"Serving God means ruling"

Henry III's concept of rule and church policy.

As part of the event Church Reform and Investiture Controversy, 22.02.2023

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Henry V / Wikimedia Commons">Vita Mathildis / Wikimedia Commons
Henry V / Wikimedia Commons

Drei Zitate möchte ich an den Anfang meines Vortrages stellen. „Opposition ist Mist. Lasst das die anderen machen – wir wollen regieren.“ – „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ – „Gott zu dienen, bedeutet regieren.“ Drei Zitate, drei völlig unterschiedliche Aussagen. Die beiden ersten kennen Sie vermutlich. Das erste stammt von einem SPD-Vorsitzenden im Jahr 2004, das andere von einem FDP-Vorsitzenden des Jahres 2017. Bei aller Gegensätzlichkeit haben diese beiden Politikerzitate etwas gemeinsam: Das Regieren ist etwas, das man tun oder auch lassen kann. Natürlich auch etwas, was andere nicht so gut könnten wie man selbst, aber: Prinzipiell hat man keinen Anspruch darauf – und schon gar keinen göttlichen Auftrag dazu.

Die Präambel des Grundgesetzes verweist zwar auf eine allgemeine Verantwortung vor Gott, doch bezieht sich der Passus nicht auf konkretes obrigkeitliches Handeln in der Gegenwart. Der Eid der Kanzler und Ministerinnen, soweit überhaupt noch mit religiöser Formel gesprochen, enthält zwar eine kurze Bitte um Gottes Beistand, aber natürlich kein Gelöbnis, Gottes Wille erfüllen zu wollen. Als wir Anfang Mai 2023 bei der einzigen feierlichen Krönung zusahen, die in Europa übriggeblieben ist, haben wir zwar zahlreiche religiöse Riten sehen können, etwa die Herrschersalbung oder den Eid, Verteidiger des Glaubens zu sein. Aber, banal zu sagen: Charles III. regiert nicht.

Halten wir fest: Wer im heutigen Europa von einer göttlichen Berufung zum Regieren spricht, macht sich bestenfalls lächerlich – auch wenn das außerhalb Europas teilweise anders aussieht, etwa in Teilen Amerikas (dort vornehmlich bei einigen protestantischen Fundamentalisten) oder natürlich in mehreren islamischen Ländern.

Nun aber zum dritten Zitat, das Sie aus der Vortragsankündigung kennen: „Gott zu dienen, bedeutet regieren.“ Ich bin dem Organisationsteam dankbar, dass es einen Titel vorgeschlagen hat, mit dem ich sofort einverstanden war. Der Untertitel lautet: „Das Herrschaftskonzept und die Kirchenpolitik Kaiser Heinrichs III.“ Selbstverständlich sind „Konzept“ und „Politik“ nur Hilfsbegriffe. Wir dürfen sie nicht mit modernen Inhalten füllen – etwa im Sinne eines klaren, mehr oder minder rationalen Plans. Einen solchen Plan zu entwerfen, wäre ohnehin sinnlos gewesen. Denn ein Herrscher des 11. Jahrhunderts hatte nur beschränkte Möglichkeiten; oft reagierte er eher als dass er agieren konnte. Wir werden darauf zurückkommen. Man könnte also auch allgemeiner von Herrschaftsvorstellungen oder Handeln in der Kirche, Handeln mit der Kirche sprechen.

Aber auch da tun sich Schwierigkeiten auf: Der Herrscher spricht nicht mit uns. Es gibt so gut wie keine Selbstzeugnisse. Briefe Heinrichs III. sind so gut wie nicht überliefert. Aber wir haben 409 Urkunden, von denen 385 als echt gelten. Natürlich ist das für eine 17-jährige Regierungszeit nicht gerade viel. Umgerechnet heißt das, wir haben für jeden Regierungsmonat durchschnittlich nicht einmal zwei überlieferte Urkunden.

Doch was ist überhaupt eine Urkunde? Eine Urkunde ist ein beglaubigtes Rechtsdokument – im Mittelalter ebenso wie in der Gegenwart. Was ist dann der Unterschied zur Gegenwart? Zwar sind unsere Rechtsgeschäfte nach wie vor überwiegend mündlich, etwa, wenn wir Lebensmittel einkaufen. Aber im sogenannten Hohen Mittelalter, also der Zeit zwischen ca. 1000 und ca. 1250, war es die absolute Ausnahme, wenn Rechtsgeschäfte schriftlich fixiert wurden. Das meiste lief allein über symbolische Handlungen ab, selbst überaus wichtige Rechtshandlungen wie die Verleihung eines Herzogtums. Wenn man sich dennoch entschied, eine Rechtshandlung schriftlich niederzulegen, so hatte das gute Gründe, denn es war teuer. Teuer war das Pergament, teuer war die Tinte. Und so ergab es sich, dass überwiegend geistliche Empfänger darauf Wert legten, dass Schenkungen an sie schriftlich gesichert wurden, Gemeinschaften also, die selbst nicht imstande waren, ihren Besitz mit der Waffe zu verteidigen.

Der König ist meist fern, also steht die Herrscherurkunde stellvertretend für ihn. Wer diese Urkunde anfechtet, legt sich mit dem König an, so lautet die Botschaft. Wie gesagt, es ist der König selbst, der durch die Urkunde spricht. Es gibt im 11. Jahrhundert nun einmal keine Reichsverwaltung; es gibt nur den Herrscher und seine unmittelbar Beauftragten. Wenn eine Urkunde ausgestellt wird, geschieht das zwar in einer formalisierten Sprache, in der Zeit ausschließlich auf Latein. Aber die formelhafte Sprache der Urkunden war nicht gänzlich statisch. Viele Dinge sind veränderlich, nicht nur der eigentliche Rechtsinhalt. Zu den sehr variablen Teilen einer Urkunde gehört vor allem die Arenga, eine Art Vorwort. Der Herrscher begründet damit ganz allgemein sein Handeln. Warum beschütze ich Kirchen? Warum kümmere ich mich um die Schwachen? Oder noch allgemeiner: Was ist eigentlich meine Aufgabe? Der König ist auch im Mittelalter kein tatsächlicher Monarch, also kein Alleinherrscher im wörtlichen Sinn – ich habe es schon angedeutet. Er muss immer und immer wieder seine Herrschaft repräsentieren, legitimieren, begründen, nicht zuletzt auch gegenüber denen, die parallel zu ihm ebenfalls Herrschaft ausüben.

Doch nun, nach der etwas längeren Erklärung, wenden wir uns dem Motto des Vortags näher zu: „Gott zu dienen, bedeutet regieren.“ Auf Lateinisch: deo servire regnare est. Man könnte auch übersetzen: „Gott zu dienen, bedeutet herrschen.“ Es handelt sich um einen Auszug aus einer Urkunde Heinrichs III. für den Bischof von Utrecht, ausgestellt im Jahr 1040. Diese Urkunde ist an sich nicht sonderlich wichtig; dem Utrechter Bischof werden hier nur drei Güter geschenkt, keine Grafschaft oder Ähnliches. Aber Utrecht bzw. die dortige Bischofskirche war durchaus wichtig, weil dort die Eingeweide von Heinrichs Vater, Konrads II., beigesetzt waren. Der Kontext der Worte lautet wie folgt:

Honor nostri regni in hoc debet augendo florere, si iustis ac venerabilibus locis aliquid de nostris bonis videamur prebere, quia, sicut legitur, si deo servire regnare est, ergo nos esse regnaturos nullo modo ambigimus, si ęcclesiasticas res augendo honorare studuerimus.

Die Übersetzung aus dem Lateinischen lautet:

„Die Ehre Unseres Königtums muss dadurch erblühen, dass wir sie vermehren, wenn man sieht, wie Wir rechtschaffenen und verehrungswürdigen Orten etwas von Unseren Gütern darbieten, denn wenn, wie geschrieben steht, Gott zu dienen herrschen bedeutet, dann bezweifeln wir nicht, dass wir herrschen werden, wenn Wir uns bemühen, kirchliche Dinge dadurch zu ehren, dass wir sie vermehren.“

Nun haben wir es hier mit einer ziemlich komplizierten Sprache zu tun. Das ist bei einer Arenga häufig. Versuchen wir es in einer etwas verständlicheren Sprache auszudrücken: Die Ehre des Königs wächst, wenn er den kirchlichen Besitz vermehrt. Denn das ist Dienst an Gott. Wer Gott dient, der regiert – oder herrscht. Somit erweist sich Heinrich zweifellos als Herrscher.

Natürlich schreibt der Herrscher seine Urkunden nicht selbst. Das tat im Allgemeinen seine Kanzlei. Diese Kanzlei dürfen wir uns nicht als festen Ort vorstellen, sondern als kleine Gruppe von Geistlichen, die den König auf seinen ständigen Reisen begleitete. Diese Urkunde für Utrecht wurde verfasst von einem hochgebildeten Notar, der wahrscheinlich italienischer Abstammung war. Bei den Worten deo servire regnare est handelt es sich um ein Zitat Gregors I., der auch Gregor der Große genannt wird. Er war Papst zwischen 590 und 604 und gilt als katholischer Heiliger, Kirchenvater und Kirchenlehrer. Diese Worte stammen aus einer ihm zugeschriebenen „Messe für den Frieden“. Der dortige Kontext lautet in Übersetzung:

„Gott, Urheber und Liebhaber des Friedens, dich erkennen heißt leben, dir dienen heißt herrschen; beschirme uns, die wir zu dir flehen, vor allen Angriffen, damit wir, auf deinen Schutz vertrauend, keine feindlichen Waffen zu fürchten brauchen.“

Es ist klar, dass der Papst zwischen Antike und Frühmittelalter das Verb regnare – regieren, herrschen – nicht im Sinne eines eigentlichen Herrschers meint. Vielmehr scheint es in eine andere Richtung zu gehen: Den wahrhaft Gläubigen kann letztlich nichts etwas anhaben. Nun könnte man von einem Missverständnis reden, das oft dann auftaucht, wenn einzelne Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden. Oder haben wir es gar mit einem beabsichtigten Missbrauch des Zitats zu tun? Doch so einfach ist es denn doch nicht. Worte von Autoritäten haben nämlich im Mittelalter einen mehrfachen Sinn, den aber vermeintlich nur ausreichend Gebildete erkennen können. Ihnen mag bekannt sein, dass auf diese Art und Weise mittelalterliche Bibelexegese betrieben wurde. Man spricht in dem Zusammenhang vom vierfachen Schriftsinn. Meines Erachtens haben wir es hier mit etwas Ähnlichem zu tun. Unser Notar würde sicher nicht bestreiten, dass sich der Satz auf alle Gläubigen bezieht. Aber gleichzeitig hält er es für legitim, ihn auf einen tatsächlichen Regenten zu beziehen. Denn der Herrscher dieser Zeit ist eben kein gewöhnlicher Gläubiger, sondern er steht in außerordentlicher Verantwortung für das Wohlergehen der Kirche und aller Gläubigen. Somit: Wenn er diese Aufgabe angemessen erfüllt, ist er ein wahrer Herrscher. Man könnte das Ganze natürlich auch umkehren: Kein wahrer Herrscher ist, wer sich nicht ausreichend um den Dienst an Gott kümmert. Und das heißt nun mal nicht zuletzt, den Klerus in seinen seelsorgerischen Aufgaben zu unterstützen. Doch dazu bedarf es eben auch irdischer Güter: Kirchen müssen gebaut werden, Kleriker müssen sich kleiden und essen, Arme müssen versorgt werden.

Natürlich ist das nicht die ganze Wahrheit, da die Könige und Kaiser in dem Land, das einmal Deutschland heißen sollte, mit Schenkungen an die Kirche auch – im engeren Sinne – herrscherliche Interessen verbanden: Bischöfe und Äbte unterstützten den König bzw. Kaiser in vielerlei Hinsicht, und das nicht nur, weil es von ihnen erwartet wurde. Bischöfe und Äbte versorgten den durchreisenden Herrscherhof, berieten ihn auf Reichsversammlungen und stellten im Kriegsfall auch Krieger. So war es denn auch im Interesse des Herrschers, solche Personen zu Bischöfen und Äbten erheben zu lassen, von denen er sich eine treue Gefolgschaft versprach. Aber das ist es nicht allein – wir werden darauf zurückkommen. Dass der König das Recht habe, Einfluss auf die Auswahl der Bischöfe und Äbte zu nehmen und diese auch einzusetzen (wenn auch nicht zu weihen), war unter Heinrich III. noch weitgehend unbestritten. Heinrich III. gilt als letzter Herrscher, unter dem regnum et sacerdotium – Königsherrschaft und Priestertum – noch eine Symbiose bildeten. Darüber hinaus gilt er als Reformer auf dem Kaiserthron.

Bevor wir genauer betrachten, wie Heinrichs III. Einfluss auf die Kirche konkret aussah, wollen wir einige biographische Aspekte betrachten, die für unser Thema relevant sind.

Heinrich III.: ein ‚gelernter‘ Herrscher

Heinrich III. hatte das Glück – oder das Pech –, als Thronerbe aufzuwachsen. Er war wahrscheinlich sieben Jahre alt, als sein Vater Konrad II. 1024 zum König gewählt wurde und damit eine neue Dynastie begründete, diejenige der Salier. Heinrichs Erziehung war erstklassig, während wir von seinem Vater nicht einmal genau wissen, ob er überhaupt lesen und schreiben konnte. An Heinrichs Ausbildung beteiligten sich zwei Bischöfe (Brun von Augsburg und Egilbert von Freising), ein Mönch aus Italien und wohl auch der Hofgeistliche, Dichter und Geschichtsschreiber Wipo. Auch wenn Heinrich III., wie erwähnt, seine Urkunden nicht selbst schrieb, hat er sie dennoch verstanden. Sein Notar schrieb also in der Arenga Worte, mit denen Heinrich zumindest einverstanden sein musste.

Heinrichs Nachfolge wurde schnell gesichert. Da es in Deutschland bekanntlich ein Wahlkönigtum gab, war es nützlich, wenn der Sohn bereits zu Lebzeiten des Vaters zum Mitkönig erhoben wurde, der Herrscher also selbst intensiven Einfluss auf den Wahlvorgang nehmen konnte. Und so wurde Heinrich III. schon 1028 zum König gesalbt – ein Ritus, den wir kürzlich auch in Westminster haben beobachten können. Bald darauf ließ Konrad II. einen Siegelstempel anfertigen, auf dem Kaiser Konrad und König Heinrich gemeinsam abgebildet waren und die Inschrift zu lesen war: HEINRICVS SPES IMPERII – Heinrich, Hoffnung des Kaiserreichs. Die Hoffnung trog nicht – 1039 konnte Heinrich III. reibungslos die alleinige Nachfolge antreten. Er war nun König dreier Reiche, Deutschland, Burgund und Italien, und sah sich auch als oberster Lehnsherr über Böhmen, Polen und zeitweise sogar Ungarn; zudem gebot er zunächst direkt über die beiden Herzogtümer Schwaben und Bayern mit Österreich und Kärnten. Die angesprochene Urkunde wurde in seinem ersten Herrschaftsjahr ausgestellt; ihre Arenga kann durchaus als ein Hauptmotto seiner Regierung angesehen werden.

Wie präsentiert sich ein frommer Herrscher?

Betrachten wir nun Schlaglichter während Heinrichs Herrschaft, bei denen seine Herrschaftsvorstellungen besonders gut sichtbar werden.

Im Sommer 1044 führte Heinrich sein Heer gegen die Ungarn nahe des heutigen Dreiländerecks Österreich, Ungarn, Slowakei. Nach der siegreichen Schlacht geschah etwas Beeindruckendes. Ich zitiere aus den Annalen von Niederaltaich, eines Klosters in Niederbayern. In deutscher Übersetzung steht dort:

„Da fiel der Caesar, barfuß und mit einem Wollgewand auf dem bloßen Leib, vor dem lebensspendenden Holz des heiligen Kreuzes nieder. Dasselbe tat auch das Volk mit den Fürsten, indem sie Ehre und Ruhm demjenigen spendeten, der ihnen einen solchen wunderbaren, einen solch unblutigen Sieg geschenkt hatte. Alle vergaben allen, welche ihnen gegenüber eine Schuld auf sich geladen hatten.“

Ein ähnliches Schauspiel wird etwas später geschildert, nach der Rückkehr des Königs nach Regensburg: „An diesem Tag aß er erst etwas, nachdem er alle Kirchen der Stadt barfuß und mit einem Wollgewand besucht und die Altäre jeweils mit einem kostbaren Tuch bedeckt hatte.“ Der barfüßige Herrscher im härenen Gewand – diese Szene scheint zunächst an Canossa 33 Jahre später zu erinnern. Aber wenn auch die Symbolik der Buße ähnlich ist, haben wir es bei Heinrich III. mit einer völlig anderen Konstellation zu tun. Heinrich III. ist Treiber, sein Sohn später Getriebener. Er selbst ordnet die Buße an. Was steckt dahinter? Der Dank gegenüber Gott zeigt sich darin, dass man seine eigene Unwürdigkeit, seine eigene Sündhaftigkeit betont. Der Sieg wird nicht hochmütig, sondern in Demut begangen. Das wiederum ist Garantie für künftige Erfolge des Herrschers. Bemerkenswert ist dabei, dass Herrscher und Volk eine Bußgemeinschaft bilden. Denn auch der fromme Herrscher kann nicht erfolgreich regieren, wenn sein Volk unfromm handelt.

Eine ungeübte Rolle: Heinrich III. als ‚Papstmacher‘

Seit dem Jahr 962 war die ‚deutsche‘ Königswürde mit dem Kaisertum verbunden. Aber das war bekanntlich kein Automatismus: Der König muss sich zum Papst nach Rom aufmachen, und das natürlich nicht allein oder mit kleinem Gefolge, sondern mit einem Heer, denn er muss damit rechnen, dass er sich in Italien erst den Weg freikämpfen muss.

Heinrich III. brach am 8. September 1046 auf. Der Tag war mit Bedacht gewählt. Es war der Festtag Mariae Geburt. Und er betrieb weitere Vorsorge, indem er dem Domkapitel von Speyer um diese Zeit gleich acht Schenkungsurkunden ausstellte. Außerdem schenkte er dem Dom ein wertvolles Evangeliar. Das alles hängt miteinander zusammen, denn der Speyerer Dom ist der Heiligen Jungfrau geweiht. Das heißt, mit der Wahl des Datums und den Schenkungen stellte er sein Unternehmen unter den Schutz Marias – offenbar mit Erfolg: Er gelangte ungehindert nach Pavia, der alten langobardischen Hauptstadt. Dort tat er erneut Dinge, die wir heute im Verantwortungsbereich des hohen Klerus verorten würden: Er befahl die Abhaltung einer Synode. Nach einer Quelle soll er dort sogar selbst eine flammende Rede gegen den Kauf oder Verkauf von Kirchenämtern gehalten haben. Diese Praxis, Simonie genannt, gehörte neben der Priesterehe zu den größten Ärgernissen der beginnenden Kirchenreform.

An der Stelle einige Worte zum Reformbegriff. In der Gegenwart meint Reform ‚etwas anders machen‘, ‚etwas erneuern‘. Das meint es zwar im Mittelalter auch, aber mit einem völlig anderen Dreh. Denn es geht im Denken der Zeit zumeist nicht darum, etwas Neues zu schaffen, sondern einen alten, vermeintlich besseren Zustand wiederherzustellen, einen Zustand, der zwischenzeitlich pervertiert wurde. Maßstab ist hierfür die Kirche der ersten Jahrhunderte, die Alte Kirche, vor allem die Urkirche. Natürlich ist der Blick im 11. Jahrhundert auf diese Kirche in weiten Teilen eine Fiktion. Weder gab es in der frühen Kirche eine Pflicht zur Ehelosigkeit noch hatte der Bischof von Rom eine überragende Stellung inne.

Zurück zur Synode von Pavia: Ob nun Heinrich diese Rede selbst gehalten hat oder nicht – die anwesenden Bischöfe aus Deutschland, Italien und Burgund beschlossen, so heißt es, dass fortan alle abgesetzt und mit Exkommunikation belegt werden sollten, denen der Kauf kirchlicher Ämter nachgewiesen wurde.

Nun schien Heinrichs Krönung in Rom nichts mehr entgegenzustehen. Nur wenige Tage später traf sich der König mit Papst Gregor VI. in Piacenza, nicht weit von Pavia. Wir wissen nichts davon, dass es dabei irgendwelche Unstimmigkeiten gegeben hätte. Man zog gemeinsam weiter Richtung Rom. Wohl nur wenige Tagesreisen von der Ewigen Stadt entfernt erfuhr dann aber Heinrich von beunruhigenden Vorwürfen: Gregor VI. soll selbst sein Papstamt gegen eine Geldzahlung erhalten haben. Die Hintergründe sind jedoch so eindeutig nicht. Lassen wir wieder den Annalisten aus Niederaltaich zu Wort kommen:

Es gab, so heißt es dort, „drei Päpste, welche alle drei zu dieser Zeit noch lebten. Denn der erste von ihnen, der den päpstlichen Sitz wegen einer unerlaubten Ehe, die er eingegangen war, verlassen hatte, hatte sich eher freiwillig zurückgezogen als durch irgendeine feindliche Gewalt gezwungen. Darum verschworen sich die Römer untereinander und setzten einen anderen an seine Stelle, obwohl er noch am Leben war. Der erste aber verkaufte aber seine Herrschaft für eine Geldsumme an einen Dritten, da er, von Zorn getrieben, dem an seine Stelle gesetzten diese nicht gönnte.“

Ich denke kaum, dass das Zitat zur Klärung beitragen konnte, eher im Gegenteil – das Ganze erscheint etwas wirr; anscheinend wusste es der schreibende Mönch auch nicht so genau. Aber wir können mithilfe weiterer Quellen halbwegs rekonstruieren, was geschehen war:

Der erste Papst entstammte dem derzeit mächtigsten römischen Adelsgeschlecht, den Tuskulanern; er nannte sich Benedikt IX. Nach zwölf Jahren seines Pontifikats kam es 1044 zu einem Aufstand gegen ihn. Zum Gegenpapst wurde der Angehörige einer konkurrierenden römischen Adelsfamilie, der Crescentier, erhoben; er nannte sich Silvester III. Ob hinter dem Aufstand irgendwelche Verfehlungen sexueller Natur standen, lässt sich schwer sagen, doch auch andere Quellen lassen rückblickend kaum ein gutes Haar an Benedikt IX.

Wie auch immer – Silvester III. konnte sich nur einige Wochen auf dem Papstthron halten, dann wurde er vertrieben, ohne aber abzudanken. Benedikt IX. konnte zurückkehren – offenbar hatte seine Familie tatsächlich die ‚meisten Divisionen‘. Nach nur wenigen Wochen jedoch beschloss er, sein Amt aufzugeben – übrigens einer von drei tatsächlich freiwilligen Amtsrücktritten in der Papstgeschichte, wenn wir so genannte Gegenpäpste nicht mitrechnen. Nachfolger Benedikts wurde sein Taufpate, der sich Gregor VI. nannte. Das war anderthalb Jahre vor Heinrichs Eintreffen in Italien. So weit, so gut, denn Gregor VI. galt zunächst offenbar als tadellose Wahl, auch in den Augen von Kirchenreformern.

Nach diesem Rückgriff wenden wir uns erneut dem Jahresende 1046 zu: Heinrich kam auf dem weiteren Weg nach Rom zu Ohren, dass Gregor VI. seinem Vorgänger Benedikt eine Ablösesumme gezahlt habe, bevor der sich auf seine Landgüter zurückzog. Somit stand der Vorwurf des Ämterkaufs im Raum, eben der Simonie, gegen die die Kirchenreformer in Eintracht mit Heinrich selbst ankämpften. Nun war Eile geboten, denn als Krönungstag war Weihnachten vorgesehen. Eine neue Synode musste her. Sie fand in Sutri statt, ungefähr zwei Tagesmärsche von Rom entfernt, nur fünf Tage vor Weihnachten. Der zeitgenössische Chronist Hermann der Lahme schreibt:

„Und indem so alles glücklich von statten ging, hielt er [Heinrich  III. – D. J.] unmittelbar vor Weihnachten in Sutri erneut eine Synode, untersuchte die Angelegenheit der unrechten Päpste genauer und entzog Papst Gratian [das ist der Geburtsname Gregors VI. – D. J.], der überführt wurde, den Hirtenstab. Dann erwählte er mit der Zustimmung aller, sowohl der Römer wie der anderen, den Bischof Swidger, der nach dem ersten Bischof Eberhard als zweiter die Bamberger Kirche schon im 6. Jahr leitete, zum obersten Bischof der römischen Kirche, obwohl sich der kräftig sträubte; und so betreten sie um den Heiligen Abend vor dem Geburtsfest des Herrn die Stadt selbst. […] Am Geburtsfest des Herrn selbst wurde der genannte Swidger, von Stamm ein Sachse, als 151. Papst für den apostolischen Stuhl nach Brauch geweiht und mit erhöhtem Namen Clemens II. genannt. Er erhob alsbald am gleichen Tag König Heinrich und seine Gemahlin Agnes durch Einsegnung als Kaiser.“

Wieder wissen wir nicht, ob es sich genau so abgespielt hat. Ein Synodalprotokoll ist abermals nicht überliefert. Andere, durchaus glaubhafte Quellen besagen, Papst Gregor VI. habe selbst die Synode von Sutri geleitet. Auch bleibt unklar, inwieweit der Papst letztlich seine Schuld einsah und ‚freiwillig‘ seinen Sitz räumte. Fest steht aber, dass es ohne den Druck Heinrichs gar nicht erst zu einer solchen Synode mit diesem Ergebnis gekommen wäre, und schon gar nicht wäre ein Vertrauter Heinrichs zum neuen Papst gewählt worden. Das geschah jedoch nicht in Sutri, wie Hermann der Lahme behauptet, sondern erst in Rom.

Welchen tatsächlichen Einfluss hat Heinrich III. ausgeübt? Auch hier wird durchaus Widersprüchliches berichtet. Dass er aber einen langfristigen Plan verfolgt und ihn gegen den Widerstand der Anwesenden durchgesetzt hätte, wird zumindest in der Gegenwart kaum noch angenommen. Die Wahl eines Deutschen oder genauer eines Sachsen zum Papst hatte aber längerfristige Folgen. Dessen Namenswahl zeigt übrigens schon eine Programmatik an: Der erste Namensträger galt als Petrus-Schüler und damit als Vertreter eines frühen, angeblich reinen Papsttums.

Nach dem Ende Clemens’ II. weniger als ein Jahr später mischte sich Heinrich noch eindeutiger in die Nachfolgeregelung ein. Sie wurde direkt am Königshof bestimmt, konkret in Pöhlde am Harz, wo sich der reisende König Ende 1047 gerade befand. Der Großteil der Quellen berichtet, Heinrich III. habe den Papst „bestimmt“ – auf Latein assignavit. Andere schreiben, er habe zuvor Bischöfe befragt, wieder andere, er sei den Bitten einer Gesandtschaft aus Rom gefolgt. Das Ergebnis war, dass erneut ein Bischof aus dem nordalpinen Reichsgebiet zum Papst bestimmt wurde, nämlich der Bischof Poppo von Brixen im heutigen Südtirol. Er musste in Begleitung eines Heeres nach Rom geleitet werden. Denn Benedikt IX. – wir erinnern uns, der Papst, der einmal vertrieben worden war, ein andermal freiwillig gegen eine Ablösesumme verzichtet hatte –, war seines Ruhestandes überdrüssig und ließ sich abermals zum Papst einsetzen. Gegen das Heer konnte er nichts ausrichten, sodass Poppo letztendlich in Rom auf den Petersstuhl gesetzt wurde. Er gab sich den Namen Damasus II. – nach einem Papst des 4. Jahrhunderts, der den Vorrang des römischen Bischofssitzes bereits stark betont hatte. Überliefert sind jedoch höchstens drei Amtshandlungen dieses Papstes. Das ist kein Wunder, denn nach weniger als einem Monat wurde er im Hochsommer 1048 dahingerafft, vielleicht von der Malaria.

Und abermals begab sich eine römische Delegation zu Heinrich III. Zwar durften die römischen Gesandten auch diesmal mitreden (wer bestimmte sie eigentlich?), aber durchgesetzt hat Heinrich dann einen ferneren Verwandten, den Bischof Bruno von Toul, einen Elsässer. Die Beteiligung der Römer bestand offenbar nur darin, dass sie ihm bei seiner Ankunft in Rom akklamierten, also seine Wahl durch Zuruf oder Beifall bestätigten. Leo IX. – so nannte er sich nach dem selbstbewussten spätantiken Papst Leo dem Großen – war immerhin so lange Pontifex, dass er tiefgreifend wirken konnte. In fünf Jahren (1049–1054) setzte er entscheidende Akzente und kann deshalb als erster tatsächlicher Reformpapst gelten. Aber das ist Thema des Beitrags von Klaus Herbers und soll hier nicht weiter vertieft werden. Nur zwei Aspekte seien erwähnt: Angeblich habe der neue Papst seiner Einsetzung nur unter der Bedingung zugestimmt, dass sie in Rom durch Klerus und Volk wiederholt würde. Wollte er sich gegenüber Kritik absichern? Oder handelt es sich bereits um ein erstes ‚Abnabeln‘ des Reformpapsttums vom Kaisertum? Wie auch immer, das Verhältnis zwischen Heinrich III. und Leo IX. war weitgehend einvernehmlich. So hielten Kaiser und Papst bereits wenige Monate nach dessen Amtsantritt eine Synode in Mainz ab. Sie hatten – zumindest nach Aussage einer der überlieferten Quellen – gemeinsam dazu aufgerufen, sodass sich neben mindestens 40 Bischöfen wohl auch zahlreiche Äbte, niedere Kleriker und Laien einfanden. Auch hier ist zwar kein Protokoll erhalten, aber aus anderen Quellen wissen wir, dass es wieder um Simonie und „abscheuliche Priesterehen“ ging.

Aus einer Urkunde des Papstes erfahren wir, dass Heinrich die neu erbaute Stiftskirche in seiner Pfalz Goslar dem Eigentum und Schutz der Römischen Kirche anvertraute, also dem Papsttum. Gleichzeitig behielt er, der Kaiser, sich vor, den dortigen Propst einzusetzen. Aufschlussreich ist, dass Leo IX. damit offenbar kein Problem hatte.

Es sei erwähnt, dass Heinrich III. nochmals Gelegenheit hatte, einen Papst faktisch selbst einzusetzen, nämlich den Bischof Gebhard von Eichstätt, vermutlich ein Schwabe. Er war zuvor schon ein wichtiger Berater Heinrichs III. gewesen und wurde von ihm in Mainz zum Papst bestimmt. Dabei widersprechen sich die Quellen, inwiefern die Delegation aus Rom ihren eigenen Willen einbringen konnte. Mit diesem Papst, der sich seit 1055 Viktor II. nannte, können wir ein Zwischenfazit ziehen:

Zweifellos hat Heinrich III. 1046 eine papstgeschichtliche Wende eingeleitet. Er setzte – faktisch – Päpste ein, die außerhalb der stadtrömischen Streitigkeiten standen. Das verschaffte ihnen einen Spielraum als Reformer. Es ist immer problematisch, nach einem Jahrtausend über persönliche Motive zu spekulieren. Aber es gibt kaum Zweifel daran, dass es Heinrich III. bei seiner Auswahl nicht nur um ihm gegenüber loyale Päpste ging, sondern auch darum, fromme Männer mit tadellosem Ruf einzusetzen. Einer davon, Leo IX., gilt als katholischer Heiliger. Dass sich das Reformpapsttum nur zwei Jahrzehnte später gegen den deutschen König selbst wenden sollte, war zu der Zeit natürlich noch nicht abzusehen. Wäre es zu einer anderen Entwicklung gekommen, wenn Heinrich länger gelebt hätte? Möglicherweise. Aber es ist nicht die Aufgabe von Historikerinnen und Historikern, die Frage zu stellen, was gewesen wäre, sondern was war.

Von der Kunst, einen Bischof auszuwählen

Es bleibt der Aspekt der Bischofseinsetzungen – später, unter Heinrichs III. Sohn und Enkel, der Hauptstreitpunkt der Kirchenreform. Auch das war unter Heinrich III. kaum abzusehen. Aber gibt es überhaupt ein übliches Muster einer Erhebung von Bischöfen oder – im Allgemeinen etwas weniger wichtig – von Äbten bzw. Äbtissinnen? Zunächst: In vielen Fällen wissen wir gar nicht, wie sich die Nachfolge gestaltete. In anderen Fällen heißt es in den Quellen nur: Heinrich ernannte einen Kleriker X zum Bischof oder einen Mönch Y zum Abt. Selten wird der Vorgang ausführlicher geschildert. Dabei werden unterschiedliche Muster sichtbar:

Erstes Muster: Heinrich setzt einen Kandidaten gegen Widerstand vor Ort durch. So geschah es offenbar in Mailand und Köln. Es heißt in einer Quelle, Heinrich habe sich 1045 über den Willen des Mailänder Adels und des Klerus hinweggesetzt und nicht einen der Ihren als Bischof ausgewählt. Nur Furcht vor dem König oder Bestechung habe sie dazu gebracht, den Nominierten zu akzeptieren. Hier ist aber Vorsicht geboten: Unser Gewährsmann, der Mailänder Arnulf, schrieb drei Jahrzehnte nach den Ereignissen und gehörte zu denen, die die Eigenständigkeit der Mailänder gegenüber Einmischungsversuchen von außen verteidigten, sei es durch Päpste oder Kaiser. Zweites Beispiel Köln: Wir hören, 1056 sei eine Delegation bei Heinrich in Koblenz eingetroffen, welche nach dem Tod des alten Erzbischofs um einen würdigen Nachfolger gebeten habe. Heinrich habe sich für Anno, seinen langjährigen Hofkaplan, entschieden, und ihm Bischofsstab und Bischofsring überreicht. Nach seiner Ankunft in Köln sei Anno aber mit einer Art Hundegekläffe empfangen worden und man habe ihm zugerufen: „Wer ist das und wer hat den zum Fürsten und Richter über uns gemacht?“ Hier ist die Quelle noch problematischer – es handelt sich nämlich um eine Heiligenvita, ein halbes ­Jahrhundert nach den Ereignissen entstanden. Anno wird als eine Art Mose geschildert, der sich gegen ein störrisches Volk durchsetzen muss.

Zweites Muster: Aushandlung. Im Jahr 1042 war der Bischofssitz von Eichstätt neu zu besetzen. Die Vorgänge werden folgendermaßen geschildert: Heinrichs Verwandter, der Bischof von Regensburg, riet ihm, den Regensburger Dompropst einzusetzen. Fast hätte Heinrich das auch getan, doch dann erfuhr er, dass derjenige ein Priestersohn war. Heinrich weigerte sich, das zu akzeptieren. Um aber seinen Verwandten nicht zu brüskieren, gestattete er ihm einen weiteren Vorschlag. Der wiederum riet ihm nun zu einem Schwaben namens Gebhard, der ebenfalls ein Regensburger Domkleriker war. Heinrich bekam ihn zu Gesicht und stellte fest: Ist der Mann nicht zu jung? Auch zu Rate gezogene andere Bischöfe fanden das problematisch. Schließlich erhob sich der heiligmäßige Erzbischof Bardo von Mainz und sprach: „Herr, es ist gut, wenn du ihm diese Macht verleihst, denn einstmals wirst du ihm noch größere verleihen.“ Heinrich entschied sich daraufhin für Gebhard. Der Bericht entstammt einer Eichstätter Bischofschronik, etwa dreieinhalb Jahrzehnte später abgefasst. Diese Stelle ist zweifellos legendär eingefärbt. Aber ganz erfunden ist sie sicher nicht. Es musste der Leserschaft zumindest schlüssig erscheinen, dass der König sich zunächst eingehend mit anderen berät, bevor er eine Entscheidung trifft. Aber was ist der Sinn der geschilderten Prophezeiung des Mainzer Erzbischofs? – Gebhard von Eichstätt war niemand anderes als der spätere Papst Viktor II.

Drittes Muster: Heinrich gibt erst nach erfolgter Wahl seine Zustimmung. In Lüttich wurde 1042 der Dompropst Wazo zum Bischof gewählt, und zwar von Klerus und Volk, wie sich das eigentlich nach Kirchenrecht gehört. So berichtet es eine zeitgenössische Lütticher Bischofschronik. Er begab sich zu Heinrich III., um seine Bestätigung einzuholen. Heinrich zögerte, zumal einige in seiner Umgebung anmerkten, dass eine Wahl ohne vorherige Zustimmung des Königs ja ungehörig sei, außerdem habe Wazo niemals am Hof als Geistlicher gedient. Auf den Rat zweier Bischöfe erteilte er dennoch seine nachträgliche Zustimmung und investierte Wazo mit Bischofsring und Bischofsstab.

Viertes Muster: Heinrich setzte sich über eine Wahl einfach hinweg (was allerdings wohl selten geschah). Das sei etwa nach einer Klosterchronik im elsässischen Ebersmünster der Fall gewesen, wo er statt des Gewählten einen vertrauten Goldschmied eingesetzt habe. Ob wir aber dieser wesentlich späteren Überlieferung trauen können, bleibt unklar.

Lassen wir es dabei bewenden. Festzuhalten bleibt: Natürlich lag es in Heinrichs Interesse, Leute, die er kannte, denen er vertraute, zu Bischöfen oder Äbten zu machen. Aber er musste im Allgemeinen doch auf die Gegebenheiten vor Ort Rücksicht nehmen. Er konnte nicht einfach kirchenpolitisch ‚durchregieren‘. Ferner: Heinrich hatte überwiegend das Bestreben, tatsächlich geeignete Kandidaten durchzusetzen oder zu akzeptieren. Das waren keineswegs immer eifrige Verfechter der Kirchenreform, aber zumindest meist solche, die ihr Amt ernstnahmen.

Lob und Mahnung für den Herrscher

Wir begannen mit einem Aspekt des Herrschaftsverständnisses Heinrich III. Nach einem langen Ausflug in den Bereich des tatsächlichen Handelns bzw. Reformhandelns des Königs und Kaisers möchte ich abschließend dahin zurückkehren. Es gibt nämlich noch weitere Herrschaftsvorstellungen, die auf Heinrich III. übertragen wurden. Der Hofkaplan Wipo übergab dem König 1041 eine kleine Schrift namens Tetralogus, eine Mischung aus Herrscherlob und Herrscherermahnung. Er scheut sich darin nicht, Heinrich als „Zweiter nach Christus“ zu bezeichnen. An anderer Stelle des Werks heißt es: „Du bist das Haupt der Welt, dein Oberhaupt ist der Lenker des Olymps.“ Oder: „Die Welt zweifelt nicht, dass du sie als Zweiter nach dem Herrn des Himmels regierst.“ Man könnte das als pure Schmeicheleien eines Höflings abtun, aber das wäre zu einfach. In seinem bekanntesten Werk, der Tatenbeschreibung Konrads II., beschreibt er die Krönung von Heinrichs Vater im Jahr 1024. Dabei soll der Mainzer Erzbischof gepredigt haben:

„Zur höchsten Würde bist du aufgestiegen, ein Stellvertreter Christi bist du. Wer ihm nicht nachfolgt, ist kein wahrer Herrscher. Auf diesem Königsthron musst du an die unvergänglichen Ehren denken.“

Vicarius Christi – Stellvertreter oder Sachwalter Christi – ein Titel, den wir heute allein mit dem Papst in Verbindung bringen! Auch dieses Werk war Heinrich III. gewidmet, der zur Zeit der Krönung seines Vaters sieben Jahre alt war. Ob diese Worte bei der Krönung seines Vaters so oder ähnlich gefallen sind, ist ungewiss, aber es ist für uns hier gar nicht von Belang, ob sie dem Erzbischof von Wipo in den Mund gelegt wurden oder er es nur für wichtig hielt, sie nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Es sind durchaus zweischneidige Worte: Wer Stellvertreter Christi ist, muss sich dieser erhabenen Rolle auch würdig erweisen, also Christus nachfolgen – als Gläubiger, als gerechter Herrscher. Sonst ist er kein wahrer Herrscher; wir erinnern uns an die eingangs behandelte Arenga. Und wichtiger als die Herrschaft auf Erden ist ohnehin das Seelenheil, hier als unvergängliche Ehre bezeichnet. Gott wird Rechenschaft verlangen, ob der Herrscher seine Aufgabe erfüllt hat – weit mehr noch als von anderen Gläubigen mit weniger Verantwortung. In unserem Zusammenhang bemerkenswert ist aber auch Folgendes: Nach Heinrich III. kam meines Wissens niemand mehr auf die Idee, den römisch-deutschen König oder Kaiser als Stellvertreter Christi zu bezeichnen.

Nun haben wir es hier mit Fremdzuschreibungen zu tun. Hat Heinrich sich aber auch selbst so gesehen? Versuchen wir uns dieser Frage weiter zu nähern.

Sich vom Kaiser ein Bild machen

Einen ergänzenden Einblick in das Herrschaftsverständnis zur Zeit Heinrichs III. erhalten wir, wenn wir uns Herrscherabbildungen in Handschriften ansehen. Davon gibt es hinsichtlich Heinrichs III. und seiner Frau Agnes von Poitou einige. Ich habe eines ausgewählt, das meines Erachtens etwas weniger bekannt ist als andere Herrscherbilder.

Es entstammt dem so genannten Codex Caesareus. Dabei handelt es sich um ein Evangeliar, eine Handschrift mit den vier Evangelien. Auftraggeber war Heinrich III. selbst, und zwar um das Jahr 1050. Ausgeführt wurde die Arbeit in Echternach im heutigen Luxemburg. Dort gab es ein bedeutendes Benediktinerkloster, das wiederum für seine Schreibwerkstatt bekannt war. Hier entstanden im Hochmittelalter auch mehrere Meisterwerke der Buchmalerei; man spricht hier auch von Prachthandschriften. Gedacht war das Evangeliar als Schenkung Heinrichs III. an die neu erbaute Stiftskirche bei der Pfalz Goslar. Dort befand sich das Evangeliar bis zum Dreißigjährigen Krieg, dann wurde es nach Schweden verschleppt und befindet sich nun in Uppsala. In solchen Handschriften befinden sich zu Beginn üblicherweise Miniaturen der Stifter, sogenannte Dedikationsbilder. So sehen wir auf einem Blatt Heinrich III., wie er den beiden Aposteln Simon und Juda das Evangeliar überreicht. Denn die Stiftskirche war Simon und Juda geweiht. Wie bei solchen Stifterbildern üblich, wird der Stifter gegenüber den Beschenkten klein und demütig dargestellt, auch wenn er ein Herrscher ist. Oben die Inschrift: „Kaiser Heinrich erhöht die Mauern von Goslar“ – gemeint ist, er erhöht sie durch die Gründung des Stifts.

Für uns interessanter ist aber die hier abgebildete, gegenüberliegende Miniatur. In der Mitte sehen wir Christus als Weltenherrscher; seine Füße ruhen auf dem Kosmos, in der Mitte die Erdkugel. Am Rand die Symbole der vier Evangelisten: Adler = Johannes, Stier = Lukas, Mensch = Matthäus, Löwe = Markus. Zur Rechten Christi sehen wir Heinrich III. mit einem Adlerszepter, zur Linken seine Frau Agnes von Poitou mit einem Lilienszepter. Niemand anderes wird dargestellt, nur das Kaiserpaar mit Christus. Die Hand Christi ruht auf dem Paar, wobei wir es sicher mit einer bewusst doppeldeutigen Gestik zu tun haben, nämlich Krönung und Segnung. Oben finden sich folgende Worte: PER ME REGNANTES VIVANT HEINRICVS ET AGNES. – „Durch mich regieren sie, Heinrich und Agnes, sie sollen leben.“ Die Worte werden der einen oder dem anderen vielleicht bekannt vorkommen, sie stehen nämlich so ähnlich auf der Reichskrone: PER MES REGES REGNANT – „durch mich regieren die Könige“, ein biblisches Zitat aus den so genannten Sprüchen Salomos (Buch der Sprichwörter). In der oberen Mandorla um Christus steht die Umschrift: CAELVM CAELI D(omi)NO – „Der Himmel gehört dem Herrn des Himmels.“ In der unteren Mandorla finden wir die Worte „FILIIS HOMINVM TERRAM AUTEM DED(it) – „Die Erde aber gab er den Menschensöhnen.“ – Beides ist ein zusammengehöriges Zitat aus den Psalmen. Himmlische und irdische Sphäre sind zwar durch Wort und Darstellung klar geschieden. Aber sie sind nicht undurchdringlich. Die Häupter des Kaiserpaares ragen in die himmlische Sphäre hinein. Diese Bildsprache möchte aussagen: Der Herrscher ist zwar ein bloßer Mensch, aber ein Mensch, der in einer besonderen Beziehung zum Göttlichen steht. Mochte er auch durch die sichtbare Hand des Papstes gekrönt worden sein – letztlich ist er ein unmittelbar von Gott Beauftragter. Und wer sollte einem von Gott Eingesetzten schon verwehren, sich auch in kirchliche Belange einzumischen, natürlich zum Besten der Kirche? Diese Art der Darstellung steht nicht allein. So gibt es ein ähnliches Krönungsbild seines Vorvorgängers, Heinrichs II., vom Jahrhundertanfang aus dem Regensburger Sakramentar, das man heute in der bayerischen Staatsbibliothek findet, oder ein Krönungsbild Ottos III. von ca. 1000, das den Herrscher sogar selbst in einer Mandorla zeigt (Liuthar-Evangeliar in der Aachener Domschatzkammer).

Dass es diese anderen Beispiele gibt, ist nicht erstaunlich, stand doch Heinrich III. in einer älteren Tradition einer stark sakralen Herrschaftsvorstellung. Bemerkenswert ist aber, dass es nach Heinrich III. derartige Darstellungen nicht mehr gab.

Allerding sollten wir solche Darstellungen nicht vorschnell als unmittelbare Äußerungen kaiserlichen Selbstverständnisses betrachten. Auch wenn sie solcherart Handschriften in Auftrag gaben, heißt das nicht zwingend, dass sie unmittelbaren Einfluss auf die künstlerische Umsetzung nahmen. Ebenso gut ließen sich derlei Krönungsbilder als Ausdruck der Vorstellungen im klerikalen Umfeld des Herrschers sehen – oder gar nur im ausführenden Kloster selbst. Handelte es sich auch um bildgewordene Herrschermahnungen, um Entwürfe, wie sich der Kaiser zu sehen habe?

Erste Risse im ‚System‘

Gleichsam als Epilog möchte ich über Anfänge der Kritik zu Heinrichs Lebzeiten bzw. unmittelbar danach sprechen. 1047/48, vermutlich in Burgund, entstand ein Traktat eines namentlich unbekannten Geistlichen über die rechtmäßige ­
– oder genauer: unrechtmäßige – Ein- und Absetzung von Päpsten (De ordinando pontifice). Darin geißelt er mit ­heftigen Worten die Einmischung Heinrichs III.; es sei eine Anmaßung, über den Römischen Stuhl zu richten. Er versteigt sich gar zu den Worten: „Wer aber das Haupt ist, darf vom Schwanz nicht geschlagen werden […]“; auch seien „die Kaiser den Bischöfen untertan“. Geradezu revolutionäre Worte (zumal der Verfasser eine Papstwahl durch sämtliche Bischöfe der Christenheit empfiehlt), auch wenn sie zu dieser Zeit kaum Verbreitung fanden (es ist nur eine einzige Handschrift überliefert).

Interessant ist auch eine Stelle aus einem Tatenbericht der Bischöfe von Lüttich, niedergeschrieben wohl sehr bald nach Heinrichs Ende. Wir hatten schon von Bischof Wazo gehört, dessen Wahl Heinrich III. akzeptieren musste. Wazo kritisierte später Heinrichs Einmischung in die Papstwahl mit grundsätzlicher Kritik:

„Der Kaiser aber, der bekanntlich ein so beschaffener Mensch war, dass er sich die Gewalt über die Bischöfe auf überaus weltliche – um nicht zu sagen – ruhmsüchtige Weise zu verschaffen suchte, sagte: ‚Aber ich bin auf gleiche Weise mit heiligem Öl gesalbt, und mir ist deshalb Befehlsgewalt vor allen anderen gegeben.‘ Der Bischof meinte nun umgekehrt – durch den Wahrheitseifer und die Glut der Gerechtigkeit erhitzt –, den anderen durch Worte von derselben Art kurz belehren zu müssen. Er sagte: ‚Eine andere ist sie und weit von der priesterlichen unterschieden, diese Eure Weihe, die ihr das für euch in Anspruch nehmt, weil ihr ja schließlich durch diese zum Töten, wir aber auf Geheiß Gottes zum Lebendigmachen gesalbt worden sind; von daher ergibt sich der Schluß: um wieviel mehr das Leben stärker ist als der Tod, umso besser ist ohne Zweifel unsere Weihe als die Eure‘ […].“

Der König beruft sich laut dieser Darstellung auf seine Herrschersalbung, um seine Autorität auch in der Kirche zu legitimieren. Wazo habe das nicht gelten lassen: Die Herrscherweihe habe mit der Bischofsweihe nichts zu tun; auf sie zu setzen sei Anmaßung. Wir Heutige können das teilweise nachvollziehen – für uns ist es selbstverständlich, dass eine weltliche Macht sich möglichst aus kirchlichen Angelegenheiten heraushalten soll. Aber um die Mitte des 11. Jahrhunderts waren solche Gedanken revolutionär. Weniger nachvollziehen können wir das bischöfliche Selbstbewusstsein. Implizit wird nämlich gesagt, dass das umgekehrt gar nicht gelten muss. Papst Gregor VII. brachte später dann ein solches Überlegenheitsbewusstein zur Vollendung.

Wir werden nicht erfahren inwiefern diese Stelle stilisiert ist, ob es Wazo tatsächlich wagte, seinem weltlichen Herrn so schroff zu widersprechen. Aber eines sehen wir: Die Lunte an das weit gehende sakrale Herrschaftsverständnis war gelegt.

Conclusion

Im Umfeld Heinrichs III. gab es zweifellos theokratische Herrschaftsvorstellungen. Das Zielpublikum dieser Vorstellungen war jedoch überschaubar; inwieweit sich der König bzw. Kaiser diese selbst in solchem Ausmaß zu eigen machte, können wir letztlich nicht wissen. Vor allem aber: Seine Herrschaft war keine tatsächliche Theokratie. Der Herrscher war kein Priesterkönig. Er verwaltete keine Sakramente, und die Rechtsprechung gründete nicht unmittelbar auf der Bibel. Ich möchte behaupten, dass das Christentum ohnehin nicht geeignet ist für theokratische Versuche, insbesondere da im Neue Testament eine spezifische Gesetzgebung fehlt. Wurden solche Versuche unternommen, waren sie kurzer Natur (etwa Savonarolas Regime in Florenz oder das Täuferreich in Münster). Aber es bleibt festzuhalten: Sacerdotium und Regnum, Priestertum und Königtum, geistliche Gewalt und herrscherliche Gewalt, bildeten unter Heinrich III. eine Symbiose – aufgrund des längerfristigen Zugriffs auf das Papsttum sicherlich stärker als zuvor. Doch trotz aller Reformunterstützung durch Heinrich blieb es nicht aus, dass sich bereits unter ihm erster Widerspruch zur Art und Weise seines Vorgehens regte.

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