Der „synodale Weg“ der katholischen Kirche in Deutschland und das Plädoyer von Papst Franziskus für eine synodale Kirche haben „Synodalität“ zu einer Art Zauberwort gemacht, mit dem sich viele Hoffnungen, aber auch Befürchtungen verbinden. Dahinter verbirgt sich die tiefergehende Frage nach dem Verständnis von Autorität in der Kirche: Sollte sie eher personal (von einem Primas) oder eher kollegial (von einer Synode) ausgeübt werden? Mit dieser Frage haben sich verschiedene ökumenische Dialogkommissionen befasst.
Im orthodox-katholischen Dialog wurde in den Dokumenten von Ravenna (2007) und Chieti (2016) festgehalten, dass bei der Ausübung von Primat und Synodalität zwischen der lokalen, der regionalen und der universalen Ebene der Kirche unterschieden werden muss. Bemerkenswert an diesen Gesprächsergebnissen ist, dass die Orthodoxen damit die Notwendigkeit eines Primats auf universalkirchlicher Ebene anerkennen, während Katholiken vor der Herausforderung stehen, eine „mittlere Ebene“ (zwischen dem Vatikan und den Diözesen) zu etablieren – was zu einer „heilsamen Dezentralisierung“ (Papst Franziskus, Evangelii gaudium, Nr. 16) beitragen könnte. Ein wichtiger Gedanke, der von orthodoxen Theologen immer wieder ins Gespräch eingebracht wird, ist die notwendige Rezeption von Synoden durch die Kirche als Ganze. Er betont die Bedeutung des Volkes Gottes im Rahmen eines synodalen Verständnisses von Kirche. Synodalität ist aus orthodoxer Sicht nicht nur Ausdruck bischöflicher Kollegialität, sondern „eine grundlegende Qualität der Kirche als ganzer“ (Dokument von Chieti, Nr. 3).
Im Blick auf das Verständnis des Primats zeigt sich in vielen ökumenischen Dialogen die Bereitschaft, dem Papst eine herausragende Funktion innerhalb der Christenheit zuzubilligen. Die Orthodoxen wären bereit, ihn als „primus inter pares“, als Ersten unter Gleichen im Bischofskollegium zu akzeptieren. Im anglikanisch-katholischen Dialog wurde festgehalten, dass ein universaler Primat „angemessenerweise der Primat des Bischofs von Rom sein sollte“. Auch Lutheraner schließen das Papstamt als sichtbares Zeichen der Einheit nicht aus, „soweit es durch theologische Reinterpretation und praktische Umstrukturierung dem Primat des Evangeliums untergeordnet wird“. Eine zentrale Rolle für die Akzeptanz des römischen Primats spielt daher die Primatspraxis. Hier liegt es an der katholischen Kirche selbst, durch eine „neue Form der Primatsausübung“ (Johannes Paul II.) den Weg zu einer Anerkennung des Papstamtes durch die anderen Kirchen zu ebnen.
Im Blick auf das Verständnis der Synodalität der Kirche können Katholiken viel von anderen Kirchen lernen (vgl. Papst Franziskus, Evangelii gaudium, Nr. 246). Auf orthodoxer Seite lassen sich zwei Grundmodelle von Synodalität unterscheiden: ein „hierarchisches Modell“, bei dem allein Bischöfe den synodalen Gremien angehören, und ein „repräsentatives Modell“, bei dem neben den Bischöfen auch gewählte Vertreter des Klerus und der Laien an der Kirchenleitung beteiligt sind. Die orthodoxe Theologie der Synodalität betont nachdrücklich die gemeinsame Verantwortung des gesamten Volkes Gottes für die Bewahrung des rechten Glaubens.
Obwohl die synodale Struktur der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen kein Erbe der Reformationszeit ist, sondern erst auf das 19. Jahrhundert zurückgeht, wurde der Synodalität in den reformatorischen Kirchen mit dem Gedanken des allgemeinen Priestertums zweifellos schon früher der Boden bereitet. Synodalität bedeutet aus evangelischer Sicht „gemeinschaftliche Autorität“. Der Vorteil einer Synode ist, dass sie ein breites Erfahrungsspektrum einbezieht. Evangelische Theologen erkennen zwar an, dass Mehrheitsentscheidungen nicht die Wahrheit als solche gewähren, aber sie bieten eine bessere Chance auf Rezeption.
Auch aus katholischer Sicht ist Synodalität eine „konstitutive Dimension der Kirche“, wie die Internationale Theologenkommission in ihrem 2018 publizierten Dokument über „Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche“ festhält. „Eine synodale Kirche ist eine partizipative und eine mitverantwortliche Kirche“, unterstreicht die Kommission (ebd., Nr. 67). So lässt sich heute eine weitgehende Kongruenz im theologischen Verständnis der Synodalität feststellen, auch wenn die synodale Praxis noch sehr verschieden ist. Als Ergebnis lässt sich festhalten: (a) Synodalität ist für die Kirche konstitutiv, weil sie dem Wesen der Kirche als Volk Gottes entspricht; (b) Zur Verwirklichung der Synodalität bedarf es synodaler Gremien auf lokaler, regionaler und universaler Ebene; (c) In allen christlichen Kirchen gibt es Synoden, die teils beratende, teils beschließende Funktion haben; (d) Laien sind in den meisten Kirchen – mal mehr, mal weniger ausgeprägt – an Synoden beteiligt; und (e) Die Beschlüsse von Synoden stehen unter dem Vorbehalt ihrer Rezeption durch die Gemeinschaft der Glaubenden.
Für das Verhältnis von Primat und Synodalität gilt (thesenartig):
(1) Primat und Synodalität stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sind komplementäre, einander ergänzende Formen der Kirchenleitung, durch die Autorität in personaler oder kollegialer Form ausgeübt wird. Primat und Synodalität bilden die beiden Pole jeder Kirchenordnung, wobei ihr Verhältnis zueinander dem geschichtlichen Wandel unterworfen ist. Diese Interdependenz von Primat und Synodalität wird besonders nachdrücklich reflektiert in einer Studie, die 2018 vom Gemeinsamen orthodox-katholischen Arbeitskreis St. Irenäus unter der Überschrift „Im Dienst an der Gemeinschaft“ veröffentlicht wurde.
(2) Jede Form der Ausübung von Autorität in der Kirche muss sich am Vorbild Jesu Christi orientieren, d.h. den Dienst am Menschen höher achten als die Befolgung von Normen. Das ist ein Merksatz für das Verständnis von Autorität in der Kirche, der allerdings nicht zur Floskel verkommen darf. Der Irenäus-Arbeitskreis unterstreicht in seiner Studie: „Jede Form des kirchlichen Primats ist von ihrem Wesen her keine Herrschaft about die Kirche, sondern ein Dienst in ihr, der Jesus Christus, dem Haupt der Kirche untergeordnet ist.“ Das, was hier zum Primat gesagt wird, gilt genauso für Synoden, die ebenfalls nicht über die Kirche herrschen, sondern ihr dienen sollen. Die größte Gefahr im Blick auf die Ausübung von Autorität in der Kirche besteht darin, dass die Worte nicht den Taten entsprechen, dass die Theorie (Dienst) nicht der Realität (Macht) entspricht. Gerade darin liegt eine Ursache der gegenwärtigen Glaubwürdigkeitskrise der Kirche.
(3) Entscheidungen kirchlicher Autoritäten – ganz gleich, ob sie von einem Primas oder von einer Synode getroffen werden – bedürfen der Rezeption durch die Glaubensgemeinschaft, um Glauben und Leben der Kirche prägen zu können. Ohne Akzeptanz seitens des Volkes Gottes stehen alle Beschlüsse kirchlicher Autoritäten auf tönernen Füßen. Insofern betont die orthodoxe Theologie der Synodalität zu Recht die notwendige Einbindung des ganzen Volkes Gottes („pleroma“), das durch seinen Glaubenssinn („sensus fidelium“) die rechte Lehre bewahrt. Die orthodoxe Theologie macht uns dadurch auf einen blinden Fleck in der Reflexion der westlichen Theologie über die Autorität päpstlicher und synodaler Entscheidungen aufmerksam.
Die ökumenischen Reflexionen zeigen, dass ein „Austausch der Gaben“ zwischen den Kirchen fruchtbar sein kann. Wir können von den anderen Kirchen lernen, was Synodalität in der Kirche bedeutet, weil sie eine viel längere Erfahrung mit synodalen Formen der Kirchenleitung haben. Wir können von ihnen lernen, dass es nicht zum Nachteil der Kirche ist, wenn Synoden nicht nur beratende, sondern auch beschließende Funktion haben. Wir können von ihnen lernen, dass es sinnvoll sein kann, Laien in die synodale Beratung einzubeziehen. Beides ist keine Garantie dafür, dass die Entscheidungen „besser“, authentischer, dem Evangelium entsprechender sind, als wenn sie durch einen Primas allein oder durch ein Kollegium von Bischöfen getroffen werden. Aber synodale Entscheidungen bieten eine weitaus größere Chance, dass sie vom Volk Gottes tatsächlich angenommen werden und dadurch wegweisende Bedeutung für den Glauben und das Leben der Christen erlangen.