe ich mich an eine Weisheit von Ludwig Wittgenstein erinnert. „Auf seinen Lorbeeren auszuruhen ist so gefährlich, wie auf einer Schneewanderung auszuruhen. Du nickst ein und stirbst im Schlaf.“

Als man Papst Franziskus einmal gefragt hat, warum er sich in seinem Alter noch so sehr aufarbeite, soll er geantwortet haben: „Gli ultimi anni devono bruciare“, „Die letzten Jahre müssen brennen“. Ich will mich zwar nicht auch nur im geringsten mit dem Papst vergleichen, aber dieser Satz hat mich fasziniert. „Gli ultimi annni devono bruciare“. Ich hoffe, die vergangenen Jahre hier in der Akademie haben zumindest ein bisschen gezündet.

Aber jetzt sind neue Impulse dran. Ich freue mich, dass die Akademieleitung nach intensiven und langen Gesprächen dem Herrn Kardinal und den bayerischen Bischöfen einen sehr guten Namen präsentieren konnte, und dass heute verkündet wurde, dass der Herr Kardinal meinen Nachfolger mit Wirkung zum 1. Januar 2019 berufen wird.

Wenn man seine augenblickliche Position bedenkt, kann man nur mit Willy Brandt sagen: „Hier wächst zusammen, was zusammen gehört“. Meine allerbesten Wünsche begleiten Prof. Dr. Achim Budde, er möge und er wird die Akademie fortentwickeln, ihr neue Perspektiven eröffnen und sie in eine gute Zukunft führen.

 

IX.

Deshalb geht mein abschließender Dank an die Akademieleitung, an alle ihre Mitglieder, die von heute, aber auch die von früher – für das Vertrauen, die Mitsorge, die Mitverantwortung in großer Offenheit und der steten Bereitschaft, die Akademie mit ihrer speziellen Aufgabe zu fördern und sie in Kirche und Gesellschaft lebendig zu halten.

Königliche Hoheit, wie Sie immer zu sagen pflegen: Ihr Dasein ist Ihre Aufgabe. Ihr Dasein in der Akademie war keine Aufgabe, es war und bleibt sowohl eine ganz große Ehre wie eine unschätzbare Hilfe. Mit Ihnen zusammen gehört Prof. Johann Wittmann, der immer wieder und nicht zuletzt verwaltungsrechtliche Impulse gegeben hat, zur damaligen Akademieleitung, die mich vor 18 Jahren eingestellt hat. Ich hoffe, Sie beide haben den damaligen Entschluss nicht allzu stark bereut. Domdekan Lorenz Wolf war und ist der unentbehrliche und deshalb viel gefragte Kontaktmann zwischen den Bischöfen und der Akademie. Ihm verdanken wir mit am meisten, dass in den vergangenen Jahren stets ein freundschaftliches enges Verhältnis zur Freisinger Bischofskonferenz möglich war. Frau Edda Huther hat nicht nur in den letzten Monaten die Gespräche und Verhandlungen sehr wahrscheinlich, ich war ja selber nicht dabei, mit klarem juristischem Sachverstand vorangebracht. Dazu bildet sie mit Andreas Schmidt von der Bayerischen Börse den gewählten Vorstand des „Vereins der Freunde und Gönner“, und beide konnten in den letzten Monaten eine gewaltige Kuh vom Eis bringen, um die Satzung des Vereins auf juristisch-zeitgemäße Füße zu stellen. Ihre Begrüßung heute Abend, Frau Prof. Schulz-Hoffmann, hat uns spüren lassen, wie groß Ihr Vertrauen und Ihre Wertschätzung sind. Herzlichen Dank dafür. Frau Dr. Hildegard Kronawitter und Dr. Wolfgang Schirmer haben sich besonders auch in unserem neugegründeten Finanzausschuss große Verdienste erworben, in Zeiten schwieriger Anlagemöglichkeiten die finanzielle Basis der Akademie nachhaltig zu sichern, eine fundamental-wichtige Begleitung. Die Professoren Werner Weidenfeld und Michael Sendtner haben Ihre intensiven Kontakte und Erfahrungen aus der Welt der Wissenschaft, der Medizin, der Politik, der Politikberatung immer mit großem Engagement zum Wohl der Akademie eingebracht.

 

X.

Ich will schließen und übernehme mit „demütigem Selbstbewusstsein“ Worte meines Augsburger Mitbürgers Bertolt Brecht. Den hat allerdings ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein ausgezeichnet, und seine Lyrik habe ich immer höher geschätzt als seine Dramen. Im Lauf seines Lebens hat nun Bert Brecht mehr als 25 Grabinschriften verfasst, auch solche auf sich selbst.

Aus dem Jahr 1955 stammt ein kurzes Gedicht, das einen für den heutigen Anlass deutlich zu pathetischen Titel trägt, in dem ich mich aber mit meiner augenblicklichen Seelenlage sehr gut wiederfinde. Es trägt den Titel „Ich benötige keinen Grabstein“ und lautet:

 

„Ich benötige keinen Grabstein,

aber

Wenn ihr einen für mich benötigt

Wünschte ich, es stünde darauf:

Er hat Vorschläge gemacht. Wir

Haben sie angenommen.

Durch eine solche Inschrift wären

Wir alle geehrt.“

 

In genau diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen mit großer Dankbarkeit: Seien Sie heute und in Zukunft Gott befohlen. Diesen Wunsch uns gegenseitig auszudrücken, dafür lade ich Sie ein, jenes bekannte Abendlied gemeinsam zu singen, das Sie auf der Rückseite des Tagungsheftes finden: „Nehmt Abschied, Freunde, schließt den Kreis“. Herr Kapellmeister, geben Sie die Töne vor.

More media by the author / Topic: Theology | Church | Spirituality

Herzlichen Dank für diese besonders liebenswürdige Begrüßung mit unvollständiger Verlesung meines „Vorstrafenregisters“. Ich bedanke mich sehr für die Einladung, die ich gerne angenommen habe, zumal sie die Gelegenheit bietet, mit Ihnen über ein Thema nachzudenken, das ganz sicher nicht neu ist, aber ebenso sicher nicht überholt ist, und mit dem ich mich selber seit sicher…

Current events on the topic: Theology | Church | Spirituality

Cardinal Wetter Prize of the Catholic Academy in Bavaria
Monday, 10.11.2025
Wikimedia Commons
Vom Sein zum Werden
Zum 250. Geburtstag von Friedrich Schelling diskutieren Harald Lesch und Wilhelm Vossenkuhl dessen Naturbegriff
Tuesday, 11.11.2025
CC BY-SA 3.0, A. Delesse (Prométhée) Wikimedia Commons
Optionen der demokratischen Mehrheit
Akademiegespräch am Mittag mit Prof. Dr. Ursula Münch und Marco Wanderwitz
Wednesday, 12.11.2025
Kathedral-Bau im 19. und 21. Jahrhundert als Konstruktion von Geschichte und Identität
Saturday, 22.11.2025
Transformation theologisch gedeutet
Monday, 24.11. - Wednesday, 26.11.2025
Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag
Jenseits der Schutzzonen
Literarischer Abend mit Nora Bossong
Monday, 24.11.2025
Die astrophysikalische Forschung zu Exoplaneten
Wednesday, 26.11.2025
Wikimedia Commons
Literatur als Therapie
Erich Garhammer trifft Rilke-Biograf Manfred Koch
Thursday, 04.12.2025