Bald zeigte sich, dass der spektakuläre Bußakt von Canossa keine endgültige Lösung darstellte. Schon der Brief Gregors von Canossa an die Reichsfürsten kündigte das kommende Unheil an. Mit der Aufhebung des Banns hatte der Papst der anti-salischen Opposition das Instrument aus der Hand geschlagen, mit dem sie Heinrich IV. stürzen oder zumindest gefügig machen wollte. Die ohne Rücksprache erfolgte Lösung des Bannes muss das Vertrauen der Gegner des Saliers, vor allem der Sachsen, in Gregor VII. nachhaltig erschüttert haben. Der Papst mochte in seinem Schreiben noch so oft betonen, dass er an dem bereits mehrfach verschobenen Augsburger Schiedsspruch unter seiner Leitung und unter Einbeziehung der Reichsfürsten festhalte, man fühlte sich durch die Ereignisse in Canossa hintergangen.
Die Wahl Rudolfs von Rheinfelden
Deshalb entschloss sich die süddeutsche Opposition im Februar 1077 in Ulm und unter Übergehung des Papstes zu einem radikalen Umsturz: Am 15. März wählte sie in Forchheim, wo vermutlich im November 911 Konrad I. als erster Nichtkarolinger des ostfränkisch-deutschen Reiches auf den Thron gesetzt worden war, mit dem schwäbischen Herzog Rudolf einen neuen König. Man hat die Wahl Rudolfs als revolutionär bezeichnet (J. Laudage). Und in der Tat kann die Erhebung eines mit Heinrich IV. konkurrierenden Königs als grundlegende und dauerhafte, abrupte soziale Veränderung bezeichnet werden, um eine gängige Definition von „Revolution“ aufzugreifen. Nie zuvor in der ostfränkisch-deutschen Geschichte hatte sich ein erwachsener, seit mehr als zwanzig Jahren gekrönter Herrscher eines von den Reichsfürsten erhobenen Gegenkandidaten erwehren müssen. Darüber hinaus waren sowohl die Zustimmung des Papstes als auch dynastische Gesichtspunkte außer Acht gelassen worden.
Auch Heinrich IV. hatte zu dieser neuen Entwicklung beigetragen, indem er dem Papst das vertraglich zugesagte Geleit verweigerte, um die Versammlung in Augsburg zu vereiteln. Dieser Schachzug muss die oppositionellen Reichsfürsten endgültig davon überzeugt haben, dass die von Heinrich in Canossa versprochene Besserung ein leeres Versprechen und ein Ausgleich mit dem König nicht mehr möglich war. Eine entschlossene Minderheit der deutschen Fürsten hatte deshalb unmittelbar nach Bekanntwerden von Heinrichs Bannspruch den Papst eingeladen, Mitte März nicht wie geplant in Augsburg, sondern in Forchheim an der Wahl eines neuen Königs teilzunehmen.
Da sich Heinrich IV. zu diesem Zeitpunkt noch in Oberitalien aufhielt, drängte die antisalische Partei auf eine rasche Entscheidung. In seiner Antwort verteidigte sich Gregor VII. damit, dass die deutschen Fürsten ihm das zugesagte Geleit verweigert und dadurch den Bußgang Heinrichs nach Canossa überhaupt erst ermöglicht hätten. Er sei sich dennoch über die Aufrichtigkeit des Saliers unsicher und werde an seiner Stelle zwei Legaten nach Forchheim entsenden. Diese Gesandten, Kardinaldiakon Bernhard und Abt Bernhard von Saint-Victor in Marseille, sollten eine übereilte Königswahl möglichst verhindern, zumindest aber hinauszögern. Beides misslang.
In Forchheim versammelten sich am 13. März 1077 in Anwesenheit der Legaten nur wenige Große, darunter die Herzöge Rudolf von Schwaben, Welf von Bayern, Berthold von Zähringen, auf sächsischer Seite Magnus Billung und Otto von Northeim, aus dem Episkopat Siegfried von Mainz, Gebhard von Salzburg, Werner von Magdeburg, Burchard von Halberstadt, Altmann von Passau, Adalbert von Worms und Adalbero von Würzburg sowie möglicherweise weitere Bischöfe. Das zweifellos prominente Wahlgremium bestand also aus kaum mehr als einem Dutzend Personen, die bereits bei den Verhandlungen in Trebur/Oppenheim im Herbst 1076 in Erscheinung getreten waren. Hatte man sich damals noch von der Aussicht auf eine Besserung Heinrichs von der Aufstellung eines Gegenkandidaten abhalten lassen, so wollte die antisalische Partei nun nicht
länger warten.
Vor der eigentlichen Wahl erklärte die Forchheimer Versammlung die Absetzung Heinrichs IV. durch Gregor VII. für unwiderruflich, um die Erhebung eines neuen Königs zu legitimieren. Nur aufgrund persönlicher Eignung und der Wahl der Fürsten, so wurde betont, erlangte Rudolf die Königswürde, für die er einige gravierende Zugeständnisse machen musste: Er verzichtete ausdrücklich darauf, das Reich als sein Eigentum (proprium) zu betrachten und seinen Sohn als Nachfolger zu bestimmen (ius hereditarium), um dem Prinzip der freien Wahl auch in Zukunft Rechnung zu tragen. Somit war eine Hauptforderung der weltlichen Wählerschaft erfüllt, aber es ist bezeichnend, dass in den Quellen die Verwandtschaft Rudolfs mit den Saliern übergangen wird. Den Idealen der Kirchenreform hatte der König insofern zu entsprechen, als er die kanonische Bischofswahl und das Simonieverbot zu beachten hatte.
Die Krönung Rudolfs
Nach der Königswahl zog der Tross der weltlichen und geistlichen Großen zur Krönung nach Mainz. Die Vorbereitung der Krönungszeremonie gestaltete sich jedoch schwieriger als erwartet, denn offenbar fehlte zunächst das für die Herrscherweihe unerlässliche Salböl – entgegen der kirchlichen Vorschrift wurde es erst am Tag der Krönung geweiht. Am Sonntag Laetare, dem 26. März 1077, salbte und krönte Siegfried von Mainz Rudolf von Rheinfelden zum König. Noch am selben Tag brach in der Heinrich IV. wohlgesinnten Mainzer Bürgerschaft ein Aufstand aus, der den soeben gekrönten Rudolf in die Flucht schlug. Als Heinrich von der Erhebung Rudolfs erfuhr, machte er sich von Italien aus auf den Weg in den nordalpinen Reichsteil. Auf seinem Weg nutzte er die Gelegenheit, in Kärnten einen Gegenherzog zu installieren. Anfang Mai betrat der Salier bayerischen Boden. Der Papst zog weiterhin die oberitalienische Landschaft und den militärischen Schutz Mathildes von Tuszien vor – offenbar hatte er seine Reisepläne nach Norden wegen der anberaumten Versammlung in Forchheim zurückgestellt.
Erst am 31. Mai reagierte der Papst auf die jüngsten Entwicklungen im Reich. Gregor beauftragte seine beiden Legaten, „die beiden Könige Heinrich und Rudolf“ (utrumque regem) um freies Geleit für seine Reise über die Alpen zu ersuchen. Danach wolle er mit dem Rat aller Gottesfürchtigen herausfinden, welcher Seite das größere Recht auf die Herrschaft zustehe. Aus dem Augsburger Reichstag, der ursprünglich über Heinrichs Königtum entscheiden sollte, war nach Gregors Vorstellung – und einigem Warten – ein Schiedsgericht über die beiden rivalisierenden Könige geworden. Es sollte nie stattfinden. Nach Canossa war Gregors VII. Eingreifen weder von Heinrichs noch von Rudolfs Partei gefragt. Niemand im Reich wollte den Papst mehr nördlich der Alpen sehen, keiner ließ sich herab, ihm das ersehnte Geleit zu gewähren. Im Sommer 1077 erkannte dies auch Gregor VII. und kehrte nach Rom zurück, das er noch im Januar mit großen Erwartungen in Richtung Norden verlassen hatte.
Der Ausbruch des Bürgerkriegs
Währenddessen nahmen die Entwicklungen im regnum Teutonicum auch ohne päpstliche Einflussnahme ihren Lauf. Nacheinander exkommunizierten Siegfried von Mainz und Adalbero von Würzburg Heinrich IV. Aufschlussreich ist die Begründung, mit der Siegfried seine Handlungsfähigkeit unterstrich: „Dieser Mann [Heinrich IV.] stammt aus dem Mainzer Sprengel“, als Christ unterstehe er somit der Strafgewalt des Mainzer Erzbischofs. Die Bannsprüche blieben jedoch ohne größere Wirkung, auch Gregor VII. äußerte sich nicht dazu. Ohnehin war durch die Wahl Rudolfs eine unheilvolle Gemengelage entstanden, in der sich die Mehrheit der Großen abwartend verhielt, während die Anhänger der rivalisierenden Könige zu den Waffen griffen. Selbst nach dem Ausbruch eines Bürgerkrieges wahrte Gregor VII. zunächst strikte Neutralität und hielt an dem zunehmend unrealistischen Plan eines päpstlichen Schiedsgerichts fest. Erst als die Normannen mit der Eroberung Roms drohten, änderte sich Gregors Haltung. Durch ein engeres Bündnis mit Heinrich IV. hoffte der Papst, sich den militärischen Schutz des Saliers zu sichern. Heinrich wiederum erhoffte sich von einer Annäherung die Abspaltung Gregors VII. von seinen Gegnern im Reich.
Auf der Fastensynode 1079 erschienen Boten beider Könige, wobei die Gesandten Heinrichs IV. lediglich auf das baldige Eintreffen eines höheren Bevollmächtigten verwiesen, während die Vertreter Rudolfs die sofortige Bannung des Saliers forderten. Gregor VII. nahm den Boten Heinrichs schließlich den Eid ab, dass sich bis Christi Himmelfahrt (2. Mai) Beauftragte des Saliers bei ihm einfinden würden, um dann mit Gregors Legaten ins Reich zu reisen. Diesen päpstlichen Gesandten sollte Heinrich dann „in allem gehorsam sein“. Sie erschienen zwar auf zwei Fürstentagen in Fritzlar und Würzburg, um über die Frage der Doppelkönige zu verhandeln, doch erreichten die römischen Legaten dort nichts. Für Heinrich IV. war eine diplomatische Lösung nun keine Option mehr, er wandte sich mit Heeresmacht nach Sachsen. Seine militärische Überlegenheit hatte ihn in der Hoffnung bestärkt, sich der Opposition auch ohne päpstliche Unterstützung entledigen zu können, zumal der der Kirchenreform verbundene Rudolf nur eine Minderheit der Reichsfürsten hinter sich wusste.
Die Schlacht von Mellrichstadt
Die erste große Schlacht zwischen den Ritterheeren beider Könige fand am 7. August 1078 auf dem Grafenberg bei Mellrichstadt statt. Um einer Vereinigung schwäbischer und sächsischer Truppen unter Rudolfs Führung zuvorzukommen, war Heinrich IV. mit seinem Heer nach Unterfranken an den Fuß der Rhön gezogen. Dort trafen die Kontingente aufeinander. Hatte es der Salier im Sachsenkrieg vor allem mit Bauernheeren zu tun, so standen sich in Mellrichstadt gepanzerte Reiter gegenüber. Nach dem Zeugnis Bertholds von Reichenau suchten beide Kontrahenten die Entscheidung und griffen aktiv in die Kämpfe ein. Die Auseinandersetzung der Ritterheere artete in ein grausames Hauen und Stechen aus, das vor allem den Truppen Heinrichs IV. große Verluste zufügte, wenngleich die bei Berthold genannte Zahl von 30 getöteten nobiles und etwa 5.000 minores sicherlich übertrieben ist. Brunos Buch über den Sachsenkrieg nennt als Gefallene auf Seiten Heinrichs IV. mehrere Grafen, darunter Diepold II. von Vohburg.
Die Todesumstände des Erzbischofs Werner von Magdeburg schildert ebenfalls Bruno: „Auf beiden Seiten wurde tapfer, ja unbarmherzig gekämpft. Auf beiden Seiten wurde bald so, bald so gekämpft; die einen flohen, die anderen flohen; die Unsrigen wurden gefangen, aber wieder freigelassen; die Feinde wurden niedergemacht. Auf unserer Seite flohen zuerst die, die nie hätten mitkämpfen dürfen, nämlich die beiden Bischöfe, die zwar den Namen, nicht aber – wenn ich so sagen darf – das Schicksal teilten. Beide hießen nämlich Werner. Denn der Magdeburger wurde von den Bauern der Gegend aufgegriffen und jämmerlich ermordet, der Merseburger aber kehrte, wenn auch ausgeplündert und nackt in die Heimat zurück […]. Da sie geistlich erzogen waren und besser Psalmen singen als bewaffnete Truppen im Krieg befehligen konnten, flohen sie beim ersten Anblick der Kämpfenden, worauf ihnen eine so große Menge folgte, dass der König [Rudolf] schon meinte, das ganze Heer sei geflohen“.
Nicht nur der hohe Klerus, auch die beiden Könige suchten ihr Heil in der Flucht. Während Rudolf sich nach Sachsen zurückzog, floh Heinrich IV., verfolgt von Truppen Ottos von Northeim, nach Würzburg. Obwohl Rudolf den Sieg für sich beanspruchte, brachte die Schlacht bei Mellrichstadt noch keine Entscheidung.
Die Schlacht von Flarchheim
Heinrich IV. zog Ende 1079 plündernd und brandschatzend durch Schwaben, wandte sich aber bald seinem eigentlichen Gegner zu und zog von Süddeutschland nach Sachsen. Rudolf stellte sich ihm entgegen, so dass es am 27. Januar 1080 bei Flarchheim nahe Mühlhausen in Thüringen zur zweiten großen Schlacht kam. Erneut stellten Panzerreiter das Gros beider Heere. Heinrich IV. hatte kurzfristig Verstärkung durch böhmische Truppen des Herzogs Vratislav erhalten. Der wichtigste Gewährsmann für den Verlauf der Schlacht ist wiederum der Reichenauer Mönch Berthold, ein Anhänger Rudolfs von Schwaben. Dieser habe den Kampf durch eine List zu seinen Gunsten entscheiden wollen und deshalb seine Truppen auf und hinter einem Hügel postiert, an dessen Fuß sich ein schmaler, aber tiefer Bach befand. Sobald Heinrichs Truppen den Bach überquert und den Hügel erklommen hätten, sollten die sächsischen Ritter unter der Führung Ottos von Northeim blitzartig von oben zuschlagen, um den Feind keine geordnete Stellung einnehmen zu lassen. Doch der Plan misslang. Heinrich IV. und seine Gefolgschaft erkannten die Gefahr, umgingen die Stelle und griffen Ottos Truppen in deren Rücken an. Während der Schlacht setzte ein heftiger Schneesturm ein, der ein geordnetes Vorgehen unmöglich machte und zu einem ähnlichen Gemetzel wie bei Mellrichstadt führte. Erst die einbrechende Dunkelheit beendete das Blutvergießen.
Militärisch brachte auch die Schlacht von Flarchheim keine Entscheidung, obwohl Heinrichs Truppenverluste weitaus höher gewesen sein sollen. Der Salier selbst soll unmittelbar nach Beginn der Kämpfe mit kleinem Gefolge durch den Wald geflohen sein, da er durch die Plünderung seines Lagers der für einen Winterfeldzug notwendigen Vorräte beraubt worden war. Die Reste seines geschlagenen Heeres sammelten sich auf der Wartburg, wurden aber von den nachdrängenden sächsischen Reitern in die Flucht geschlagen und ließen einen großen Teil ihrer „Habe, Pferde, Waffen, goldenes und silbernes Geschirr, Pfeffer und andere Gewürze, Mäntel und kostbare Kleider“ zurück, darunter auch jene Dinge, die der Patriarch Heinrich von Aquileia und andere Fürsten bei sich trugen. Da Heinrich das Schlachtfeld vorzeitig verlassen hatte, konnte Rudolf, der dort bis zuletzt geblieben war, den Sieg für sich beanspruchen.
Der böhmische Herzog erbeutete jedoch Rudolfs goldene Königslanze, die ihrem Besitzer den Status der Unbesiegbarkeit und die Gunst Gottes sichern sollte. Außerdem hatten sich zwischenzeitlich mehrere sächsische Große auf die Seite Heinrichs IV. geschlagen, so dass sich Rudolf nur mit Mühe in Sachsen halten konnte. Da der Salier aber auch aus dieser zweiten kriegerischen Auseinandersetzung keine Vorteile ziehen konnte, nahm er Kontakt zu Gregor VII. auf, in der Hoffnung, eine päpstliche Erklärung zu seinen Gunsten zu erhalten. In diesem Zusammenhang wurden Erzbischof Liemar von Hamburg-Bremen und Bischof Rupert von Bamberg als Boten nach Rom geschickt, um Gregor VII. auf der Fastensynode im März 1080 zu einer grundsätzlichen Stellungnahme zu bewegen. Bonizo von Sutri, dessen Zeugnis nicht über jeden Zweifel erhaben ist, berichtet, der König habe durch seine Gesandten mitteilen lassen, er werde dem Papst unter der Bedingung gehorchen, dass dieser im Gegenzug Rudolf ohne gerichtliche Untersuchung (absque iudicio) mit dem Bann belege. Andernfalls werde er einen neuen Papst an die Stelle Gregors setzen.
Die erneute Exkommunikation Heinrichs IV.
Gregor VII. reagierte darauf ähnlich wie 1076: Er erneuerte nicht nur das Investiturverbot, sondern stellte dessen Übertretung unter die Strafe der Exkommunikation. Der Papst erklärte nun, Heinrich IV. sei in Canossa gar nicht wieder in sein Königsamt eingesetzt worden, sondern habe nur die Lösung vom Bann erhalten. In der Folgezeit habe der Salier aus „Hochmut, Ungehorsam und Falschheit“ und entgegen seiner eidlichen Verpflichtung die päpstlichen Bemühungen um einen Schiedsspruch vereitelt. Mit dieser Begründung verfügte Gregor VII. auf der Fastensynode 1080 die erneute Exkommunikation Heinrichs IV. und sprach ihm die Königswürde über Deutschland und Italien ab. Außerdem entband er sämtliche Untertanen vom Treueid. Dem „von den Deutschen erwählten König“ Rudolf hingegen bescheinigte der Papst Demut, Gehorsam und Aufrichtigkeit, erklärte ihn zum rechtmäßigen Herrscher des regnum Teutonicum – über einen Herrschaftsanspruch auf Italien verlor er kein Wort – und sicherte Rudolfs Anhängern Nachlass aller Sünden zu.
Es mag sein, dass die Darstellung Bonizos zutrifft und Heinrich IV. dem Papst ein Ultimatum stellte; es mag sein, dass das Kräfteverhältnis, das nach den Schlachten von Mellrichstadt und Flarchheim für Rudolf zu sprechen schien, den Papst zu diesem Schritt veranlasste. Jedenfalls begab sich Gregor VII. in einen offenen Widerspruch, als er Heinrich IV. das Königtum aberkannte, das er 1077 in Canossa gar nicht wiederhergestellt haben wollte. Immerhin: Im Gegensatz zu 1076 war das Bekenntnis Gregors VII. diesmal eindeutig und ließ Heinrich IV. keinen Ausweg und keine Möglichkeit der Rekonziliation.
Gregor VII. hatte sich nach dreijährigem Zögern und Lavieren für den Thronanspruch Rudolfs von Rheinfelden ausgesprochen und Heinrich mit dem Bann belegt. Freilich hatte der Papst damit seine gebetsmühlenartig formulierte Absicht, ein Schiedsgericht zu leiten, über Bord geworfen und seinen „Anspruch auf uneingeschränkte Verfügungsmacht über alle irdischen Würden und Reichtümer“, der schon „die Zeitgenossen am wenigsten von allen Postulaten Gregors überzeugt“ (R. Schieffer) hat. Die das Reich erschütternde Rivalität der beiden Könige mit ihren je eigenen Anhängern ließ den anonymen Augsburger Annalisten 1079 ausrufen: „O jämmerlicher Zustand des Reiches! Wie es bei einem Komödiendichter heißt: ,Wir sind alle verdoppelt‘, es gibt doppelte Päpste, doppelte Bischöfe, doppelte Könige, doppelte Herzöge!“
Die Lösung der Treueide
Der in der Publizistik aufkommende Meinungsstreit zeigt, dass Gregors autokratisches Amtsverständnis selbst einigen seiner Anhänger zu weit ging. Auch die mit Heinrichs Bann verbundene Eidlösung rief, wie schon 1076, massive Bedenken hervor: So argumentierten aufmerksame Beobachter, dass Gregor VII. mit der Aufhebung der Eide seine Moral- und Gehorsamsvorstellungen über das von Gott verliehene und durch den Treueid bekräftigte Recht des Königs gestellt habe. Aus dem Alten und Neuen Testament gehe dagegen klar hervor, dass ein Eid auch gegenüber bösen und gottlosen Menschen zu halten sei. Ein Eidbrecher handle daher trotz päpstlicher Approbation sündhaft. Der Leiter der Trierer Domschule Wenrich, der im Auftrag des Bischofs von Verdun schrieb, formulierte es in einem Brief an den Papst so: „Ob wir wollen oder nicht, wir werden [vom Eid] gelöst. Die Lösung wird nicht erbeten, sondern angeboten; sie wird abgelehnt und wider Willen aufgezwungen. Aber jeder gewissenhafte Beobachter weiß, dass das, wovon man so leicht befreit wird, von geringem Wert ist“.
Wie man sieht, stieß Gregor VII. auf wohlbegründeten Widerstand. Zu allem Überfluss versah der Papst den am Ostersonntag am Petrusgrab erneuerten Bann gegen Heinrich IV. mit dem Zusatz, dass spätestens am 1. August 1080, dem Fest Petri Kettenfeier, Heinrich entweder tot oder abgesetzt sein werde. Sollte diese Prophezeiung nicht eintreten, wolle er nicht mehr Papst sein.
Die Synode von Brixen 1080
Sollte Gregor VII. gehofft haben, mit diesem gewagten Schritt die politische Pattsituation zwischen den beiden Königen aufbrechen zu können, so hatte er sich getäuscht. Die zweite Bannung Heinrichs blieb in ihrer Wirkung weit hinter der ersten zurück. Letztlich dürfte sie weder Anhänger noch Gegner des Saliers überrascht haben. Heinrich gelang es, die Mehrheit des nordalpinen Episkopats zu einer erneuten Gehorsamsaufkündigung gegenüber dem Papst zu bewegen, der eine gemeinsame Absageerklärung mit den oberitalienischen Bischöfen folgen sollte. Zu diesem Zweck versammelten sich am 25. Juni 1080 in Anwesenheit Heinrichs IV. 30 Bischöfe, bereichert durch die Anwesenheit des unvermeidlichen Papstgegners Hugo Candidus, im südlichsten Teil Bayerns zu einer Synode in Brixen, deren Beschlüsse noch drastischer ausfielen als vier Jahre zuvor in Worms.
Zwar wurde dem Papst die Möglichkeit eines freiwilligen Verzichts auf die cathedra Petri eingeräumt, doch sollte er sich weigern, würde man ihn notfalls mit militärischen Mitteln dazu zwingen. In Brixen wurde ebenfalls ein alternativer, „besserer“ Papst gewählt. Diese Entscheidung wurde jedoch nicht öffentlich bekannt gegeben, lediglich eine auf den 26. Juni 1080 datierte Urkunde Heinrichs IV. für die Kirche von Ravenna bezeichnet den dortigen Erzbischof Wibert als erwählten apostolicus summae sedis. Wibert hat diesen Titel selbst nie geführt und erst 1084 anlässlich seiner Inthronisation in Rom den Papstnamen Clemens III. angenommen.
Der Tod Rudolfs von Schwaben
Nach seiner Rückkehr aus Brixen suchte Heinrich IV. die endgültige Entscheidung im Kampf gegen Rudolf von Schwaben. Dieser hatte zwar weiterhin die Unterstützung der süddeutschen Herzöge, doch blieb sein Machtbereich begrenzt. Nur in Mittel- und Ostsachsen scheint er sich 1080 frei bewegt zu haben. Heinrich IV. hingegen wurde von der Mehrheit der deutschen Bischöfe unterstützt und beherrschte weite Teile des nordalpinen Reichs. Dass er – anders als von Gregor VII. im Überschwang postuliert – auch nach dem 1. August im Vollbesitz seiner Kräfte war, stärkte seine Autorität zusätzlich. Heinrich wollte sich zunächst Rudolf zuwenden, um nach einem Erfolg über seinen nun von Gregor anerkannten Rivalen die Verhältnisse in Italien zu ordnen, d. h. Gregor VII. aus dem Amt zu vertreiben und Wibert von Ravenna zum neuen Papst zu erheben. Während Heinrich mit seinem Heer nach Sachsen zog, blieben die oberitalienischen Bischöfe nicht untätig. Um den geplanten Romzug des Saliers vorzubereiten, überfielen lombardische Verbände die Truppen der Markgräfin Mathilde von Tuszien, die sich – wie schon in den Jahren zuvor – als militärischer Schutzschild Gregors VII. verstand.
Diesmal trafen die Heere Heinrichs und Rudolfs am 15. Oktober 1080 bei Hohenmölsen unweit der Weißen Elster aufeinander. In der Hoffnung auf göttlichen Beistand hatte der Salier am Vortag der Speyerer Domkirche eine Schenkung zukommen lassen, die jedoch zunächst ihre Wirkung verfehlte. Obwohl Heinrichs Truppen auf dem Schlachtfeld geschlagen wurden, verwandelte sich die Niederlage in einen Sieg, als Rudolf von Rheinfelden einen Tag später an den Folgen einer im Gefecht erlittenen Verwundung starb. Die rechte Hand, mit der er Heinrich IV. einst Treue geschworen hatte, war ihm im Kampf abgeschlagen worden. Der Chronist Frutolf von Michelsberg berichtet: „Es wird aber gesagt, dass er [König Rudolf], auf dem Sterbebett liegend und auf seine abgeschlagene rechte Hand blickend, mit einem tiefen Seufzer zu den zufällig anwesenden Bischöfen sprach: „Seht, das ist die Hand, mit der ich meinem Herrn Heinrich die Treue geschworen habe; seht, ich scheide nun aus seinem Reich und aus diesem Leben; seht, ihr, die ihr mich auf seinen Thron gesetzt habt, ob ihr mich, eurem Rat folgend, auf den rechten Weg geführt habt“.
Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie die Anhängerschaft Heinrichs IV. diese Todesumstände ausschlachtete und welch demoralisierende Wirkung sie auf dessen Gegner im Reich und Gregor VII. ausübten. Kein militärischer Erfolg, kein päpstlicher Schiedsspruch, sondern der unerwartete Tod Rudolfs beendete also die dreijährige Auseinandersetzung der Könige im Reich.
Der zweite Gegenkönig Hermann von Salm
Von diesem Schicksalsschlag erholte sich die Fürstenopposition nur langsam. Erst am 6. August 1081 wurde mit Hermann von Salm in Ochsenfurt ein neuer Gegenkönig gewählt, den Siegfried von Mainz am 26. Dezember in Goslar krönte und salbte. Hermann wurde als „Zwerg auf den Schultern eines toten Riesen“, als „Galeonsfigur“ oder „Marionette“ (J. Laudage) in den Händen der Feinde Heinrichs IV. bezeichnet. Und vielleicht wird man in ihm tatsächlich einen Verlegenheitskandidaten und den kleinsten gemeinsamen Nenner sehen müssen, auf den sich die Gegner Heinrichs IV. einigen konnten. Vor allem schwäbische und sächsische Adlige unter der Führung von Welf IV. und Otto von Northeim stützten Hermanns Königtum. Obwohl der neue König dem ebenso einflussreichen wie vermögenden Haus der Luxemburger entstammte und die meiste Zeit in Goslar residierte, der Lieblingspfalz Heinrichs III. und Heinrichs IV., scheint der aus dynastischen Gründen erhobene Hermann kaum je wirklich regiert zu haben: Nur zwei von ihm ausgestellte Urkunden sind erhalten.
Hermanns Tod und das Ende der fürstlichen Opposition
Wie seinem Vorgänger Rudolf gelang es auch Hermann, beachtliche militärische Erfolge zu erzielen und das Heer Heinrichs IV. 1081 bei Höchstädt und 1086 auf dem Pleichfeld bei Würzburg in die Flucht zu schlagen. Die Kräfteverhältnisse verschoben sich jedoch immer mehr zu Heinrichs Gunsten. Bis 1085 hatte der am Ostersonntag 1084 zum Kaiser gekrönte Salier den größten Teil des Reiches zurückerobert, darunter Kärnten, Nordschwaben und schließlich fast ganz Sachsen, dessen Große nun mehrheitlich auf seine Seite wechselten.
Hermann suchte Zuflucht am dänischen Hof, kehrte aber 1088 ins Reich zurück, vielleicht nachdem er seinen Verzicht auf die Königswürde erklärt hatte. Er starb am 28. September 1088 in der Nähe von Cochem an der Mosel. Die Vita Heinrici IV. schildert die Umstände seines Todes mit gehässigem Unterton: „Das einfache Volk […] setzte Hermann als seinen neuen König ein, der ebenfalls [wie Rudolf] auf merkwürdige Art ums Leben kam […]. Eines Tages kam ihm unterwegs die alberne Idee, eine Burg, zu der sie unterwegs waren, scheinbar in feindlicher Absicht zu berennen, um herauszufinden, wie kühn und tapfer die Verteidiger wären […]. Sie fanden das Tor unverschlossen und unbewacht vor und stürmten hinein. Einige der Besatzung ergriffen die Waffen und stellten sich ihnen mannhaft entgegen, andere verkrochen sich feige in die Ecken; eine Frau aber – nur dem Geschlecht, jedoch nicht dem Mut nach eine Frau –, die sich auf einen Turm zurückgezogen hatte, warf dem König einen Mühlstein auf den Kopf, und so kam dieser durch die Hand einer Frau ums Leben, damit sein Tod umso schmächlicher sei. Um aber diese Schande zu verdecken, machten sie in ihrer Erzählung aus der Frau einen Mann“.
Hermanns Tod bedeutete auch das Ende der Fürstenopposition. Hatte sie Heinrich IV. nach 1077 noch an den Rand der Niederlage gebracht und zur – allerdings zu späten – päpstlichen Approbation Rudolfs von Rheinfelden beigetragen, so war davon 1088 nichts mehr übrig. Einzig der revolutionäre Bruch mit dem dynastischen Erbfolgeprinzip sollte nachhaltig wirken und den Reichsfürsten künftig entscheidende Mitspracherechte und einen Anspruch auf Interessenausgleich verschaffen. Tagespolitisch hatte die Fürstenopposition Heinrichs Herrschaftsanspruch allerdings nur die alte Idee des Sakralkönigtums, aufgehübscht mit einigen Reformidealen, entgegengesetzt. Vielmehr wurde die antisalische Partei von entschlossenen Persönlichkeiten wie Otto von Northeim, Rudolf von Rheinfelden, Welf IV. oder Berthold von Zähringen getragen.
Bekanntlich sind es manchmal scheinbar profane Dinge, die über den Ausgang großer Konflikte entscheiden. Ohne jemals einen vollständigen militärischen Sieg errungen zu haben, überlebte Heinrich IV. alle seine Gegner in einem Reich, das nach Jahren des Bürgerkriegs erschöpft und innerlich zerrissen war.