Nicht nur Michelangelo

David in der Kunst

As part of the event "Myth David", 15.04.2019

Es gibt nur wenige Personen des Alten Testaments, die im Lauf der Jahrhunderte so bekannt geworden sind wie der alttestamentliche König. Sein bewegtes Leben, seine bewegte Geschichte, in der Freude und Trauer, Liebe und Leidenschaften, Siege und Niederlagen sich abwechseln, spiegelt die Wechselfälle des mensch­lichen Lebens und zog zu allen Zeiten die Aufmerksamkeit der Künstler in Musik, Dichtung und Bildkünsten auf sich. Die Wiedergaben Davids von der Antike bis in die Gegen­­­­wart sind geprägt von den unterschiedlichen Deutungen, die er nicht nur in der Ausle­gungs­ge­schichte der Bibel erfahren hat: den christlichen Theologen galt er als Vorläufer Christi, als Akteur der Heilsgeschichte, andere sahen in ihm eine sinnbildliche politische Figur.

Seine doppelte Wirksamkeit als König und Dichter, seine Doppelrolle als Herrscher und als Poet, dessen Dichtungen die Nachwelt als Vorhersage Christi und seiner Erlösung verstand, konstituierten seinen im Mittelalter üblichen Titel als rex et propheta. Davids Biographie schien freilich nicht immer der ihm von den späteren Theologen zuerkannten Rolle in der Heilsgeschichte gerecht geworden zu sein: Manche Ereignisse seines Lebens konnten nur im Rahmen einer allegorischen Deutung dem System der heilsgeschichtlichen Bibeldeutung integriert werden. Die Darstellungen zu seinem Leben und Wirken illustrieren die Vielfalt der Interpretationen deutlich. Die breite Bildtradition zu David belegt aber auch, wie sehr diese biblische Figur als Exempel für Eigenschaften und Verhaltensweisen wahrgenommen wurde, die jenseits theologischer Argumentation Gültigkeit besaßen.

 

I.

 

Was man von David weiß, geht auf biblische Quellen zurück. In den Königsbüchern, in Chronik, Jesus Sirach und im Psalter ist von David die Rede. Der jüngste Sohn Isais aus dem Stamm Juda wurde durch den Propheten Samuel zum König gesalbt und war nach Saul der zweite und wohl der bedeutendste König Israels (ca. 1042–973 v. Chr.). Berichtet wird von ihm, er habe als junger Mann einen wohlgestalteten Körper besessen, er habe das Saitenspiel beherrscht und sei ein tapferer, kluger und weiser Mann geworden. Sein Nachruhm als Dichter und Sänger rührt vor allem von den Überschriften, die man den Psalmen voranstellte und in denen ihm ungefähr die Hälfte dieser Gesänge als Verfasser zugeschrieben werden.

Bilanziert man die zahllosen Darstellungen, die es in der christlichen Kunst zu David gibt, so wird man bald erkennen, dass man David von allen Helden des Alten Testaments den größten Raum gewährte. Die Beispiele aus der Spätantike und aus dem Frühmittelalter zeigen mehrheitlich den Psalmisten und Propheten, während im späteren Mittelalter und vor allem in der Renaissance David als streitbarer Kämpfer wiedergegeben wird. Der siegreiche Kampf Davids mit Goliath wurde allerdings schon in patristischer Zeit als Vorbild des Triumphs Christi über den Satan erklärt: So wie David gegen Goliath siegreich war, werde Christus über den Satan triumphieren, erklärte etwa Augustinus in seiner Auslegung von Ps 33, 4. Der Kampf gegen Goliath versinnbildlichte auch den Kampf der ersten Christen und Märtyrer, die ohne Waffen ihrem Feinde entgegentreten, wie dies frühchristliche Sarkophage oder Elfenbeinarbeiten der Spätantike zeigen.

Doch gibt es auch in der spätantiken Kunst schon Bildfolgen, die Szenen aus dem Leben Davids zeigen, wie um die Mitte des 3. Jahrhunderts der Freskenzyklus in der Synagoge der syrischen Kleinstadt Dura Europos, dessen Reste sich heute im National­museum in Damaskus befinden. Die fünf Davidszenen sind allerdings nur fragmentarisch erhalten. Andere Zeugnisse wie die Fragmente von frühen Bibelhand­schriften oder die Reliefs an der hölzernen Kirchentür von S. Ambrogio in Mailand (um 380) belegen, dass es solche umfangreichen Bildzyklen gegeben haben muss. In S. Ambrogio zeigen neun Reliefs Davidszenen von der Ankunft des Boten beim Hirten David bis zum Sturz Goliaths.

Aus dem Frühmittelalter sind Fresken aus der koptischen Kunst zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert bekannt, aber auch elf Silberteller aus Konstantinopel aus dem frühen 7. Jahrhundert mit unterschiedlichen Szenen aus dem Leben Davids. Vorlage dafür waren wohl illustrierte byzantinische Handschriften, wahrscheinlich der Königsbücher. Sie waren Vorbilder für die ausführlichen Davidszyklen in der byzantinischen Bibel- und Psalterillustration - der sog. Chludoff-Psalter, eine der ältesten Handschriften aus dem 9. Jahrhundert –, aber auch für Wandmalereien.

Der Psalter war wahrscheinlich das wichtigste und meistverbreitete biblische Buch im ganzen Mittelalter. Der Text der 150 Psalmen war nicht nur notwendig für die Verrichtung des Stundengebets, sondern – und dies gilt für das ganze Mittelalter – ein elementarer Text für Bibelstudium und allgemeine theologische Kenntnisse (nicht zuletzt ein wichtiges Hilfsmittel, um Lesen und Schreiben zu lernen), vor allem aber bis ins späte Mittelalter auch das Gebetbuch vornehmer lesefähiger Laien. Psalterhandschriften sind Grundbestand auch spärlichen Buchbesitzes und wurden in adeligen Familien gewöhnlich an die weiblichen Familienmitglieder weitervererbt. Gerade seine Bebilderung macht einen Großteil der Bibelillustrationen aus und lieferte Vorlagen für zahlreiche Zyklen. Da im frühen Mittelalter ganzseitige Bilder häufig waren, kam es auch in der Kunst des lateinischen Westens zur Ausprägung eines besonderen Bildtypus für David als „königlichen Sänger“ – eine Bildformel, die verschiedentlich abgewandelt durch Jahrhunderte hindurch üblich blieb. Das klassische Bild am Beginn einer mittelalterlichen Psalterhandschrift zeigt David auf dem Thron, oftmals umgeben von Musikern, die den Dichter und Sänger bei seiner Musik unterstützen, oder gezeigt werden, weil sie als Mitverfasser der Psalmen ebenfalls in den Überschriften genannt werden – Asaph, Eman, Etan und Idithun –, wie in einer Mailänder Handschrift aus der Zeit um 870. Im sogenannten Canterbury Psalter aus dem 8. Jahrhundert begleiten David Schreiber mit Schreibgerät, außerdem gibt es vier Instrumen­talisten und zwei Akklamierende, die durch Klatschen ihre Zustimmung deutlich machen. Im sogenannten Goldenen Psalter aus St. Gallen aus der Zeit um 900 tanzen um König David zwei Musikanten und zwei Tänzer mit wehenden Tüchern. In der sog. Vivians-Bibel, der ersten Bibel Kaiser Karls des Kahlen, die 845 in Tours entstand und von Abt Vivian dem König und späteren Kaiser Karl dem Kahlen geschenkt wurde, der sie vermutlich 869/870 an die Kathedrale von Metz weitergab, ist David mit der Leier dargestellt, in der leichten Kleidung eines Tanzenden nur mit Chlamys und Stiefeln, flankiert von den Schildwachen und den sitzenden vier Mitverfassern des Psalters; in den Zwickeln sind die vier Kardinaltugenden zu sehen. In einem Psalter aus dem Michaelskloster in Heiligenberg bei Heidelberg scheinen David und seine vier Helfer im Lob vereint. Der Buchmaler zeigt die Mitverfasser, wie sie den Psalmisten beim Tanz vor der Bundeslade begleiten. In späterer Zeit wie im 12. Jahrhundert wird David häufig allein, aber als inspirierter biblischer Autor mit der Taube des Hl. Geistes wiedergegeben, die ihn zur Formulierung des Psalters inspiriert. Das Bild Davids am Beginn des Psalters ist bis ins Spätmittelalter üblich geblieben.

 

II.

 

In vielen lateinischen Psalterhandschriften des Frühmittelalters gibt es Bilder, die als wörtliche Illustration den Verfasser der Texte, David, als Sprecher der Psalmverse zeigen. Berühmtes Beispiel dafür ist der sogenannte Stuttgarter Psalter aus einem französischen Kloster, entstanden um die Mitte des 9. Jahrhunderts. Zu Ps 11,2-3 Salvum me fac Domine … vana locuti sunt unusquisque ad proximum suum: Hilf doch oh Herr, die Frommen schwinden dahin … sieht man den jungen David vor seinen Feinden fliehen, ebenso zu Ps 17, die ausführliche Klage eines Verfolgten. Ganz häufig sind aber auch die Loblieder im Psalm durch Bilder ihres Verfassers auf diesen bezogen.

In späteren Handschriften übernehmen häufig die Initialen, die besonders geschmückten Anfangsbuchstaben, die Aufgabe, den Text für den Betrachter und Benutzer anschaulich und damit verständlich zu machen, Sie illustrieren entweder den Wortsinn des Psalms oder eine allegorische Auslegung, wie sie in den Kommentaren zum Psalter etwa des Augustinus, des Cassiodor oder des Rufinus formuliert war.

Viele Psalter und Bibeln enthalten umfangreiche Zyklen mit Bildern zum Leben Davids. Aus karolingischer Zeit wäre hier etwa der Goldene Psalter aus St. Gallen zu nennen, auf dessen Seiten 12 Szenen wiedergegeben sind, die jeweils die Überschriften der Psalmen illustrieren und so die jeweilige Situation anschaulich machen sollten, aus der heraus ein Psalm jeweils geschrieben wurde. Eine der eindrucksvollsten Bilderfolgen zum Leben Davids findet sich in einer Handschrift, die wahrscheinlich im Auftrag des französischen Königs Ludwig IX, des heiligen Ludwigs, 1245 ausgeführt wurde. Man spricht von einer „Bilderbibel“, da ihre von sechs Buchmalern ausgeführten 46 Blätter über 280 Bilder zum Alten Testament bieten, die von der Schöpfung bis zur Vita Davids reichen. Die Handschrift wurde auch Kreuzfahrer-Bibel genannt, weil sie viele sehr detaillierte Darstellungen enthält, in denen die kriegerischen Auseinandersetzungen Davids gezeigt werden, diese aber der Rüstung und Kleidung der Entstehungszeit entsprechen. Die biblischen Kämpfe wurden auf diese Weise in den Bildern mit den Auseinandersetzungen um die Herrschaft über das Heilige Land verglichen. Ludwig der IX. von Frankreich war zweimal Anführer eines Kreuzfahrerheers, das erste Mal im sechsten Kreuzzug (1248-1254), dann während des siebten Kreuzzugs (1270). Um 1300 fügte man in den freien Feldern neben den Miniaturen lateinische Texte als Bilderklärungen hinzu und ergänzte kleine Textinitialen. Um 1600 gehörte die Handschrift dem Bischof von Krakau, Kardinal Bernard Maciejowski, der sie als Geschenk dem persischen Schah Abbas in Isfahan überreichen ließ – in der Hoffnung, ihn dadurch zum gemeinsamen Kampf gegen die Türken bewegen zu können. In der Folgezeit ließ der neue Besitzer persische Bilderläuterungen anbringen, spätere jüdische Besitzer ergänzten weitere hebräische Bildbeischriften. Die Geschichte Davids wird hier sehr ausführlich erzählt. Der königliche Psalmen­dichter ist dargestellt als geradezu idealtypischer frommer und gottesfürchtiger, aber starker König, ein Vorbild für den Auftraggeber, den bereits wenige Jahre nach seinem Tod heiliggesprochenen französischen König. Auf der ersten David-Seite sieht man Samuel im Gebet vor Gott, der Jesse, den Vater Davids, aufsucht, um ihm zu erklären, dass Gott David auserwählt habe, während David auf dem Feld die Schafe hütet. In der nächsten Szene ist Jesse mit seinen Söhnen zu sehen, während Samuel David salbt, und dieser in die Dienste Sauls eintritt. David kommt zu Saul und beruhigt ihn durch sein Spiel. Rechts, auf der folgenden Seite, beginnen die Vorbereitungen zum Kampf gegen die Philister, die mit Goliath einen mächtigen riesenhaften Kämpfer an die Front schicken. Auf den beiden folgenden Seiten sieht man weitere Vorbereitungen (David in Sauls Rüstung, die ihm zu groß ist), danach den Sieg über Goliath und den beginnenden Konflikt mit Saul. Über viele Seiten wird diese Erzählung weitergeführt, zeigt im Gewand des 13. Jahrhunderts die Kriege und Siege Davids, aber auch die Geschichte mit Abner und die berühmte Geschichte mit Bathseba.

 

III.

 

Neben den seit dem Frühmittelalter bekannten gemalten Bildzyklen, die manchmal auch auf einer Seite zusammengefasst waren, wie in einer Bibel aus Winchester aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, gibt es auch eine Fülle von Beispielen dafür, dass David in Zyklen als einer der alttestamentlichen Propheten und Könige wiedergegeben wurde, wie an den Kapitellen romanischer Kirchen, etwa um die Mitte des 12. Jahrhunderts im burgundischen Vezelay (Abb. 1) oder in den Skulpturenzyklen der Fassaden französischer Kathedralen oder in der Goldschmiedekunst wie am Dreikönigenschrein in Köln.

Die Geschichte von David und Goliath war nicht nur biblische Ereigniserzählung, sondern auch Gegenstand allegorischer Bibelauslegung, die bis auf die Kirchenväter wie Augustinus zurückging. Deswegen wird häufig dieses biblische Sinnbild für den Sieg über Satan dargestellt wie im Stuttgarter Psalter, in einem Mosiak des 11. Jahrhunderts in Köln, einem spanischen Wandgemälde des 12. Jahrhunderts, einem Tafelbild Bernhard Strigels um 1500 oder im sogenannten Breviarium Grimani, einem prunkvollen Gebetbuch aus Flandern von etwa 1510/1520.

Bei diesem Bild des Breviers, aber auch bei den Darstellungen der Schah Abbas-Bibel mögen den modernen Betrachter die ungewöhnlich drastischen Motive und die detailliert geschil­derten Kriegsereignisse irritieren. Doch waren diese ebenso wie andere Begebenheiten aus dem Leben Davids durch die allegorische Deutung des Bibeltexts aufgefangen. Wenn man in den Sprach- und Literaturwissenschaften, aber auch in Theologie und Philosophie das Wort „Allegorese“ gebraucht, ist damit die ausgreifende Anwendung des allegorischen Verfahrens gemeint, eine im Umgang mit literarischen Werken entwickelte, hermeneutische Deutungs-Praxis. Es geht um die Interpretation von Texten auf der Grundlage eines Verständnisses, bei dem mehrere Bedeutungen, mehrere Sinnebenen unterschieden werden. Voraussetzung für eine solche übertragene Deutung ist die Annahme, dass es mehr als einen Sinn geben kann, dass jenseits des wörtlichen Verständnisses, hinter dem wörtlichen (literalen) Sinn, ein tieferer geistiger Sinn vorhanden ist, den es zu entschlüsseln gilt. Diesen tieferen Sinn zu dechiffrieren war ein kreativer Prozess, der zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen führen konnte. Von der Antike bis ins späte 18. Jahrhundert bestand für Autoren und für deren Leser grundsätzlich die Übereinkunft, dass es mehrere solcher Sinnebenen gebe, die unterschiedlichen Argumentationen dienen konnten. Erst in der Spätaufklärung und in deren Folge mit dem Einsetzen einer historisch-kritischen Philologie war die allegorische Methode als Deutungsmethode auf weite Strecken hin endgültig diskreditiert.

Wer also, wie einst die Mönche im Kreuzgang von Notre-Dame in Avignon eines der Kapitelle aus dem zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts eingehender betrachtet, das nach dem Abbruch des Klosters nach der Französischen Revolution schließlich an seinen heutigen Aufbewahrungsort, das Fitzwilliam Museum in Cambridge gelangte, findet sich vor einem Stein, dessen Seiten vier Episoden der Geschichte von David und Abigail gewidmet war. Ihr hebräischer Name bedeutete „Quelle der Freude“ oder „Grund der Freude“. Als David Abigail kennenlernte, war er bereits der Gesalbte des Herrn und der von Gott ausersehene künftige König. In den seiner Herrschaft vorausgehenden politischen Wirren befand er sich jedoch auf der Flucht, versteckte sich in Höhlen, war auf Hilfe angewiesen (I Sam 22,1.2). Trotzdem beschützte David mit seinen Gefolgsleuten die umherziehenden Hirten Nabals, eines reichen Manns, der so vermögend war, dass er einen beinahe königlichen Lebensstil pflegen konnte. Doch war er in den Augen Gottes „verstockt, hart und boshaft in seinen Handlungen“. Nabal hatte wohl von Davids Sieg über den Riesen Goliath gehört, doch sah er in David eher einen ehrgeizigen Aufsteiger, der sich gegen den König Saul erhoben hatte. Auf die Bitte Davids um eine gewisse Belohnung für den empfangenen Nutzen ließ Nabal den Boten Davids vom Hof jagen, was David sehr erzürnte. Die schöne und einsichtige Ehefrau Nabals, Abigail, erkannte jedoch, um wen es sich bei David in Wirklichkeit handelt. Nachdem sie von der Handlungsweise ihres Mannes erfahren hatte, schickte sie, ohne diesen zu fragen, David ein Geschenk und begab sich zu ihm, um sich vor ihm niederzuwerfen und ihn zu bitten, sich ihrer zu erbarmen, wenn er König sein würde. Das Kapitell zeigt David mit dem Attribut, das ihn als Dichter der Psalmen ausweist, der Harfe, und Abigail, die auf einem Pferd, das einer ihrer Diener führt, zu David reitet – eine Szenenfolge, die auch in der zeitgenössischen Bibelillustration geläufig war wie in der sog. Pamplona-Bibel aus dem späten 12. Jahrhundert. Die vierte Seite zeigte vielleicht das Ende der Geschichte: Nachdem Nabal seine Verblendung mit dem Tod hatte büßen müssen, wurde Abigail Davids Ehefrau. Jenseits der historischen Erzählung war diese Geschichte ein Bild für die wahre und falsche Einsicht: Nabal steht für die Welt, die Christus nicht erkennt, Abigail für den gläubigen Menschen, der trotz des widersprüchlichen äußeren Scheins die Wahrheit zur Kenntnis nimmt und Christus verehrt. Nabal ist ein Beispiel für den sorglosen, sittenlosen, nur ans Jetzt denkenden Menschen, Abigail ein Exempel für den, der in der Furcht vor dem endzeitlichen Gericht und in der Hoffnung auf das Jenseits weiterdenkt, in die Zukunft plant. Ein zweites Beispiel für eine Bildfolge zu David, die nur verständlich ist, wenn man die Auslegungstradition dazu kennt: In Auxerre, knapp jenseits der Nordgrenze Burgunds, wird das wohl um 1260 unter dem Einfluss der Portalskulpturen des sog. Josephsmeisters von Reims entstandene Taufportal an der Westfassade der Kathedrale St-Étienne im Gewände von jeweils drei Reliefs flankiert, die die Geschichte von David und Bathseba zeigen: die schöne Bathseba im Bad, von David beobachtet, dann der Hethiter Urias, ihr Ehemann, den David nach seinem Ehebruch mit dessen Frau in die Schlacht sandte, damit er dort umkomme und so der Weg für David frei würde, Bathseba zu umwerben, schließlich als glücklicher Ausgang des Geschehens die Vermählung von David und Bathseba, die später die Mutter Salomos werden sollte. Ein unbefangener Betrachter muss sich fragen, was diese Geschichte als Bildschmuck eines Taufportals sollte, erst recht, wenn er sich erinnert, dass der Prophet Nathan David wegen dieser Verfehlung maßregelte, nicht aber, wenn er – wie die Theologen des Mittelalters alle – die allegorische Auslegung des Augustinus kannte. Dieser bot eine Interpretation an, die die Akteure dieses Geschehens zu Sinnbildern machte: David zum Typus Christi, Bathseba zur Präfiguration der Kirche, Urias zur sinnbildlichen Verkörperung des Bösen. Im wörtlichen Verständnis war dies eine Geschichte von Ehebruch und mittelbarer Tötung. Der allegorischen Deutung zufolge musste sich Bathseba als Bild der Kirche im Bad der Taufe von der Verbindung mit Urias, der Verkörperung des Teufels, reinigen, um dann mit David als Bild für Christus verbunden sein zu können. Diese ebenso kunstvolle wie auf moderne Leser wohl eher gesucht wirkende Deutung war dem mittelalterlichen Theologen aus seiner Augustinus-Lektüre vertraut. In Auxerre gewann diese Bildfolge durch die allegorische Deutung einen Sinn, der das so schwierige wörtliche Verständnis dieser Szene auf eine höhere Sinnebene hob und damit auch positiv zu verstehen ermöglichte.

Ein anderes Beispiel für die Anwendung der allegorischen Methode zeigt das Stammheim Missale aus dem Benediktinerkloster St. Michael in Hildesheim. Die Darstellungen sind hier einer typologischen Argumentation integriert, einem Deutungsmodell, das Altes und Neues Testament in eine unmittelbare Beziehung von Verheißung und Erfüllung setzt. Die Evidenz der Heilsgeschichte wird offenbar daran, dass die im Alten Testament vorgeprägten Ereignisse unvollkommene Ausprägungen der Ereignisse sind, die im Neuen Testament vollendet, erfüllt werden. Zur Auferstehung, von der im Neuen Testament nicht die Rede ist, kann der Betrachter des Bildes oberhalb dieser Szene sehen: Die Hand Gottes streckt sich dem auferstehenden Christus entgegen, Symbol Gottes, der – wie auf dem Spruchband zu lesen – zu Christus sagt: „Steh auf, meine Herrlichkeit“ (Exurge gloria mea), ein Zitat nach Ps 56, während Christus antwortet: „Ich werde aufstehen in der Morgenfrühe“ (Exurgam diluculo). Dass diese Geschehnisse im Einklang mit den Prophetien des Alten Testanents standen, bezeugt die Wiedergabe des Propheten Jesaia, vom Be­trachter aus auf der rechten Seiten der Szene mit den Frauen am Grab. Um das Mittelfeld herum sind vier Präfigurationen aus dem Alten Testament angeordnet: Elisa (Eliseus), der den Sohn der Sunamitin rettet; Samson mit Tor und Türen von Gaza; Banaias, der mit dem Löwen kämpft (II Reg [II Sam] 23,20); und schließlich David, der Goliath erschlägt (I Reg [I Sam] 17,51). Ohne im Einzelnen hier die Begründungen für die Auswahl der vier altte­stamentlichen Typen zu referieren, lässt dieses Beispiel doch auf Anhieb erkennen, dass der Konkordanz dieser Ereignisse unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen müssen: die Überwindung des Todes bei Elisa ließ sich mit der Überwindung des Todes durch Jesus vergleichen; dass Samson die Türen von Gaza aus den Angeln hob, mit der Auferstehung aus dem verschlossenen Grab, und dass Banaias den Löwen und David den heidnischen Philister besiegte, hatten schon die Kirchenväter mit der Überwindung von Tod, Sünde und Teufel verglichen.

 

IV.

 

Die Bildtradition zu David zeigt diesen immer wieder als Symbol Christi oder als Bild für das Nahverhältnis von Christus und der Kirche. An vielen Stellen ist deswegen David als einer der Propheten wiedergegeben, nicht zuletzt bei Darstellungen des Weltgerichts. In manchen Bildprogrammen vertritt David, eine Lyra spielend, eine der verschiedenen Epochen der Weltalter, oder agiert als Repräsentant der Musik in Bildzyklen zu den fünf Sinnen. David wurde schon im Mittelalter auch im profanen Zusammenhang als tugendhaftes Vorbild für Fürsten und Aristokraten als einer der sog. guten Helden gerühmt (erstmals 1312 von Jacques de Longuyon in seinem Gedicht „Le voeu du paon“) und dargestellt wie um 1330 im Hansesaal des Kölner Rathauses. Neben den drei Vertretern der heidnischen Antike (Hektor von Troja, Alexander dem Großen und Julius Caesar) und den Repräsentanten des Christen­tums (König Artus, Karl dem Großen und Gottfried von Bouillon, dem König von Jerusalem) nannte man als Vertreter des Judentums Judas Makkabäus, den Propheten Josua und David. Dem Brauch der Zeit entsprechend verlieh man diesen Helden auch ein Wappen, im Fall Davids die Lyra, sein Instrument.

Neben Darstellungen Davids in der religiösen Kunst gibt es in der Neuzeit eine reiche Bildtradition auch im profanen Umfeld. In der italienischen Renaissance wurde vor allem die Bedeutung des Kämpfers David hervorgehoben, der nun ebenso wie in der traditionellen theologischen Auslegung allegorisch interpretiert wurde. Wichtig war der Sieg Davids, der über den unterlegenen Riesen triumphiert, dessen Kopf er in der Hand hält oder auf dem am Boden liegenden Kopf steht. David wird so zur Heldengestalt und, besonders im Barock, zum Exempel für jugendliche Stärke, für Sieg und Triumph. Die verschiedenen Varianten des Themas, etwa bei Caravaggio, belegen dies mehr als deutlich. Vielleicht noch deutlicher ist dies aber bei den Skulpturen, etwa dem David des Donatello, der ersten Skulptur in nachantiker Zeit, die als lebensgroße männliche Aktfigur im Auftrag Cosimo de’ Medicis um 1444 bis 1446 ausgeführt wurde. Das humanistische Interesse für die Antike führte im Florenz der frühen Renaissance zu diesem Versuch, diese aus antiken Quellen bekannte Kunstgattung wiederzubeleben. Der junge David steht, nur mit Hut und Stiefeln bekleidet, mit dem linken Bein auf dem Haupt Goliaths. Der Bildhauer Donatello bemühte sich, anatomische Details korrekt wiederzugeben. Man stellte die Figur im Innenhof des Palazzo Medici auf, auch weil man im Sieg Davids ein Sinnbild für die Wehrhaftigkeit von Florenz sehen wollte, das sich gegen andere italienische Staaten wie Neapel und Mailand behaupten könne. Donatellos David wurde von vielen Bildhauern nachgeahmt, die dieses Vorbild bewunderten, wie Andrea del Verrocchio 1476, oder – vielleicht die berühmteste plastische Darstellung Davids – Michelangelo an seinem David, an dem er seit 1501 arbeitete. Im Jahr 1404 hatte die Domopera in Florenz über die Aufstellung monumentaler Figuren an den Gewölbeansätzen am Chor des Doms beraten, mit denen die Strebepfeiler bekrönt werden sollten. Man dachte daran, Propheten und als antike Parallele dazu einen Herkules aufzustellen. 1408/09 schuf Donatello für die nördliche Seite einen David (Florenz, Museo Nazionale), Nanni di Banco zur selben Zeit einen Jesaja. Es stellte sich aber bald heraus, dass beide Figuren zu klein waren. Donatellos David wurde 1416 in den Palazzo Vecchio gebracht. Der Plan wurde zunächst nicht weiterverfolgt und erst 1463 wieder in Angriff genommen, als Donatello aus Siena zurückgekehrt war. Nach einem zwei Jahre dauernden Transport lag seit 1468 ein riesiger Marmorblock, 12 Meter lang und 5 Tonnen schwer, aus Carrara in Florenz. Die mit der Arbeit daran beauftragten Bildhauer Agostino di Duccio (1464) und Antonio Rossellino (1476) gaben beide die Arbeit wieder auf, so dass schließlich 1502 Michelangelo den Auftrag erhielt, den roh behauenen Block fertig zu bearbeiten, ein Vorhaben, das sich bis 1504 hinzog. Michelangelo veränderte die traditionelle Ikonographie und zeigte nicht mehr den jugendlichen Helden nach seinem Sieg, sondern vor dem Kampf, die Steinschleuder ruht über der linken Schulter. Die von der Regierung der Stadt eingesetzte Kommission entschied, dass diese Figur vor dem Palazzo Vecchio, dem Sitz der Stadtregierung, aufgestellt werden sollte. Als die Medici 1494 die Stadt verlassen mussten, wurde der David Michelangelos geradezu zum Symbol der Freiheit der Bürger von Florenz. 1512 erzwangen die Medici ihre Rückkehr. Bei den anschließenden Krawallen wurde der linke Arm der Statue beschädigt, aber nach 1543 restauriert. Im 19. Jahrhundert hatte der Marmor durch Witterung und Vogelexkremente Schaden genommen, so dass die Skulptur 1873 in der Florentiner Accademia einen eigenen Ausstellungsraum erhielt, wo sie heute noch steht. An ihrem ursprünglichen Aufstellungsort vor dem Palazzo Vecchio wurde 1910 eine Kopie aufgestellt. Mit Davids Michelangelo war eine der originellsten Bildvarianten in der langen Bildgeschichte zum Mythos David erreicht. Es war dies nicht das Ende der Geschichte, David blieb ein wichtiges Thema der Künste, bis ins 19. und 20. Jahrhundert.

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