Does the future of man lie in technology?

Die digitale Aufrüstung des Gehirns

As part of the event "Digital upgrade of the brain", 09.07.2019

Technik als eschatologische Kategorie?

 

Technik gehört zur Kulturgeschichte der Menschheit untrennbar hinzu. Vielfach hat der technische Fortschritt über wirtschaftlichen Erfolg und den Ausgang von Kriegen entschieden, aber auch kulturelle und künstlerische Entwicklungen motiviert und ermöglicht. Dabei war implizit oder explizit immer klar, dass Technik nichts weiter als Mittel zu Zwecken sein kann, die von Menschen gesetzt werden. Technik soll in der Abwicklung von Lebensvollzügen behilflich sein, die Arbeit erleichtern, Wohlstand und Mobilität befördern, Gesundheit steigern und das Leben sicherer machen. So werden auch in der Gegenwart, wenn es um die Förderung von Technik und Innovation mit öffentlichen Mitteln geht, verbesserte Umwelteigenschaften, Klimaverträglichkeit, Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, verbesserte Gesundheit, Steigerung des Komforts und andere gewünschte Ziele genannt, zu denen neue Technik geeignete Mittel bereitstellen soll.

Nun hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten neben diesem wohlvertrauten Blick auf Technik eine radikal andere Perspektive entwickelt. Darin geht es nicht um Technik als Mittel zur Lebenserleichterung von Menschen, sondern um die mögliche, von manchen befürchtete und von anderen erhoffte Ablösung des Menschen durch Technik. Insbesondere amerikanische Futuristen wie Ray Kurzweil, die Bewegung des Transhumanismus und einige Digitalvisionäre aus dem Silicon Valley kehren den Blickwinkel um: Technik wird vom dienenden Mittel zum eigentlichen Zweck. Indem sie die Herausbildung einer technisch perfekten Zivilisation durch technischen Fortschritt als Ziel der Geschichte ansehen, laden sie Technik teleologisch auf. Einige erhöhen Technik sogar zu einer eschatologischen Kategorie, von der Erlösung von den Defiziten menschlicher Existenz erwartet wird. Zwei Wellen in dieser Entwicklung lassen sich unterscheiden.

  • Seit etwa zwanzig Jahren wird kontrovers zur technischen Verbesserung des Menschen (Human Enhancement) diskutiert. Weitreichende Visionen von der technischen Aufrüstung und Umgestaltung des menschlichen Körpers und Geistes, aber auch der weitgehenden Abschaffung des Todes und der Verschmelzung von Mensch und Maschine wurden verbreitet (Teil 2). Dadurch werde es, so einige Autoren, der Menschheit endlich möglich, die physischen, kognitiven wie auch moralischen Defizite des Menschen mit eigener Kompetenz und Technik zu überwinden und dadurch eine als besser angesehene zukünftige technische Zivilisation zu erzeugen. Allmählich solle auf diese Weise die menschliche in eine technische Zivilisation übergehen, der dann die Gestaltung der weiteren Evolution obliege. Die Titelfrage, ob die Zukunft des Menschen in Technik liege, wird hier klar mit ja beantwortet.
  • In der zweiten und jüngeren Welle lautet diese Antwort ebenfalls ja, allerdings auf eine andere Weise. Danach liegt die Zukunft des Menschen nicht in seiner allmählichen technischen Aufrüstung, sondern in seiner Ersetzung durch von Menschen selbst geschaffene Technik. Durch Digitalisierung, Algorithmen, Künstliche Intelligenz und Roboter soll Technik Fähigkeiten erwerben, die denen der Menschen immer stärker überlegen sind, so dass Menschen einfach überflüssig werden. Das Gefühl einer schon bestehenden und sich weiter verschärfenden Unterlegenheit des Menschen gegenüber digitaler Technik hat sich in Massenmedien und Teilen der Bevölkerung bereits weitgehend durchgesetzt. Die Protagonisten dieser Entwicklung sehen das jedoch nicht mit Sorge, sondern positiv als Ziel der Geschichte (Teil 3).

In diesem Beitrag möchte ich nach der Erläuterung dieser beiden Diskussionsstränge auf ihre technikphilosophischen und anthropologischen Hintergründe und Prämissen eingehen. Im Zentrum steht nach meiner Analyse das Bild vom Menschen in Kombination mit einer Überhöhung des technischen Fortschritts: wer sind wir, wer wollen wir sein und wie ist unser Verhältnis zu Technik? Die Befürworter einer technischen Aufrüstung oder einer zukünftigen Verabschiedung des Menschen zugunsten der Technik arbeiten zumeist mit negativen Menschenbildern zur Untermauerung ihrer Position (Teil 4). Daher sei das Ende des Menschen in Technik nicht zu befürchten, sondern zu begrüßen: als eine Art Erlösung aus der begrenzten, verletzlichen, moralisch oft defizitären und letztlich dem Tod verfallenen menschlichen Natur. Diese wird dem alle Negativerfahrungen ausblendenden Blick auf den technischen Fortschritt zugetraut (Teil 5). Die eschatologische Überhöhung von und die Erlösungserwartung an den technischen Fortschritt attackieren unmittelbar das ureigene Gebiet von Religionen.

 

Die „technische Verbesserung“ des Menschen

 

Die Unzufriedenheit des Menschen mit sich selbst dürfte so alt wie die Menschheit selbst sein. Sie erstreckt sich auf die individuelle Ebene, etwa die sportliche Leistungsfähigkeit, das Gedächtnis oder das Aussehen betreffend, aber auch auf die Bewältigung kollektiver Herausforderungen, wenn etwa mangelnde Friedensfähigkeit, Ausbeutung und die Unfähigkeit zu einem vorsorgenden Klimahandeln beklagt werden. Um Menschen „besser“ zu machen, wurden viele kulturell unterschiedliche Ansätze entwickelt und umgesetzt, so etwa in der Europäischen Aufklärung mit Betonung auf Bildung oder in vielen Religionen in Form von Bemühungen um maßvollen Lebenswandel, Solidarität und Frieden.

Es ist nicht überraschend, dass in einer vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt geprägten Zeit eine technische Verbesserung des Menschen zum Thema wird. Manches ist im Alltag bereits angekommen, so beispielsweise Schönheitschirurgie zur Verbesserung des Aussehens und, ethisch zwar nicht legitim, aber dennoch weit verbreitet, Doping im Sport durch Medikamente. Die Visionäre haben jedoch seit knapp zwanzig Jahren anderes im Blick, in der Hoffnung auf neue technische Entwicklungen aus Nanotechnologie, Biotechnik, Digitaltechnik und Hirnforschung.

Die technische Verbesserung des Menschen auf der Ebene individueller Fähigkeiten soll sensorische, motorische und kognitive Fähigkeiten des Menschen betreffen, beispielsweise die Funktionen des menschlichen Gehirns. Hierzu zählen zum einen die Erweiterung der Speicherfunktion des Gehirns und die Ermöglichung von Sicherheitskopien der im Gehirn gespeicherten Informationen durch einen Brain-Chip. Durch einen Chip, der direkt am Sehnerv angeschlossen werden müsste, könnten möglicherweise alle visuellen Eindrücke in Echtzeit aufgezeichnet, extern abgespeichert und später jederzeit wieder aufgerufen werden. Über geeignete Schnittstellen zwischen Computer und Nervensystem könnten zusätzlich zu Armen und Beinen neue Gliedmaßen an das Nervensystem angeschlossen und direkt vom Gehirn gesteuert werden. Exoskelette, teils schon verfügbar, können die Kraftleistung vorhandener menschlicher Organe massiv verstärken. Für Ausbildungszwecke und bestimmte Berufsgruppen könnte dies eine attraktive Zusatzkompetenz mit sich bringen. In der Umsetzung basiert dieser Typ von Verbesserungen darauf, dass bestimmte Teile des Menschen als technische Funktionen gedeutet, zunächst nachgebaut und sodann über die natürliche Fähigkeit des Menschen hinaus verstärkt oder erweitert werden.

In diesem Sinne handelt es sich um eine technische Aufrüstung des Menschen, die zwar ethische, jedoch keine eschatologischen Fragen aufwirft, verbleibt doch Technik hierbei Mittel zum Zweck. Die eschatologische Aufladung entsteht erst, wenn die heutigen Schritte zur technischen Verbesserung des Menschen teleologisch umgedeutet und als Beginn einer allmählichen Abdankung des Menschen, wie wir ihn kennen, verstanden werden. So ist im Transhumanismus die technische Verbesserung nicht nur erlaubt, sondern geradezu Pflicht, um eine eigenen Defizite zu überwinden. Explizit steht immer wieder Friedrich Nietzsche Pate (Also sprach Zarathustra): Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. […] Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus […] Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und eben das soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. […] Der Übermensch ist der Sinn der Erde.

Das, was Nietzsche noch als Übermensch bezeichnet, würden Vertreter des Transhumanismus in eher technischen Begriffen ausdrücken, die dem Gedanken der Optimierung und Perfektion verpflichtet sind. Evidenter Weise hat dann auch der Tod des Menschen ausgedient: die Verlängerung der menschlichen Lebenszeit bis hin zur kompletten Abschaffung des Todes spielt in der Diskussion über eine Verbesserung des Menschen eine zentrale Rolle. Transhumanisten stellen dem zerbrechlichen und verletzlichen menschlichen Körper die technisch perfektionierten Körper von Robotern entgegen und dem moralisch oft den eigenen Ansprüchen nicht genügenden Menschen eine technisch perfekte Moral, die von Maschinen und Algorithmen „objektiv“ ausgerechnet und umgesetzt werden soll. Die zusehends technische Aufrüstung des Menschen soll letztlich zur Verschmelzung von Mensch und Technik führen und in der Vorstellung ihrer Protagonisten eine perfekte Welt hervorbringen.

 

Ersetzung des Menschen durch Technik

 

Die Digitalisierung hat verschiedene Protagonisten eines Übergangs von der menschlichen zu einer technischen Zivilisation zu noch radikaleren Vorstellungen motiviert. Danach geht es nicht mehr um eine allmähliche Ablösung des Menschen, sondern um seine Ersetzung durch digitale Technik. Basis dieser Vorstellungen ist die mittlerweile weit verbreitete Beobachtung, dass digitale Technik in vielem besser als Menschen ist. Bereits 1995 hat zum ersten Mal ein Schachprogramm den menschlichen Schachweltmeister Boris Kasparow besiegt. In den fast fünfundzwanzig Jahren seitdem hat die digitale Technik rasante Fortschritte gemacht. Algorithmen können vieles dramatisch besser als Menschen, und der Fortschritt geht weiter. Im Umgang mit riesigen Datenmengen kann alles in Sekundenschnelle miteinander verknüpft werden, um Muster zu erkennen. Digitale Technik ist mit der Künstlichen Intelligenz lernfähig geworden. Software, die einen Botenroboter oder ein selbst fahrendes Auto steuert, soll im laufenden Betrieb ständig dazulernen. Die Fähigkeit des Lernens, bisher dem Menschen vorbehalten und wohl zentrale Voraussetzung für seinen Aufstieg zur beherrschenden Kraft auf dem Planeten Erde, kann in Zukunft allmählich auf die digitale Technik übergehen.

Viele Menschen machen sich Sorgen, dass der Mensch gegenüber Robotern, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz letztlich den Kürzeren ziehen könnte, z.B. auf dem Arbeitsmarkt. Verbreitet ist auch die Sorge, dass wir die digitalen Geister, die wir mit guten Absichten gerufen haben, nicht nur nicht wieder loswerden, sondern dass sie uns zu guter Letzt gar die Kontrolle aus der Hand nehmen könnten. Andere jedoch, und hier liegt der Fokus dieses Vortrags, begrüßen diese Entwicklungen. Sie sehen die Mission der Menschheit gerade darin, sich durch technischen Fortschritt überflüssig zu machen. Statt der begrenzten Intelligenz individueller Menschen soll Künstliche Intelligenz auf alle Daten dieser Welt zugreifen können und „optimale“ Entscheidungen treffen. Damit soll sie die Menschen in ihrer Begrenztheit und Borniertheit erlösen und ablösen.

Einzelne Geschichten illustrieren das dahinterstehende Denken. So könnten beispielsweise menschliche durch digitale Lehrer ersetzt werden. Der digitale Lehrer schafft es aufgrund seiner hohen Rechenkapazität, mit dreißig Schülern gleichzeitig zu sprechen, und zwar nicht mit allen dasselbe wie ein menschlicher Lehrer heute, sondern mit jedem individuell. Er hätte Zugang zum weltweit verfügbaren Wissen und wäre damit sozusagen allwissend. Seine Geduld mit jedem einzelnen Schüler wäre grenzenlos, seine Benotung unbestechlich und objektiv.

Analog wird von digitalen Richtern kolportiert, sie hätten in Sekundenbruchteilen Zugriff auf alle Aktenberge der Rechtsgeschichte, alle Prozesse und alle Daten der beteiligten Personen. Sie wären nicht launisch und würde gegenüber den Konfliktparteien weder Sympathie noch Antipathie ausprägen. Stattdessen würden sie unparteiisch und unbestechlich, objektiv und rational dem Recht dienen, ohne irgendeine Ablenkung oder eigene Befindlichkeiten.

Ein drittes Beispiel: ein vom Bundestag ermächtigter KI-gestützter Politik-Automat könnte Zugriff auf alle Daten der Gesellschaft erhalten. Anstehende Probleme könnte er durch die Auswertung dieser Daten anhand vom Bundestag vorgegebener ethischer Leitlinien und gemeinwohlorientierter Entscheidungskriterien analysieren und in wenigen Sekunden die beste aller möglichen Lösungen ausrechnen. Er würde diese Lösung unbestechlich und objektiv in Gesetze und Verordnungen umsetzen.

Diese gerne in Medien verbreiteten Erzählungen sind selbstverständlich zu kritisieren, vor allem will die geschilderten Tätigkeiten der digitalen Lehrer, Richter oder Politiker weit am Wesen von Lehre, Recht und Politik vorbeigehen. Dennoch zeigen sie das Grundmuster: Algorithmen sind bereits heute in vielem besser als Menschen und werden immer besser. In der Extrapolation entsteht die Annahme, dass sie bald in allem besser sein werden. Dann, so die Digitalvisionäre und Transhumanisten, sollten wir abdanken.

Im Rahmen der mit Nick Bostrom und Ray Kurzweil so genannten Großen Singularität käme es zu einer Machtübernahme der Künstlichen Intelligenz und der Ausbildung einer Globalen Superintelligenz, in der die Menschen zu Statisten oder bloß ausführenden Organen würden. Menschen würden der technischen Welt dienen wie in der bekannten Matrix-Trilogie. In der techno-eschatologischen Perspektive wäre das Ende der Menschheit kein Grund zur Klage, sondern Anlass für Freude: mit diesem Übergang hätte die Menschheit ihre evolutionäre Mission erfüllt und dem Sinn der Geschichte Rechnung getragen.

Nun mag dies alles Vielen merkwürdig und kurios, vielleicht gar abseitig erscheinen. Dennoch ist die Resonanz in Medien und Umfragen beträchtlich, so dass es sich m.E. lohnt, diesem Phänomen nachzugehen. Der Kern zum Verständnis der teleologischen und techno-eschatologischen Vorstellungen über die Zukunft liegt, so die These, in einer Kombination aus einseitig zugrunde gelegten Menschenbildern und naiven Annahmen über den technischen Fortschritt. Beide können und müssen mit guten Gründen kritisiert werden, was im Folgenden geschehen soll.

 

Wie über Menschen und Algorithmen geredet wird

 

Menschenbilder zeigen sich darin, wie über Menschen gedacht und geredet wird. Oben wurden die Beispiele der Berufe Lehrer, Richter und Politiker genannt, zu denen Ersetzungsgeschichten durch digitale Technik und Künstliche Intelligenz kursieren. Die menschlichen Vertreter dieser Berufe kommen dabei implizit oder auch gelegentlich explizit alles andere als gut weg. Sie werden als egoistisch, ungerecht und korrupt dargestellt, als rasch müde und unkonzentriert, als launenhaft, subjektiv, aggressiv, wankelmütig und inkonsequent, als bequem bis faul, mit einem schwachen und störanfälligen Körper und Geist. Politiker beispielsweise gelten unter vielen Digitalvisionären als machtbesessen aber wenig kompetent. Danach ordnen sie ihrem Stolz und Ehrgeiz oft alles andere unter, statt sachdienliche und gemeinwohlorientierte Entscheidungen zu treffen.

Über Algorithmen und Roboter hingegen wird ganz anders, nämlich im Lichte technischer Perfektion gesprochen. Algorithmen seien objektiv, allwissend und unbestechlich ihrem Auftrag verpflichtet, Roboter nimmermüde und immer dienstbereit, so z.B. in der Werbung für den bekannten in der Kundenbetreuung und als Unterhalter einsamer Menschen einsetzbaren Roboter Pepper. Roboter und Algorithmen haben keine Eigeninteressen und Befindlichkeiten, die immer wieder z.B. die Objektivität und Neutralität von Lehrern, Richtern oder Politikern stören.

Sie werden mit Attributen als bessere, ja ideale Menschen dargestellt, indem ihnen die Stärken zugeschrieben werden, die man sich von guten Lehrern, Richtern und Politikern wünscht. Schwächen haben sie angeblich nicht oder wenigstens in Zukunft nicht, denn diese werden ihnen wegprogrammiert, oder sie sorgen lernend selbst dafür, dass sie verschwinden. In dieser Sichtweise erscheint es in gewisser Weise gar nicht so abwegig, sondern fast plausibel, die Selbstabschaffung des Menschen nicht nur für möglich zu halten, sondern sie aktiv zu fordern und darauf hinzuarbeiten. Eschatologisch bedeutet das, den Staffelstab der Geschichte an unsere digitalen Kinder weiterzugeben. Nicht nur wir würden dann von unseren individuellen Schwächen erlöst, sondern die Zivilisation von den Schwächen der Menschen generell.

Was ist von diesem Gedankengang zu halten? Zunächst ist ihm phänomenologische Evidenz nicht völlig abzusprechen. Es kommt immer wieder vor, dass Lehrer, Richter und Politiker, aber wohl auch jeder Mensch einmal Schwäche zeigt, den Anforderungen und Erwartungen nicht entspricht oder auch systematisch Missbrauch mit Macht und Einfluss betreibt. Die Techno-Optimisten erwischen hier die Menschen kalt: in der menschlich organisierten Welt gelingt vieles nicht gut bis katastrophal schlecht. Perfektion ist keine menschliche Stärke.

Der Fehler im Gedanken liegt jedoch an anderer Stelle. Es werden nämlich Algorithmen und Roboter auf der einen und Menschen auf der anderen Seite über den gleichen Leisten geschlagen. Sie werden auf der gleichen Ebene in Bezug auf ihre Leistungen verglichen, nämlich als Maschinen. Der Vergleich wird vorgenommen wie der zwischen zwei Autos mit einer endlichen Zahl an Leistungsparametern. Er funktioniert nur, wenn der Mensch als eine digitale Maschine, als eine Art Computer auf zwei Beinen betrachtet wird.

In dieser Denkweise kann man wie beim Quartettspielen die einzelnen Leistungsmerkmale nach weiter, höher, schneller, stärker etc. vergleichen. Und dann ist das Ergebnis klar: als digitale Maschinen sind Menschen selbstverständlich den digitalen Techniken unterlegen, die für bestimmte Zwecke optimiert sind, z.B. bereits einem Taschenrechner, geschweige denn Computern und Apps, die von Künstlicher Intelligenz gesteuert werden. Im technischen Fortschritt wird diese Entwicklung weitergehen. Es ist gut möglich, dass alles, was wir unter dem Aspekt eines technischen Vergleichs anschauen, irgendwann von Algorithmen und Robotern besser gemacht werden kann als von Menschen.

Die Frage ist aber, ob und inwiefern ein Vergleich zwischen Menschen und Digitaltechnik nach technischen Leistungskriterien legitim ist, wie erschöpfend er ist und wie weit die Schlüsse reichen, die aus ihm gezogen werden können. Das ist nur eine komplizierte Formulierung für die Frage, ob denn der Mensch eine Maschine und nichts weiter als eine Maschine ist. Wenn ja, hätten die Techno-Optimisten Recht, denn unter dem Ideal technischer Perfektion haben Menschen immer schon verloren. Denn dabei werden genau die Eigenschaften, die uns gemäß der menschlichen Ideengeschichte ausmachen, ausgeblendet. Der negative Blick auf uns selbst ist vorprogrammiert, der eschatologische Blick auf Technik als die Zukunft des Menschen die logische Folge.

Schon die Frage, wer besser ist, Mensch oder Algorithmus, ist eine technische Frage. Nicht-technisch am Menschen ist genau das, wo dieser Leistungsvergleich keinen Sinn macht. Ein Ethik-Algorithmus beispielsweise würde am Wesen der Ethik vorbeigehen, weil er die Unterscheidung von Sein und Sollen nicht reflektiert, ein KI-gestützter automatischer Richter würde das Wesen des Rechts verfehlen, das gerade nicht im Exekutieren von Regeln besteht, sondern im sorgsamen Abwägen, um dem Einzelfall im Angesicht der Regeln gerecht zu werden.

Digitale Technik kann auch keine Bedeutungsdebatten zu komplexen Begriffen wie Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit führen, keine visionären oder utopischen Zukünfte entwerfen und nicht dem adäquaten Sinnverstehen von Menschen oder Kontexten hermeneutisch und empathisch nachspüren. In diesen Feldern würde jeder Vergleich, ob digitale Technik oder Menschen besser sind, keinen Erkenntnisgewinn bringen, sondern die Selbstaufgabe genuin menschlicher und technisch nicht ersetzbarer Felder implizieren. Dies gilt analog für menschliche Bereiche wie Liebe, Zuneigung, Vertrauen und Solidarität. Romantik, Poesie und Natursehnsucht sind weitere Bereiche, deren Wesen zerstört würde, wenn sie technisiert würden. Die Frage nach dem Nicht-Technischen am Menschen ist die zentrale Herausforderung und Provokation der Digitalisierung.

 

Technik als Erlösung?

 

Das Motiv der Erlösung durch Technik taucht seit dem späten neunzehnten Jahrhundert immer wieder auf, gelegentlich verbunden mit der Bezeichnung der Ingenieure als Priester des technischen Zeitalters. Heute gelten digitale Visionäre als Gurus und Propheten der Zukunft. Gelegentlich werden neue digitale Geräte wie in einer religiösen Liturgie in einem tempelartigen Ambiente vorgestellt, wobei ihre Protagonisten mit dem Gestus eines Messias auftreten, der den wartenden Gläubigen die erlösende Technik bringt.

Erlösung durch Technik hätte, wenn sie denn gelingen würde, für Viele einen großen Vorteil: die Menschen könnten sie selbst machen. Dass Erlösung abhängig von der Gnade eines Gottes sein soll, passt nicht zum erfolgsverwöhnten Homo Faber, der seine Dinge selbst in die Hand nimmt. Mit digitaler Technik, so manche Visionäre der Digitalisierung, könnten Menschen selbst eine Art Paradies schaffen. Freilich, betrachtet man die Geschichte der Technik, so ist ein mehr als kritischer Blick auf diese Perspektive angesagt. Wenigstens einige Kritikpunkte seien hier genannt.

(1) Der technische Fortschritt bringt, so die Erfahrung zumindest der letzten zweihundert Jahre, weder Paradies noch Erlösung, sondern neben den gewünschten auch jede Menge nicht intendierter Folgen. Die versprochenen Wohltaten der Technik, die ich auch meist sehr schätze, waren und sind in der Regel begleitet von Illusionen und Risiken, Ideologien und Blindheiten. Mehr als deutlich hat sich die Ambivalenz der Technik im Auftreten nicht intendierter und oft auch unvorhergesehener Nebenfolgen gezeigt, wovon Klimawandel und Biodiversitätsverlust, Ressourcenverschwendung und Technikmissbrauch neben vielen anderen Effekten Zeugnis ablegen. Fast zynisch wird gelegentlich sogar gesagt, wir bräuchten weiteren technischen Fortschritt vor allem deswegen, um mit den ungewollten Folgen der älteren Technik fertig zu werden – wobei dann neue nicht intendierte Folgen zu erwarten sind. Wer behauptet, technischer Fortschritt führe zu Paradies und Erlösung, muss sagen, auf welche Weise die evidente Ambivalenz von Technik ausgeschaltet oder überwunden werden soll. Dazu gibt es jedoch keine Hinweise.

(2) Der eschatologische Blick auf Technik operiert mit dem Ideal technischer Perfektion, unter dem digitale Technik dem Menschen überlegen sei. Die Tatsache, dass digitale Technik, etwa ein Schachcomputer, besser als Menschen ist, ist jedoch kein Grund zur Besorgnis, sondern trivial. Denn jede Technik ist in bestimmter Hinsicht besser als Menschen. Die Menschheitsgeschichte ist voll von technischen Erfindungen, die etwas können, was der Mensch ohne Technik nicht oder nicht so gut kann: die Eisenverhüttung, die Bewegung schwerer Lasten mit Kränen, der Transport großer Gütermengen mit der Eisenbahn, die Überwindung weiter Entfernungen im Auto, das schnelle Rechnen mit Computern oder die präzise Einsetzung einer neuen Hüfte. Der technische Fortschritt zielt darauf, Technik zu entwickeln, die manches besser kann als wir, sonst bräuchten wir sie nicht. Das Argument, der digitalen Technik gehöre die Zukunft, weil sie besser ist, ist ähnlich zur Aussage, die Zukunft gehöre dem Spaten, weil man damit besser Löcher graben kann als mit der menschlichen Hand. Aus einer Trivialität wird eine geschichtsphilosophische Dimension gezaubert.

(3) Der Sog zur technischen Perfektion – die nach (1) selbst ideologisch wider alle Erfahrung steht – wird gestützt durch den technikdeterministischen Blick auf technischen Fortschritt, als wohne ihm eine geheimnisvolle evolutionäre Kraft inne. So dominiert in der öffentlichen Debatte der Eindruck einer eigendynamischen Entwicklung der Digitalisierung, die wie ein Zug mit hoher Geschwindigkeit fahre, den man weder aufhalten noch in seiner Richtung beeinflussen könne. Dabei wird etwas eigentlich Triviales ignoriert: Technik und Innovationen müssen von Menschen gemacht werden. Jede einzelne Zeile eines Programmcodes wird von Menschen geschrieben. Software läuft auf Hardware, die ebenfalls von Menschen angefertigt wird. Algorithmen, Roboter, digitale Dienstleistungen, Geschäftsmodelle für digitale Plattformen oder Einsatzgebiete für Dienstleistungsroboter werden von Menschen erfunden, entworfen, hergestellt und eingesetzt. Suchmaschinen, Big-Data-Technologien und Social media, sie alle sind von Menschen entworfen und umgesetzt. Diese Menschen, die Macher der Digitalisierung, arbeiten in der Regel in Unternehmen, Institutionen oder Geheimdiensten und verfolgen bestimmte Werte, haben Einschätzungen und Interessen, folgen einer Unternehmensstrategie, politischen Vorgaben, militärischen Erwägungen etc. Keine geheimnisvolle teleologische Kraft treibt den technischen Fortschritt, sondern Interessen unterschiedlicher, aber jedenfalls sehr menschlicher Art.

(4) Schließlich erklärt sich ein Teil der Faszination der digitalen Technik bzw. genauso der Verunsicherung durch sie durch ihre Vermenschlichung in der Sprache, in der über sie geredet wird. So wird davon gesprochen, dass Roboter denken und planen, dass Künstliche Intelligenz Entscheidungen trifft oder dass Algorithmen lernen. Am deutlichsten wird das vielleicht in der von den Medien gerne gestellten Frage, ob Bordcomputer in autonomen Autos oder Drohnen über Leben und Tod entscheiden dürfen. Bei näherem Hinsehen jedoch wird klar: die Algorithmen, Drohnen und Roboter denken und handeln nicht, sie bewerten und entscheiden nicht. Sondern sie spulen Rechenprogramme ab und werten damit Daten aus, denen wir über eine anthropomorphe Sprache die Dignität und Aura des Menschen zuschreiben. Dabei sind diese Rechenprogramme von Menschen gemacht (s.o.), als Mittel zu bestimmten Zwecken.

Die vorgebrachten Kritikpunkte geben mehr als genug Munition her, techno-eschatologischen Phantasien mit guten Gründen entgegen zu treten. Schon einige technikbasierte Erlösungsgeschichten wurden erzählt, ohne dass die Erlösung dann eingetreten ist. Sicher hat der Verlust religiöser Bindungen ein Vakuum hinterlassen, in das unter anderem die technischen Visionen vorstoßen. Wie wir zu Erlösung stehen, ob wir sie benötigen, erwarten oder die Hoffnung darauf begraben, bleibt aber eine Sache von Glauben oder Unglauben. Erlösung durch Technik ist eine Illusion.

Stattdessen bleibt Technik ein Mittel zu Zwecken, die Menschen setzen. Entsprechend ist digitale Technik keine Konkurrenz für Menschen und ihre Zukunft, sondern Mittel zum Zweck der guten Gestaltung der analogen Welt. Entscheidend ist allerdings, dass diese Sichtweise verbreitet und geteilt wird, den kommunikativen Hypes zum Trotz. Hier haben Religionen und Kirchen eine wichtige Funktion jenseits der engeren ethischen Debatten zu diesem oder jenem konkreten Technikfeld. Und sie haben einige gute Argumente.

Schließen möchte ich mit einem Zitat. Charlie Chaplins Film Der Große Diktator endet mit einer fulminanten Schlussansprache, in der die Diktatur technischen Denkens angeprangert wird: „Wir haben die Geschwindigkeit entwickelt, aber innerlich sind wir stehen geblieben. Wir lassen Maschinen für uns arbeiten, und sie denken auch für uns. Die Klugheit hat uns hochmütig werden lassen und unser Wissen kalt und hart, wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig, aber zuerst kommt die Menschlichkeit und dann die Maschinen!“

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