Gestern noch habe ich in Darmstadt mit Ingenieuren über Resilienz gesprochen, das Thema ist tatsächlich in aller Munde. Ich möchte Ihnen heute die neurobiologisch-/ neurowissenschaftliche Sichtweise näher bringen und Ihnen erklären, aus welcher Motivation heraus die Resilienzforschung zur psychischen Resilienz gegenüber stress-assoziierten Erkrankungen agiert.
Was ist Resilienz? Wir sehen Resilienz als Zukunftskonzept für Gesundheitsförderung und Prävention. Im ersten Teil des Vortrags werde ich versuchen Ihnen zu vermitteln, warum wir das tun. Dafür beginne ich mit einer Einführung, stelle dann kurz das Deutsche Resilienz Zentrum und unsere dortigen Projekte vor und gehe dann auf Resilienz als Präventivkonzept ein.
I.
Der Begriff Resilienz ist aus dem Lateinischen abgeleitet, er bezeichnet das Abprallen, Zurückspringen und bezieht sich für Physiker, Materialwissenschaftler und Ingenieure auf Werkstoffe. Denken Sie als Beispiel an einen Werkstoff, den Sie aus Ihrer Schulzeit kennen, einen Tafelschwamm. Er hatte – wie Sie sich sicherlich erinnern – die Eigenschaft, dass er nach einer Verformung immer wieder in dieselbe Ausgangsform zurückgegangen ist.
Was bedeutet dieses Bild übertragen auf uns Menschen? Hiernach ist Resilienz die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung oder Rückgewinnung psychischer Gesundheit während oder nach widrigen Lebensumständen. Das kann man schematisch veranschaulichen, wie es die sehr bekannte entwicklungspsychologische Resilienzforscherin Ann Masten getan hat: Auf der Y-Achse sehen Sie die Funktionalität des Menschen in seinem Alltag, auf der X-Achse ist seine Entwicklung im zeitlichen Verlauf dargestellt, die sogenannten Entwicklungstrajektorien. Hier in der Entwicklungstrajektorie A sieht man eine Person, die trotz eines akuten Traumas wie der Verlust eines nahen Angehörigen oder vielleicht auch die eigene Erkrankung psychisch gesund, psychisch funktional bleibt. Es kann aber auch sein, dass einen dieser Stress unter Druck setzt, dass man – wie in B – vorübergehend nicht so gut funktioniert, wie man das von sich gewohnt ist. Aber wenn jemand resilient ist, erlangt er diese Funktionalität wieder. Eine dritte Entwicklungslinie, C, die sich im Rahmen der Resilienzforschung ebenfalls immer wieder zeigt, ist, dass solche Traumata auch dazu führen können, dass sich ein Mensch seine eigene Funktionalität betreffend positiv verändert, dass er gestärkt aus einer belastenden Situation herausgeht. Der englische Fachbegriff dafür ist Post-Traumatic-Growth, also das posttraumatische Wachstum.
Die Grundlagen der Resilienzforschung sind bereits über 60 Jahre alt und stammen aus der Psychologie. In diesem Zusammenhang wurden vor allem entwicklungspsychologische Studien, vornehmlich Langzeitstudien, die über 20, 30, 40 Jahre liefen und im Kindesalter begannen, durchgeführt. Die wahrscheinlich bekannteste stammt von der Entwicklungspsychologin Emmy Werner aus Kalifornien, die die sogenannte Kauai-Studie gemacht hat. Kauai ist eine der kleineren Inseln des Hawaiiatolls. Dort hat Werner insgesamt 700 Kinder eines Geburtsjahrgangs untersucht und in diesem Kontext vor allem beobachtet, wie sich die Kinder von ihrer Geburt an entwickeln. Die dortigen Lebensbedingungen waren für junge Menschen alles andere als ideal, Werner hatte sich für einen Ort entschieden, der sehr arm war, wo viele der Ureinwohner Probleme mit psychischen Erkrankungen, mit Abhängigkeiten und so weiter hatten, sie hat sich quasi ein extremes soziales Setting ausgewählt.
Als sie nach gut 30 Jahren Beobachtung dieser Kinder ihre Erkenntnisse erstmals publizierte, sorgten diese allgemein für Überraschung: Trotz der widrigen Lebensumstände hatte ein Drittel der Kinder eine erfolgreiche Entwicklung durchlaufen. Werner untersuchte daraufhin, welche Faktoren entwicklungsfördernd waren und hat damit sogenannte Resilienzfaktoren definiert. Diese liegen vor allem im personellen und sozialen Ressourcenbereich und können auch als Schutzfaktoren bezeichnet werden. Zu den personellen Ressourcen gehören beispielsweise ein positives Temperament, hohe soziale Kompetenz, ein aktives Bewältigungsverhalten (coping) sowie die Übernahme von Verantwortung. Soziale Ressourcen liegen vornehmlich in einem insgesamt unterstützenden sozialen Umfeld sowie in engen emotionalen Beziehungen zu wichtigen Bezugspersonen, womit nicht zwangsläufig Eltern, sondern auch andere Bezugspersonen wie Lehrer, Großeltern oder andere Verwandte gemeint sind.
Diese Resilienzfaktoren sind in den Folgejahren immer wieder in anderen Kontexten untersucht worden, wodurch letztlich eine Liste mit wissenschaftlich belegten Resilienzfaktoren entstanden ist. Am stärksten von diesen ist zweifellos die soziale Unterstützung, darüber hinaus jedoch zählen positive Emotionen, Optimismus, hardiness – womit ein gewisses Maß an Abhärtung gemeint ist, Selbstwertgefühl, ein aktives Bewältigungsverhalten (active coping), Selbstwirksamkeitserwartung – also, ob sich jemand als Akteur seines eigenen Handelns oder eben nur als das Objekt des Handelns anderer wahrnimmt, kognitive Flexibilität sowie Religiosität und Spiritualität zu den belegten Resilienzfaktoren. Weniger gut belegt, aber immer wieder diskutiert sind drei weitere Faktoren: Kohärenzgefühl – also wenn sich jemand eins mit seinem Denken und Handeln sowie mit seiner Umwelt fühlt, Hoffnung und Humor. Allerdings erklärt auch diese doch recht umfangreiche Sammlung das Phänomen Resilienz nur bedingt.
Resilienzforschung brauchen wir, weil wir uns eingestehen müssen, dass psychische Erkrankungen, beispielsweise affektive Störungen wie Depressionen oder Abhängigkeitserkrankungen eine zunehmend große Zahl an Menschen betreffen. Vielen Betroffenen können wir im Rahmen verschiedener Therapiemaßnahmen helfen, aber zwischen 30-50% bleiben weiterhin krank. Für die Entstehung eines erheblichen Teils dieser Erkrankungen spielt Stress eine wichtige Rolle, beispielsweise bei Traumata wie dem Tod eines Angehörigen, der eigenen schweren Erkrankung oder anderen Umbrucherlebnissen. Insofern lohnt sich nicht nur die pathogenetische Forschung, also die Frage danach, wie entstehen Krankheiten und nach der besseren Therapie stressbedingter psychischer Erkrankungen, sondern auch die salutogenetische Forschung, die sich damit befasst, wie sich diese möglichst ganz verhindern lassen. Da kommt Resilienz als Forschungskonzept ins Spiel: Mit diesem Ansatz nehmen wir nicht Krankheit, sondern Gesundheit in den Blick – ein absoluter Paradigmenwechsel. Resilienz ist das, was die Entwicklungspsychologin Ann Masten als „ordinary magic“, also als Alltagsmagie, bezeichnet: rund 65-75% aller Menschen, die einer schweren Belastung ausgesetzt sind, bleiben gesund. Diese Tatsache hat man lange vernachlässigt, weswegen wir im Grunde auch nicht wirklich wissen, was uns außer den soeben beschriebenen Resilienzfaktoren vor einer Erkrankung schützt.
Die Schwierigkeit der Erforschung von Resilienz besteht darin, dass diese ein lebenslanger, aktiver, dynamischer Prozess ist, keine statische Eigenschaft, kein Zustand, sondern ein Entwicklungsergebnis. Wir wissen, dass Resilienz erlernbar, aber auch wieder verlernbar und neu lernbar ist. Wir können nicht voraussagen, wer resilient ist, sondern erst nach einer Stressbelastung, nach einem Entwicklungsprozess feststellen, ob eine konkrete Person dieser gut widerstanden hat oder nicht. Prädiktoren hierfür zu identifizieren ist eine unserer Aufgaben in den kommenden Jahren: Wir müssen uns damit beschäftigen wie man Widerstandsfähigkeit und die hierfür wichtigen Kompetenzen stärken kann, damit eine Krankheit gar nicht erst entsteht.
II.
Diese Fragen sind derzeit sehr populär: Eine bunte Mischung aus Zeitschriften, Büchern und sonstigen Medien empfiehlt uns, wie wir mit Krisen umgehen, widerstandsfähiger sein oder unseren Alltag besser meistern können. Die Schwierigkeit im Umgang mit diesen besteht darin, dass entsprechende Empfehlungen nicht wissenschaftlich untersucht oder gar wissenschaftlich belegt wären.
Deshalb haben wir in Mainz das Deutsche Resilienz Zentrum gegründet. Bislang gibt es europaweit keine andere Einrichtung, die sich der entsprechenden neurowissenschaftlichen Forschung widmet. Wir forschen auf drei Ebenen. Wir untersuchen die Entwicklung von Resilienz neurowissenschaftlich und humanpsychologisch. Aus den so gewonnenen Erkenntnissen entwickeln wir im Sinne von Resilienztrainings gezielte Hilfe für Risikopersonen. Allerdings wollen wir auch aufzeigen, wo die Grenzen von Resilienz liegen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass Menschen widerstandsfähiger machen zu wollen nicht gleichzeitig heißt, sie noch besser machen zu wollen als sie es vielleicht zuvor waren. Es geht nicht darum eine Hyperperformance, ein Viel-Besser zu erzeugen, sondern darum Menschen, die ein Risiko tragen, zu unterstützen, sie zu stärken und sie so vor einer Erkrankung zu schützen. Wie stellen wir uns das vor? Ausgangssituation ist eine Person, deren Gleichgewicht durch bestimmte Stressoren gestört ist. Diese bringt gleichzeitig bestimmte Resilienzfaktoren wie Optimismus mit. Allerdings gibt es keinen „Optimismusplatz“ im menschlichen Gehirn, auch keine Neuronen, keine Nervenzellen, die optimistisch wären. Hinter einem Resilienzfaktor wie Optimismus müssen neuronale Prozesse stecken, die wir zu definieren versuchen. Verstehen ist also unser primäres Ziel. Das zweite ist, Trainings zu entwickeln, die stärkend und dadurch vorbeugend wirken: Wir wollen psychische Ressourcen aktivieren, um den Anpassungsprozess von einer Fehlanpassung weg, zu einer positiven Anpassung hin zu beeinflussen. Das dritte Ziel besteht in der Definition der Grenzen der Resilienz.
Wie bilden sich nun die genannten Resilienzfaktoren im Gehirn ab? Die Selbstwirksamkeitserwartung zum Beispiel ist ein an sich komplexes Konstrukt. Sie wirkt wie all die genannten Resilienzfaktoren mit einiger Wahrscheinlichkeit über eine kleinere Anzahl von neuronalen Prozessen. Das heißt diese Resilienzfaktoren können entweder gleich im Gehirn wirken, wie hier für Resilienzfaktor fünf und sechs dargestellt, oder drei oder vier verschiedene Resilienzfaktoren werden durch einen neuronalen Prozess vermittelt. Das ist das, was wir gerade in unserem Sonderforschungsbereich erforschen, dass man sagt, was ist zum Beispiel im Gehirn hinter diesem Phänomen der positiven Bewertung, also der Fähigkeit Dinge, auch trotz des Negativen, im positiven Licht zu sehen. Positive Bewertung wird wahrscheinlich durch eine Reihe psychologischer bzw. neuronaler Teilprozesse, wie der Fähigkeit, Sinneseindrücke sicher unterscheiden zu können (Diskriminationsphänomen)und alte Informationen durch neue ersetzen, unterstützt. So können wir letztendlich echte Resilienzmechanismen in Gehirn ergründen.
Wir untersuchen aber auch rein neuronale Mechanismen. Kollegen in den Vereinigten Staaten haben nachgewiesen, dass eine enge Regulation der Erregbarkeit des Nervensystems eine wichtige Rolle für die Frage spielt, ob Tiere im Tiermodell resilient sind. Das erforschen wir auch auf der molekularen Ebene. Wie machen wir das? Ich habe vorhin bereits angedeutet, dass wir Resilienz wissenschaftlich begründet messen können – allerdings eben nur als Ergebnis eines Entwicklungsprozesses. Wir stellen fest, wie die mentale Funktionsfähigkeit zu Beginn der Untersuchung ist, ob und wenn ja wie sie sich nach einem Beobachtungszeitraum entwickelt hat und welche Stressoren in diesem Zeitraum auf die untersuchten Menschen oder Tiere eingewirkt haben. Dann können wir aus der Anzahl der Stressoren das Verhältnis zur mentalen Funktionsfähigkeit beziehungsweise der mentalen Dysfunktion bestimmen.
Im Tiermodell forschen wir im hauptsächlich innerhalb eines sozialen Interaktionsmodells mit Mäusen. Hierbei teilen sich mehrere Mäuse einen Käfig, wobei manche durch ihre genetische Ausstattung viel größer und dicker sind als andere. Die kleineren Mäuse tendieren in der sozialen Interaktion dazu, sich unterlegen zu fühlen, sich zurückzuziehen, aber ein gutes Drittel – ähnlich also wie bei den von Werner untersuchten Kindern – verhält sich anders, widersteht gewissermaßen dem dicken Aggressor. Vergleichbar verhalten sich Zebrafische in einem entsprechenden Experiment. Der Aggressor ist hier ein über dem Becken dargestellter Vogel, auf den zwei Drittel der Zebrafische reagieren, indem sie sich verkriechen, also entlang der Wände und eben nicht offen durch das Becken schwimmen, während das verbleibende Drittel sich nicht beirren lässt.
III.
Derzeit führen wir außerdem zwei großen Studien mit Menschen durch: Das Mainzer Resilienzprojekt läuft mittlerweile seit über zwei Jahren. Hierfür haben wir 200 junge Menschen zwischen 18 und 20 gewonnen, die wir über fünf Jahre begleiten werden. Alter und Dauer haben wir so gewählt, da die Vulnerabilität der Gruppe besonders groß ist: Viele Veränderungen finden in diesen Jahren statt, beispielsweise der Berufseinstieg oder der Beginn eines Studiums, es kommt häufig zum Ausbruch von psychischen Erkrankungen. Zu Beginn untersuchen wir das Gehirn im Hinblick auf die eben dargestellten Resilienzmechanismen. Gegen Ende, wenn wir wissen, welche Personen sich als resilient und welche Personen sich als verwundbar erwiesen haben, untersuchen wir die Gruppe ein zweites Mal, und können daraus im Idealfall ableiten, welche Hirnaktivitäten prädiktiv für den einen oder anderen Entwicklungsprozess waren. Wir hoffen, letztlich Vorhersagen über die wahrscheinliche Entwicklung eines Menschen machen zu können und so Risikopopulationen zu identifizieren, deren entsprechende Defizite vorbeugend trainiert werden können.
Das zweite große Forschungsprojekt ist in Mainz und Frankfurt angesiedelt. Hier wollen wir 1200 Personen zwischen 18 und 50 ebenfalls über einen längeren Zeitraum hinweg untersuchen, wobei die neurobiologischen Untersuchungen nicht ganz so intensiv sind wie im Mainzer Resilienzprojekt. Jedoch gilt es auch hier durch korrelative Studien letztlich herauszufinden, welche Mechanismen sich bei resilienten Menschen als wirksam erweisen.
Um evidenzbasierte Interventionsmethoden entwickeln zu können, muss man erst die bisherige Datenlage analysieren. Wenn man nach Begriffen wie Resilienz, Intervention und Wohlbefinden sucht, wird man einige Literatur finden und feststellen können, dass die Publikationen über die letzten Jahrzehnte extrem angestiegen sind. Bislang ist die Wirkung unterschiedlicher Interventionsmethoden jedoch wenig systematisch, anhand von randomisiert kontrollierten Studien – dem Goldstandard des Wirksamkeitsnachweises – nachgewiesen worden.
Wir haben also in einer Metaanalyse, einem Vergleich vieler Studien zum gleichen Thema, untersucht, ob die jeweils vorgeschlagenen Interventionsmethoden wirksam sind und wenn ja, wie wirksam sie sind. Wir fanden heraus, dass die Wirksamkeit all dieser Interventionen im Bereich zwischen einer kleinen und mittelgroßen Wirksamkeit liegt. Das ist ein Effektstärkenmaß von 0,37, was heißt, dass die Effekte der einzelnen Interventionen nicht besonders groß sind. Da davon auszugehen ist, dass einige Studien vermutlich gar nichts gezeigt haben und deshalb nie publiziert wurden – muss man außerdem den sogenannten Publikationsbias miteinbeziehen. Dem Rechnung tragend, ist es bislang unmöglich wissenschaftlich gesicherte Aussagen über die Wirksamkeit einzelner Programmkomponenten, die Intensität, Art und Langzeitwirkung von Resilienzinterventionen zu tätigen.
Insgesamt gibt es Hinweise darauf, dass Interventionsprogramme zur Resilienzförderung in verschiedenen Zielgruppen kurzzeitig wirksam sind. Da die Datenlage aber derart unbefriedigend ist, haben wir ein weiteres Forschungsvorhaben losgetreten, in dem wir versuchen die metaanalytischen Techniken weiter zu entwickeln, um in Methodenpublikationen darzustellen, wie man Resilienzstudien besser machen könnte.
Eine konkrete Intervention zur Resilienzförderung können wir also noch nicht anbieten. Jedoch schulen wir vor allem in Betrieben oder Institutionen schon jetzt mit dem Ziel, das Wissen, das man bereits über bekannte Resilienzfaktoren hat, weiterzugeben.