Barefoot at heart

Zur Lyrik von Rainer Kunze

© FabrikaCr / iStock

GEISTLICHER WÜRDENTRÄGER,
KÜNSTLERN INS GEWISSEN

Er sagte nicht: seid
schöpfer

 

Er sagte: dient
dem glauben

 

So gering ist sein glaube
in die schöpfung  (gedichte, 186)

 

Die Instrumentalisierung der Kunst ist immer eine Gefahr in Theologie und Kirche; Kunst ist nicht Bebilderung von feststehenden Wahrheiten, sondern das Jetzt einer Entdeckung: für  Boccaccio ist das Decameron ein eigener Raum der Schöpfung, in der Metanoia passiert, vergleichbar dem schöpferischen Hexameron im Buch Genesis. Kunst ist nicht Nachahmung, sondern ein eigener Kosmos, sie ist nicht Verdoppelung der Welt, sondern ihre Verwandlung. Das soll am Beispiel der Lyrik von Reiner Kunze gezeigt werden.

 

Die Kraft der Metapher

 

Von Ortega y Gasset stammt der Satz: das dichterische Bild ist das Schöpfungsgerät, das Gott im Innern seiner Geschöpfe vergaß. Reiner Kunze hat in seinen Münchener Poetikvor­lesungen darauf hingewiesen. „Nur wenigen Menschen ist originär–schöpferisches Bilddenken eigen, das zu Gedichten führt und nur relativ wenige bedürfen des Gedichtes zum Leben, aber schon das Kind, das die Hand von der stacheligen Wange des Vaters zurückzieht und ausruft: ‚Du bist ein Igel!’ denkt metaphorisch. Gott hat, um im Bild Ortega y Gassets zu bleiben, das Schöpfungsgerät ‚Metapher’ tatsächlich in jedem von uns zurückgelassen.“ (Das weiße Gedicht, 61)

 

Kunze hat diese Entdeckung in ein Gedicht transformiert:

 

NAMENSÄNDERUNG

Du stachelst du
bist ein igel
(der sohn)

Ich bin ein igel

Meine stacheln aber sind blumen ein
kindergeburtstagsstrauß

Schmetterlinge sitzen
auf und ab

Vergiß, mein sohn. Ich bin
dein vater nicht, bin nur
ein igel der

blüht (gedichte, 58)

 

Hier nimmt ein Vater die Metapher „Igel“ seines Sohnes ernst und spinnt sie weiter: aus den Stacheln des Barts werden Blumen eines Kindergeburtstagsstraußes, auf dem sich Schmetterlinge tummeln. Aus dem Vater wird wirklich ein neues Wesen, ein Igel, der blüht. Also durchaus eine Namensänderung, wie der Titel des Gedichts andeutet. Namensänderungen kennen wir in der Bibel; so wird aus Abram Abraham, aus Saulus Paulus – Namensänderungen gibt es aber auch durch den poetischen/metaphorischen Blick, der eine neue Identität schaffen kann.

Poesie entzaubert das Faktische als Faktum und ver­zaubert es, lässt die Wirklichkeit neu sehen. Wie so etwas sich in concreto ereignet, möchte ich Ihnen an einem Beispiel zeigen.

 

Das Kauen der Worte

 

Im Jahr 2005 haben wir in Würzburg an der Katholisch-Theologischen Fakultät eine Ring­vorlesung veranstaltet zum Thema „Ecclesia semper reformanda“. Anlass dafür war die Erinne­rung an das Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils vor damals 40 Jahren und der Würzburger Synode vor 30 Jahren. Ich habe mich dafür intensiv mit der Gestalt von Papst Johannes XXIII. beschäftigt und noch einmal sein „Geistliches Tagebuch“  intensiv gelesen. In diesem Tagebuch fal­len zwei Haltungen auf: Zum einen das Meditieren des eigenen Sterbens. Giuseppe Roncalli hat immer schon diesen Punkt bedacht und die Endlichkeit seines Lebens verinnerlicht. Besonders nahe ging ihm der Tod seines Bischofs, dessen Sekretär er war; Bischof Giacomo Radini Tedeschi (1857-1914) starb mit 57 Jahren. Und so hat Roncalli nach seinem 57. Geburtstag jedes Jahr als geschenktes Jahr begriffen. Es wurden ihm noch weitere 25 Jahre geschenkt. Daraus erwuchs für ihn eine Haltung der Dankbarkeit.

Die zweite wichtige Haltung Johannes XXIII. war das Streben nach Einfachheit: die Einfachheit des Herzens und des Mundes. „Je älter ich werde, desto mehr konstatiere ich die Würde und die überwältigende Schönheit der Einfachheit sowohl im Denken wie im Tun und Reden. Es läutert sich die Tendenz heraus, alles zu vereinfachen, das verwickelt ist: alles auf die höchstmögliche Ursprünglichkeit und Klarheit zurückzuführen, ohne mich von Lappalien und künstlichen Winkelzügen in Gedanken und Worten gefangenneh­men zu lassen“. (Johannes XXIII., Geistliches Tagebuch und andere geistliche Schriften, Freiburg-Basel -Wien 1964, 304f.)

Und er fügt den Wahlspruch des hl. Johannes Chrysostomus an, der auch zu seinem eigenen geworden sei: „Simplicem esse cum prudentia“ – mit Klugheit einfach sein. Diese Einfachheit, so Johannes XXIII., sei nicht Einfältigkeit, sondern der Inbegriff der Philosophie: „culmen philosophiae“. Ludwig Kaufmann, der Berichterstatter auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der langjährige Herausgeber der Zeitschrift „Orientierung“, hat 15 Jahre nach dem Tod von Johannes XXIII. die Roncallis auf ihrem Hof bei Bergamo besucht und festgestellt: „Sie wachsen auf zwischen Mais und Gerste, Hafer und Heu und zwi­schen den Reben, wie eh und je, seit hier die Roncallis, bei der Geburt des Papstes noch Pächter, den Boden bebauen.“ Der Neffe des Papstes, Don Battista, der Priester in Rom war, erzählt, dass ihm Johannes XXIII. einen Tag nach der Papstwahl gesagt habe: „In Rom hast du nichts ver­loren. Geh heim zu den Deinen.“ Von Anfang an hat Johannes XXIII. jeglichem Nepotismus abgesagt. Und der Neffe erzählt weiter, er habe den Onkel in Paris, wo er Nuntius gewesen war, besucht und sei erstaunt gewesen, wie er in der Welt der Diplomaten aufrichtig und authentisch blei­ben konnte. „Indem ich immer die Wahrheit sage, obwohl die anderen das Gegenteil vermu­ten“, so gab er ihm zur Antwort. Doch den tieferen Grund habe er erst in einem Brief erfahren, den ihm der Onkel später schrieb. Darin „verriet“ er sein Geheimnis, das hinter seinem Umgang mit den sog. Großen dieser Welt stecke: „Wenn ich mit ihnen verhandle, denke ich immer an die Einfachheit unserer Felder, unserer Familien.“

Diese Entdeckungen habe ich Reiner Kunze geschickt und er hat sich mit folgenden Worten bei mir bedankt: „´Indem ich immer die Wahrheit sage, obwohl die anderen das Gegenteil vermuten.` Großar­tig. Aber der folgende Ausspruch ist erschütternd und ich werde ihn hoffentlich nicht mehr aus dem Gedächtnis verlieren (u. a. indem ich ihn oft zitieren werde): ´Wenn ich mit ihnen verhandle, denke ich immer an die Einfachheit unserer Felder, unserer Familien.`“ (Brief vom 22. Dezember 2005)

Dieser Satz traf Kunze in die Herzmitte, er erinnerte ihn an seine einfache Herkunft:

 

UNSERE EOINFACHHEIT

 … denke ich immer an die Einfachheit
unserer Felder, unserer Familien.
Johannes XXIII

Unsere einfachheit hatte
nicht einmal felder

Der wiesengrund, wo es den bergmannsfrauen war erlaubt,
die wäsche zu bleichen, gehörte
dem hauswirt

Selbst über die luft
geboten andere:

Auf das weiße bettleinen

rieselten schlotasche und ruß,
das gebleichte wurde
nachgewaschen

Mit schwerem zinkasch ging’s
hinab die steilen knüppelstufen und
hinauf, wo im waschhaus
der zuber stand
mit dem waschbrett

Im schlafkammerschrank
an der hohen seite der dachschräge
lag im obersten wäschefach
ganz hinten
die bibel,

ein hochzeitsgeschenk, das nicht hatte
gebleicht werden müssen

Niemals wurde das eingefaltete ende
der seidenen lesebändchen gelöst,
doch stieß der vater einen fluch aus,
wies die mutter ihn zurecht:

Versündige dich nicht!

So eine einfachheit war’s
mit so einem himmel  (lindennacht, 12f.)

 

Kunze hat den Ausspruch von Johannes XXIII. wirklich nicht mehr aus dem Gedächtnis verloren, er hat ihn mit der eige­nen Lebensgeschichte verwoben. Dieser Satz hat ihn so erschüttert, weil er an eigene Erfah­rungen rührte. Die Einfachheit der Herkunft von Johannes XXIII. hat ihn, den Sohn eines Bergmannes in Thüringen, in der Herzmitte getroffen. Sein Leben war geprägt von Einfachheit, von Kohle und Kohlehalden, von Schlotasche und Ruß. Nur etwas war davon unbefleckt: die Bibel. Sie konnte sogar versteckt werden, weil ihr Sinn in den Alltag leuchtete. Es gab nur dieses eine Buch im Haus Kunze. Das Wort lesen wurde bei den Kunzes identifiziert mit „Kohle lesen“ von den Kohlehalden.

 

„Meiner kindheit liehen ihre farben
kohle, gras und himmel
Unter dieser trikolore trat ich an,
ein hungerflüchter, süchtig
nach schönem

 

Hier kann man nacherleben, wie aus einem Zitat, das immer wieder gekaut wird, gemäß der alten Meditationsmethode der „ruminatio“, eine eigene Erfahrung evoziert wird, die nach dem dem Lyriker angemessenen Ausdruck drängt, dem Gedicht.

 

Nie mehr der Lüge den Ring küssen müssen. Kunze und die Wahrheit

 

Wer Kunze liest, kommt mit der Wahrheit in Berührung. Kunze hat Philosophie und Journalistik studiert. Er war wissenschaftlicher Assistent mit Lehrauftrag an der Fakultät für Journalistik an der Universität Leipzig. Kurz vor Promotionsabschluss gab er die Stelle auf: „Ich hatte begriffen, dass es nur darum geht, das Prinzip durchzusetzen, auch über den Menschen hinweg.“ Er hielt sich als Hilfsschlosser über Wasser und blieb auf dem Posten der Wahrheit: „Bleibe auf deinem Posten und hilf durch deinen Zuruf; und wenn man dir die Kehle zudrückt, bleibe auf deinem Posten und hilf durch dein Schweigen.“ Dieses Seneca-Zitat hat Kunze als Motto seinem Gedichtband „zimmerlautstärke“ vorangestellt.

Er hat in seinem Leben nie die Wahrheit ermäßigt zu einem bequemen sich Durchmogeln. 1968 nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes trat er aus der SED aus, ein Schritt, den er schon 1959 vollziehen wollte, aber aus Rücksicht auf Freunde nicht tat. Der Parteiaustritt 1968 ist nach seiner Kündigung der Stelle an der Universität neun Jahre zuvor die zweite große Zäsur in seinem Leben. Die Konsequenzen bekam er bald zu spüren. Er wird zur persona non grata. Das Ministerium für Staatssicherheit, Bezirksverwaltung Gera, eröffnet am 6. September den operativen Vorgang „Lyrik“ gegen Kunze. Er hat nach dem Fall der Mauer diesen Vorgang in Auszügen publiziert unter dem Titel „Deckname Lyrik“. Vorgeworfen wird ihm: er behaupte, die DDR sei ein großes Gefängnis, die Kulturpolitik sei eng und dogmatisch und er hege Sympathie für revisionistische und konterrevolutionäre Auffassungen. 1973 erhält er den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Man versucht, ihn von der Reise nach München abzubringen und verspricht ihm eine Wohnung und ein Grundstück in der Nähe von Berlin und ein Auto westlicher Fabrikation. Er lehnt ab. In seiner Dankrede ist Kunze vorsichtig. „Hier nimmt kein Oppositioneller einen Preis für Opposition entgegen, sondern ich habe die große Freude, als Schriftsteller den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste entgegenzunehmen.“

Bei der Veröffentlichung des Manuskripts „Die wunderbaren Jahre“ war ihm Karl Corino, Literaturredakteur beim HR, behilflich: er schmuggelte es von der Leipziger Buchmesse nach Frankfurt. Allerdings zögerte der S. Fischerverlag. Corino bedrängte den Verleger: der Autor Kunze riskiere Kopf und Kragen, der Verlag habe in diesem Fall kein Recht auf Feigheit. Und er fügte hinzu: das Buch atme etwas von der Haltung Luthers: „hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Kunze habe zwar einen Wartburg, aber keine Wartburg, die ihn vor seinen Feinden schütze. Nach dem Erscheinen der „Wunderbaren Jahre“ wurde Kunze am 20. November 1976 aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen. Und am 7. April 1977 stellte er den Antrag auf Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft, der am 10. April genehmigt wurde. Der Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung Hermann Kant kommentierte den Vorgang lapidar so: „Kommt Zeit, vergeht Unrat.“

In seinem Brief an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker schrieb Kunze: „In meinem Buch ´Die wunderbaren Jahre´ habe ich nicht über Randerscheinungen geschrieben. Es sind Erscheinungen aus der Mitte. Leider.“

Im selben Jahr bekam er den Georg-Trakl-Preis in Salzburg verliehen. In Salzburg hält er fest, dass er nun nie mehr der Lüge den Ring küssen müsse. Wahrheit ist und bleibt für Kunze das Lebensthema. Und Poesie ist für ihn, außer Wahrheit, vor allem Poesie. Die Wahrheitsfrage ist in seiner Lyrik unhintergehbar, denn Gedicht und Lüge schließen einander aus, nicht deshalb, weil der Dichter ein besonders ehrlicher Mensch ist, sondern weil Poesie und Kalkül einander widersprechen.

 

Wer Kunze liest, begegnet der Liebe und der Stille

 

1959, also vor fast 60 Jahren, bekam Reiner Kunze eine Postkarte aus Usti‘ nad Lebem (Aussig an der Elbe). Sie löste eine Korrespondenz von über 400 Briefen aus. Die Absenderin war niemand anderer als seine spätere Frau Elisabeth. Sie war zweisprachig aufgewachsen und übersetzte ihm Gedichte aus dem Tschechischen Wort für Wort. Kunze lernte die tschechische Literatur über seine Frau kennen – ein doppelter Gewinn! „Der Winkel, in dem das Licht an der Oberfläche der tschechischen Literatur und Prosa austritt, wird bestimmt von einer lange anerlittenen Wehmut, einem feinen fatalistischen Lächeln, einem Zorn, der seine Stunde abwartet und selbsterlösendem Humor“ – so Reiner Kunze.

Vor allem die Gedichte Jan Skácels haben Reiner Kunze tief berührt und inspiriert. Und diesen Zugewinn an Leben und Sprache verdankte er seiner Frau. Und mehr als dies, sie hat ihm durch ihren Beruf – sie war Kieferorthopädin – seine Berufung als Schriftsteller ermöglicht. Von daher ist das Werk von Kunze voll von Liebesgedichten, schönen und abgründigen:

BITTGEDANKE, DIR ZU FÜSSEN

 

Stirb früher als ich, um ein weniges
früher

Damit nicht du
den weg zum haus
allein zurückgehn mußt

 

Und im bislang letzten Gedichtband „lindennacht“ – beim Gedanken an den Tod und das Zusammenbrechen der gemeinsamen Welt – formuliert Kunze einen tapferen Vorsatz:

 

TAPFERER VORSATZ

 

Wir wollen, wenn die stunde
naht, mit ihr
nicht hadern

Möglich, daß irgendwann
beim anblick eines leeren schuhs
das universum
über uns zusammenstürzt

Dann laß uns denken an den fuß,
zu dem der schuh gehörte,

und an das zehenspiel,
das ungezählte male, als wir
beieinanderlagen,
das universum
zurückkatapultierte
an seinen platz

 

Liebe: Halt finden an der Stille

 

Es ist keine Liebe, die er immer im Munde führt oder von der er vollmundig oder voyeuristisch spricht, sondern die er in aller Stille und im Alltag lebt. Als „Handlanger der Stille“ ist Reiner Kunze in der Festschrift zu seinem 65. Geburtstag beschrieben worden.

In Erlau, am Sonnenhang, hat er zusammen mit seiner Frau Elisabeth nach seiner Ausbürgerung aus der DDR sein neues Zuhause gefunden, die inspirierende Stille an der Unbeirrbarkeit des Wassers der Donau. Seine Wörter stammen nicht von den Wühltischen der Sprache, sie sind dem Tod abgeschwiegen.

Der Liebe zu seiner Frau verdankt er auch die Freundschaft zum mährischen Autor Jan Skácel. Vor seiner Begegnung mit der tschechischen Literatur war Reiner Kunze ein DDR-Schriftsteller mit lupenreiner proletarischer Biografie.

In dem Buch „Widmungen“ schrieb er:

Dem Dichter Jan Skácel
Das bedürfnis des dichters, nach außen
etwas zu gelten, bricht in dem augenblick zusammen, in dem er begreift, was poesie ist (Widmungen, Bad Godesberg 1964, 50).

Das Wort „Schriftsteller“ wird hier zum ersten Mal durch Dichter ersetzt. Kunze erfuhr in der Begegnung mit Skácel seine poetische Berufung.

Am 7. November 1989, kurz vor der Wende, schrieb Skácel Kunze einen letzten Brief. Darin stand: „Es scheint, das Eis hat sich bewegt.“ Kurz darauf starb er. Kunze antwortete ihm postum mit dem Gedicht „Wenn du es wissen wolltest“. Darin findet sich der Satz: „Das Eis, mein lieber, ist geborsten.“ Doch das Ende der politischen Eiszeit hat die glazialen Ausläufer in den Herzen der Menschen keineswegs abgeschmolzen. Es ist nicht die Zeit der Nachdenklichkeit, der Besinnung oder der Dankbarkeit gefolgt. Kunze nennt dafür einen Grund: „Die menschen meiden die stille// Sie könnten in sich sonst/ die schuld knien hören“ (gedichte 279). Wieder so ein Kunzewort: die Schuld knien hören. Ein erneuter Beweis dafür: wer Kunze liest, bekommt staunende Augen. Das Staunen teilt er bis heute auch mit den Kindern, für die er immer wieder Gedichte und Kinderbücher verfasst hat – zuletzt „Was macht die Biene auf dem Meer? Gedichte für Kinder“ (Frankfurt a.M. 2011).

 

Im Herzen barfuß sein

 

In seinen Münchner Poetik-Vorlesungen hat Reiner Kunze ein Kapitel mit dem Titel „Über das Nachdichten“ verfasst. Unter Nachdichten versteht er, „ein Gedicht so zu übersetzen, daß es in der Sprache, in die es übersetzt wird, wie ein Original wirkt, und daß dieses dem fremdsprachlichen Original höchstmöglich gleicht. Nachdichten heißt, dasselbe zu schaffen, das ein anderes ist – ein Eigenes, das ein Fremdes bleiben muß“.  Er veranschaulicht das an einem Übersetzungsprozess eines Gedichtes von Jan Skácel.

Kunze kommt schließlich zu folgender Übertragung:

Die laubigen laubfrösche bitten laut/ (der morgen stellt sich häufig taub und blind)/ mit laub auf den stimmen mit zungen betaut/ für alle die im herzen barfuß sind (Das weiße Gedicht, 73)

Die Metapher „Im Herzen barfuß sein“ hat die Alttestamentlerin Ulrike Bail so berührt, dass sie Vers 6 des großen Wallfahrtspsalms 84 folgendermaßen übersetzt hat: „Wohl denen, deren Stärke in dir gründet/die in ihrem Herzen barfuß zu dir unterwegs sind.“ Sie habe lange nach diesem poetischen Sprachbild gesucht, die wörtliche Übersetzung „Pilgerwege im Herzen haben“ sei ihr zu  konventionell gewesen und viel zu binnenkirchlich.

Als ich Reiner Kunze schrieb, dass sein Freund Jan Skácel nun zu biblischen Ehren aufgestiegen sei, antwortete er sehr verhalten. Er begriff sofort die Ambivalenz dieser Ehre: „So geehrt und ab sofort in der Gefahr, dieses geniale Bild der Bibel entlehnt zu haben. Aber er würde nur seine Rabenflügelbrauen zusammenziehen und in sich hineinlächeln.“ (Brief vom 22. Dezember 2005)

Nicht immer also sind Poeten beglückt, wenn ihre Bilder kirchlich vereinnahmt werden oder gar in einer Bibelübersetzung auftauchen. Sie befürchten eine Enteignung des eigenen Einfalls. Reiner Kunze hat seinem mährischen Dichterfreund Jan Skácel das Gedicht „Dichter sein“ gewidmet. Es formuliert seine eigene Poetik genauso wie die seines Freundes:

DICHTER SEIN

Entlang dem staunen/siedelt das gedicht, da/gehn wir hin// Von niemandem gezwungen sein, im brot/anderes zu loben/als das brot  (gedichte, 206f.)

Das Gedicht hat also einen Wohnort: entlang dem Staunen.

 

Eine nichtpossessive Sprache für Gott: der Himmel

 

Reiner Kunze sagt von sich selber immer wieder, ihm sei keine Gotteserfahrung zuteil geworden. „Ich achte den Glauben anderer, mir selbst aber ist Gotteserfahrung bis heute nicht zuteil geworden. Sollten Sie allerdings darin, daß ich für jedes Erwachen dankbar bin, auch wenn ich nicht weiß, wem, ein religiöses Empfinden erblicken, so habe ich dagegen nichts einzuwenden.“– so in einem Gespräch mit der Herderkorrespondenz 1987 (Wo Freiheit ist, 96).

Sein Gewährsmann in diesen Fragen ist kein Geringerer als Albert Camus. Dieser hatte im Dominikanerkloster von Latour-Maubourg 1948 einen Vortrag gehalten, in dem er fast mit den gleichen Worten auf die Gottesfrage reagierte. Er stellte fest, „daß ich mich nicht in Besitz irgendeiner absoluten Wahrheit oder einer Botschaft fühle und deshalb niemals vom Grundsatz ausgehen werde, die christliche Wahrheit sei eine Illusion, sondern nur von der Tatsache, daß ich ihrer nicht teilhaftig zu werden vermochte… Ich werde also nicht versuchen, mich vor Ihnen als Christ zu gebärden.“ Zurückhaltung und Respekt sind auch die Haltungen Kunzes gegenüber dem Glauben.

Berührungen mit der Religion gab es durchaus in der Kindheit Kunzes: „Mein Großvater, ein Steinkohlebergmann, der über vierzig Jahre unter Tag gearbeitet hat, war ein gläubiger Mensch, und ich habe ihn geliebt. Ich habe ihn nie in die Kirche gehen sehen, aber ich sehe ihn noch heute am Fenster sitzen und pfeiferauchend die Bibel lesen. Der Himmel war für ihn ein Geheimnis, das ihn überwältigte und dem er sich demütig zu nähern suchte.“ Ein Sonnenstrahl auf seinem Brot – er arbeitete als Bergmann unter Tag – konnte ihn mit Dankbarkeit erfüllen. Und als der Enkel einmal eine Kuh mit einem Stock schlug, sagte der Großvater nur: „Du musst mit ihr reden“, als spräche der heilige Franziskus aus ihm. Eines Tages aber habe ihm eine Frau ein Buch mit Höllendarstellungen gezeigt und er habe entsetzt ausgerufen, das könne es nicht geben. „Vielleicht verließen mich an diesem Tag mit dem Teufel auch die Engel.“ Der Himmel wurde ihm vergällt.

Dass seine Poesie durchaus von Engeln und himmlischen Mächten bevölkert ist, zeigt sein Gedicht „ Zuflucht noch hinter der Zuflucht“:

 

ZUFLUCHT NOCH HINTER DER ZUFLUCHT

          Für Peter Huchel

Hier tritt ungebeten nur der wind durchs tor

Hier
ruft nur gott an

Unzählige leitungen läßt er legen
vom himmel zur erde

Vom dach des leeren kuhstalls
aufs dach des leeren schafstalls
schrillt aus hölzerner rinne
der regenstrahl

Was machst du, fragt gott

Herr, sag ich, es
regnet, was
soll man tun

Und seine antwort wächst
grün durch alle fenster   (gedichte, 130)

 

Das Gedicht „Zuflucht noch hinter der Zuflucht“ ist das letzte im Gedichtband „zimmerlautstärke“, der 1972 erschienen ist (Das vorletzte ist Auf dich im blauen Mantel: das blaue Komma, das Sinn gibt). In dieser Zeit lebte Reiner Kunze in Greiz in Thüringen. Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Prag 1968 befand er sich unter ständiger Kontrolle – er  hatte gegen den Einmarsch eindeutig Stellung bezogen. Er suchte, da für ihn Gefahr bestand verhaftet zu werden, Unterschlupf in einem Pfarrhaus und lebte dort versteckt. In dem Gedicht „Pfarrhaus“ hat er sich auf dieses Versteck bezogen:

 

PFARRHAUS

            Für pfarrer W.

Wer da bedrängt ist findet
mauern, ein
dach und

muß nicht beten (gedichte, 118)

 

Im Gespräch mit mir für die Zeitschrift „Lebendige Seelsorge“ äußerte er sich zu den Hintergründen des Gedichtes so: „Um mich vor einer Verhaftung zu bewahren, vermittelte mich der Superintendent von Greiz, von Frommannshausen, zu dem uns unbekannten Pfarrerehepaar Margot und Hans-Joachim Wuth in Ponitz, das mich mehrere Wochen versteckte. Nicht einmal meine Frau wusste, wo ich war, Sie wusste nur, ich war behütet. In diesem Pfarrhaus war ich angenommen ohne eine Frage nach meinem Glauben oder Nichtglauben.“

Der innere Monolog im Gedicht Zuflucht noch hinter der Zuflucht verleiht dem Versteck geradezu göttliche Attribute: Man muss nichts leisten, nichts tun und erfährt in aller Bedrohtheit doch ein Gefühl des Schutzes. Der niederprasselnde Regen, seine schrillen Töne – eigentlich eine Störung im Schreiben –, sie werden zum Segen.

 

Poesie als Leerstelle

 

Poesie ist die gestaltete Leerstelle für eine Wirklichkeit jenseits aller sichtbaren Wirklichkeit.

Vielleicht wird gerade an diesem Gedicht deutlich, dass das Schreiben Kunzes Resonanzen auf Transzendentes aufweist. Allerdings verbirgt sich dahinter kein ausformulierter Glaube, sondern eher ein Staunen, ein Gefühl der Dankbarkeit und der Kongruenz von Ethos und Leben. Michel de Certeau hat einen solchen Glauben als „GlaubensSchwachheit“ umschrieben. Das ist kein defizitärer Glaube, sondern eine starke Resonanz auf alles, was größer ist als ich selber. Kunzes Poesie ist eine Poesie mit offenem Himmel. Zwei Gedichten hat Kunze den Titel „Der Himmel“ vorangestellt: einem gleichnamigen Gedicht „Der Himmel“ und dem zweiten mit der Überschrift „Dann“:

 

Der Himmel

 

Schirm der schirme, geschmückt
mit vogelzügen

Stück für stück
trennen wir heraus
aus der blauen seide  (Reiner Kunze, gedichte, Frankfurt a. M. 2001, 282)

 

Der Himmel gehört zur Alltagssprache. Wir schauen auf zum Himmel, leben unter ihm wie unter einem Schirm. Wir kennen auch himmlische Erfahrungen, bei denen wir etwas herausschneiden aus der blauen Seide des Himmels. Dieser schönen Vorstellung wird ein „Dann“ entgegengesetzt:

 

Dann

 

Eines tages wird uns in der seele frösteln,
und die landschaft wird uns zu knapp sein,
um sie zusammenzuziehen
über der brust

Dann werden wir die säume abgreifen,
ob etwas eingeschlagen ist (Ebd. 283)

 

Der Himmel auf Erden, der durch das Herausschneiden aus der blauen Seide schon jetzt erfahrbar wird, wird mit dem „eines tages“ kontrastiert: die Erfahrung einer Krise, einer seelischen Not scheint angesprochen, alles Erfahrene, mag es noch so schön und überwältigend gewesen sein, wird in diesem Augenblick zu eng, zu knapp, zu wenig: man greift den Saum der Decke aller Erfahrungen ab, ob noch etwas eingeschlagen ist, das gerade jetzt wärmt und zudeckt über alles bisher Erfahrene hinaus.

Der „fromme Atheist“ Reiner Kunze findet Bilder für den Himmel, die nach aller Religionskritik neu möglich sind. Der Himmel wird nicht wie bei Heinrich Heine den Engeln und den Spatzen überlassen, sondern vom Menschen angeeignet. Dabei ist die Unterscheidung von „sky“ und „heaven“ nicht unwichtig. Der Himmel als „sky“ ist geziert mit Vogelzügen, der Himmel als „heaven“ bleibt eine für den Menschen unverzichtbare Imagination, in die er nicht nur seine Erfahrungen hineinliest, sondern auch seine Transzendenzen herausschneidet.

Charles Taylor hat in seiner magistralen Studie „Ein säkulares Zeitalter“ (Frankfurt a. M. 2009) die Entzauberung einer einst verzauberten Welt beschrieben, den Weg vom porösen Selbst der verzauberten Welt zum abgepufferten Selbst der Neuzeit. Die säkulare Zeit ist zu einem stahlharten Gehäuse geworden. Früher war die säkulare Zeit aufgesprengt durch eine höhere Zeit: illud tempus nannte man sie im Lateinischen. „Sie sammelten normale Zeit, sie versammelten sie, ordneten sie neu und unterbrachen sie.“ (101) Der Satz In illo tempore vor jeder Evangeliumsperikope bedeutete nichts anderes als ein Gleichzeitigwerden mit der Zeit Jesu. Heute sind wir nur noch unsere Zeitgenossen. Taylor prognostiziert, dass die Immanenzatmosphäre neu die Sehnsucht nach Erfahrungen jenseits unserer Grenzen ausprägen wird. Es wird zum Überschreiten des „gepufferten Selbst“ kommen. Es wird uns in der Seele frösteln – um es mit der Sprache von Reiner Kunze auszudrücken – und wir werden die Säume abgreifen, ob etwas eingeschlagen ist.

 

Kunze und die Lyrik

 

Was ein Gedicht vermag, hat Kunze in seiner Dankrede zur Verleihung des Hanns-Martin-Schleyer-Preises am 14. Mai 1991 ausgesprochen. Er nahm sich dabei das Gedicht „Die Wasseramsel“ von Christina Busta zu Hilfe:

 

Die Wasseramsel

Nur einmal
hat sich die wasseramsel gezeigt.
Es strahlte
das Weiß an ihrer Brust.

Wo sie hinabgetaucht ist,
kann uns der Fluß
nie wieder dunkel werden (Unterwegs zu älteren Formen. Gedichte, Salzburg 1965)

 

Wo ein Gedicht in uns hinabgetaucht ist wie dieses, kann uns die Seele nie wieder dunkel werden. Das Gedicht vermittelt einen Schauder, der uns dem Leben in die Arme treibt.

Das Gedicht ist Fassung eines erlebten Augenblicks und verleiht ihm Dauer. Wer mit Gedichten lebt, lebt reicher. Das poetische Bild ist eine Verschränkung von Wirklichkeiten, die im Leben nie zusammenkämen. Das Gedicht ist auf existentielle Wahrheit aus: Gedicht und Lüge schließen sich aus. Was ein Gedicht zu bewirken vermag, ist ein Fast-Nichts. Diese Ohnmacht ist seine Kraft. Die Absichtslosigkeit ist seine Absicht: ein Paradox. Unter äußerem Druck entsteht kein Gedicht. Es entsteht in einem anderen Auftrag. Das hat Reiner Kunze Marcel Reich-Ranicki zu verstehen gegeben:

 

Apfel für M.R.-R.

Ich finde, es ist höchste Zeit, daß es wieder etwas

Neues von Ihnen zu lesen gibt.

(M.R.-R., brief vom 12. dezember 1978)

 

Bitte, lassen Sie von sich hören und schicken Sie

mir Manuskripte, denn es ist ja nun höchste Zeit,

daß es in unserer Zeitung etwas von Ihnen zu

lesen gibt.

(M. R.-R., brief von 29. mai 1980)

 

Höchste zeit kommt von innen

 

Höchste zeit ist, wenn die kerne
schön schwarz sind

Und das weiß zuerst
der baum (Reiner Kunze, gedichte, Frankfurt a. M. 2001, 185)

 

Gedichte brauchen Zeit, Eigen-zeit, Reifungs-zeit. Deshalb hat es 11 Jahre gedauert bis zum nächsten Gedichtband von Kunze, der im Juli erscheinen wird. Kunze ist natürlich zurückhaltend, dazu Näheres zu sagen. Als ich ihn einmal vor einer Lesung anfragen wollte, ob er schon wisse, was er lesen werde, schrieb er mir sibyllinisch: „Wüßte ich nicht, was ich lesen werde, wäre es um meinen Nachtschlaf geschehen. Die Texte sitzen wie Hühner auf der Stange. Aber der Stallschieber wird erst bei der Lesung hochgezogen“. So ist es auch mit dem neuen Gedichtband. Wir kennen aus dem neuen Lyrikband nur einige Gedichte, die Kunze in der Neuen Rundschau veröffentlicht hat unter dem Titel „Ukrainische Nacht“. Es finden sich darin Reminiszenzen an Cernowitz, an Paul Celan, Rose Ausländer sowie an Selma Meerbaum-Eisinger. Ein weiteres Gedicht kann ich Ihnen allerdings noch verraten, Kunze hat es mir zum 65. Geburtstag vor zwei Jahren gewidmet:

In einer Karte vom 27. März 2018 schrieb mir Reiner Kunze: „Auf den Rest Himmel müssen Sie noch bis Juli warten. Er wird mit der Post kommen.
Sehr, sehr herzlich
Ihr Reiner Kunze.“

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I.   Als Kronprinz Ludwig mit dem Sammeln antiker Kunst begann, hatte die Wirkung Winckelmanns ihren Zenit bereits überschritten: Sein Freiheitspathos war von den Folgeentwicklungen der Französischen Revolution kompromittiert, sein aufgeklärter Deismus wurde von einer empfindsamen Frömmigkeit abgelöst, und mit der griechischen Kunst als Vorbild begannen die altdeutsche, altflämische und altitalienische als gleichursprüngliche zu konkurrieren.…
I.   Denkmäler sind in aller Regel gesellschaftliche und soziale Orte, sie ziehen Menschen an. Sie eignen sich denn auch besonders gut als Treffpunkte, denn sie stehen in der Regel im Weg, man muss ihnen – wie es Robert Musil so treffend formuliert hat – „täglich ausweichen“. Man „würde augenblicklich verwirrt stehen bleiben, wenn sie…
Am 4. Oktober 1770 erließ der bayerische Kurfürsten Max III. Joseph (reg. 1745-1777) ein Generalmandat in puncto concurrentiae zu den Kirchen- und Pfarrhöfbau. Der zwölfseitige Erlass wurde unter der Regie des kurfürstlichen geistlichen Rats in München erstellt, einer landesfürstlichen Behörde, die den Gesamtkomplex der Beziehungen zwischen Staat und Kirche im Kurfürstentum Bayern zu administrieren hatte.…
Ist Winckelmanns Kunstideal ein klassisches?   Johann Joachim Winckelmanns hat sein Kunstideal bekanntlich in der klassischen Epoche Griechenlands als verwirklicht angesehen. Sollte da nicht angenommen werden, es sei auch seine bekannte Formulierung dieses Ideals – das vielzitierte Wort von der „edlen Einfalt und stillen Größe“ wahrer Kunst – ganz im Geist des alten Hellas gesprochen?…
Kein Archäologe hat jemals eine so breite Wertschätzung erfahren wie Johann Joachim Winckelmann, der Sohn eines Flickschusters aus Stendal. Das kommt schon in Goethes Schrift Winckelmann und sein Jahrhundert von 1805 zum Ausdruck, wonach in Winckelmann ein neues Kunstideal und die Wissenschaftsauffassung eines ganzen Saeculums kulminierten. Anlässlich der Einweihung einer kolossalen Büste, die er bei…

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