The New Man Revisited

Post- and Transhumanist Perspectives

As part of the event Become a human being, 04.11.2022

© Wikimedia Commons

Das Universum entstand vor etwa 14 Milliarden Jahren und die Erde vor etwa 4,5 Milliarden Jahren. Dann dauerte es noch eine weitere Milliarde Jahre, bis sich erste Lebensformen entwickelten. Erst in den jüngsten 530 Millionen Jahren haben sich Säugetiere, Amphibien, Reptilien, Fische und Vögel entwickelt. In diesem Zeitraum wäre das Leben auch fast schon wieder ausgestorben. Vor 440, 372, 252, 201 und 66 Millionen Jahren gab es die großen fünf Ereignisse von Massenaussterben, bei denen zuweilen sogar 95 % aller marinen Lebensformen ausgestorben sind. All dies geschah noch bevor der erste Mensch entstanden war. Die letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Menschenaffen lebten vor etwa 6 Millionen Jahren.

 

Cyborgs

Der homo sapiens ist wohl vor rund 400.000 Jahren entstanden. Damals setzte aufgrund einer Genmutation die Sprachentwicklung ein, so dass die Voraussetzungen für Sprache vorhanden waren, die in jedem Einzelfall dann wieder mittels eines kulturellen und elterlichen Upgrades realisiert werden muss. Die kulturelle Steuerung macht uns zu tatsächlich sprachfähigen Lebewesen. Mit diesem Upgrade ist der Mensch entstanden. Bei der Sprachfähigkeit handelt es sich also um ein elterliches Upgrade, weshalb homo sapiens auch als Cyborgs bezeichnet werden können. Das Wort Cyborg steht schließlich für den kybernetischen Organismus, wobei das Wort kybernetisch von dem altgriechischen kybernaetaes, also dem Steuermann eines Schiffs kommt. Cyborgs sind gesteuerte Organismen, und Menschen sind solche gesteuerten Organismen, die aufgrund der Steuerung die Sprachfähigkeit erlangen und damit auch zu vernünftigen Wesen werden.

Jeder Mensch entwickelt aufgrund einer jeweils idiosynkratischen Steuerung eine eigene verkörperlichte Vernunft. Bei der Vernunft handelt es sich nicht um einen immateriellen Funken, sondern vielmehr um ein Ergebnis eines kulturellen Upgrades. Mit der entsprechenden Genmutation sind wir zum sprachfähigen Cyborg geworden, und als homo sapiens sind wir stets sprachfähige Cyborgs gewesen, wobei es sich bei der Vernunft um einen Teil des evolutionär entstandenen Körpers handelt. Der Körper wiederum besteht aus etwa 39 Trillionen nicht-menschlicher Zellen, die zum Großteil in unserem Darm leben, und aus etwa 30 Trillionen menschlichen Zellen. Unser Körper hat also mehr nicht-menschliche als menschliche Zellen. Auch sonst sind die Grenzen unserer Körper gar nicht so einfach zu bestimmen. Unsere Smartphones können etwa als erweiterter Geist, als extended mind verstanden werden. Ein Mensch mit Cochlear Implantat kann dieses mit dem eigenen Smartphone steuern und so die eigenen kognitiven Kapazitäten beeinflussen. Wenn ihm das Smartphone gegen seinen Willen weggenommen wird, dann kann dies durchaus auch als Verletzung der körperlichen Integrität verstanden werden, da so seine kognitiven Möglichkeiten beschränkt werden. Auch wenn der eigene Avatar im Metaversum ungewollt durch einen anderen Avatar bedrängt und berührt wird, dann kann dies als Verletzung der körperlichen Integrität aufgefasst werden. Der ständig sich im Prozess der Veränderung befindliche Körper, in dem auch die Vernunft als Teil vorhanden ist, besteht aus mehr nicht-menschlichen als aus menschlichen Zellen und kann möglicherweise siliziumbasierte Smartphones und digitale Avatare umfassen.

 

Posthumanismus

Es ist dieses Bild des homo sapiens, welches insbesondere bei kritischen Posthumanist*innen das Vorherrschende ist. Es ist deren zentrales Anliegen, das kulturell geschaffene und in unserem Kulturbereich vorherrschende Menschenbild zu verwinden, das auf der kategorialen ontologischen Dualität einer immateriellen Vernunft und eines materiellen Körpers beruht, da mit ihm zentrale Diskriminierungsstrukturen einhergehen. Der auf kategorialen ontologischen Dualitäten beruhende Humanismus wurde kulturell erschaffen, um bestimmte Herrschaftsstrukturen zu etablieren.

Zentrale Entwicklungsschritte dieses kulturellen Prozesses sind die Anthropologien Platons, der Stoiker, Descartes und auch Kants. Wichtige problematische Diskriminierungsprozesse lassen sich treffend mittels Platons Höhlengleichnis erläutern. Die helle Sonne steht für das unbedingt Gute, wohingegen die dunklen Schatten weit davon entfernt mit dem Bösen identifiziert werden. So ist der Rassismus als kulturelle Struktur entstanden. Die Sonne repräsentiert die Vernunft, die weithin mit dem Männlichen identifiziert wurde, wohingegen unvernünftige Urteile häufig auf den typisch weiblichen Gefühlen beruhen. So ist der Sexismus strukturell entstanden.

Die Vernunft ist weiterhin eine Eigenschaft, die traditionell den Menschen kennzeichnete. Allen anderen Lebewesen kommt sie nicht zu. So ist der Speziesismus entstanden. Weiterhin ermöglicht einem die Vernunft, die unbedingte Wahrheit in Korrespondenz zur Wirklichkeit zu erkennen. So entstand der Aletheismus, die Diskriminierung aller Unwissenden, die weit entfernt von der einzigen tatsächlichen Wahrheit denken, leben und handeln. Eine dieser Wahrheiten ist, dass wir unserer Natur gemäß handeln sollten. Und in der Natur unserer Genitalien liegt es, sich fortzupflanzen. Wenn wir sie nicht auf diese Weise gebrauchen, handelt es sich um ein unnatürliches Verhalten. So entstand die Heteronormativität.

Das zentrale Anliegen kritischer Posthumanist*innen ist es, diese diskriminierenden Prozesse zu verwinden, die auf verkrusteten kulturellen Strukturen einer speziellen Form des Humanismus beruhen. Hiermit gehen zahlreiche Herausforderungen einher, die mitunter gar nicht so einfach aufzulösen sind. Es ist diese Vorgehensweise, die mir grundsätzlich plausibel erscheint, aber noch unzählige intellektuelle, nicht notwendigerweise einfach zu lösende Herausforderungen umfasst.

Auch gibt es Vertreter*innen des kritischen Posthumanismus, deren Zielsetzungen höchst problematisch sind, z. B. diejenigen, die davon ausgehen, dass die Klimaveränderung die zentrale gegenwärtige Herausforderung der Menschheit darstellt und infolgedessen wie folgt argumentieren: Der entscheidende Faktor für die Klimaveränderung ist die Überbevölkerung. Hieraus ergibt sich die moralische und möglicherweise auch rechtliche Verpflichtung, auf Fortpflanzung zu verzichten bzw. sie politisch zu regeln. Solche paternalistischen und eugenischen Gedankengänge sind moralisch höchst problematisch und sind im Konflikt mit der fantastischen kulturellen Errungenschaft von sozial-liberalen Demokratien. Wer die Überbevölkerung als die zentrale gegenwärtige Herausforderung ansieht, muss zu Forderungen gelangen, die im Konflikt zu Strukturen stehen, auf denen sozial-liberale Demokratien beruhen. Es gibt andere vielversprechendere Ansätze mit der Klimaveränderung umzugehen, die im Einklang mit den Errungenschaften sozial-liberaler Demokratien stehen und die mit technischen Innovationen zu tun haben. Technische Innovationen als das entscheidende Hilfsmittel zur Erhöhung der personalen Lebensqualität zu sehen, wird von Transhumanisten vertreten.

 

Transhumanismus

Der Transhumanismus ist geistesgeschichtlich klar vom kritischen Posthumanismus zu unterscheiden. Zahlreiche zentrale Elemente des Transhumanismus teile ich. Radikale Variationen des Transhumanismus, wie etwa das Konzept des mind uploadings, erscheinen mir jedoch höchst unplausibel und, was noch wichtiger ist, entfernt von dem, was in absehbarer Zeit für uns gesellschaftlich relevant ist. Der zentrale transhumanistische Gedanke ist der, dass wir mittels technischer Innovationen unsere bisherigen personalen Begrenzungen erweitern sollten, um so die Wahrscheinlichkeit eines florierenden Lebens zu erhöhen. Die meisten Transhumanisten vertreten die Variante einer naturalistischen Anthropologie. Entscheidend für ihr Selbstverständnis sind jedoch normativen Forderungen, die durch ihr evolutionäres Weltbild nahegelegt werden.

Impfungen, Antibiotika und Anästhetika wurden in den vergangenen 250 Jahren entwickelt. Das öffentliche Nutzen des Internets ist gerade einmal seit 1990 gegeben. Das erste Smartphone wurde 2007 vorgestellt, was knapp 15 Jahre her ist. Ein Leben ohne die digitale Welt ist heute bereits nicht einmal mehr vorzustellen. Die Genschere CRISPR/Cas 9 wurde 2012, also vor nur 10 Jahren veröffentlicht. Musks Neuralink, das Hirn-Computer-Schnittstellen erforscht, wurde 2016 gegründet. Die Interaktion von Gentechniken, Gehirn-Computer-Schnittstellen und der Digitalisierung ist der vielversprechende Bereich, um die gegenwärtigen personalen Begrenzungen zu überschreiten. Transhumanisten fordern eine proaktive Grundhaltung zur Förderung insbesondere dieser Techniken.

In Deutschland ist der Transhumanismus insbesondere durch Sloterdijks Rede „Regeln für den Menschenpark“, der im Übrigen kein Transhumanist, sondern ein biokonservativer Denker ist, und Habermas‘ implizite Replik in seinem Essay zur liberalen Eugenik bekannt geworden. Seitdem sind jedoch schon mehr als 20 Jahre vergangen, und der Transhumanismus hat sich von einer kulturellen Nischenbewegung einer kleinen Gruppe von Intellektuellen zu einem weit verbreiteten kulturellen Phänomen entwickelt, das im Silicon Valley, bei Netflix Serien, bei Computerspielen, bei Hollywood-Filmen und auch aus unserem lebensweltlich-relevanten Alltag nicht mehr wegzudenken ist.

Der homo sapiens ist vor 400.000 Jahren entstanden. Wird es in 400.000 Jahren noch Menschen geben? Wenn wir die Schnelligkeit der jüngsten Entwicklungen betrachten, ist dies wohl nicht wahrscheinlich. Entweder werden Menschen dann ausgestorben sein oder sich weiterentwickelt haben. In der Vergangenheit hing es von der natürlichen Selektion ab, wer überlebt. Nun haben wir die Möglichkeit der menschlichen Selektion. Wir können die Evolution verbessern. Sollten wir dies tun? Da kein moralischer Verdienst darin besteht, genetisches Roulette zu spielen, ist das proaktive Eingreifen in der Tat die moralisch angemessene Reaktion auf die neu gegebenen technischen Möglichkeiten. Unter Transhumanisten wird dann darüber diskutiert, ob es sich hierbei um eine moralische Pflicht handelt, wie dies von vielen utilitaristischen Transhumanisten vertreten wird, ob es sich um eine naheliegende Wahlmöglichkeit handeln sollte oder ob es ein Laster wäre, nicht auf diese Möglichkeiten zurückzugreifen.

Dieses Spektrum an Möglichkeiten verdeutlicht, dass es sich beim Transhumanismus bei Weitem nicht um eine homogene Gruppierung von libertären, utilitaristischen Hyper-Humanisten handelt, die alle nur auf ein schneller, weiter und höher abzielen, um so einen Superman auf Viagra oder eine Wonderwoman mit Botox hervorzubringen zu können.

Eine andere unter Transhumanismus-Kritikern weit verbreite Variante der Darstellung ist es, den Transhumanismus als eine kulturelle Bewegung zu charakterisieren, die darauf abzielt, unsere Persönlichkeiten auf eine Festplatte hochzuladen, um so unsterblich zu werden. Bei beiden leider weit verbreiteten Repräsentationen handelt es sich um verzerrende Karikaturen, die mit einer kritisch informierten Analyse des Transhumanismus nichts zu tun haben. Es gibt jedoch noch weitere Vorurteile bezüglich des Transhumanismus, die ein Hindernis für eine breitere akademische Rezeption dieses intellektuellen Weltverständnisses darstellen. Stets wird implizit vermittelt, dass ein kritisch denkender Intellektueller, dem Transhumanismus notwendigerweise ablehnend gegenüberstehen muss.

 

Vorurteile gegenüber Transhumanismus

Eine kleine Auswahl von unzutreffenden Vorurteilen soll kurz dargelegt werden. Auf diese Weise können weitere Facetten des „neuen Menschen“ hervortreten. Die folgenden vier Vorwürfe sollen hier kurz thematisiert werden: 1. Der Totalitarismus-Vorwurf; 2. Der Vampir-Kapitalismus-Vorwurf; 3. Der Anthropozentrismus-Vorwurf; 4. Der Ungerechtigkeits-Vorwurf.

Totalitarismus-Vorwurf

Als Habermas in seinem Essay zur liberalen Eugenik von Nietzscheanischen-Züchtungsfantasien der Transhumanisten spricht, dem er eine auf einer Verfassung beruhende pluralistische Gesellschaft entgegenstellt, dann steckt in dieser Aussage genau dieser Totalitarismus-Vorwurf verborgen. Wenn er im Jahr 2014 transhumanistisches Schaffen in den Kontext von Sekten-ähnlichen Denken rückt, dann bestärkt er diesen Vorwurf sogar noch. Dem gegenüber steht die Rezeption des Transhumanismus bei den gegenwärtig führenden Intellektuellen Russlands, wie etwa bei Alexander Dugin, dessen Tochter jüngst bei einem Anschlag ums Leben kam, und der ein Vordenker der Wahrheit der eurasischen Orthodoxie ist. Dugin bezeichnet den Transhumanismus explizit als eine Idee des Teufels. Der Pluralismus, die LGBTQIA*-Bewegung und alle anderen Übel der Welt sind Erscheinungsformen des Transhumanismus, der als der böse Gegenspieler der orthodoxen Wahrheit dargestellt wird.

Habermas kritisiert den Transhumanismus als anti-pluralistische Bewegung. Dugin hingegen kritisiert ihn aufgrund seines Pluralismus. Habermas Einschätzungen sind höchst unplausibel. Der Transhumanismus kennt keine Riten, Heilsbringer, Gebete, Heilige oder Gebote. Es gibt noch nicht einmal notwendige Dogmen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Fokus liegt auf naturwissenschaftlichen Einsichten. Wenn neue Ergebnisse vorliegen, müssen alte Entscheidungen revidiert werden und neue Strategien ergriffen werden. Es handelt sich um eine pragmatische, liberale und naturwissenschaftliche Vorgehensweise.

Auch auf politischer Ebene ist der Transhumanismus unverdächtig. Politisch sind alle führenden Transhumanisten im liberalen Spektrum einzuordnen, wobei die Bandbreite enorm groß ist. Sie reicht von libertären Ausrichtungen bis hin zu sozial-liberalen Vorstellungen von Demokratie. Kein einziger führender Transhumanist vertritt eine autoritäre politische Struktur. Dies bedeutet nicht, dass bei libertären politischen Ordnungen nicht die Gefahr besteht, dass implizit paternalistische Tendenzen befördert werden. Diese Sorge ist sicherlich zutreffend. Es ist also nicht so, dass eine libertäre politische Ausrichtung nicht gewisse Herausforderung mit sich bringt. Dieser Umstand liegt aber stärker im Libertarismus als im Transhumanismus begründet.

Dugins Charakterisierung des Transhumanismus hingegen ist als Beschreibung schon wesentlich zutreffender: Pluralismus, die Unterstützung der LGBTQIA*-Bewegung und der Einsatz von Gentechniken zur Förderung des personalen Florierens sind durchaus Normen, die im Transhumanismus weithin geteilt werden. Das Problem liegt in seiner Charakterisierung des Transhumanismus als Idee des Teufels. Seine Beschreibung des Transhumanismus ist nicht unplausibel, nur seine normative Bewertung muss auf den Kopf gestellt werden. Es sind gerade die anti-autoritären, anti-paternalistischen und anti-totalitären Grundhaltungen, die kennzeichnend für den Transhumanismus sind und die gerade für den Transhumanismus sprechen. Dugins Bewertung des Transhumanismus als Idee des Teufels ist das Problem, weniger seine Beschreibung des Transhumanismus.

Vampir-Kapitalismus-Vorwurf

Gerade aus dem linken politischen Spektrum hört man häufig, dass mit dem Transhumanismus ein Kapitalismus ohne Berücksichtigung der nächsten Generationen und der Nachhaltigkeit einhergeht. Es ist sicherlich zutreffend, dass die Klimaveränderung eine der wichtigen Herausforderungen unserer Tage ist. Handelt es sich hierbei jedoch um die wichtigste Herausforderung, der alle anderen Überlegungen unterzuordnen sind oder nicht? Dies ist die entscheidende Frage. Wenn dies der Fall sein sollte, dann ließen sich eugenische Regelungen begründen, das Verbot der Fortpflanzung, von Flügen sowie auch des Fleischverzehrs. Selbstredend könnten solche Entscheidungen nur innerhalb eines Landes getroffen werden, da glücklicherweise keine Weltregierung vorhanden ist, die globale gesetzliche ­Regelungen ­
treffen kann. Wenn ein Land Kohle-und Atomkraftwerke verbietet, dann werden ebensolche Kraftwerke in anderen Ländern gebaut. Im Zweifelsfall wird der so gewonnene Strom oder die so gewonnene Energie dann noch in das Land importiert, in dem die Verbotsregelungen getroffen wurden. Eine wirkmächtige Lösung sieht anders aus.

Ein anderer Ansatz sieht vor, nicht-nachhaltige Vorgänge höher zu besteuern. Auf diesen Ansatz trifft jedoch die gleiche Herausforderung zu, wie die gerade genannte. Außerdem fördert sie noch die soziale Ungerechtigkeit innerhalb eines Landes. Fleisch, Flüge und geheizte Fincas nur für die Reichen. Wichtig ist es weiterhin zu realisieren, dass die exponentielle Bevölkerungszunahme der Hauptgrund für unseren enormen Konsum und nicht-nachhaltiges Handeln ist, was letztlich die entscheidenden Gründe für die Klimaveränderungen darstellen. Welche Möglichkeiten sind gegeben, diese Herausforderung anzugehen? Ein Fortpflanzungsverbot ist eine totalitäre eugenische Maßnahme, die die Grundstrukturen von liberalen Demokratien untergräbt. Eine steuerliche Handhabung führt zur sozialen Ungerechtigkeit. Kinder nur für Reiche. Beide Maßnahmen stellen weiterhin keine globalen Ansätze dar.

Die Bevölkerungen Chinas und Indiens stellen bereits jetzt mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung dar. Weiterhin gilt zu beachten, dass mit dem steigenden Reichtum auch ein erhöhter Fleischkonsum einhergeht. Fleisch zu essen, ist ein Zeichen sozialer Distinktion. Könnten (moralische) Appelle ein Ansatz sein, um Menschen vom Fleischkonsum abzubringen? Ein umfassender, effektiver und schneller Wandel im Handeln kann durch Appelle wohl kaum erzielt werden. Es wird also ein Ansatz benötigt, der global funktioniert, ohne dass auf globaler Ebene totalitäre Regelungen getroffen werden müssen, was weder wünschenswert noch realistisch ist.

Der Ökonom und Statistiker der Universität Oxford, Max Roser, der auch für die herausragende Webseite ourworldindata verantwortlich ist, hat aufgezeigt, dass die Bevölkerungsentwicklung in vier Stufen verläuft. Mit der qualifizierteren medizinischen Versorgung und verbesserten Hygiene geht eine geringere Säuglingssterblichkeit und eine längere Lebensdauer einher. Mit einer erhöhten Bildung, gesteigerten Lebensqualität und gesicherten Unterkunft, Verpflegung und sozialen Absicherung verringert sich weiterhin noch die Fortpflanzungsrate. In Deutschland liegt sie bei 1,5, in Österreich bei 1,4 und in Italien sogar nur bei 1,2. Dieses Phänomen kann auch global beobachtet werden. Studien der Vereinten Nationen zeigen sogar auf, dass wenn die Lebensqualität, Hygiene und der Zugang zur Bildung, Krankenversorgung und Grundnahrungsmitteln weiterhin so ansteigt, wie bisher, dann kann davon ausgegangen werden, dass der 12 Milliardste Mensch nie geboren wird. Wenn diese Forschung zutreffend ist, dann bedeutet dies, dass die Überbevölkerung nie als Problem auftreten wird, da mittels Innovationen die Lebensqualität so gesteigert werden kann, dass die Fortpflanzungsrate signifikant zurückgeht.

Der gesteigerte Zugang zu Fortpflanzungstechniken ist ein weiterer Ansatz, um diese Entwicklung weiter zu fördern. Pille, Kondom, künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft und schließlich die künstliche Gebärmutter, an der bereits gearbeitet wird, sind Entwicklungen, die dazu führen, dass wir die Sexualität von der Reproduktion abkoppeln können. Sexualität ist zur Unterhaltung da, wohingegen die Reproduktion technisch realisiert wird, um auf die Weise die Wahrscheinlichkeit einer verbesserten Lebensqualität zu fördern.

Wenn diese Einschätzungen plausibel sind, dann sind global keine totalitären, paternalistischen, eugenischen, sozial-ungerechten oder auch ineffizienten Maßnahmen nötig, um die Herausforderung „Bevölkerungsentwicklung“ und damit einhergehend auch die Frage der Klimaveränderung anzugehen. Vielmehr scheinen die hier dargelegten Maßnahmen zu verdeutlichen, dass mittels Innovation die Errungenschaften der liberalen Demokratie bewahrt werden können und die Herausforderung „Klimaveränderung“ trotzdem wirkmächtig angegangen werden kann. Hiermit soll nicht gesagt werden, dass keine anderen Maßnahmen notwendig sind. Diese Überlegungen verdeutlichen zumindest, dass wir nicht verzweifeln müssen. Es gibt Studien, die nahelegen, dass mittels einer weltweiten Steigerung der Lebensqualität, wodurch auch die Herausforderung „globale Gerechtigkeit“ berücksichtigt wird, die aneinander gekoppelten Herausforderungen Überbevölkerung und Klimaveränderung erfolgreich angegangen werden können.

Anthropozentrismus-Vorwurf

Es gehe dem Transhumanismus nur um die Steigerung der menschlichen Lebensqualität. Es handele sich um einen Hyper-Humanismus. Es drehe sich beim Transhumanismus alles nur um den Menschen, selbst wenn von der Überwindung des Menschen gesprochen wird. Auch hierbei handelt es um weit verbreitete Kritikpunkte.

Diese können leicht entkräftet werden. Ein zentrales Anliegen der meisten Transhumanisten ist es, dass der Personenstatus auf nicht-menschliche Lebewesen ausgeweitet wird. Der Anti-Speziesismus und Anti-Anthropozentrismus sind ganz zentrale Aspekte der meisten transhumanistischen Anthropologien. Diese Stoßrichtung ist nicht ohne moralische Herausforderungen, jedoch hat sie beim Transhumanismus ganz praktische Implikationen.

Der Kohlendioxidausstoß in der Massentierhaltung ist ein entscheidender Faktor der Klimaveränderung. Mit der Steigerung der Lebensqualität und der Bevölkerungsrate in Indien und China steigt der dortige Fleischkonsum weiter enorm an. Alternativen sind notwendig. In Singapur wurde vor gar nicht allzu langer Zeit der Verkauf von künstlichem Fleisch rechtlich erlaubt. Tiere müssen nicht mehr geschlachtet werden. Der Kohlendioxidausstoß durch tierische Abgase ist nicht mehr vorhanden. Die Verseuchung der Böden ist nicht mehr gegeben. Antibiotika zur Vorbeugung von Krankheiten müssen nicht mehr gegeben werden, was wiederum Konsequenzen für das Risiko der Entstehung von antibiotikaresistenten Keimen hat.

Gleichzeitig haben US-amerikanische Forscher auch noch veganen Käse entwickelt, der aus echter Laktose gewonnen wird. Die Laktose stammt jedoch nicht von Kühen, sondern der genetisch modifizierten Hefe. Mittels des genome editing kann also vegane Milch realisiert werden, die die Grundlage für den Käse darstellt. An diesen und zahlreichen weiteren Beispielen kann aufgezeigt werden, wie mittels technischer Innovationen der Anthropozentrismus im Handeln vermieden werden kann, ohne dass wir auf Fleisch und Käse verzichten müssen. Weder Verbote, Besteuerungen oder Werbemaßnahmen sind notwendig, um den Lebensstil zu verändern, sondern ausschließlich bessere Alternativen. Bei diesen stellt sich dann auch nicht die Frage, wie diese global realisiert werden können. Vielmehr steigt die Nachfrage nach solchen Produkten automatisch. Sie muss nicht erzwungen werden. Dies ist der große Vorteil des Anliegens, anthropozentrisches Denken mittels technischer Innovationen zu überwinden.

Ungerechtigkeits-Vorwurf

Das Unterwandern des Gleichheitsgrundsatzes und die Förderung von Ungerechtigkeit waren zwei wichtige Anliegen, weshalb Fukuyama den Transhumanismus herausstellte, als er Anfang dieses Jahrtausends danach gefragt wurde, welche Idee es für die gefährlichste der Welt hält. Anhand eines Beispiels soll herausgestellt werden, dass der gegenwärtige Umgang mit digitalen Daten in Europa nicht in unserem demokratischen Interesse ist und dass wir die Bedeutung von digitalen Daten radikal umdenken müssen. Dieser Gedanke soll hier nur kurz angesprochen werden. In meiner Monographie „We have always been cyborgs“ (2022) habe ich ihn detailliert erläutert.

Daten sind das neue Öl wird weithin von Wirtschaftswissenschaftler*innen vertreten. Digitale Daten sind intellektuelles Eigentum. Öl hingegen ist ein Rohstoff. Dies sind unterschiedliche Entitäten. Die Einschätzung ist trotzdem zutreffend, da beide Entitäten mit Geld, Macht und Einflussnahme zu tun haben. Mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung ist es in Europa jedoch enorm schwierig, auf umfassende Weise digitale Daten zu sammeln. Diese sind jedoch von kaum unterschätzbarer Relevanz, da sie für die naturwissenschaftliche Forschung benötigt werden, zur technischen Innovation, zum Einsatz von Ressourcen und Energien, zur politischen Entscheidungsfindung und noch aus zahlreichen anderen Gründen. In den USA werden digitale Daten von den großen Tech-Unternehmen gesammelt, und in China auf noch effizientere Weise vom Staat, da Daten auch die Grundlage für deren Sozialkreditsystem darstellen.

Digitale Daten sind von kaum unterschätzbarer Relevanz, und Europa verzichtet darauf, diese effizient zu sammeln, zu analysieren und zu nutzen. Es ist diese Grundhaltung, die gegenwärtig die zentrale Herausforderung für Europa darstellt. Wenn digitale Daten so relevant sind, wie dies weithin von Wirtschaftswissenschaftler*innen vertreten wird, dann wird die Datenschutzgrundverordnung signifikante Konsequenzen für Europa haben, die zum weiteren wirtschaftlichen Abstieg führen wird, da Innovation und Forschung nur in China effizient realisiert werden können. Dort sind die dafür notwendigen digitalen Daten vorhanden.

Wenn es Europa wirtschaftlich schlechter geht, wird es die Mittelklasse wohl als erste stark zu spüren bekommen. Ihnen wird es entweder absolut oder auch nur relativ schlechter gehen als bisher. Wenn dies der Fall ist, dann suchen die Betroffenen Schuldige, die sie in der Regel bei den Andersdenkenden, den Ausländern, den Flüchtlingen, anderen Minderheiten oder dem bösen Anderen im Allgemeinen finden. Die Spannung wird immer stärker, bis dass es zum Bürgerkrieg kommt. Dies sind die Aussichten, wenn die finanziellen Mittel nicht mehr so vorhanden sind, wie dies bislang der Fall war. Es sind die gegenwärtigen Gesetzgebungen, die zum Unfrieden, zur Unzufriedenheit und zum Aufruhr in Europa führen werden. Aus diesem Grund ist ein Umdenken bezüglich der Bedeutung digitaler Daten unerlässlich.

Mein Vorschlag ist es, dass personalisierte digitale Daten vom Staat gesammelt werden müssen. Sie können dann entpersonalisiert an Unternehmen verkauft werden, von denen sie dann analysiert werden können. Diese Analyse sollte primär durch Algorithmen geschehen, da Menschen leicht zu korrumpieren sind. Der entscheidende Clou ist es jedoch, dass der finanzielle Gewinn, den der Staat mittels der Algorithmen realisiert, im allgemeinen, demokratischen Interesse verwendet werden sollte. Das Interesse, das weithin geteilt wird, ist es, gesund länger zu leben, d.h. eine verlängerte Gesundheitsspanne. Mit den erzielten Gewinnen sollte etwa die öffentliche allgemeine Krankenversicherung bezahlt werden. Dann würden die digitalen Daten tatsächlich in einem demokratischen Sinne genutzt werden.

Gegenwärtig ist es so, dass auf die umfassende Berücksichtigung der digitalen Daten in Europa verzichtet wird, sie in den USA dazu benutzt werden, den Reichtum der Tech-Unternehmer*innen zu steigern, und in China sind sie vorhanden, um die autoritäre politische Ordnung zu festigen. Nirgendwo werden digitale Daten im demokratischen Sinne genutzt. Aus diesem Grund muss über die Bedeutung von digitalen Daten neu nachgedacht werden. Es war mir wichtig, diesen Punkt noch kurz und auch stark verkürzt zu erwähnen, da diese Fragestellung aus meiner Sicht eine der gegenwärtig relevantesten ist, zu der es gilt, sich dringend neu zu positionieren.

 

Conclusio

In diesem Überblicksartikel ging es mir darum, einige der zentralen Herausforderungen herauszustellen, auf die posthumanes Denken aufmerksam macht. Mit dem posthumanen Paradigmenwechsel geht die Notwendigkeit einher, zahlreiche verkrustete Strukturen des dualistischen Humanismus, der über 2500 Jahre westliches Denken und Handeln geprägt hat, zu verwinden. Ich freue mich auf den weiteren intellektuellen Austausch zu diesen gegenwärtig hochbrisanten Themen. Nur über einen offenen, kritischen und pluralistischen Diskurs ist es möglich, zu einer angemessenen Berücksichtigung der Pluralität an Interessen gelangen zu können.

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